Redner(in): Angela Merkel
Datum: 17.02.2009

Untertitel: in Neubrandenburg
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/02/2009-02-17-ihk-neubrandenburg,layoutVariant=Druckansicht.html


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Herr Sellering,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Paul Krüger,

sehr geehrter Herr Ruprecht,

verehrte Kammerpräsidenten,

liebe Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,

Frau Landtagspräsidentin,

liebe Kollegen aus dem Landtag,

verehrte Gäste,

ich bin heute natürlich gerne wieder einmal nach Neubrandenburg gekommen. Das tue ich seit meiner Schulzeit in regelmäßigen Abständen, denn das heute zu Brandenburg gehörige Templin gehörte damals zum Bezirk Neubrandenburg. Insofern ist mir diese Stadt seit langem wohlvertraut. Ich freue mich auch, dass die Handelskammern des Nordens heute einmal nicht in Hamburg oder Bremen tagen, sondern die Reise nach Neubrandenburg gemacht haben. Die Stadt der vier Tore ist ein wunderschönes Reiseziel.

Neubrandenburg mit seinen vier Toren ist eine Stadt, die seit jeher für den regen Austausch mit anderen Städten und Regionen steht. Die Schönheit dieses Ortes zeugt auch von seiner langen Tradition und davon, dass die Bürgerschaft dieser Stadt, die immerhin beachtliche Gotteshäuser gebaut hat, nicht gerade große Armut erleiden musste. So ist Neubrandenburg ein Ort der Weltoffenheit und der Zusammenarbeit und damit auch beispielhaft für die Grundidee der IHK Nord, in der Sie sich zusammengeschlossen und den Norden zu einer geballten Wirtschaftskraft entwickelt haben. Auch als jemand, der seinen Wahlkreis im Norden hat, finde ich es richtig und gut, dass ab und an auch einmal ein deutliches Signal in die Mitte und den Süden des Landes gesendet wird: Hier ist Kraft, hier ist Zukunft und hier ist auch der Wille, einen Beitrag zu Deutschlands Wohlstand zu leisten.

Wir wissen als Exportnation, dass wir die Offenheit der Weltmärkte brauchen. Darüber wird im Augenblick wieder eine intensive Diskussion innerhalb der Europäischen Union geführt. Wir können froh sein, den europäischen Binnenmarkt und damit auch Instanzen zu haben, die darüber wachen, dass es einen fairen Wettbewerb innerhalb Europas gibt. In diesem Zusammenhang ist auch die Institution der Welthandelsorganisation zu nennen. Deren Ergebnisse lassen allerdings oft sehr lange auf sich warten. Das heißt, wir müssen auch international für einen weltoffenen Handel eintreten.

Wir befinden uns im Augenblick in einer besonderen Situation Sie haben es schon gesagt. Als hierher eingeladen wurde, wussten wir alle noch nicht, inwieweit die internationale Krise der Finanzmärkte ihre Auswirkungen auch in Deutschland, nunmehr auch in Form einer Wirtschaftskrise, zeigen wird. Wir als Exportnation spüren diese Auswirkungen natürlich in besonderer Weise. Das haben auch die Wirtschaftsdaten der ersten Tage in diesem Jahr deutlich gemacht. Ich glaube aber, wir haben in der Bundesrepublik Deutschland auch genügend Erfahrung, um zu sagen: Wir können das schaffen, wir werden das schaffen. Wenn wir das gemeinsam angehen, haben wir ein gutes Potential und ein gutes Fundament. Vor allen Dingen wollen wir die Krise auch nutzen, um stärker aus ihr herauszukommen, als wir hineingegangen sind. Insoweit sind die Themen, die Sie heute ansprechen, tatsächliche Zukunftsthemen.

