Redner(in): Angela Merkel
Datum: 17.03.2009

Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Erika Steinbach, sehr geehrter Herr Otto herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung,liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, Exzellenzen, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/03/2009-03-17-rede-merkel-bund-der-vertriebenen,layoutVariant=Druckansicht.html


die Sie hier heute an diesem Jahresempfang des BdV teilnehmen,

ich bin, wie gesagt, nicht zum ersten Mal hierher gekommen ich hoffe, auch nicht zum letzten Mal und freue mich, heute wieder bei Ihnen zu sein.

Das Jahr 2009 ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes Jahr. Erika Steinbach hat darauf hingewiesen: Die Bundesrepublik Deutschland feiert ihren 60. Geburtstag. Über 15Millionen Flüchtlinge und Vertriebene haben am Anfang der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beim Aufbau dieses Landes einen herausragenden Beitrag geleistet.

Für viele von uns ist überhaupt nicht mehr nachvollziehbar oder vorstellbar, wie das damals war. Ich empfehle deshalb auch den Jüngeren immer wieder, sich einmal Einzelgeschichten von damals erzählen zu lassen, um zu erfahren, auf welchen Widerstand oder zumindest auf welche Kälte die Vertriebenen und Flüchtlinge gestoßen sind, und um zu erfahren, dass es für ein Land, das in Schutt und Asche lag, außerordentlich schwierig war, noch Millionen von Menschen aufzunehmen, und wie lange es gedauert hat, die Ressentiments zu überwinden und es zu einer normalen Sache werden zu lassen, dass auch Kinder von Vertriebenen Nichtvertriebene heiraten konnten und dass man Familien miteinander gründen konnte. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich machen: Es waren vor allem die Vertriebenen und Flüchtlinge, die ihren Beitrag dazu geleistet haben. Durch ihre Charta haben die Heimatvertriebenen deutlich gemacht, dass sie ihren Beitrag leisten wollen.

Ich finde, es ist eine gütige Fügung des Schicksals, dass wir in diesem Jahr auch an den Mauerfall vor 20Jahren denken können. Am 9. November wird sich der Mauerfall zum 20. Mal jähren. Sie wissen, dass ich in der früheren DDR aufgewachsen bin. Als ich mit der Wiedervereinigung die aktive Staatsbürgerschaft der Bundesrepublik übernehmen konnte, war es neben all dem Materiellen und neben der Tatsache, dass wir Meinungsfreiheit hatten, eines der schönsten Erlebnisse, dass man eben auch wieder über Geschichte sprechen konnte, über das eigene Erleben. Vielen Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen, die in der früheren DDR gelebt hatten, wurde zum allerersten Mal gestattet, öffentlich über ihr Schicksal zu reden. Auch das bedeutet Deutsche Einheit.

Deshalb habe ich wir haben heute auch in der Bundestagsfraktion darüber gesprochendie Idee zur Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen, deren Anfänge ja lange zurückliegen, von Anbeginn unterstützt aus vollem Herzen; die gesamte Oppositionszeit durch. Als wir dann die Chance hatten, in der Großen Koalition Regierungsverantwortung zu übernehmen, habe ich mich gemeinsam mit Staatsminister Neumann und den vielen Engagierten, die das seit Jahren verfolgt haben, dafür eingesetzt, dass wir eine Ausstellungs- und Dokumentationsstätte bekommen und dass wir eine Stiftung gründen, die, wie wir es am Anfang gesagt haben, ein "sichtbares Zeichen" darstellt und die heute "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" heißt.

Wie viele von Ihnen, die das Schicksal der Flucht und der Vertreibung aus vielen Lebensabschnitten kennen, wissen, war es ein mühevoller Weg, bis eine solche Idee jetzt zumindest sehr nah an die Realisierung gekommen ist. Ich will ganz deutlich sagen: Gerade in dieser Zeit, in der die Erlebnisgeneration natürlich älter wird, haben diejenigen, die das Gedenken bewahren müssen, einen Anspruch darauf, dass dies nicht nur das Gedenken einer Gruppe ist, sondern dass dies das Gedenken eines ganzen Landes, einer ganzen Bevölkerung ist, die das Unrecht von Flucht und Vertreibung als Teil ihrer Geschichte aufnimmt. Deshalb, meine Damen und Herren, haben Erika Steinbach und ich sehr häufig über die Realisierung dieses Projektes gesprochen.

