Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 06.03.2009

Untertitel: Bei der31. Jahrestagung der "Gesellschaft für Deutschlandforschung" zum Thema "Deutscher Herbst 1989" im Roten Rathaus in Berlinwürdigte Staatsminister Bernd Neumann die Arbeit der Gesellschaft und erläuterte verschiedene Aspekte des Gedenkstättenkonzeptes der Bunderegierung.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/03/2009-03-06-neumann-deutschlandforschung,layoutVariant=Druckansicht.html


im Namen der Bundesregierung begrüße ich Sie herzlich in der Hauptstadt zum Auftakt der 31. Jahrestagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung. Ihre Tagung widmet sich dem Wendejahr 1989 in Deutschland, dessen Ursachen und Hintergründe Sie anlässlich der 20-jährigen Wiederkehr diskutieren wollen.

Nie werden wir diese Bilder vergessen: Am 9. Oktober 1989 demonstrierten in Leipzig 70.000 Menschen friedlich und leiteten damit das Ende der DDR ein. Einen Monat später fiel in Berlin die Mauer, das Symbol der deutschen Teilung und des Kalten Krieges. Kaum ein Jahr später, am 3. Oktober 1990, erlangte das gesamte deutsche Volk seine Einheit in Freiheit wieder."Keine Zukunft ohne Vergangenheit". Diese Losung war im Herbst 1989 auf einem Transparent zu lesen. Es kann keine Freiheit in einem Land geben, das die Darstellung seiner eigenen Vergangenheit von Staats wegen manipuliert. Darum trieb damals auch der Wunsch nach einer schonungslosen Aufklärung der DDR-Geschichte angefangen bei den totgeschwiegenen stalinistischen Verbrechen in der SBZ die Demonstranten zwischen Ostsee und Erzgebirge an. Die Bundesregierung fühlt sich der Friedlichen Revolution verpflichtet, der wir maßgeblich die Einheit Deutschlands zu verdanken haben. Darum nimmt die Aufarbeitung der SED-Herrschaft in der von mir vorgenommenen Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes breiten Raum ein. Das Bundeskabinett hat diese am 18. Juni 2008 beschlossen. Fundament der Erinnerung sind die historischen Fakten und ihre wissenschaftliche Erforschung "das ist einer der Leitsätze unseres Gedenkstättenkonzepts. Ohne Sie, die Wissenschaftler, wäre dieser Anspruch nicht einlösbar. Seit über 30 Jahren bereichert die" Gesellschaft für Deutschlandforschung "den wissenschaftlichen Diskurs. Ihre verschiedenen Fachgruppen haben sich mit Veranstaltungen und Publikationen zur Situation Deutschlands in der Welt von heute verdient gemacht. Für mich besonders anerkennenswert ist es, dass die" Gesellschaft für Deutschlandforschung " immer an der Einheit unserer Nation und am Wiedervereinigungsgedanken festgehalten hat. Mit der Integration fachlich ausgewiesener, unbelasteter Wissenschaftler aus der ehemaligen DDR haben Sie selbst einen wichtigen Beitrag zum Zusammenwachsen Deutschlands geleistet.

Meine Damen und Herren,

die Bundesregierung trägt mit der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption der historischen und moralischen Verpflichtung Deutschlands Rechnung. National bedeutsame Gedenkstätten, die sich der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Terrorregimes und dem Gedenken an seine Opfer widmen, werden eine noch intensivere Förderung erfahren. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur und ihrer Folgen ist der zweite Schwerpunkt des Gedenkstättenkonzepts. Hier sollen die Anstrengungen des Bundes deutlich verstärkt werden. Dazu werden die finanziellen Mittel um insgesamt 50 % erhöht. Lassen Sie mich das an einigen konkreten Beispielen verdeutlichen.

Mit der Aufnahme der "Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn" und der "Stiftung Berliner Mauer" in die anteilige Bundesförderung setzen wir ein deutliches Zeichen, dass der Bund die Erinnerung an die deutsche Teilung wach hält, und zwar nicht nur in Berlin, sondern in der ganzen Bundesrepublik. Im Bezug auf das Gedenkareal an der Bernauer Straße hat es in der letzen Zeit Diskussionen über die vollständige Wiederherstellung der Mauer auf über 200 Metern gegeben. Aufgabe und Anspruch der Gedenkstätte ist es, den Ort authentisch und nachvollziehbar zu gestalten, um damit exemplarisch den Schrecken von Mauer und Stacheldraht und der damit verbundenen deutschen Teilung gerade für die jüngere Generation fassbar zu machen. Ein Lückenschluss der Mauer mit den originalen Mauerelementen wäre wünschenswert gewesen. Dennoch macht auch die am 3. März vom Stiftungsrat gefundene Lösung mit Cortén-Stahl-Stäben den Besuchern die Unüberwindbarkeit und die brutale Tiefenstaffelung des Grenzregimes klar.

Die Realität der Grenze wird auch im denkmalgeschützten Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße ganz unmittelbar deutlich. Dort wird das vom Bund finanzierte "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" eine Dauerausstellung zum Thema "Teilung und Grenze im Alltag der Deutschen" einrichten.