Wir können sagen das ist gerade auch in den neuen Bundesländern spürbar und sichtbar gewesen, dass in den letzten drei Jahren erhebliche Fortschritte erzielt wurden. Das hat sich in einer Beschäftigtensituation niedergeschlagen, die in den neuen Bundesländern zwar immer noch längst nicht so ist, wie wir uns das wünschen. Es hat sich aber auch gezeigt: Wenn die Wirtschaft wächst, wenn wir eine starke Wirtschaft haben, dann kommen auch wieder mehr Arbeitsplätze zu uns. Das ist dann auch eine Chance für die Menschen. Das müssen wir jetzt in dieser Krise als Ausgangspunkt nehmen und darauf aufbauend versuchen, so viele Brücken wie möglich in eine neue Zeit hinein zu bauen, in der es wieder Wirtschaftswachstum gibt.

Ausgangspunkt der jetzigen Situation war die Bankenkrise. Ich will an dieser Stelle sagen: Wir haben mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz zwar das Richtige getan, der Kollaps des Bankensystems ist verhindert worden, aber die Krise der Banken ist noch nicht vorbei. Deshalb müssen wir uns gerade auch in der Arbeit der Bundesregierung eigentlich täglich mit der Frage beschäftigen: Wie kommen wir wieder in einen Zustand, in dem der Kreislauf der Finanzsysteme so funktioniert, dass er für Sie als Unternehmer wirklich hilfreich ist?

Es zeigt sich in dieser Krise, dass es gut ist, ein Drei-Säulen-Modell zu haben, in dem Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken einen wichtigen Beitrag leisten. Aber wir wissen natürlich auch, dass bei Investitionen in einem längerfristigen Bereich und auch bei überregionalen Investitionen das Sparkassensystem und das System der Volks- und Raiffeisenbanken allein nicht ausreichen. Das heißt, wir brauchen auch überregional arbeitende Banken. Deshalb muss die Bundesregierung auch immer wieder die Frage diskutieren: Wie können wir hier weitere Fortschritte erreichen?

In einer Diskussion befassen wir uns das will ich hier nur kurz streifen mit der Frage: Was machen wir mit Banken wie zum Beispiel der Hypo Real Estate, die auf der einen Seite systemisch relevant sind, die aber auf der anderen Seite das Potential haben, uns jeden Tag oder jede Woche neue Garantien abzuverlangen oder sogar Liquidität zu kosten? Wir haben international versprochen: So etwas wie bei Lehman Brothers darf nie wieder passieren. Wir müssen Banken also vor der Insolvenz bewahren, aber wir haben auch mit dem Geld des Steuerzahlers vernünftig und sparsam umzugehen. Das heißt, wir müssen Wege finden, das Ziel zu erreichen, ohne die Steuerzahler über Gebühr in Anspruch zu nehmen.

Das erfordert, gemessen an den klassischen Wegen der Marktwirtschaft, durchaus unorthodoxes Denken. Wir tun das nicht, um die Marktwirtschaft auszuhebeln das ist blanker Unsinn; das will ich hier noch einmal ganz deutlich sagen, sondern wir tun das, um die Marktwirtschaft wieder zum Funktionieren zu bringen. Ich sage immer wieder: Ich hatte eigentlich 35Jahre lang die Chance, Staatsbetriebe zur Genüge zu erleben. Ich war froh, dem mit der Deutschen Einheit weitgehend entkommen zu sein. Deshalb werde ich auch jede Bank, die wieder allein funktionsfähig ist, gerne in die marktwirtschaftliche Freiheit entlassen. Aber um sparsam mit dem Geld des Steuerzahlers umzugehen, müssen wir jetzt zum Beispiel bei der Hypo Real Estate notfalls dafür sorgen, dass wir eine staatliche Kontrollmehrheit bekommen natürlich auf einem möglichst schonenden Weg, und müssen dann die Verwertung in der staatlichen Obhut so gestalten, dass daraus nicht ein Fass ohne Boden entsteht.

