Redner(in): k.A.
Datum: 17.03.2009
Untertitel: Staatsminister Hermann Gröhe hat am 17. März vor dem Forum Bürokratieabbau des Bundeswirtschaftsministeriums gesprochen. Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden, Unternehmen und Wissenschaft diskutierten mit Fachleuten aus der Verwaltung und Politik über die Bedeutung des Bürokratieabbaus für die Wirtschaft und ihre Erwartungen an die Politik.
Anrede: Sehr geehrter Herr Staatssekretär Schauerte, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/03/2009-03-17-buerokratieabbau,layoutVariant=Druckansicht.html
zunächst danke ich Ihnen herzlich für die Einladung zu Ihrem Forum über das wichtige Thema Bürokratieabbau. Ich freue mich sehr, an dieser Stelle gleichsam unter den wachsamen Augen von Ludwig Erhard über die Erfolge und Erfahrungen aus dem Programm der Bundesregierung für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung zu sprechen.
Das Bundeswirtschaftsministerium ist dank seiner engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! eine der treibenden Kräfte dieses Programms.
Das zeigen die Schlüsselrolle bei den Mittelstands-Entlastungsgesetzen genauso wie dieses Treffen. Für mich als Koordinator des Regierungsprogramms ist dies von unschätzbarem Wert: geht es uns doch genau darum, im offenen Dialog zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung auch über die engen Grenzen der eigenen Zuständigkeit hinaus zu denken und so zu besseren Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung beizutragen!
In der Tat sind Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung wichtige Bestandteile der Ordnungspolitik. Vorrangige Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist es, die Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb zu schaffen; in den eigentlichen Wirtschaftsprozess sollte sie aber so wenig wie möglich und nur wo wirklich erforderlich regulierend eingreifen.
Oder, wie es einer der geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft, Walter Eucken, auf den Punkt brachte: "Der Staat soll weder den Wirtschaftsprozess zu steuern versuchen, noch die Wirtschaft sich selbst überlassen: Staatliche Planung der Formen ja; staatliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses nein."
Die Betroffenen von unnötigem Aufwand zu entlasten, um ihnen so wieder mehr Freiräume zu geben, darin liegt die ordnungspolitische Bedeutung des Bürokratieabbaus.
Mehr Freiräume, das heißt mehr "Zeit für das Wesentliche" Zeit für Wachstum und Beschäftigung. Darauf kommt es gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten an: der Wirtschaft durch Entlastungen einen Schub zu geben und das ohne den Staatssäckel noch weiter zu belasten. Schnell sind wir dann bei wohlfeilen Forderungen: Steuersystem vereinfachen, Gesetze abschaffen oder mal eben Klima- und Umweltschutz zurückstellen, damit wir wieder fröhlich investieren können.
Doch beim Bürokratieabbau zeigt sich schnell: "Die Wahrheit ist konkret". Hier helfen uns weder pauschale Forderungen noch Abbau nach dem "Rasenmäherprinzip" wirklich weiter: Den bestehenden Regelungen liegt in den allermeisten Fällen ein wohl begründetes Ziel zugrunde. Wirkliche Erfolge werden wir nur dann erzielen, wenn wir die politisch gewollten Regelungen auf ihre effiziente Ausgestaltung hin überprüfen.
Dies zu betonen, ist mir angesichts der derzeitigen Finanzkrise besonders wichtig. Es geht nicht um ein "Mehr" an Regulierung, einen stärkeren Staat. Es geht nicht darum, ob Bürokratieabbau überhaupt noch zeitgemäß ist.
Darum geht es beim Bürokratieabbau und "Better Regulation" : dort zu regeln, wo dies unabdingbar ist, aber dabei die Wirksamkeit und auch die Kosten der Maßnahmen stets im Blick zu behalten.
Das gilt gerade auch für den Finanzsektor: Schon heute gehört der Finanzsektor zu einer der am stärksten regulierten Branchen in Deutschland. Dennoch müssen wir die bestehenden Regeln, besonders im internationalen Kontext, dahingehend überprüfen, wie wir sie wirksamer gestalten können
ohne zugleich die Unternehmen unnötig zu belasten. Dazu stehen wir im engen Kontakt mit der betroffenen Wirtschaft und mit unseren Partnern weltweit.
Lassen Sie mich zunächst einen kurzen Blick auf die Grundlagen unseres Handelns werfen:
Die Bundesregierung hat sich im April 2006 selbst verpflichtet, Bürokratiekosten aus Informationspflichten messbar zu senken und das Entstehen neuer Bürokratiekosten möglichst zu vermeiden.
