Redner(in): Angela Merkel
Datum: 11.02.2009

Anrede: Lieber Herr Schweitzer, lieber Herr Eder, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/02/2009-02-11-merkel-ihk,layoutVariant=Druckansicht.html


die Sie bis weit in die hinteren Fluchten dieses Hauses heute hierher gekommen sind, ich bedanke mich für die Einladung der IHK. Ich bin gerne wieder hierher gekommen und spreche zu Beginn eines Jahres, das doch in vielerlei Hinsicht ein besonderes Jahr ist und sein wird, gerne zu Ihnen. Ich habe eben gelacht, als Herr Schweitzer Politik und Wirtschaft in ihrem Verhältnis mit Herz und Verstand verglichen hat. Ich wusste nicht ganz genau, ob wir in der Politik das Herz oder den Verstand bekommen oder ob das gemischt ist. Auf jeden Fall braucht man beides; wahrscheinlich in beiden Bereichen beides. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein Unternehmen ohne Leidenschaft, ohne Herzblut führen kann, und ich könnte mir Politik auch nicht ohne ein Stück Leidenschaft, für etwas zu kämpfen, und die Freude, auch etwas zu erreichen, vorstellen. Insofern müssen wir in beiden Bereichen in einer guten Mischung miteinander auskommen. Das Jahr 2009 ist in dreierlei Hinsicht ein besonderes Jahr. Erstens ist es ein besonderes Jahr, weil wir ziemlich viele Wahlen haben. Das ist heute nicht Gegenstand der Diskussion, wie Sie noch bemerken werden. Zweitens ist dieses Jahr ein symbolträchtiges Jahr: Die Bundesrepublik Deutschland wird 60Jahre alt. Das ist natürlich gerade für eine Stadt wie Berlin von großer Bedeutung. Es wird gar nicht so einfach sein, dieses Jubiläum in einer Stadt, die viele Jahre lang geteilt war, richtig zu begehen und zu feiern. Wenn wir über die Bundesrepublik sprechen, dürfen wir nie vergessen, dass natürlich auch in den neuen Ländern, also in der früheren DDR, nach dem Krieg Aufbauarbeit geleistet wurde, dass Menschen aus Trümmern wieder Neues aufbauen mussten. Es wird sehr darauf ankommen, dass wir hier eine Sprache finden, die einerseits den Unrechtsstaat, so wie es die DDR war, in seinem Charakter deutlich macht, und andererseits die Leistung der Menschen in den vergangenen 60Jahren als Leistung für Deutschland nicht ausklammert. Es fügt sich dann auch sehr gut, dass am 9. November 1989 die Mauer fiel; das heißt, wir feiern auch den 20. Jahrestag des Mauerfalls. Das wiederum heißt nichts anderes das verwundert mich auch persönlich immer wieder, als dass wir in Ost und West nun fast schon ein Drittel der Zeit zusammenleben, in der es die Bundesrepublik Deutschland gibt. Und irgendwie kommen wir ja doch einigermaßen miteinander aus. Man kann in Berlin immer noch an vielen Stellen sehen, was wir nicht geschafft haben, aber ich glaube, im Großen und Ganzen ist vieles gelungen. Spätestens, wenn man ins Ausland fährt, wird einem gesagt, was wir geschafft haben. Es ist manchmal auch ganz gut, wenn uns das andere noch einmal vor Augen führen. Die Bundesrepublik Deutschland ist in ihren 60Jahren genau aus dem Grund erfolgreich geworden, den Herr Schweitzer eben genannt hat, nämlich weil sie sich zur Sozialen Marktwirtschaft bekannt hat. Das war eine fundamentale Entscheidung. Ludwig Erhard wurde damals von den Alliierten nicht angefeuert, sondern er hat sich mit ein bisschen Trick und guter Taktik durchgesetzt. Seine Worte werden uns immer in Erinnerung bleiben. Als General Clay zu ihm gesagt hat, dass alle seine Mitarbeiter den Zugang Erhards zum Wirtschaften nicht richtig und absurd fänden, hat Ludwig Erhard ganz ruhig gesagt: Meine haben das auch aufgeschrieben. Er hat dann trotzdem die Zwangsbewirtschaftung außer Kraft gesetzt, hat genau auf diese individuelle Freiheit, so wie sie eben genannt wurde, gesetzt und gesagt: Wenn wir Mangel haben, dann müssen wir auf die Vielfalt der Menschen vertrauen; wir müssen darauf vertrauen, dass es den Menschen zueigen ist, sich zu entwickeln und zu entfalten; wir müssen dafür einen Rahmen schaffen, aber wir dürfen nicht von der Zentrale aus zuteilen. Das hat dann zu dem geführt, was wir heute gemeinhin als Wirtschaftswunder bezeichnen. Das hat diese Republik stark gemacht. Das hat dazu geführt, dass wir den Aufbau Ost in der Art und Weise schaffen konnten, wie wir ihn geschafft haben und wie wir heute noch dabei sind. Und das hat dazu geführt, dass wir eine freiheitliche Ordnung des Marktes haben. In dieser freiheitlichen Ordnung des Marktes hat Ludwig Erhard aber auch immer Grenzen gesetzt. Ludwig Erhard hat das Kartellrecht gegen den Widerstand des Bundesverbandes der Deutschen Industrie durchgesetzt, weil ihm klar war, dass der Mittelstand keine Chance hat, wenn man den Stärkeren immer stärker werden lässt, ihn marktdominant werden lässt und nicht dafür sorgt, dass Freiheit nicht nur eine individuelle Größe ist, die nur einem oder wenigen zukommt, sondern dass die freiheitliche Entfaltung allen möglich ist. Die Geschichte des Kartellrechts ist die Geschichte, die den deutschen Mittelstand zum Rückgrat unserer