Der zweite Punkt, über den diskutiert wird, sind die so genannten Bad Banks, in die die schlechten Anteile der Banken ausgelagert werden sollen. Ich plädiere dafür, dass wir die Banken nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Sie müssen diese Aufteilung selber vornehmen. Es hat keinen Sinn, eine anonymisierte Ansammlung von schlechten Risiken dem Staat zu überantworten. Der Staat kann diese Dinge weder allein gut managen, noch kann er dazu bereit sein, das Schlechte zu übernehmen und das Gute bei den Banken zu lassen, nur um dann anschließend zu sehen, dass die Aktionäre wieder in die Gewinnmarge hineinkommen, während er auf den Resten sitzenbleibt. Das wäre nicht im Sinne des Steuerzahlers.

Ich glaube, mit diesen Marschrichtungen kommen wir voran. Dennoch ist die Arbeit im Bankenbereich noch nicht getan. Sie muss getan werden, denn wenn die Finanzkreisläufe nicht wieder in Gang kommen, haben alle Maßnahmenpakete, die wir zur Belebung des Wirtschaftswachstums oder zur Dämpfung der Rezession auflegen, keine Chance, zu wirken.

Nun haben wir seitens der Bundesregierung zusammen mit den Bundesländern der Ministerpräsident war auch im Deutschen Bundestag und hat dort gesprochen in der letzten Woche ein Maßnahmenpaket geschnürt, mit dem Beträge in einer Größenordnung von jeweils 1, 5Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Jahre 2009 und 2010 eingesetzt werden, um dem wirtschaftlichen Abschwung etwas entgegenzustellen. Beim Schnüren dieses Maßnahmenpakets haben wir auf die Zukunft geachtet und gesagt: Wir wollen in dieser Krise so viele Arbeitsplätze erhalten wie möglich. Das ist natürlich nur eine Brücke. Der Staat kann eine Wirtschaftskrise internationalen Ausmaßes nicht völlig ungeschehen machen. Aber das, was in seiner Kraft liegt, kann er einsetzen, um gegenzusteuern. Dieser Verantwortung sind wir nachgekommen.

Wir sind damit im europäischen Maßstab in einer sehr guten Position. Denn abgesehen davon, dass wir zweimal 1, 5Prozent des Bruttoinlandsprodukts insbesondere für Investitionen einsetzen, kommt noch hinzu, dass die so genannten automatischen Stabilisatoren in Deutschland eine sehr hilfreiche Wirkung entfalten. Die automatischen Stabilisatoren sind die Leistungen, die über die sozialen Sicherungssysteme den Menschen zugutekommen und sich somit auf den Konsum auswirken. Wir werden wegen der relativ guten Lohnentwicklung im letzten Jahr eine ordentliche Rentenerhöhung sowie eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze haben. Das heißt, es kommt durch die sozialen Sicherungssysteme noch einmal Geld in den Umlauf und stützt die Bürgerinnen und Bürger. Das hat quasi die gleiche Wirkung, wie wenn wir für sie Steuersenkungen vornehmen würden. Damit liegt Deutschland in der Statistik der Europäischen Union beim konjunkturellen Gegensteuern an einem guten Spitzenplatz. Wir leisten hiermit auch unseren Beitrag für Europa; das muss man ab und zu auch einmal sagen.

Wir haben unser Maßnahmenpaket jetzt so geschnürt, dass es bei den Unternehmen und bei den Arbeitsplätzen ansetzt. Deshalb gibt es einen Bürgschaftsschirm, um leistungsfähigen Unternehmen Garantien geben zu können, die eine positive Prognose haben, aber durch bestimmte Entwicklungen auf den Kreditmärkten in Schwierigkeiten geraten. Dass das Gegenstand sehr vieler Diskussionen ist, versteht sich von selbst. Ich will an dieser Stelle nur nochmals darauf hinweisen: Wir haben im Exportgeschäft eine langjährige Erfahrung mit Exportbürgschaften. Es ist also nicht so, als ob ein Bürgschaftsrahmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau jetzt zum ersten Mal erfunden würde. Wir haben auch bei den Landesförderbanken Instrumentarien für Bürgschaften. Wer sich wie ich mit dem Schiffsbau und Ähnlichem auskennt, der hat sich auch vor der Finanzkrise schon mit Bürgschaften beschäftigt.