Es ist uns wichtig,

dass auch die Opfer der sowjetischen Besatzungszeit in Deutschland in keiner Weise vergessen sind und ihres Leids gedacht wird. In den letzten Jahren wurden aus meinem Etat bedeutende Mittel investiert, um das ehemalige Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Militärabwehr in der Potsdamer Leistikowstraße als Ort der Mahnung zu erhalten. Die zukünftige Gedenk- und Begegnungsstätte wird anteilig vom Bund institutionell gefördert, weil sie als einzig authentisch erhaltener Haftort das brutale Regime des sowjetischen Militärgeheimdienstes in der SBZ umfassend dokumentiert. Auch an den Kosten für die notwendigen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen in Hohenschönhausen und für die Einrichtung einer Dauerausstellung beteiligen wir uns, um eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Inhaftierten und der Geschichte der Haftanstalt zu ermöglichen. Unser Ziel ist es, eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur in Deutschland zu fördern. Dem Vergessen wie dem Verklären müssen und wollen wir entgegenzuwirken. Wie dringend notwendig dies immer noch ist, zeigen die Ergebnisse der von Prof. Klaus Schroeder vorgelegten Studie der Freien Universität Berlin.

Die Wissensdefizite von Jugendlichen mit Blick auf die Geschichte der DDR sind in der Tat erschreckend. Nur wenigen ist offenbar geläufig, was man sich unter der Diktatur der SED vorzustellen hat. Gerade das Wissen über die eigene Geschichte gehört zu den Grundlagen jeder demokratischen Gesellschaft. Gerade die Gedenktage im Erinnerungsjahr 2009 geben uns Gelegenheit, die Geschichte unseres Landes lebendig zu halten und vor allem der jungen Generation nahe zu bringen. Das bedeutet, die Lehren aus der Vergangenheit immer wieder neu zu vermitteln.

In diesem Jahr erinnern wir uns an bedeutende Jahrestage unserer Geschichte: Wir denken 90 Jahre zurück an die Weimarer Republik, vor 70 Jahren war der Beginn des Zweiten Weltkriegs, und vor 60 Jahren, am 23. Mai 1949 trat unser Grundgesetz in Kraft, was als Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland gilt. Wir nehmen uns dieses letzte Datum zum Anlass, an diesem Gedenktag den Bundespräsidenten zu wählen. Schließlich feiern wir in diesem Jahr natürlich den Fall der Mauer und das Ende der menschenverachtenden SED-Herrschaft en großes Glück für die deutsche Geschichte. Die Bundesregierung bereitet zu den verschiedenen Gedenktagen in diesem Jahr zahlreiche Veranstaltungen und Ausstellungen vor. Einrichtungen aus meinem Geschäftsbereich widmen sich diesen Themen ausführlich. Unter ihnen sind insbesondere die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, die Kulturstiftung des Bundes, die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das Deutsche Historische Museum und das Bundesarchiv zu nennen.

Aus meinem Haushalt habe ich 3 Millionen EUR zur Verfügung gestellt, mit denen herausragende Projekte im Gedenkjahr 2009 realisiert werden können. So fördern wir zum Beispiel die Ausstellung "Flagge zeigen?", welche das "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn und Leipzig präsentiert. Vom Bundespräsidenten am 4. Dezember 2008 eröffnet, thematisiert sie Gründung und Geschichte der Bundesrepublik und der DDR sowie das Leben im wiedervereinigten Deutschland anhand der deutschen Nationalsymbole. Ebenso tragen wir zu einer besonders publikumswirksamen Open-Air- Ausstellung der Robert-Havemann-Gesellschaft anlässlich der friedlichen Revolution 1989/90 in Berlin bei, die ab Mai 2009 auf dem Alexanderplatz zu sehen sein wird. Eine Sonderausstellung des "Deutschen Historischen Museums" zum Verhältnis von Polen und Deutschland beleuchtet die Entwicklungen seit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939. Es liegt mir sehr am Herzen, auch über die gemeinsame Erinnerung an ein unheilvolles Kapitel der Geschichte Brücken zwischen unseren beiden Ländern zu schlagen.

Das "Haus der Kulturen der Welt" hier in Berlin würdigt schließlich 1989 in welthistorischer Perspektive, indem es den Blick darauf lenkt, dass im selben Jahr die sowjetischen Truppen Afghanistan verließen, auf dem Pekinger "Platz des Himmlischen Friedens" die Demonstration von Studenten blutig niedergeschlagen wurden, in Chile die Pinochet-Diktatur und in Südafrika die Apartheid zu Ende ging.

Meine Damen und Herren,

die Gesellschaft für Deutschlandforschung hat für ihre Tagung im Gedenkjahr 2009 einen Ort gewählt, der untrennbar mit der friedlichen Revolution 1989 verbunden ist. Im

Roten Rathaus tagte am 4. Dezember 1989 der erste Berliner "Runde Tisch". Ein halbes Jahr später war es vorübergehender Tagungsort für die gemeinsam gebildete Landesregierung aus West-Berliner Senat und Ost-Berliner Magistrat.

Ich bin mir sicher, dass der "genius loci" Sie inspiriert und die Tagung zu einem Erfolg bringt.