Wirtschaft gemacht hat. Das gilt für die bei der IHK versammelten Unternehmen und das gilt für die Handwerksunternehmen in ganz besonderer Weise. Meine Damen und Herren, damit ist die Wurzel unserer Entwicklung richtig beschrieben. Jetzt befinden wir uns das ist der dritte Grund, warum das Jahr 2009 so spannend und so besonders ist in einer internationalen Krise der Finanzmärkte, in einer internationalen Krise der Wirtschaft. Die Soziale Marktwirtschaft muss sich nun unter Umständen bewähren, die ziemlich einzigartig sind. Deshalb will ich über diesen dritten Teil auch am meisten sprechen, denn er stellt uns natürlich vor Herausforderungen, wie wir sie über Jahrzehnte hinweg nicht gekannt haben. Ich habe in diesen Tagen wieder mit europäischen Unternehmensführern gesprochen, die auf meine Frage hin, ob wir uns wirklich in einer außergewöhnlichen Situation befinden, noch einmal bekräftigt haben, was wir eigentlich alle wissen, was wir aber manchmal verdrängen, wobei wir uns fragen, ob wir mit unserer Beurteilung vielleicht doch nicht ganz richtig liegen. Sie haben alle eindeutig gesagt: Es ist eine Krise, wie sie die, die jetzt leben, noch nicht erlebt haben. Das hat sich zuerst ich glaube, das kann man so sagen in einem Crash der Banken manifestiert. Diese Tage werde ich aus politischer Sicht nicht vergessen. Und viele andere werden das auch nicht. Da gab es plötzlich niemanden mehr auf der Welt, der helfen konnte, außer den Staaten. Man muss schon sagen, die Banken waren schnell bei uns und haben gesagt: Nur ihr könnt noch helfen. So etwas hatten wir lange nicht erlebt. Wir hatten auch kaum Zeit, baff zu sein, sondern wir sollten schnell handeln. Das haben wir dann auch getan und haben uns leider an Summen gewöhnen müssen, die im politischen Raum sonst selten diskutiert werden. 400Milliarden Euro Bürgschaften, 80Milliarden Euro Kapitalzufuhr für die Banken das ist der Rahmen, in dem wir wirtschaften. Wenn Sie in diesen Tagen wieder nach Amerika schauen, sehen Sie, dass man nun schon an die Grenze der Billion gehen muss, um das alles noch beschreiben zu können. Wir haben schnell gehandelt. Ich will es hier noch einmal sagen, weil es oft in Vergessenheit gerät: Wir haben weder für die Banker noch für die Banken gehandelt, sondern wir haben für die Unternehmen in diesem Land und für die Sparerinnen und Sparer gehandelt. Dies ist ein Rettungspaket. Wenn der Mittelstand oft fragt "Was macht ihr nun für uns?", dann kann ich nur sagen: Das erste, was wir für euch gemacht haben, ist, dass wir dafür gesorgt haben, dass der Kreislauf des Wirtschaftens nicht völlig kollabiert ist. Das Traurige oder das Beschwerliche ist, dass sich die Krise der Banken zwar langsam abgebaut hat und wir sie mit unseren ersten Rettungsmaßnahmen sicherlich vor dem Zusammenbruch vor der Kernschmelze, wie es immer so schön hieß bewahrt haben, dass damit aber die volle Funktionsfähigkeit der Banken noch nicht wieder gewährleistet ist. Nun kann man lange über die Frage reden, wann eine Kreditklemme beginnt und wann es bloß etwas schwieriger wird, einen Kredit zu bekommen. Aber natürlich ist es so, dass sich zumindest die Bedingungen, zu denen man einen Kredit bekommt jedenfalls dann, wenn man einen Kredit über eine längere Zeit für eine größere Investition bekommen will, rapide verschlechtert haben. Das führt heute an vielen Stellen dazu, dass Investitionen, die früher bei niedrigeren Zinssätzen vielleicht rentabel gewesen wären, heute hinterfragt werden. Jetzt sind wir in der Situation, dass wir weiter daran arbeiten müssen weltweit im Übrigen; das geht nur weltweit und kohärent, die Banken langsam wieder zur vollen Funktionsfähigkeit zu bringen. In diesem Zusammenhang hat uns zum Jahresbeginn die Diskussion über die Bad Bank erreicht, die sehr aufgeregt geführt wird. Ich sage Ihnen ganz ehrlich und ganz aufrichtig: Es wird in Deutschland nicht eine große Bad Bank geben, bei der alle Banken ihre Restanten, sozusagen ihren Müll abladen ich will das in Anwesenheit von Herrn Schweitzer jetzt aber gar nicht weiter schlechtmachen. Es wird also nicht so sein, dass man alle Risiken anonymisiert beim Staat abliefern kann. Denn das muss jeder wissen das würde zu dem skandinavischen Weg führen, sodass wir dann als Staat auch sagen müssten: Dann gebt uns bitte auch den guten Teil eurer Bank. Es kann von uns was heißt "von uns"; wir sind ja nur die Vertreter des Steuerzahlers schließlich nicht verlangt werden, dass wir die ganzen Risiken übernehmen und sich anschließend die guten Teile wohl erholen können und wieder ordentlich aufblühen. Auf der anderen Seite erwarten Sie natürlich zu Recht, dass die Banken wieder voll funktionsfähig werden. Das heißt, wir müssen den Banken die Möglichkeit geben, ihre schlechten Risiken oder Assets sozusagen zu separieren, und wir müssen dazu haben wir uns verpflichtet dann wiederum über den Steuerzahler natürlich zu Gebühren, die später auch zurückzuzahlen sind den Banken helfen, das