Doch wir müssen natürlich darauf achten, dass jetzt keine Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Das heißt, wir werden das Hausbankprinzip nicht aufgeben, denn wir halten die Hausbank immer noch für die Bank, die am besten eine Prognose über die Unternehmensentwicklung aufstellen kann. Wir werden im Allgemeinen auch die Erwartung haben, dass ein kleiner Teil des Risikos durch die Hausbank getragen werden muss, aber angesichts der schwierigen Kreditlage ein größerer Teil durch die KfW verbürgt werden kann.

Wir haben im Übrigen das ist für die IHK wichtig im vergangenen Jahr noch ein Mittelstandsprogramm aufgelegt. Diesbezüglich diskutieren wir auch über notwendige kleine Verbesserungen, denn dieses Programm ist für die Unternehmen zum Teil nicht so einfach in Anspruch zu nehmen. Man muss aber immer wieder deutlich sagen, dass wir jeden Arbeitsplatz schützen wollen, nicht nur in großen Unternehmen. Alle unsere Regelungen sind so angelegt, dass jedes Unternehmen von den Schutzmöglichkeiten Gebrauch machen kann von der Kurzarbeit bis zum Bürgschaftsrahmen. Es ist nicht so, dass nur den Großen geholfen wird und die Kleinen im Stich gelassen werden.

Als nächstes Thema möchte ich das Instrument der Kurzarbeit ansprechen. Die Regelungen, die wir diesbezüglich getroffen haben hälftige Übernahme der Lohnzusatzkosten bzw. 100Prozent Übernahme der Lohnzusatzkosten, falls die Unternehmen ihre Mitarbeiter weiterqualifizieren werden in Europa als sehr innovativ angesehen. Auch hierbei war und ist die Maßgabe: Wir wollen stärker aus dieser Krise herauskommen, als wir hineingegangen sind. Ich denke, dass hier ein gutes Miteinander mit der Bundesagentur für Arbeit möglich sein wird. Ich bitte alle Unternehmen, die es sich leisten können, von diesen Angeboten Gebrauch zu machen. Es geht um eine Brückenfunktion und es geht darum, dass wir davon ausgehen, in absehbarer Zeit auch wieder eine bessere wirtschaftliche Entwicklung zu haben.

Wenn wir uns einmal umschauen nicht bloß in Mecklenburg-Vorpommern, sondern in ganz Deutschland, dann sehen wir, dass der demographische Wandel eines der wichtigsten Themen ab Mitte des nächsten Jahrzehnts sein wird. Hier spüren wir das heute schon massiv. Die Facharbeiter, die qualifizierten Bürgerinnen und Bürger das Humankapital, wie es in der ökonomischen Sprache so schön heißt sind der Schatz unseres Landes. Sie dürfen wir in dieser Krise nicht etwa verlieren, sondern müssen ihnen einen beruflichen Anschluss geben, genauso wie wir den jungen Leuten eine Chance geben sollten, Ausbildungsplätze auch in diesem Jahr zu erhalten. Sie werden in wenigen Jahren sozusagen Mangelware in ganz Deutschland sein.

Neben den Themen Bürgschaftsrahmen und Kurzarbeit gibt es dann noch das Thema Infrastrukturmaßnahmen. Ich spüre überall große Vorfreude und hoffe auch auf ein Lächeln auf dem Gesicht des Oberbürgermeisters. Sicherlich hat das Land die Mittel schon so gut wie verteilt.

Wir haben gesagt, dass wir zwei Drittel der Mittel von Bund und Ländern in Bildung investieren wollen, also in die Verbesserung der Bildungsvoraussetzungen angefangen bei Kindergärten über Schulen bis hin zu Fachhochschulen und Hochschulen. Ich glaube, das ist eine richtige Investition in die Zukunft. Ansonsten sollte man laufende Vorhaben nicht stoppen, sondern ruhig weitermachen und zusätzliche Aufgaben übernehmen. Darum haben wir sehr gerungen.