Das Standardkosten-Modell erlaubt es uns, bürokratische Vorgänge messbar und damit vergleichbar zu machen. Mit den Informationspflichten also z. B. Antrags- und Berichtspflichten nehmen wir gleichsam die Spitze des Eisberges in den Blick. Wir wissen genau, das ist nicht die ganze Bürokratie. Aber wir können diesen Teil gut beobachten und vermessen wohl wissend, dass auch unter der Wasseroberfläche noch einiges zu finden ist.
Bevor wir uns aber lange streiten, was nun unter der Wasseroberfläche noch alles schlummert, können wir anhand klarer Fakten den Preis der einzelnen Vorgänge berechnen, damit die Kosten für die Wirtschaft insgesamt hochrechnen und mit dem Abbau beginnen. So stützen wir den Bürokratieabbau auf beobachtbare Fakten und machen ihn damit transparent und nachvollziehbar!
Inhaltliche Pflichten, also etwa die Pflicht, Steuern zu bezahlen, Feuerlöscher aufzuhängen oder Spielwaren auf ihre Tauglichkeit zu untersuchen, bevor sie auf den Markt kommen, sind hingegen nicht Teil dieser Betrachtung. Dies war eine bewusste Entscheidung: um den Prozess des Bürokratieabbaus in Gang zu setzen, waren wir gut beraten, uns auf erste, nachvollziehbare Schritt zu verständigen und damit die Akzeptanz für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung zu erhöhen.
Was haben wir nun konkret seit Beginn des Programms im Herbst 2006 erreicht? Die wichtigste Botschaft des letzten Jahresberichts vom vergangenen Dezember lautet: Die Bundesregierung hat Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Wirtschaft um 7 Milliarden Euro im Jahr entlasten das ist mehr als die letzte Unternehmenssteuerreform gebracht hat. Von diesen über 7 Milliarden sind drei Milliarden bereits unmittelbar wirksam. Der Rest benötigt noch etwas Zeit, um im Unternehmensalltag anzukommen, etwa weil Übergangsfristen einzuhalten sind oder weil die technischen Vorbereitungen z. B. für neue Online-Meldungen geschaffen werden.
Einen Schwerpunkt bilden dabei die drei Mittelstands-Entlastungsgesetze, die vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen über eine Milliarde Euro jährlich ersparen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen des Wirtschaftministeriums, haben federführend Maßnahmen mit Entlastungen von mehr als 1,8 Milliarden Euro im Zuständigkeitsbereich nahezu aller Ministerien koordiniert. Dafür danke ich Ihnen besonders!
Ich möchte an dieser Stelle aber auch den Beitrag der Unternehmen selbst hervorheben. Sie haben ebenso wie die Verbände im gesamten Prozess Vorschläge eingebracht, sich an den Messungen beteiligt und sich mit uns auch engagiert auseinandergesetzt, wenn aus Ihrer Sicht eine Berechnung mal nicht zu einem realistischen Ergebnis kam. Transparenz und stetiger Austausch kennzeichnen unser Vorgehen und sind mitentscheidend für den Erfolg des Prozesses.
Ich bitte Sie daher: Begleiten Sie uns weiter konstruktiv und kritisch.
Zu Recht haben Sie entsprechend hohe Erwartungen an das Programm. Mit über 330 Vereinfachungen und mehr als 200 nur in dieser Legislaturperiode aufgehobenen Gesetzen und Rechtsverordnungen haben wir schon einiges erreicht. Und wir sind sehr zuversichtlich, unser Zwischenziel Ende 2009 und auch das Ziel des Programms insgesamt bis 2011 gut zu erfüllen. Und dennoch berichten mir Unternehmer häufig, dass sie von den bisherigen Entlastungen wenig merken.
Einerseits sind hier Verwaltung, Kammern und Verbände gemeinsam gefordert: Wir müssen die Betriebe über die Vielzahl an Vereinfachungsmöglichkeiten informieren, damit sie sie auch wirklich nutzen können.
Andererseits ist für den weiteren Prozess entscheidend, dass wir noch stärker als bisher untersuchen, in welchen Berufsgruppen, bei welchen Vorgängen es besonders "knirscht". Ansatzpunkte dafür liefern uns wiederum die bereits vorhandenen Daten und Hinweise aus der Praxis: Wir können im Einzelnen erkennen, welche Branchen besonders viele und zeitaufwändige Pflichten erfüllen müssen, aber auch, wie lange ein einzelner Vorgang dauert, welche Arbeitsschritte erforderlich sind und wo weitere Vereinfachungen möglich sind.