Ganze abzusichern, zu bewirtschaften und abzuwickeln, damit sie mit dem guten Teil privatwirtschaftlich weiterarbeiten können. Das heißt, uns leitet die Idee: So wenig Staat wie möglich, aber so viel staatliches Agieren wie notwendig, um das wichtige Bankensystem wieder zum Laufen zu bringen. Das ist im Übrigen auch die Herangehensweise aller anderen europäischen Länder. Schauen Sie sich einmal an, was in Großbritannien und anderswo gemacht wird. Wir sind da sozusagen auf einer gemeinsamen Linie. Das müssen wir auch sein, weil die Bankenwelt in einem Maße verflochten ist, wie wir uns das vor dieser Finanzkrise gar nicht hatten vorstellen können. Wir haben aber auch einen Spezialfall, über den in diesen Tagen sehr viel diskutiert wird: Das ist die Hypo Real Estate. Die Hypo Real Estate ist in einer Situation, die uns schon sehr viele Garantien abverlangt hat. Wir haben insgesamt 400Milliarden Euro an Garantien bereitgestellt. Die Hypo Real Estate hat davon mindestens schon 50Milliarden Euro, wenn nicht noch etwas mehr beansprucht. Das heißt, eine einzelne Bank fordert immer wieder Garantien und irgendwann auch Kapital von uns. Das ist natürlich eine schwierige Situation, denn die Bilanzsummen solcher Banken liegen bei mehreren hundert Milliarden Euro. In einem Geschäftsmodell, in dem Sie mithilfe von Anleihen, die nur wenige Monate laufen, Projekte für 30Jahre finanzieren, sind natürlich dauernd kurzfristige Refinanzierungen nötig. Wenn diese nicht bedient werden können, muss das kompensiert werden, damit die langfristigen Projekte weiter finanziert werden können. Das ist das Problem. Je weiter die Kurzfristigkeit der einen Seite und die Langfristigkeit der anderen Seite auseinanderfallen, umso dramatischer ist die Staatstätigkeit erwünscht. Nun kommt der wichtige Punkt: Wir haben uns international verpflichtet nach der Insolvenz von Lehman Brothers war das, glaube ich, eine richtige Verpflichtung, dass wir keine Bank mehr pleite gehen lassen, die ein systemisches Risiko darstellt. Die Hypo Real Estate zum Beispiel stellt ein systemisches Risiko dar. Das heißt, wir müssen jetzt zusehen, wie wir damit umgehen. Dabei muss unser Maßstab natürlich wieder sein, dass wir an den Steuerzahler denken und fragen: Wie bekommen wir es hin, für den Steuerzahler die erträglichste Lösung zu finden? Deshalb wird im Augenblick die Frage diskutiert: Was kann man machen? Ich will unsere Antwort auf diese Frage hier jetzt nicht in allen Einzelheiten darstellen; sie ist auch noch in der Erarbeitung. Ich will Ihnen nur sagen: Mir ist nicht nach Verstaatlichung zumute. Das wollte ich eigentlich nie machen. Ich war froh, dass ich mit dem System fertig war, in dem alles staatlich war; das können Sie mir glauben. Ich bin durch 35-jährige Gepflogenheiten mit solchen Systemen auch hinreichend abweisend dazu eingestellt, mich je wieder daran gewöhnen zu können; auch das können Sie annehmen. Wir müssen aber schauen, wie wir das so regeln können, dass weder eine Insolvenz eintritt noch der Steuerzahler über Gebühr belastet wird. Der Aktionär ist im Augenblick, mit Verlaub, nicht unserer wichtigster Punkt, auf den wir schauen. Wir müssen jetzt erst einmal schauen, wie wir das Ganze hinbekommen. Ich will noch ein Wort zu der Diskussion zur Dresdner Bank und Commerzbank sagen, die auch viel Aufsehen erregt hat. Es war so, dass der Fusionsbeschluss vor der Finanzmarktkrise gefallen war, bevor sie zum Staat gekommen sind und um Hilfe gebeten haben. Wir haben dann eine Rekapitalisierung in Höhe von 18Milliarden Euro bei einem Kapitalwert der Bank, der im Augenblick weit darunter liegt, vorgenommen. Wir müssen natürlich befürchten, dass ein so schönes Objekt, fein geschmückt durch Rekapitalisierung des Staates, ein interessantes Objekt für eilfällige Übernahmen ist. Wir können dem deutschen Steuerzahler nicht zumuten, 18Milliarden Euro dort hineinzustecken, um anschließend mit ansehen zu müssen, dass es vielleicht von jemandem übernommen wird. Deshalb haben wir einen Anteil von 25, 1Prozent übernommen, um zu sagen: Dann haben wir wenigstens für diesen Fall ein Widerspruchsrecht wir wollen uns aber nicht unternehmerisch betätigen und können sagen: Eine Übernahme kann nicht funktionieren, wenn nicht auch der Bund zustimmt und man das einsieht. Das ist die Sache bezüglich der Banken. Diese Diskussion wird noch eine ganze Weile andauern. Wir brauchen eine Neustrukturierung der Landesbanken. Das ist auch offensichtlich. Die Landesbanken sind im Augenblick in ihren eigenen Problemen sehr gefangen. Berlin kennt sich mit solchen Fragen aus. Es gibt auch eine Tendenz, die im Augenblick nicht gut ist: Je mehr die einzelnen Nationalstaaten ihren Banken helfen, umso mehr beschränken sich diese Banken auf ihren Heimatmarkt. Das heißt, Banken, die in Deutschland viel an Finanzierung mit übernommen haben, stehen im Augenblick für Finanzierungsmodelle in Deutschland nicht zur Verfügung. Was steht dahinter? Dahinter steht, dass