Aber ich muss Ihnen auch sagen es wird ja viel über unser föderales Gemeinwesen gespottet und es wird viel kritisiert: Wenn Not am Mann ist das hat sich sowohl im Herbst beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz als auch jetzt bei den Beratungen über dieses Investitionspaket wieder gezeigt, haben Bund und Länder immer wieder die Kraft aufgebracht, sehr schnell und sehr ergebnisorientiert miteinander zum Wohl unseres Landes zu verhandeln. Was an Gesetzgebungsverfahren und Verwaltungsvereinbarungen in kürzester Zeit geschafft wurde, kann sich sehen lassen. Da zeigt sich, dass es ein großes Maß an Gemeinsamkeit gibt, wenn man für dieses Land arbeitet.

Auch aus Überzeugung sind die Kommunen in ganz erheblichem Ausmaß die Nutznießer dieses Programms, weil wir glauben, dass die kommunale Selbstverwaltung die Kraft aufbringt, schnell sichtbare Projekte in Gang zu bringen und damit auch den Menschen zu zeigen, dass der Staat nicht untätig ist, sondern in unsere Zukunft investiert.

In unserem Konjunkturprogramm gibt es ein Entlastungspaket, das die Senkung der Lohnzusatzkosten betrifft. Damit werden wir inklusive des Arbeitnehmerbeitrags wieder unter 40Prozent liegen. Das ist eine langjährige Forderung der Wirtschaft. Das hilft Ihnen zusammen mit der Unternehmensteuerreform auch ein Stück weit, wenn man bedenkt, dass die Lohnzusatzkosten schon erheblich höher waren.

Wir kommen mit der Steuerfinanzierung im Gesundheitssystem auch einem gesellschaftspolitischen Ziel nahe, nämlich dass die Gesundheitskosten der Kinder vom Steuerzahler und nicht vom Arbeitnehmer übernommen werden, der Beiträge zahlt. Ich glaube, auch das ist adäquat, weil Kinder wirklich unser aller Zukunft sind.

Wir haben auch einen gewissen Beitrag im steuerlichen Bereich geleistet, weil wir wissen, dass durch die kalte Progression das, was mehr verdient wird, im Portemonnaie des einzelnen Arbeitnehmers immer weniger sichtbar ist. Insoweit ist das ein sehr ausgewogenes Programm.

Ordnungspolitisch am umstrittensten ist die Maßnahme, die am sichtbarsten und besten läuft. Das ist die so genannte Umweltprämie, gemeinhin auch Abwrackprämie genannt. Das haben die Leute sehr schnell verstanden. Wir haben im Übrigen an diesem Beispiel gezeigt, dass wir ein weltoffenes Land sind. Es gibt einige Tendenzen in anderen europäischen Ländern, nur kleine Autos beim Neukauf zuzulassen. Wir haben gesagt: Es ist uns egal, für welchen Autotyp sich die Menschen entscheiden, wenn sie ein neues Auto kaufen. Wir profitieren vom europäischen Markt. Wenn irgendwo in Europa einer von dem profitiert, was bei uns gekauft wird, dann ist das nur die richtige Antwort auf die allgemeine Offenheit der Märkte.

Dazu kommen noch Forschungskomponenten gerade für mittelständische Unternehmen. Ich bitte die Industrie- und Handelskammern, sich genau anzusehen, welche Forschungsmöglichkeiten wir ermöglichen, weil sich in der Krise und bei Liquiditätsknappheit der Trend abzeichnet, bei Dingen zu sparen, die nicht elementar wichtig sind. Wir wollen aber, dass gerade auch mittelständische Unternehmen weiter in die Forschung investieren.

