Redner(in): Angela Merkel
Datum: 18.03.2009

Untertitel: in Berlin
Anrede: Lieber Jochen-Konrad Fromme, liebe Erika Steinbach, lieber Volker Kauder ich glaube, er ist hier gewesen; er wird nun aus der Ferne gegrüßt,liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, liebe Gäste, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/03/2009-03-18-wandel-erinnerung,layoutVariant=Druckansicht.html


es tut mir Leid, dass ich Herrn Karasek sozusagen mitten im Satz unterbrochen habe. Er hätte gern noch den Gedankengang zu Ende führen können. Aber nun sind Sie weg und trotzdem noch da.

Ich bin sehr dankbar dafür, so wie das auch Jochen-Konrad Fromme eben gesagt hat, dass die CDU / CSU-Bundestagsfraktion diesen Kongress veranstaltet. Dies steht in einer Tradition, sodass die Einladung lange vorlag und meine Zusage auch wieder eine Tradition gerne gegeben wurde.

Gerade angesichts des 60-jährigen Bestehens der Bundesrepublik ist dieses Jahr ein Jahr, in dem wir zurückblicken, in dem wir uns unserer Identität vergewissern. Dies ist ein Jahr der Geschichte, in dem wir natürlich auch in die Zukunft blicken. Wir haben gerade in den letzten Wochen wieder erfahren: Flucht und Vertreibung sind keineswegs vergessen. Ganz im Gegenteil, möchte ich sagen. Die Schicksale der von Flucht und Vertreibung betroffenen Menschen berühren uns stets aufs Neue. In den vergangenen Monaten hat es auch viele künstlerische Ereignisse und Filme gegeben, die uns solche Schicksale noch einmal sehr plastisch vor Augen geführt haben. Erinnerungen, Trauer und Ängste lassen sich eben nicht einfach auslöschen. Das gilt für uns Deutsche genauso wie für Menschen in anderen Ländern, die Ähnliches erfahren haben.

Dieser Kongress steht unter dem Motto "Wandel durch Erinnerung". Ich finde, dies ist ein sehr schönes, ein sehr spannendes Motto, über das es sich nachzudenken lohnt. Wenn wir von Politik für Heimatvertriebene reden, dann steht natürlich an erster Stelle die Erinnerung. Die persönlichen Erinnerungen derer, die als Erwachsene vertrieben wurden, die fliehen mussten, und derer, die als Kinder bewusst und teils unbewusst die Schrecken der Flucht erfahren haben, sind wach und sie sollen auch Teil unserer gemeinsamen Erinnerung werden.

Es geht auch um die Erinnerung derer, die zwar später geboren wurden, aber von klein auf erlebt haben, dass Flucht und Vertreibung immer wieder Teil der eigenen Familiengeschichte waren und sind. Die Schriftstellerin Petra Reski, die heute auch bei Ihnen war, hat in ihrem Buch "Ein Land so weit" geschrieben ich zitiere: "Die Flucht, die Flucht, die Flucht. Die Geschichte von der Flucht wurde jedes Mal erzählt, wenn zwei Erwachsene zusammenkamen."

Zweifellos: Auch die Kinder und Enkel von Vertriebenen haben das Bedürfnis nach Klärung und vor allen Dingen nach Wahrheit. Jeder kennt das aus seiner Familiengeschichte. Man möchte ein Bild zusammenfügen aus dem, was man in jungen Jahren an Gesprächsfetzen hört, aus Fragmenten dessen, was immer wieder erzählt wird, aus den Geschichten, auch den Anekdoten, mit denen man aufgewachsen ist. Viele, die diese Geschichten, die diese Erzählungen in den Familien immer wieder gehört haben, haben den Eindruck bekommen, dass auch vieles verschwiegen blieb. Genau deshalb sind viele dieser Erinnerungen für diejenigen, die später geboren wurden, auch so lückenhaft. Die eigene Familiengeschichte bleibt ein Stück weit undurchschaubar.