Ich möchte Ihnen derartige, branchenbezogene Entlastungen anhand von zwei konkreten Beispielen aus den Mittelstands-Entlastungsgesetzen verdeutlichen:
So mussten zum Beispiel Makler und Bauträger bisher eine Sammlung ihrer Inserate anlegen. Diese Anforderung wurde gestrichen damit entfällt ein Aufwand, der im Einzelfall immerhin rund anderthalb Stunden betrug. Und dies bei einer Pflicht, die bei allen Betroffenen insgesamt rund 50.000 Mal im Jahr anfiel! Durch die Pflege dieser Verzeichnisse entstanden dieser Berufsgruppe pro Jahr Kosten von rund 1,6 Millionen Euro.
Oder denken Sie an das Auskunftsverfahren für Daten aus dem Gewerberegister. Diese stehen seit September 2007 mit Hilfe elektronischer Abfragen noch schneller zur Verfügung und verursachen gegenüber dem vorhergehenden Verfahren deutlich weniger Aufwand bei Unternehmen, Bürgern und Verwaltung. Die Kosten werden so um 42 Millionen Euro jährlich reduziert.
Manches Mal bedeutet eine Entlastung von Meldungen oder Anträgen aber auch, dass mit der Arbeit auch die Übergabe der Verantwortung an Dritte, z. B. die Behörden entfällt. Ich bitte Sie sehr herzlich, Ihre Mitglieder auch auf diese Seite des Bürokratieabbaus aufmerksam zu machen: Wenn der Staat bestimmte Daten nicht mehr erhebt, dann sind sie nicht mehr in der Statistik. Wenn der Staat auf Kontrollen und Genehmigungen verzichtet, dann bleibt die Verantwortung bei dem, der handelt zum Beispiel dem Architekten und wird eben nicht mehr auf die Gesellschaft oder einzelne Behörden übertragen.
Wirksam entlasten können wir die Unternehmen dauerhaft nur, wenn wir auch neue unnötige Bürokratiekosten von Anfang an vermeiden. Zu diesem Zweck wurde im Herbst 2006 der Nationale Normenkontrollrat eingesetzt als unabhängiger "Bürokratiekosten-Wächter".
Hier wird die Rechtsetzung auf den Prüfstand gestellt: Seit Dezember 2006 werden alle Entwürfe der Regierung für neue Gesetze und Verordnungen auf ihre voraussichtlichen Bürokratiekosten hin geprüft. Dieses Verfahren hat sich bewährt in den Ministerien hat sich ein sensibleres Bewusstsein für die Folgekosten einer Regelung entwickelt.
Dafür möchte ich vor allem dem NKR danken. Er hat durch intensives Hinterfragen und konstruktive Diskussionen erheblich dazu beigetragen, einer Kultur der besseren Rechtsetzung den Weg zu bereiten.
Zu dieser Kultur gehört auch, dass wir nun "Buch" führen über die weitere Entwicklung der Bürokratiekosten. Wir stellen die Auswirkungen von neuen Regelungen und Vereinfachungen auf die einzelnen Informationspflichten transparent und nachvollziehbar dar. Diese Datensammlung bietet auch für viele Partner im Prozess, also auch für die Wirtschaft, eine wichtige Informationsquelle.
Und natürlich dürfen wir die europäische und internationale Ebene nicht aus dem Blick lassen. Ganz im Gegenteil: unsere Bestandsmessung bei den Informationspflichten hat gezeigt, dass über die Hälfte der im deutschen Recht geregelten Bürokratielasten unserer Unternehmen auf EU-Vorgaben beruht.
Hier besteht das können Sie der Bilanz des letzten Jahresberichts entnehmen besonderer Handlungsbedarf: bei den Bürokratiekosten aus europäischen und internationalen Vorgaben kommen wir erst auf einen Abbau von rund zwei Prozent. Im Unterschied zu den national veranlassten Kosten: hier haben wir bereits jetzt Maßnahmen angestoßen, die für die Wirtschaft eine Entlastung um nahezu 30 Prozent bedeuten.