Wir haben und das hätten wir, glaube ich, ohne diese Krise nicht geschafft; der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern war auch nicht zu jedem Zeitpunkt davon begeistert für die Zukunft Vorsorge getroffen, und zwar in Form einer Verabredung über eine Schuldenbremse im Grundgesetz. Das ist, wie ich sagen würde, ein extrem ambitioniertes Unterfangen. Heute wird manchmal sehr leichtfertig darüber geredet, dass erst 2020 keine neuen Schulden aufgenommen werden.

Ich glaube, es ist eine richtige Weichenstellung. Aber es ist eine, die uns alle, sowohl im Bund als auch in den Ländern, noch sehr beschäftigen wird. Wir haben keine Alternative. Wir zahlen heute im Bund von jedem Euro, den wir vom Steuerzahler einnehmen, 15Prozent, also 15 Cent Zinsen für aufgenommene Schulden. Wir müssen aus der Weiterverschuldung herauskommen, weil wir sonst in einer sich dynamisch entwickelnden Welt nicht hinterherkommen, neue kreative und innovative Produkte zu entwickeln, obwohl wir bei zunehmendem Alter der Bevölkerung und weniger jungen Menschen einen immer höheren Bedarf an Innovationen haben werden. Aber der Pfad zur Eindämmung von Neuverschuldung wird nicht ganz einfach sein und vielerlei Anstrengungen von uns allen verlangen.

Die Zukunft gestalten das ist heute auch Ihr Thema im Speziellen, und zwar in Form von Energiepolitik. Energiepolitik ist für ein Land wie Deutschland so etwas wie die Behandlung des Blutkreislaufs eines Organismus. Wir brauchen ein Land mit einer starken Energiepolitik, die möglichst auf Diversifizierung setzt. Ich will nicht weiter über die politischen Unterschiede hinsichtlich der Laufzeiten von Kernkraftwerken reden. Meine Meinung dazu ist bekannt. Schauen wir einmal, wie sich das weiterentwickelt. Aber richtig ist auch: Allein mit dem Thema Kernenergie kann man keine Energiepolitik machen.

Sie haben sehr treffend darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl von Kraftwerken in den nächsten Jahren vom Netz gehen wird das sind sowohl Kohle- als auch Kernkraftwerke und dass es einen hohen Innovationsbedarf gibt. Wir erleben, dass die Akzeptanz von Neubauten im Energiebereich sinkt. Überall in der Bundesrepublik Deutschland, inklusive Mecklenburg-Vorpommern, ist der Bau eines Kohlekraftwerks nicht mehr so trivial, wie es früher einmal war. Ich denke, es gehört schon zur Redlichkeit, dass wir politisch sagen: Wir können nicht aus allen Energieträgern, die uns irgendwie nicht akzeptabel erscheinen, aussteigen.

Die erneuerbaren Energien werden einen großen Anteil haben. Das ist überhaupt keine Frage. Gerade in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern wird das zunehmen. Wir arbeiten natürlich auch an Speichermöglichkeiten. Das heißt, dass man bessere Überbrückungen erhält, wenn die Grundlast nicht machbar ist. Die spannendste Innovationsfrage ist sicherlich die Speicherung von Elektronen. Wie kann man das noch besser sowohl mit Blick auf die Elektromobilität als auch mit Blick auf Schwankungen in der Energieerzeugung hinbekommen? Wer da die große neue Idee hat, wird einen wichtigen Beitrag nicht nur für die Zukunft unseres Landes, sondern vieler Länder leisten.

Aber wir können nicht auf dem Prinzip Hoffnung aufbauen. Die Dinge dauern länger. Wir haben auch schon bei der Fusion gesehen, dass sich das alles nicht so schnell entwickelt, wie wir glauben, dass es der Fall sein müsste. Deshalb ist es gut, wenn wir Szenarien haben, wie sich der Energieverbrauch entwickelt. Das hat die Bundesregierung gemacht. Es ist wichtig, dass das auch für die Bundesländer gemacht wird.