Ich möchte an dieser Stelle den Bundespräsidenten zitieren, der, wie ich finde, treffend formuliert hat: "Als der Krieg zu Ende war, waren wir noch Kinder. Wir wuchsen auf in einem zerstörten, geteilten Land. Wir wollten es wieder aufbauen und persönlich vorankommen. Heute spüre zumindest ich, dass darüber manches zu kurz kam zum Beispiel das Gespräch über die Vergangenheit, die Frage nach dem Woher und Warum."

Die Erinnerungen sind also vorhanden. Sie lassen sich nicht leugnen, sie sind Teil der Lebensbiografien, haben diese auch jeweils mit geprägt. Wenn wir uns einmal vor Augen führen, wie viele Erinnerungen das sind wir haben gestern beim Empfang des BdV noch einmal an die über 15Millionen deutschen Vertriebenen erinnert, so ist das ein prägender Teil auch der Geschichte unseres Landes.

Das Bedürfnis, Erinnerungen lebendig zu halten, ist die Frage nach den eigenen Wurzeln und nach der eigenen Identität. Diejenigen, die Vertreibung nicht selbst erlebt haben, können immer nur versuchen, sich vorzustellen, was den direkt Betroffenen widerfahren ist. Aber schon allein dieser Versuch vermittelt zumindest einen Eindruck davon, welche tiefen Verletzungen das Geschehene in den Seelen der Menschen hervorgerufen haben muss der Verlust der angestammten Heimat, des eigenen Hauses und der eigenen Wohnung. Familien wurden auseinandergerissen. In unzähligen Familien ziehen sich Vergewaltigung, Gewalt und Tod durch das Trauma der Vertreibung. Wer Flucht nicht selbst erleben musste, kann und darf niemals glauben, er könne verstehen, was das für die Betroffenen bedeutet und wie es auch fortwirkt, selbst über Generationen hinweg. Ich denke, dies zu glauben, wäre anmaßend und es wäre auch falsch.

Aber wir können eben, obwohl es immer eigenes Erleben bleibt, trotzdem nicht genug darüber in Erfahrung bringen. Wir können und dürfen das Kapitel der Flucht und Vertreibung nicht einfach für abgeschlossen erklären und im hintersten Winkel unserer Geschichtsarchive verstauben lassen. Wir tun vielmehr gut daran, genau hinzuhören, wenn die Vertriebenen uns ihre Geschichte erzählen. Noch das wird nicht für immer sein haben wir die Chance, diese Geschichten wirklich von Zeitzeugen zu hören.

Während und nach dem Zweiten Weltkrieg waren Vertreibung und Flucht mitleidloser Alltag nicht nur für Deutsche, sondern für viele Völker. Millionen von Menschen in ganz Europa waren gezwungen, ihre Heimatorte zu verlassen von einem Tag auf den anderen, von einer Stunde auf die andere. Wir wissen, der Nationalsozialismus brachte unsägliches, millionenfaches Leid über Europa. Vertreibungen in den besetzten Gebieten sind nur ein Teil, aber ein Teil davon. Auch Millionen von Polen, die in den ostpolnischen und an die damalige Sowjetunion gegangenen Gebieten ansässig waren, wurden Vertreibungsopfer. Sie fanden sich schließlich in Ortschaften wieder, aus denen zuvor Deutsche vertrieben wurden oder geflohen waren.

Ursächlich für Flucht und Vertreibung der Deutschen waren der durch Deutsche begonnene Weltkrieg und das furchtbare Unrecht nationalsozialistischer Gewaltherrscher, ihrer Mitläufer und Helfer. Vorausgegangenes Unrecht wandte sich schließlich als anderes Unrecht gegen Deutsche. So entstand neues Leid undifferenziert, ohne Frage nach individueller Schuld. An dieses Leid darf und muss erinnert werden, ohne das frühere Geschehen und die Ursachen zu relativieren. Das ist die Aufgabe.