Für mich war immer klar, dass der BdV natürlich wie jeder andere Verband auch das Recht der Benennung seiner Vertreter hat. Es war in der letzten Zeit aber auch zu erkennen, dass es unter den Umständen, die heute benannt worden sind, außerordentlich schwierig ich sage: nicht möglich gewesen wäre, das, was wir alle wollen, nämlich dieses gesamtgesellschaftliche Gedenken zur Realisierung zu bringen, wenn nicht eine Entscheidung des Präsidiums des BdV getroffen worden wäre, mit der es sozusagen den leeren Stuhl als Antwort auf die Umstände gegeben hat.

Über diese Abwägung habe ich mir sehr viele Gedanken gemacht. Ich weiß, dass viele von Ihnen das auch gemacht haben. Dies ist zwar eine Entscheidung, die jetzt das, was uns allen so wichtig ist, möglich macht, aber ich glaube, dass es auch eine Entscheidung ist, die Ihnen Schmerzen verursacht. Das verstehe ich. Es sind Angriffe unternommen worden, die jeder Grundlage entbehren. Aber ich sage auch: Das Projekt, das Gedenken im ganzen Lande zu festigen, zu verankern und es für die Zukunft zu sichern, ist das, was uns vorantreibt. Ich freue mich, dass wir gute Chancen haben, das jetzt zu realisieren. Niemand hat sich darum mehr bemüht als Erika Steinbach. Herzlichen Dank dafür.

Ich will an dieser Stelle auch noch einmal sagen, dass dieses Projekt von Erika Steinbach und denen, die das im BdV unterstützt haben, immer als ein Projekt der Versöhnung gedacht gewesen ist, als ein Projekt von Menschen, die wissen, was der Verlust der Heimat bedeutet, ein Projekt von Menschen, die wollen, dass die Erinnerung für diejenigen, die vertrieben sind es gibt viele Vertreibungsschicksale weltweit, bewahrt werden kann, so wie das für die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen gilt.

Man muss einfach auch sagen, wie viele Freundschaften und menschliche Kontakte durch Ihre Arbeit entstanden sind. Wir werden uns immer dafür einsetzen, dass dies für alle, die das Schicksal von Flucht und Vertreibung teilen, auch in Zukunft gilt. Deshalb ist mir sehr wichtig, dass der BdV gemeinsam mit all denen, die am "sichtbaren Zeichen" und an der jetzigen Stiftung mitgearbeitet haben, darauf hinwirkt. Ich sage auch ein herzliches Dankeschön an Bernd Neumann, der in vielen Gesprächen im parlamentarischen Raum und mit vielen anderen dafür Sorge getragen hat, dass wir in einer nicht einfachen Materie vorangekommen sind. Ich sage ganz ehrlich: Darin, dass wir dies auch immer im Geiste der Versöhnung sehen werden, sehe ich mich mit dem BdV absolut einig. Ein herzliches Dankeschön dafür.

Deshalb sage ich auch: In einer Zeit, in der die Bundesrepublik Deutschland 60Jahre alt wird, könnten wirklich alle es einmal lassen, Abwehrmechanismen zu kultivieren, wenn es

um das Thema Vertreibung geht. Ich glaube, es ist deutlich geworden, wie wir unsere Geschichte sehen. Wir kennen Ursache und Wirkung, aber wir sagen auch: Unrecht muss als Unrecht benannt werden. Das muss auch in Zukunft so sein. Deshalb möchte ich Sie und uns alle dazu ermuntern, auch in diesen Zeiten immer wieder das Gespräch zu suchen und den zum Teil schwierigen Weg der Versöhnung zu gehen, Freundschaften zu knüpfen und damit einen Beitrag dazu zu leisten, dass zukünftige Generationen noch einfacher über ihr Erleben, über die Geschichte sprechen und trotzdem noch besser zusammenleben können. Vorurteile sind noch nie eine gute Antwort auf geschichtliche Ereignisse gewesen.

Ich sage Ihnen zu: Wir werden alles daransetzen, dass wir das Projekt, wenn es denn beschlossen wird inklusive Kuratorium, schnell voranbringen. Aber so wie der ausgezeichnete und von mir sehr verehrte Herr Otto darauf hingewiesen hat, dass die Regierung die Pflicht hat, gut darüber zu sprechen, sage ich, dass das Gleiche auch für die Opposition als einen wichtigen Teil unserer parlamentarischen Demokratie gilt.

Herzlichen Dank und alles Gute.