wir lernen müssen, dass die Produkte der Finanzmärkte strenger überwacht und transparenter werden müssen. Wir haben uns auf dem G20 -Gipfel in Washington vorgenommen, dass wir Folgendes mit dem Aktionsplan erreichen wollen, der am 2. April in London wieder debattiert wird: Kein Platz auf der Welt, kein Produkt der Finanzmärkte und kein Akteur auf den Finanzmärkten darf ohne Regulierung weiter existieren. Wenn es so etwas gibt, müssen sehr, sehr hohe Risikoaufschläge vorgenommen werden. Das heißt, ich muss die Risikohaftigkeit meines Produkts durch mehr Eigenkapital unterlegen. Das eigentliche Problem war, dass überhaupt keine Balance mehr zwischen der Höhe des Risikos und der Verfügung eigener Risikoabsicherungsmöglichkeiten bestand. Daran werden wir arbeiten. Ich sehe mit Sorge, dass an manchen Stellen die Ursache dieser Krise schon wieder in Vergessenheit gerät, weil wir alle mit der Bekämpfung der Wirtschaftskrise befasst sind. Aber wir müssen alles tun, damit sich so etwas, was wir jetzt erlebt haben, niemals wiederholt. Dahinter steckt aber ein Weiteres. Auch darüber muss gesprochen werden. Dahinter steckt, dass es zu große Ungleichgewichte auf der Welt gibt, dass sich eine Vielzahl der westlichen Länder daran gewöhnt hat, über ihre Verhältnisse zu leben, dass dies in den Vereinigten Staaten von Amerika besonders der Fall war und dass dadurch sozusagen staatlicherseits toleriert die Idee, immer größere Risiken mit den Banken einzugehen, noch einmal gefördert wurde. Es gab keine Kontrolle. Im Gegenteil, es gab sogar noch eine gewisse Anfeuerung, weil man gesagt hat: Hauptsache Wachstum, so kommen wir weiter. Und die Ungleichgewichte sind dadurch immer größer geworden. Da kommen wir zum schwierigeren Teil, mit dem wir uns befassen müssen. Es kommt der Punkt, an dem wir sagen müssen: Wenn wir alle voneinander abhängen, brauchen wir in einer globalisierten Welt ein paar gemeinsame Prinzipien des Wirtschaftens. Deshalb spreche ich von einer Charta des nachhaltigen Wirtschaftens. Ich habe dabei von den internationalen Organisationen Weltbank, Welthandelsorganisation, OECD, Internationale Arbeitsorganisation und IWF viel Unterstützung bekommen, weil diese internationalen Organisationen diese Ungleichgewichte mit großem Misstrauen anschauen. Auch darüber müssen wir in Zukunft reden. Nun sind wir aber in der Gegenwart. Die Tatsache, dass nicht nur das Gefühl, sondern auch das Faktum da ist, dass die Welt über ihre Verhältnisse gelebt hat, führt natürlich dazu, dass man in der Realwirtschaft mit einem großen Unsicherheitsfaktor zu tun hat und nicht genau weiß, wie sich die Bedarfe in den nächsten Jahren entwickeln werden. Daraus wiederum entsteht eine Zurückhaltung bei der Kreditvergabe. Daraus wiederum entsteht ein Sinken der Produktion. Daraufhin kommt auf die Banken noch einmal die Notwendigkeit zu, eine Bereinigung der eigenen Bilanzen vorzunehmen, weil die sinkenden Aktienwerte in der Wirtschaft auch wieder dazu führen, dass die Banken in eine schlechtere Lage geraten. Wir haben gesagt: Wie alle anderen haben wir in der Bundesrepublik Deutschland bei einem Wirtschaftswachstum, das deutlich negativ ist, die Aufgabe, etwas dagegen zu setzen, um staatlicherseits dieses Konjunkturtal kürzer und etwas flacher zu machen. Wir können diese Krise nicht ungeschehen machen. Sie wird sich auswirken. Aber wir können sie dämpfen, was die Auswirkungen anbelangt. Nun stellt sich wiederum die Frage mit Herz und Verstand, der individuellen Freiheit, dem Staat und der Frage, was man tun soll, was man nicht tun soll und was die Maßstäbe sind. Da sage ich: Wir haben ein Interesse daran ich gehe davon aus, diese Krise ist in einer bestimmten Zeit X vorbei, dass wir nach der Krise nicht in einer Situation sind, in der unser größter Schatz, nämlich die qualifizierten Facharbeiter und Meister, aus den Betrieben verschwunden sind, irgendwo umherirren und damit etwas ganz Wertvolles, was in Deutschland über Jahre und Jahrzehnte von der Ausbildung bis zum Meister-BAföG immer wieder von uns unterstützt und gepflegt wurde, verloren geht. Wir können natürlich die Marktprinzipien nicht außer Kraft setzen. Aber wir können schon eine Brücke brauen. Wie sieht diese Brücke aus? Das ist das zweite Maßnahmenpaket. Wir haben insgesamt Maßnahmenpakete mit einem Volumen von 80Milliarden Euro für zwei Jahre geschnürt. Das macht pro Jahr einen Stimulus von 1, 5Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Bei uns kommen die automatischen Stabilisatoren dazu; diese machen in Deutschland sehr viel aus. Es wird in diesem Jahr eine ziemlich gute Rentenerhöhung geben. Wir machen keinerlei Einschnitte beim Gesundheitssystem. Im Gegenteil. Wir haben im letzten Jahr recht gute Lohnerhöhungen gehabt. Das heißt, in Deutschland sind ganz anders als in Amerika, wo zum Beispiel das Rentensystem vom Kapitalmarkt abhängt, für dieses Jahr die Wirkungen für den Konsum positiv. Dadurch erhöht sich das Stimuluspaket