Dadurch, dass wir Erinnerung zu einer gemeinschaftlichen Erinnerung machen das ist politisch gewollt; ich sage das ganz bewusst, ist es auch möglich, dass die Trauer um die Toten und der Schmerz über den Verlust jetzt endlich für viele offen zugelassen werden können. Auch das ist eine Aufgabe, die wir haben. Wir müssen es respektieren und würdigen, dass viele der Betroffenen lange nicht darüber sprechen konnten. Aber wir wollen das. Das schulden wir den Opfern, aber auch unserer Geschichte und der gesamten historischen Wahrheit.

Unsere Geschichte prägt zutiefst unsere Identität. Das heißt, wenn wir Teile unserer Geschichte nicht zulassen würden, würden wir uns um ein Stück Identität betrügen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ein Mensch nicht geschichtslos leben kann. Ich habe selber Flucht und Vertreibung nicht erlebt auch in der eigenen Familie niemand. Aber mit der Erfahrung aus der früheren DDR, in der im Übrigen wie ich es auch gestern schon gesagt habe über Flucht und Vertreibung öffentlich nicht gesprochen werden durfte, aus dieser Vergangenheit heraus und aufgrund der Gesprächsnotwendigkeit zwischen Ost und West über diesen Teil deutscher Geschichte, weiß ich, wie wichtig das Erinnern und das Sprechen über das eigene Erlebte ist. Es ist von ungeheurer Wichtigkeit dafür, dass wir unsere Identität gemeinsam entwickeln können. Ob wir uns nun bewusst dafür interessieren oder nicht: Unser Leben geht immer weit über das eigene Erlebte hinaus.

Sich mit Geschichte zu befassen, bedeutet natürlich immer auch Rückschau. Sie birgt damit immer das Risiko der Verkürzung, Verklärung, manchmal auch der politischen Instrumentalisierung. Doch nicht zurückzuschauen, hieße, von vornherein vor der Wahrheit zu kapitulieren. Und das darf niemals passieren.

Wir wissen aus vielen Erfahrungen: Wahrheit lässt sich nicht einfach unterdrücken. Erinnerungen lassen sich nur scheinbar ausblenden. Selbst Verlust oder Zerstörung der sie tragenden Orte, Bauten, Gegenstände vermag Erinnerung niemals auf Dauer zu beseitigen. Siegfried Lenz beschreibt dies sehr schön am Ende seines Romans "Heimatmuseum" ich zitiere: "Die Erinnerung hat zurückbekommen, was sie uns nur vorübergehend lieh. Schon aber regt sich das Gedächtnis, schon sucht und sammelt Erinnerung in der unsicheren Stille des Niemandslands." Ich finde, er hat das wunderbar beschrieben.

Es ist also ein ureigenes menschliches Bedürfnis, sich ein möglichst vollständiges und wahrhaftiges Bild der geschichtlichen Wurzeln zu machen. Das ist die Vergewisserung dessen, was uns ausmacht. So können wir, aufbauend auf diesem Wissen, unsere Zukunft verantwortungsvoll gestalten. Das ist sozusagen die Hoffnung in die Zukunft hinein, für die wir ja heute verantwortlich sind. Deshalb verlangt verantwortungsvolle Politik auch immer, sich zu erinnern, die Erinnerung zu reflektieren und die Schlüsse aus dieser Reflexion in die politische Diskussion für das Heute und Morgen einzubringen. Dann kann man erst von einer Erinnerungskultur sprechen, die diesen Namen auch wirklich verdient.