Wir werden erhebliche Schwankungen durch die Zunahme der erneuerbaren Energien haben, was die Produktion des Stroms anbelangt. Wir wissen heute zum Beispiel, dass zwischen einem Viertel und einem Drittel des Stroms aus Kernkraftwerken kommt. In Bayern werden 60Prozent des Strombedarfs durch Kernkraftwerke gedeckt. Das heißt, man müsste im Falle ihrer Stilllegung in hohem Maße Strom aus den nördlichen und mittleren Gebieten nach Bayern transportieren, wenn man nicht will, dass man sich aus Temelin und anderswoher Strom aus Kernkraftwerken kauft. Das heißt, dass unsere gesamte Leitungsstruktur neu gestaltet werden muss. Auch Mecklenburg-Vorpommern wird Exporteur von Windenergie sein. Der Leitungsbau ist heute fast so kompliziert wie der Bau von Kohlekraftwerken; entweder das schöne teuere Erdkabel dann wollen die Leute aber trotzdem keinen höheren Strompreis zahlen oder aber die Hochspannungsleitung, die sich auch nur mit vielerlei Klagen juristisch realisieren lässt.

Wir müssen in unserer Bevölkerung aktiv dafür werben, dass die Sicherung des Wohlstands unseres Landes ohne eine konsistente Energiepolitik nicht möglich ist. Dazu gehört auch der Bau neuer Kraftwerke und nicht nur der Bau von Gaskraftwerken. Dazu gehört auch der Bau von Stromleitungen und Pipelines. Auch der so genannte CCS-Prozess, also die Abtrennung und Speicherung von CO2 aus Kohlekraftwerken, wird natürlich sehr umfangreiche Genehmigungsverfahren nach sich ziehen, und zwar zum einen, was die Ableitung dieser CO2 -Gase anbelangt. Dabei muss man die chemische Grundkenntnis schärfen, dass CO2 und CO etwas Unterschiedliches sind und CO2 nicht ganz so gefährlich ist wie Kohlenmonoxid. Dass das die erste Akzeptanzstufe ist, weiß man auch im Ruhrgebiet inzwischen schon. Ich meine, dass dort das erste CCS-Projekt realisiert werden soll, und nicht, dass man im Ruhrgebiet ein schlechteres Bildungsniveau hat, während bei uns hier in Mecklenburg-Vorpommern das jeder weiß. Zum anderen wird die Speicherung von CO2 aufwändigste Genehmigungsverfahren im Bergrecht nach sich ziehen. Es wird also in den nächsten 10 bis 15Jahren nicht so sein, dass wir in einem erheblichen Ausmaß auf die CCS-Technologie setzen, sondern es wird bestenfalls Pilotprojekte geben.

Bei den erneuerbaren Energien hat Deutschland einen sehr spannenden Weg gewählt. Wir haben nämlich Anreizsysteme geschaffen, die manche konventionelle Anlage vor große Probleme stellen. Durch die Pflicht zur Einspeisung fällt natürlich die Auslastung der konventionellen Kraftwerke zum Teil sehr unterdurchschnittlich aus. Optimale Windverhältnisse führen regelmäßig dazu, dass der Auslastungsgrad der Kohlekraftwerke geringer ist, was dann wiederum auch erhöhte Kosten für den Strompreis mit sich bringt. Auch das muss man wissen. Trotzdem halte ich unsere Investitionen in die erneuerbaren Energien für absolut richtig, zukunftsweisend und inzwischen auch für einen hervorragenden Exportfaktor. Wenn die Amerikaner auf diesem Feld anfangen, sollten wir alles daransetzen, es für uns als Exportmarkt weiter vehement einzufordern und zu entwickeln.