noch einmal gewaltig. Wenn man amerikanische und deutsche Zahlen vergleicht, muss man immer diese beiden Dinge mit berücksichtigen. Als Exportnation erwartet man von uns, dass wir etwas tun, weil wir ein Interesse daran haben müssen, dass auch andere wieder auf die Beine kommen. Es geht also darum, Arbeitsplätze zu erhalten und eine Brücke zu bauen. Deshalb haben wir uns für verschiedene Elemente in diesem Maßnahmenpaket entschieden. Erstens und das ist sicherlich eine schwierige Aufgabe haben wir gesagt: Wenn gut funktionierende Betriebe nur Kredite zu Konditionen erhalten, die aus dem gut funktionierenden Betrieb einen schlechter funktionierenden Betrieb machen, muss man überlegen, ob man mit staatlichen Bürgschaften arbeitet. Es wird jetzt manchmal so getan, als ob wir zum ersten Mal im Leben Bürgschaften vergeben. Auch der klassische Bundeshaushalt hat einen ziemlich hohen Bürgschaftsrahmen. Ganz, ganz viele Exportgeschäfte sind staatlich verbürgt. Das ist ein übliches Verfahren. Wir haben gesagt: Das machen wir aber nur, wenn das Hausbankprinzip gilt. Das heißt, wenn die Hausbank, die das kann, eine positive Fortführungsprognose für das Unternehmen gibt und auch dazu bereit ist, einen kleinen Teil des Risikos zu übernehmen, dann wird auch eine Absicherung über die Kreditanstalt für Wiederaufbau vorgenommen. Wenn ich mir anschaue, was im Augenblick in Amerika hinsichtlich der Fed los ist, so läuft es da gleich über die Notenbank. Stellen Sie sich einmal vor, die Bundesbank gäbe Garantien auf alle Anleihen, die alle großen Unternehmen aufnehmen, wenn es von denen gewünscht würde. So weit gehen wir überhaupt nicht. Aber wir müssen uns natürlich auch fragen: Wenn das in Amerika so ist, wenn es ähnliche Mechanismen in Großbritannien gibt, können wir es uns dann leisten, dass wir sozusagen mit sauberer ordnungspolitischer Verve gar nichts anderes machen, als was wir in Nicht-Krisenzeiten machen würden, und zuschauen, wie andere Betriebe, die vielleicht schlechter sind, überleben? Deshalb ist es so wichtig, dass wir in der Europäischen Union miteinander diskutieren, was faire Wettbewerbsbedingungen sind. Es kann nicht sein, dass der eine Garantien für die Unternehmen mit einem Zinssatz von dreiProzent, der andere von sechsProzent und der Dritte von neunProzent gibt. Auch dann gibt es Wettbewerbsverzerrungen. Deshalb ist der europäische Binnenmarkt sehr wertvoll. Deshalb glaube ich, dass sich an dieser Stelle Europa bewährt, wie sich überhaupt in dieser Finanzkrise die Tatsache, dass wir den Euro haben, bei allen Beschwernissen, die wir haben, als ein unglaublich stabilisierendes Faktum gegenüber den Schwankungen erwiesen hat, die wir hätten, wenn wir 16 verschiedene Währungen hätten. Soweit zum Stichwort Kreditrahmen. Die Bundesagentur für Arbeit ist hier auch vertreten. Wir haben zweitens gesagt: Verlängerung der Kurzarbeit auf 18Monate und das Angebot an die Betriebe, dass wir 100Prozent der Lohnzusatzkosten von den Betrieben übernehmen, wenn sie Qualifikation anbieten, und die Hälfte der Lohnzusatzkosten, wenn das Ganze ohne Qualifikation ist. Meine herzliche Bitte ist: Bevor Sie Menschen entlassen, überlegen Sie, ob Sie diese Brücke der Kurzarbeit bauen können. Ich weiß, dass wir das nicht verordnen können. Das wollen wir auch gar nicht. Das ist ein Angebot. Aber es ist ein Angebot, das Sie so sehen sollten, dass wir Ihnen helfen wollen, langfristig agieren zu können. Denn in wenigen Jahren wird das knappste Gut in Deutschland die qualifizierte Arbeitskraft sein. Wenn wir hier nicht vernünftig agieren, wird es Betriebsverlagerungen aus Deutschland nicht vorrangig wegen der Unternehmensteuerreform oder den Mindestlöhnen oder sonst etwas geben, sondern es wird Betriebsverlagerungen geben, weil Sie hier keine Menschen finden, die die Arbeit überhaupt ausführen können. Da Deutschland ein Land ist, das immer wieder gute, qualifizierte und neue Produkte entwickeln und produzieren muss, werden wir immer auf qualifizierte Arbeitskräfte in einem viel höheren Ausmaß als zum Beispiel in den Schwellenländern oder woanders angewiesen sein. Deshalb meine Bitte: Prüfen Sie zumindest unser Angebot. Dritter Punkt: Wir haben gesagt, wenn wir in der Krise sind, wenn die private Bautätigkeit erkennbar zusammenbricht, wenig investiert wird, wäre es doch richtig, staatlicherseits die Bauarbeiten zu verstärken. Hier hatten wir die Gewähr: Wenn der Bund das allein macht, ist das auch schön wir können das für Straßen, Autobahnen und Ähnliches machen, aber wenn wir es schnell machen wollen, ist es das Beste, wir geben es an die Kommunen weiter. So haben wir ein gemeinsames Programm zwischen Ländern und Bund gestrickt, bei dem die meisten Mittel direkt zu den Kommunen gelangen. Wieder sind wir der Philosophie und dem Maßstab gefolgt: Wenn wir das machen, wollen wir einerseits Arbeitsplätze hier eben in der Baubranche erhalten, aber wir wollen auch andererseits natürlich unser Land zukunftsfähiger