Zur Erinnerung und zum Geschichtsbewusstsein gehört das Wissen, dass die jahrhundertelange Siedlungsgeschichte in Mittel- und Osteuropa eng mit der deutschen Kulturgeschichte verbunden ist. Davon zeugen auch Namen wie Kant, Eichendorff, E. T. A. Hoffmann und Käthe Kollwitz oder Ortsnamen wie Königsberg, Breslau und Eger. Die Vertriebenen haben zum einen vieles von den Traditionen und dem Wissen um die deutsche Kulturgeschichte mitgebracht. Sie bewahren und tragen dieses Wissen in die Zukunft. Am Anfang haben die, die schon immer auf dem heutigen Gebiet der Bundesrepublik gelebt haben, dieses Wissen und dieses Mehrwissen nicht als Mehrwissen akzeptiert. Aber es ist glücklicherweise in unserem Land gelungen, dass wir alle dies inzwischen als unsere gemeinsame Bereicherung empfinden.

Bund und Länder haben sich dazu verpflichtet, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete zu erhalten, auszuwerten und zu präsentieren. So wird dieses Kulturgut auch an die jüngeren Generationen weitergegeben. Das ist manchmal leichter gesagt als getan. Denn wir müssen es zulassen, dass das auch geschieht. Mit der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" gehen wir dabei einen ganz wichtigen Schritt, ausgehend von vielen Aktivitäten. Dass dieser Schritt überhaupt erst möglich wurde, ist nicht zuletzt unserem heutigen Gastgeber, der CDU / CSU-Bundestagsfraktion, zu verdanken. Das muss man auch sagen: Sie ist immer ein treuer und ständiger Begleiter all dieser Aktivitäten. Heute lobe ich einmal die Fraktion. Gestern habe ich mich auf den BdV konzentriert.

Worum geht es uns mit dieser Stiftung? Flucht und Vertreibung dürfen niemals mehr als Mittel von Politik erwogen und angewendet werden. Das ist eine Verpflichtung aus der Geschichte. Die Stiftung will durch eine differenzierte Aufarbeitung und Präsentation der Ereignisse während und nach dem Zweiten Weltkrieg dazu beitragen, insbesondere die konkreten Erfahrungen Einzelner darzustellen und nachvollziehbar zu machen. Die Stiftung erinnert umfassend an die Ursachen und das Unrecht von Vertreibung. Das ermöglicht Aufarbeitung und hilft, Vertreibungen für immer zu ächten.

Zugleich soll die Stiftung das will ich hier noch einmal betonen, weil es das Anliegen aller ist, die sie immer wieder vertreten haben die freundschaftlichen Beziehungen zu unseren Nachbarn weiter stärken. Es sind Beziehungen, die sich im Geiste der Versöhnung sowie im Bewusstsein der historischen Verantwortung Deutschlands entwickelt haben. Wir sind weit davon entfernt, dass wir etwas völlig neu beginnen müssten. Es ist bereits vieles entwickelt worden. Es ist vieles mit unendlichem Einsatz, unendlicher Liebe, unendlich vielen Emotionen, mit Kraft, Zeit und auch vielen Rückschlägen gerade aus dem Kreis derer, die Vertreibung und Flucht erlebt haben angestoßen worden. Glücklicherweise ist vor Ort auch vieles Normalität, was man angesichts mancher allgemeinen Diskussion gar nicht glauben mag.

Es geht also genau um diese von mir genannten Stiftungsziele. Davon dürfen wir uns durch irritierende Debatten, wie wir sie in den letzten Wochen wieder erlebt haben das sage ich ganz deutlich, nicht ablenken lassen. Wir gehen gemeinsam diesen Weg, diese Ziele durch- und umzusetzen.

Liebe Präsidentin, liebe Erika Steinbach, Sie haben dieses Projekt initiiert und trotz aller persönlichen Angriffe maßgeblich dazu beigetragen, dass die Stiftung realisiert werden kann. Ich glaube, dafür gebührt Ihnen auch heute unser ganz besonderer Dank. Ich glaube und weiß mich da auch mit Ihnen einig, dass das Band der Freundschaft zu unseren Nachbarn, das durch viele Aktionen geknüpft ist, im Übrigen viel zu kostbar ist, als es durch persönliche Angriffe Einzelner in Frage stellen zu lassen. Das sollten wir immer, auch wenn es schwer ist, im Kopf haben.