Der Vorschlag der EU-Kommission, Bilanzerleichterungen
für "Kleinstunternehmen" also bestimmte, kleine Kapitalgesellschaften zu ermöglichen, ist ein erster wichtiger Schritt, den Mitgliedstaaten wichtige Spielräume einzuräumen. Wir unterstützen diesen Vorschlag schon lange ausdrücklich, auch wenn manche Partner und vor allem die europäischen Verbände der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer da eher skeptisch sind. Das Ergebnis wird zwar sicher nicht sein, bei diesen Unternehmen völlig auf einen Jahresabschluss zu verzichten. Ob aber auch bei kleinen Kapitalgesellschaften ein differenzierter Anhang erforderlich ist, dass scheint uns in Deutschland doch einer Überprüfung wert.
Ein anderes Beispiel zeigt, dass selbst gute Ideen manchmal bis zu Ende gedacht werden müssen, um zum Kern der Regelungsidee vorzudringen.
Die Bundesregierung hat mit der 2008 geänderten Fahrpersonalverordnung bereits alle europarechtlich zulässigen Ausnahmemöglichkeiten für den Nachweis der Lenk- und Ruhezeiten ausgeschöpft. Das bringt vor allem Handwerksbetrieben eine Entlastung von 36,5 Millionen Euro pro Jahr.
Weiterte Ausnahmen für LKW über 3,5 t sind unter den gegebenen europarechtlichen Bedingungen nicht möglich. Allerdings prüft die EU Kommission gegenwärtig Möglichkeiten zur Verwaltungsvereinfachung. Darunter ist auch der Vorschlag der Kommission, den 50-km-Radius bei der Nutzung von LKW über 3,5 t durch Handwerksbetriebe auf 150 km auszudehnen.
Wir haben den Vorschlag gegenüber der Kommission ausdrücklich begrüßt und weitergehend vorgeschlagen, auf eine Umkreisbegrenzung ganz zu verzichten. Künftig sollte nach unserer Meinung nur noch darauf abgestellt werden, dass das Lenken des LKW nicht die Haupttätigkeit des Fahrers ausmacht. Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form die Kommission den Vorschlag weiter verfolgt.
Sie sehen also, wir sind auch in Brüssel nicht untätig, aber es bedarf weiterer Anstrengungen. Dafür setzen wir uns sehr intensiv ein in enger Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern und den EU-Institutionen.
Mein Fazit:
Zum einen: wir können beachtliche Erfolge vorweisen. Konkret bedeutet dies eine jährliche Entlastung für unsere Unternehmen in Milliardenhöhe. Erfolge aber auch in abstrakterer Hinsicht: wir haben den Beleg erbracht, dass Bürokratieabbau möglich ist! Und es hat sich ein Kosten- bzw."Bürokratie-Bewusstsein" bei der Regelungserstellung gebildet.
Dies erzeugt Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit konkreten Regelungsalternativen oder weckt gar den Mut zum Regelungsverzicht getreu dem oft zitierten Wort von Montesquieu: "Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen." Sie sehen auch vor Ludwig Erhard gab es durchaus schon ordnungspolitisch denkende Menschen …
Zum anderen: wir können und wollen uns auf diesen Erfolgen nicht ausruhen! So wollen wir Vereinfachungen stärker ressort- und ebenenübergreifend angehen. Zusammen mit dem Normenkontrollrat haben wir daher zwei Projekte ins Leben gerufen, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam tragen. Es geht um Vereinfachungen beim Eltern- und beim Wohngeld übrigens zugleich ein wichtiger Schritt, auch die Bürokratiebelastung von Bürgerinnen und Bürgern und innerhalb der Verwaltung in den Blick zu nehmen!
Nachdem die Verfahren eingespielt sind und wir auch im Gesetzgebungsprozess erste Erfolge des Regierungsprogramms sehen, können wir nun über die nächsten Schritte diskutieren: Viele Betroffenen empfinden zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Informations- und inhaltlichen Pflichten als künstlich. Entlastungen, die in der Realität der Unternehmen umfassend spürbar sind, erfordern danach einen erweiterten Blickwinkel. Wir befassen uns jetzt mit der Frage, wie wir unsere Messmethode auch auf weitere, gut beobachtbare Folgekosten von Regulierung ausweiten können.
Mit dem Standardkosten-Modell haben wir einen systematischen und an Fakten orientierten Ansatz geschaffen. Genau darin liegt sein "Charme" : er macht Bürokratieabbau beobachtbar, nachvollziehbar und somit auch transparent. Darauf wollen wir aufbauen und setzen dabei auf Ihre Mithilfe.
Ich freue mich auf diese Herausforderung!