machen, damit wir stärker aus der Krise herauskommen, als wir hineingegangen sind. Deshalb haben wir uns entschieden, zwei Drittel der verausgabten Mittel von etwa 14Milliarden Euro in zwei Jahren für Bildung auszugeben; das heißt, für Kindergärten, Schulen, Fachhochschulen. Ich habe eine Bildungsreise unternommen. Zum Schluss war es so, dass Kinder meine Sekretärin gefragt haben, ob ich nicht auch einmal zu ihnen in die Schule kommen könnte, denn wo ich hinkäme, würde vorher immer noch gestrichen oder etwas Schönes gemacht werden. Sie wollten also, dass ich einmal zu ihnen komme. Ich bin nicht für Bildung zuständig. Das weiß ich. Das liegt in der Kompetenz der Länder. Aber ich sage: Wenn wir eine solche Initiative unternehmen, ist es schon in Ordnung, dass viele Eltern sagen: Okay, unsere Kinder gehen jetzt in eine bessere Schule; es sieht etwas besser aus. Es ist eine typisch deutsche Diskussion, dass man gesagt hat: Jetzt malen sie die Schule an, aber es ist immer noch kein Lehrer da. Okay, der Lehrer muss dann noch gefunden werden. Aber es ist schon einmal schön, wenn man Schritt eins gemacht hat, also die Schule gemalt ist. Und dann findet man vielleicht sogar einen Lehrer, der noch lieber darin arbeitet, als wenn er in einem alten verfallenen Bau unterrichten müsste. Meine Damen und Herren, das ist die Philosophie. Ich hoffe, dass die Kommunen das gut annehmen. Die Vorfreude ist im Augenblick groß. Ich hoffe, dass sich das auch so umsetzen lässt. Ein weiterer Punkt: Wir haben gesagt, wir wollen in Forschung investieren, in ein Forschungsprogramm für kleine und mittelständische Unternehmen. Forschung soll insbesondere in der Automobilindustrie stattfinden, wo wir dafür sorgen wollen, dass neue Antriebstechnologien verstärkt entwickelt werden. Immer wieder gilt die Philosophie: Wir wollen stärker aus der Krise herauskommen, als wir hineingegangen sind. Wir haben im Automobilbereich, weil es ein Schlüsselbereich unserer Wirtschaft ist, die ordnungspolitisch sicherlich nicht eindeutig zuzuordnende Abwrackprämie die so genannte Umweltprämie eingeführt. Sie wird gut angenommen. Sie ist ein Beispiel dafür, dass wir gesagt haben: Uns ist es egal, ob ein Renault, ein Peugeot, ein Opel, ein Golf oder ein Polo gekauft wird. Wir sind dafür, dass alle in Europa profitieren, weil wir auch von Europa profitieren. Deshalb schauen wir uns natürlich schon mit Argusaugen an, was in anderen europäischen Ländern passiert, wenn die Automobilindustrie gestützt wird. Auch das muss man sagen. Das ist also der Rahmen. Dazu kommt ein Entlastungspaket für die Bürgerinnen und Bürger. Wir haben zum 1. Januar Entlastungen durch die Erhöhung des Kindergeldes gehabt. Wir werden zum 1. Juli eine Rentenerhöhung vornehmen. Dann folgen automatisch eine Erhöhung der HarzIV-Leistungen, dann eine Steuerentlastung erste Stufe einer Steuerstrukturreform plus eine Senkung der Gesundheitsbeiträge, sodass wir selbst mit den 0, 9Prozent für die Arbeitnehmer jetzt wieder unter 40Prozent bei den Lohnzusatzkosten sein werden. Ich glaube, das ist auch ein vernünftiger Schritt. Ich glaube, mit dem Instrumentenkasten, der dem Staat für die Bewältigung der Krise zur Verfügung steht, haben wir alle Optionen, das zu tun, was notwendig ist. Allerdings müssen wir auch sagen: Es kann jetzt nicht dauernd neue Pakete geben. Wir gehen an die Grenze unserer Leistungsfähigkeit. Wir werden in diesem Jahr ein Defizit von knapp dreiProzent des Bruttoinlandsprodukts haben, nächstes Jahr sogar noch darüber. Deshalb haben wir auch mit Blick auf die Bundesbankgewinne klare Tilgungsregeln vereinbart. Wenn in dieser Woche alles gut läuft, werden wir parallel zu unseren Ausgaben eine fundamentale Verfassungsänderung in Form der so genannten Schuldenbremse bekommen. Das heißt, Bund und Länder wollen sich dazu verpflichten, das Schuldenmachen stark einzugrenzen und auf exorbitante Ereignisse zu begrenzen. Das ist ein Kraftakt; ich komme gleich noch darauf zu sprechen. Aber es ist eine wichtige Weichenstellung, die im Übrigen nur erfolgreich sein konnte Bund und Länder haben jetzt verhandelt; am Donnerstag wird der Schlussstein darauf gesetzt, weil wir die exorbitanten Schulden sehen, die wir jetzt machen müssen, und wir trotz Krise auch Vorsorge für die Zukunft treffen wollen. Das das sage ich mit aller Bescheidenheit ist etwas, was ich bei anderen Ländern im Augenblick etwas vermisse. Woanders werden im Augenblick dramatisch mehr Schulden gemacht als bei uns. Die Krise ist ja nicht daraus entstanden, dass man keine Schulden gemacht hat, sondern die Krise ist mit daraus entstanden, dass zu viele Schulden gemacht wurden. Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir nicht in der Bekämpfung der Krise schon wieder die nächste Krise vorzeichnen. Das ist die allerwichtigste Aufgabe, die ich sehe. Wenn wir jetzt einen Blick in das nächste Jahrzehnt werfen und uns fragen, was die großen Aufgaben sind, vor denen Deutschland steht, dann gehört dazu die Bewältigung der Globalisierung. Es geht um die Fragen: Welche Strukturen brauchen wir, welche Art von Zusammenarbeit brauchen wir? Ich habe das für die Finanzmärkte kurz skizziert. Das Zweite ist für Deutschland der demographische Wandel. In der Mitte des nächsten Jahrzehnts werden wir massive Veränderungen des Altersaufbaus unserer Bevölkerung sehen. Für viele ist das heute noch nicht fassbar. In den neuen Bundesländern können Sie es schon sehen, weil es dort durch den Einbruch der Geburtenrate Anfang der 90er Jahre eine Riesenveränderung gab. Und drittens haben wir mit der zunehmenden Weltbevölkerung die daraus abzuleitende Aufgabe wir werden damit leben müssen, dass die natürlichen Ressourcen, die Rohstoffe zur Entwicklung der Weltwirtschaft knapper werden, effizienter mit diesen Ressourcen umgehen. Das werden auch die drei Bereiche sein, in denen Politik die Weichen auch in die nächste Legislaturperiode hinein stellen muss. Da sagen wir natürlich: Wir müssen in einem vereinigten Europa und in einer globalisierten Welt die Leistungsträger bei uns im Lande halten. Als Ludwig Erhard in Deutschland die Soziale Marktwirtschaft eingeführt hat, gab es nicht die Drohung: Ich gehe einfach in ein anderes Land. Heute in einem europäischen Binnenmarkt ist das natürlich ganz einfach. Das heißt, wann immer wir politisch etwas Falsches entscheiden, ist die Gefahr gegeben, dass man ins Nachbarland geht und sagt: Da habe ich es besser. Deshalb glauben wir, dass wir das wird in den Parteien jetzt unterschiedlich diskutiert im Grundsatz eine Steuerreform brauchen. Ich sage, dass die Ungerechtigkeit unseres Steuersystems in der permanenten kalten Progression und in dem so genannten Mittelstandsbauch liegt, also in der Nichtlinearität des Steuertarifs. Das muss man langsam abtragen. Dazu werden wir verschiedene Modelle entwickeln. Ich spreche hier heute als Bundeskanzlerin, nicht als Parteivorsitzende. Aber wir werden auch eines entwickeln. So ist es, das können Sie mir schon glauben. Ich komme gleich auf die Schwierigkeiten zu sprechen. Wir müssen des Weiteren natürlich die Lohnzusatzkosten um die 40Prozent halten das ist keine einfache Aufgabe, wenn man eine alternde Gesellschaft hat und die Gesundheits- und Pflegekosten jedes Jahr steigen, und wir müssen Bürokratie abbauen, wo immer wir das können mithilfe des Standardkostenmodells, eines internationalen Vorgehens, mit dem man Bürokratiekosten im Bereich der Statistikpflichten misst. Der Normenkontrollrat hat in dieser Legislaturperiode sehr gut gearbeitet. Wir haben Kosten in Höhe von sechsMilliarden Euro eingespart. Sie werden vielleicht sagen, sie merken davon nichts, weil die verbleibenden Bürokratiekosten dramatisch höher sind. Aber wir können Ihnen genau aufzählen, wo hier Veränderungen vorgenommen wurden. Wir haben angesichts der demographischen Veränderung eine Riesenaufgabe vor uns: Das ist die Integration der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In Berlin weiß man, wovon gesprochen wird. In allen deutschen Gebieten, die in der industriellen Entwicklung eine große Rolle spielen die ganze Rhein-Main-Schiene, Stuttgart, München, Nürnberg, Erlangen, Fürth, haben heute schon 25Prozent der Bürgerinnen und Bürger, die unter 25Jahre alt sind, einen Migrationshintergrund. Die Zahl wird steigen. In vielen deutschen Großstädten ist die Einschulungsquote inzwischen so, dass die Zahl derer, die einen Migrationshintergrund haben, größer ist als die Zahl derer, die aus einer langjährig deutschen Familie kommen. Wenn es uns nicht gelingt, diese jungen Leute so zu integrieren, dass sie in ihrem Bildungsniveau vergleichbar mit denen sind, die einen deutschen Hintergrund haben, dann werden wir ein unauflösbares Problem bekommen. Deshalb habe ich die Beauftragte für Integration ins Kanzleramt geholt und gesagt: Das ist eine Querschnittsaufgabe. Deshalb haben wir mit den Ländern und den Kommunen den Nationalen Integrationsplan gemacht. Dabei ist viel zu tun. Ich weiß auch, dass Sie vieles dazu beitragen, indem Sie junge Menschen ausbilden. Natürlich sagen Sie auch: Ich kann sie nur ausbilden, wenn sie einen Schulabschluss haben, der für die spezialisierten Berufe ausreicht. Aber wenn wir uns dieses Themas nicht annehmen das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass jeder Mensch in unserem Land die gleichen Chancen haben muss, sondern es hat auch etwas mit unserer wirtschaftlichen Kraft zu tun, dann werden wir in der Mitte des nächsten Jahrzehnts ein Riesenproblem haben. Deshalb bitte ich Sie hier um tatkräftige Mithilfe. Meine Damen und Herren das trifft sich dann wieder mit der Bildung und der Familienpolitik, es war richtig, dass wir in dieser Legislaturperiode angefangen haben, die Betreuungsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen auszubauen. Wir haben in Deutschland immer die Diskussion darüber, ob man sein Kind jetzt schon mit einem Jahr in die Kinderkrippe schicken muss. Man muss