Die Vertriebenen, meine Damen und Herren und damit haben sie eine Tradition begründet, haben bereits sehr früh mit ihrer Charta von 1950 die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Diesen Weg haben sie bis heute nicht verlassen. Sie haben immer wieder diesen Weg ausgebaut, ihn verstärkt und in dieser Tradition gearbeitet. Wir erinnern uns in diesem Jahr ja an vieles, was nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen ist. Es hat viel Weitsicht, viel Hinunterschlucken und viel Kraft gebraucht, um eine solche Charta der Heimatvertriebenen schon im Jahr 1950 zu verfassen.

Was vor 1990 weder möglich noch denkbar war, das ist heute das Gebot der Stunde: Die gemeinsame Erinnerung an erlittenes und zugefügtes Unrecht. Zweifellos erfordert das von allen Seiten die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und vor allen Dingen auch auf Gefühle und Ängste anderer Rücksicht zu nehmen. Deshalb soll das Ausstellungs- und Dokumentationszentrum eben auch ein Ort der Begegnung und des Dialogs werden zum einen zwischen den Generationen, unter besonderer Einbeziehung der Zeitzeugen, und zum anderen auch international. Denn Geschichte wird gemeinsam im Sinne einer dauerhaften Verständigung und Aussöhnung der Völker aufgearbeitet.

Der Versöhnungs- und Verständigungsgedanke leitet heute auch unser Engagement für die Deutschen, die in ihrer Heimat außerhalb der deutschen Grenzen geblieben sind. Auch das ist für uns ganz wichtig. Auch sie haben nach dem Krieg sehr viel Leid erfahren, wenn sie sich zu ihrem Deutschsein bekannt haben. Heute geht es inzwischen um mehr als um Bleibehilfe und Verbesserung der Lebensumstände. Wir wollen dort vor allen Dingen helfen, die Identität der deutschen Minderheiten zu stützen und ihre Sprache und ihre Kultur zu bewahren auch über Generationen hinweg. Auch das ist ein ganz wichtiges Anliegen. Wir wissen nämlich genau, was wir an ihnen, den deutschen Minderheiten in anderen Ländern, haben, weil sie echte Brückenbauer zwischen unseren Ländern und Kulturen geworden sind. Deshalb jetzt schaue ich in die Richtung, in die Herr Sauer gezeigt hat Ihnen stellvertretend und natürlich auch allen anderen dafür ein herzliches Dankeschön.

Unser Augenmerk gilt natürlich auch immer den Spätaussiedlern. Ihre Aufnahme und ihr Start in ein neues Leben bei uns das ist unser Wunsch sollten so gut und unbürokratisch wie möglich verlaufen. Gerade vor zwei Wochen haben wir im Kabinett eine Gesetzesänderung beschlossen, die das Aufnahmeverfahren noch einmal weiter beschleunigen soll.

Dass sich Aussiedler hier willkommen fühlen, hängt natürlich wesentlich von ihrer gesellschaftlichen Integration ab. Die öffentliche Aufmerksamkeit auch das gehört zur Realität gehört oft denen, bei denen nicht alles so gut verläuft. Aber wenn wir über Spätaussiedler sprechen, dann sollten wir vor allen Dingen von denen sprechen, die es geschafft haben, die gerne hier leben und die erfolgreich sind. Diese sollten wir mehr in den Mittelpunkt stellen auch als Vorbilder für die, denen das Leben hier eher schwer fällt. Also auch ihnen ein herzliches Dankeschön. Es gibt so viele Erfolgsgeschichten von Spätaussiedlern zu erzählen, die Ärzte, Handwerker, Facharbeiter, Künstler oder Sportler sind. Was alles möglich ist und was unser Land bereichert, sollten wir uns noch viel mehr vor Augen führen.