Das Beste ist immer noch, man spart Energie. Da sind die Potentiale noch erheblich. Es ist zum Beispiel so, dass im Zusammenhang mit dem Greifswalder Kohlekraftwerk Wärme entsteht. Wo immer man das in den Ballungsgebieten kann, muss man auch hier versuchen, Wärme effizient zu nutzen. Das gesamte Thema Gebäudesanierung und Gebäudeisolierung ist ein Riesenthema. Nicht umsonst wird der gesamte Wärmemarkt in der Energiepolitik als "schlafender Riese" klassifiziert. Mit Effizienzverbesserungen kann man hier unglaublich viel erreichen. Sie haben vollkommen Recht, dass es natürlich so ist, dass in ausgefeilten technologischen Verfahren die Wirkungsgrade inzwischen am Rande dessen sind, was man überhaupt schaffen kann. Das heißt, die Grenzkosten werden immer höher, während wir im Altbaubereich oder im Verkehrsbereich noch mit sehr einfachen Möglichkeiten und Methoden die Dinge voranbringen und effizienter machen können.

Wir haben uns ehrgeizige Vorgaben bei der Verbesserung der Energieeffizienz gegeben. Wir sind dem Handwerk und den mittelständischen Unternehmen sehr, sehr dankbar dafür, wenn sie genau in diesem Bereich ihren weiteren Beitrag leisten. Er wird zu großen Teilen auch schon geleistet.

Ein Wort noch zur Gasversorgung: Wir brauchen die Ostseepipeline. Das ist unsere gemeinsame Auffassung in der Bundesregierung. Auch hier gestalten sich die Genehmigungsverfahren nicht so trivial, wie wir uns erhofft hatten. Wenn wir an einem Land wie Schweden vorbeiziehen, müssen wir einfach sehen, dass Schweden für seine Stromerzeugung keinerlei fossilen Bedarf hat die Hälfte wird aus erneuerbaren Energien, die andere Hälfte aus rekonstruierten Kernkraftwerken gewonnen, sodass die Abhängigkeit vom Erdgas in Schweden nahezu null ist. Wir haben sehr unterschiedliche Gegebenheiten in Europa. Dennoch wollen wir diese Pipeline. Sie ist auch nicht gegen unseren Nachbarn Polen gerichtet, sondern wir haben angeboten, dass umgekehrt von uns Gasströme nach Polen fließen können. Wir sind in einem europäischen Binnenmarkt. Die Unternehmen in Deutschland, die an dieser Ostseepipeline interessiert sind, sind jederzeit dazu bereit, auch unsere polnischen Nachbarn mit Gas zu versorgen. Ich glaube, dass wir hier im beharrlichen Gespräch Schritt für Schritt vorankommen.

Ich finde es richtig und gut, dass Sie als IHK des Nordens klar sagen, wo die Weichen für die Zukunft gestellt werden müssen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer nachfolgenden und sehr viel spezifischeren Diskussion. Lassen Sie uns gemeinsam bei der Bevölkerung dafür werben, dass Deutschland nicht zu einer Nation werden darf, die Strom importiert und von anderen abhängig ist. Lassen Sie uns dafür werben, dass Deutschland als Industriestandort seinen Strom selber herstellen und auch exportieren sollte, wenn etwas übrig ist. Auch der Export von Strom in Nachbarländer ist ein Teil der Exportwirtschaft. Wir haben das Know-how. Wir haben langjährige Erfahrung. Wir haben fast überall die effizientesten Technologien anzubieten. Da gerade bei uns der Maschinenbau ein wichtiger Pfeiler unserer gesamten Exportstruktur ist, steht es uns auch gut zu Gesicht, neue effiziente Kohlekraftwerke im eigenen Land zu haben und sie nicht nur anderen Ländern verkaufen zu wollen. Wer sein bestes Eigenes nicht achtet, ist als Exportpartner meistens bald nicht mehr ganz so gut angesehen.

Ihnen also alles Gute, dem Norden eine starke Stimme im Konzert der Industrie- und Handelskammern insgesamt und weiter viel Kraft, viel Optimismus für die Zeit, die vor uns liegt. Ich glaube, wir können das alle gemeinsam schaffen.

Herzlichen Dank.