nicht. Wir wollen die Wahlfreiheit. Wir wollen nichts weiter, als dass Eltern, denen wir zutrauen, dass sie sich entscheiden können, wie sie leben wollen, auch wirklich die Wahl haben. Sie haben sie heute aber oft nicht. Wenn sie nicht eine Kinderfrau bezahlen können und sonstige Anstrengungen finanzieller Art unternehmen, ist diese Wahlfreiheit nicht da. Deshalb muss sie gegeben werden. Für die Integration ist dies wiederum von besonderer Bedeutung. Denn uns sagen die Pädagogen richtigerweise: Mit drei Jahren können die Kinder normalerweise richtig sprechen. Aber mit drei Jahren hat das deutsche Kind noch keinen ausgeprägten karitativen und solidarischen Zug. Es geht daher im Kindergarten eher auf das andere Kind zu, das auch sprechen kann, und ignoriert die Kinder, die noch nicht richtig sprechen können. Das heißt, es ist besser, früher mit Sprachbildung anzufangen, weil Sprache der Schlüssel für Bildungschancen im späteren Alter ist und bleibt. Deshalb haben wir auch gesagt: Wir müssen zwischen Bund und Ländern besser im Bereich der Bildung zusammenarbeiten. Die Länder haben es nicht geliebt, als wir in Dresden zum Qualifizierungs- und Bildungsgipfel zusammengekommen sind. Aber wir haben uns auf gute Sachen verständigt. Wir haben uns darauf verständigt, dass bis zum Jahr 2015 dreiProzent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung und siebenProzent für Bildung investiert werden müssen. Das ist eine Riesenkraftanstrengung, ist aber internationaler Standard. Wir haben gesagt: Wir wollen die Zahl der Schulabbrecher halbieren, wir wollen vor allen Dingen in Hauptschulen, aber auch in allen anderen Schulen Berufsangebote und Berufswerbung erlauben. Es ist leicht zu sagen, dass das Land für die Bildung zuständig ist. Nur wenn das Kind aus der Schule herauskommt, dann ist plötzlich wieder der Bund zuständig. Er ist dann für die Hartz-IV-Zahlungen zuständig, er ist für die Berufsausbildung zuständig. Dann darf man als Erstes mit den Geldern der Arbeitslosenversicherung den Schulabschluss nachholen. Deshalb müssen die Schnittstellen besser betreut werden. Wenn wir das in diesem Lande nicht lernen, dann werden wir international ins Hintertreffen geraten. An diesem Beispiel ich könnte Ihnen jetzt auch das Beispiel Infrastruktur und viele andere nennen sehen Sie: Der Staat hat auch die Notwendigkeit, seine Ausgaben noch einmal zu erhöhen. Wir haben die Notwendigkeit, den Leistungsträgern Anreize zu setzen und die Bürgerinnen und Bürger etwa durch eine Steuerreform zu entlasten. Wir wollen jetzt aber auch eine Schuldenbremse einführen. Da ich Physik studiert habe, weiß ich, dass das alles irgendwie zusammenpassen muss. Deshalb ist der Schlüssel dessen, was wir schaffen müssen, Wachstum. Wir müssen in diesem Land bereit sein, möglichst hohe Wachstumsraten zu erzielen. Wir haben es in den letzten drei Jahren gesehen: Wenn das Wirtschaftswachstum vernünftig ist, dann werden die Probleme mit den sozialen Sicherungssystemen viel kleiner. Dann kann man Beiträge senken. Wenn wir wieder so viel Erwerbstätigkeit wie am Ende des letzten Jahres haben, als wir die höchste Erwerbstätigenzahl in der Geschichte der Bundesrepublik hatten, dann können wir uns viele Dinge leisten, die wir uns bei einem Nullwachstum nicht leisten können. Deshalb dürfen wir natürlich bestimmte Experimente nicht machen. Ich bin der Meinung, dass es nicht in Ordnung ist, dass wir als eines der ganz wenigen Länder Kernkraftwerke abschalten, während alle anderen darüber reden, neue zu bauen. Ich will keine neuen bauen, aber ich will wenigstens nicht die sichersten auf der Welt als erste abschalten. Ich glaube, dass wir uns mit der grünen Gentechnologie befassen müssen. Wir können nicht immer wieder ganze Forschungszweige abstreifen und sagen: Mit denen wollen wir nichts zu tun haben. Wer wählerisch ist, wer mäklig ist, wer dieses und jenes nicht will, der setzt das Wachstum aufs Spiel und wird sich der Möglichkeiten berauben, die uns als Land attraktiv machen. Deshalb ist es wichtig, Wachstum, Entlastung und notwendige staatliche Ausgaben in eine Balance zu bringen, ohne dauernd über die eigenen Verhältnisse zu leben. Das wird unsere Philosophie für das nächste Jahrzehnt sein. Die konkreten politischen Antworten werden jeweils unterschiedlich von den Parteien gegeben werden. Aber insgesamt ist es eben in der globalisierten Welt nicht mehr sicher das können wir uns auch nicht als Rechtsanspruch ins Gesetz schreiben, dass wir zu den führenden Ländern dieser Welt gehören. Das müssen wir uns Jahr für Jahr erarbeiten. Wir haben eine tolle Jugend. Es gibt viel Mut und viel guten Willen bei den Unternehmern in diesem Land. Deshalb glaube ich, uns stehen alle Türen offen. Wir können das. Die Welt schaut auf uns. Sie erwartet von uns, dass wir innovativ, kreativ und präzise sind. Es liegt in unserer Hand. Deshalb sollten wir, Wirtschaft und Politik, möglichst gemeinsam mit Herz und Verstand handeln. Herzlichen Dank.