Die Vertriebenenorganisationen genauso wie die Kirchen und verschiedene Initiativen haben sich um die Integration von Spätaussiedlern große Verdienste erworben. Das kann man nicht allein mit Gesetzen machen. Dazu bedarf es ausgestreckter Hände, vieler helfender Hände. Ein herzliches Dankeschön all denen, die ihre Hände reichen. Ich möchte auch alle ermuntern nun predige ich hier in der falschen Kirche, wie das immer so ist, sich noch mehr daran zu beteiligen. Wir haben zwar stark rückläufige Zuzugszahlen zu verzeichnen, aber das bietet uns natürlich die Gelegenheit, uns gerade denen zu widmen, die schon hier sind und die vielleicht noch Schwierigkeiten haben.

Ich nenne hierbei, ohne die Älteren zu vernachlässigen, gerade die jungen Leute, die es auch schaffen müssen, ihr Leben bei uns erfolgreich zu gestalten. Das heißt natürlich auch: Berufliche Qualifizierung ist das A und O. Anderes können wir uns als Deutschland gar nicht leisten, wenn man es erst einmal nur hinsichtlich der Ökonomie betrachtet. Wir werden spätestens in der Mitte des Jahrzehnts jede Arbeitskraft dringend brauchen. Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass der Einstieg in die berufliche Laufbahn möglich ist. Wir wollen gebildete und ausgebildete Kräfte nicht durch Rückwanderung verlieren ich will das ausdrücklich sagen, nur weil sie sich hier in Deutschland emotional nicht wohl und nicht angenommen fühlen oder weil sie es nicht schaffen, hier Fuß zu fassen.

Meine Damen und Herren, wir sehen: Die Folgen und die späten Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung sind heute noch gegenwärtig nicht nur bei denen, die hier im Saale sind, sondern in vielfältigen Ausprägungen, und zwar bei den Vertriebenen selbst, bei ihren Kindern und Enkeln, bei den deutschen Minderheiten und den Aussiedlern. Aber das ist meine Botschaft sie betreffen auch uns alle, nämlich als Teil unserer Geschichte und unseres Selbstverständnisses.

1959, vor 50 Jahren, hat Konrad Adenauer vor Vertriebenen gesagt: "Der Tag wird kommen, da dieses Europa in West und Ost ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln wird, das Spaltungen und Gegensätze überwindet." Ziemlich visionär, wie ich finde. Wir sind diejenigen, die spüren können, dass wir dieser Vision ziemlich nah kommen werden. Der Eiserne Vorhang ist zerschnitten. Er trennte Familien und Völker. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat die Versöhnung über Grenzen hinweg überhaupt erst wieder eine richtige Chance bekommen.

So weit wir auf dem Weg der Versöhnung auch gekommen sind, dürfen wir nicht verkennen, und das spüren Sie alle: Dieser Weg ist immer mit schmerzhaften Prozessen einhergegangen und tut es leider auch heute noch. Auch das haben wir in den letzten Tagen wieder erlebt. Dass er ein Weg ist, der uns einiges abverlangt, haben wir immer wieder erfahren. Dass er ein alternativloser Weg ist, wissen wir. Dass er ein Weg ist, der gerade von den Vertriebenen und denen, die Flüchtlinge waren, mit besonderer Bereitschaft gegangen worden ist, gehört zu den Glücksmomenten unserer Geschichte. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Deshalb, meine Damen und Herren, wollen wir im besten Sinne des Wortes selbstsicher Trauer und Erinnerung zulassen, um gut und gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Nur der, der weiß, woher er kommt und was geschah, weiß auch, wer er ist, und kann die Lehren aus der Vergangenheit wirklich beherzigen. So weiß auch jeder um den Wert eines versöhnlichen Miteinanders als Voraussetzung für eine gemeinsame und gedeihliche Zukunft. Ich finde, das ist jede Mühe wert. Ich sage Ihnen stellvertretend für alle, die heute hier teilnehmen: Danke, dass Sie sich an dieser Mühe beteiligen. Ich sage Ihnen aber auch alle Unterstützung auf diesem gemeinsamen Weg zu. Herzlichen Dank.