Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 25.07.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/15/14715/multi.htm


Sperrfrist: Redebeginn! ( 14.00 Uhr ) German Disease "war über Jahre zum" geflügelten Wort "geworden. Heute spricht niemand mehr von" German Disease ". Wir haben die politische Stagnation überwunden und den Reformstau in Deutschland aufgelöst. Das heißt: Wir sind auf einem guten Weg. Aber wir sind noch längst nicht durch. Mit der Steuerreform erhalten die Bürger die lang erwartete Entlastung. Und wir geben der Wirtschaft die notwendigen Impulse, den Wachstumskurs zu verstärken. Ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent in diesem Jahr ist realistisch. Und: Schon in diesem und im nächsten Jahr werden zusammen mehr als eine halbe Million neuer Arbeitsplätze entstehen.

Für unser Land kann man von einer "Rückkehr der Politik" sprechen. Und zwar einer Politik der Problemlösung. Wir werden durch die größte Steuerreform in der Geschichte unseres Landes die Bürger und die Wirtschaft bis 2005 um 93 Milliarden Mark entlasten. Wir haben konsequent die Haushaltskonsolidierung in Gang gesetzt. Wir haben mit unserem Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit der jüngeren Generationen Chancen und Perspektiven eröffnet. Im Bündnis für Arbeit haben wir dafür gesorgt, dass jeder Jugendliche, der das will, einen Ausbildungsplatz erhält. Wir haben die notwendige Reform der Bundeswehr auf den Weg gebracht. Wir haben die Verhandlungen über die Zwangsarbeiterentschädigung endlich erfolgreich abgeschlossen. Wir haben durch den Atomkonsens den Einstieg in eine zukunftsfähige und gesellschaftlich akzeptierte Energieversorgung beschlossen. Wir werden durch die Green-Card-Initiative den akuten Mangel an Fachkräften im IT-Bereich beheben.

Gleichzeitig haben wir die Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung erhöht: um 780 Millionen Mark im Jahr 2001.- Schließlich haben wir in der Außen- und Europapolitik unsere Bündnisfähigkeit und unsere internationale Verantwortung unter Beweis gestellt.

Was mich besonders stolz macht: Das deutsch-französische Verhältnis ist so gut, wie schon lange nicht mehr. Das ist eine gute Basis für die vor uns liegenden Reformschritte in Sachen EU-Erweiterung.

Politik der Problemlösung ist eine Politik unter dem Motto "Zukunftsfähigkeit und Teilhabe". Zukunftsfähigkeit, das heißt: Wir wollen unseren Kindern und Enkeln keine ungelösten Probleme hinterlassen, sondern eine lebenswerte Welt. Und Teilhabe, das bedeutet für mich: Nur wenn wir die Menschen einbeziehen in die Verantwortung, aber auch in das Haben und Sagen in der Gesellschaft, können wir miteinander die notwendigen Reformschritte machen.

Es hat in jüngster Zeit so manchen Beitrag über die angebliche "Konsensdemokratie" gegeben. Einige sehen schon den Parlamentarismus in Gefahr. Wie soll der Parlamentarismus bedroht sein, wenn wir mehr Menschen und ganze Gruppen und Verbände in die gesellschaftliche Entscheidung und Verantwortung einbeziehen? Ich halte den Konsens für eine gute Methode der Politik. Aber niemand sollte an der Entschlossenheit der Bundesregierung zweifeln, im Interesse des Gemeinwohls zu handeln und zu entscheiden. Im übrigen: Zweck der Politik ist schließlich nicht der "Sieg", sondern der "Gewinn". Und zwar der Gewinn für alle, für unser Land und die Menschen.

Die Zusammenarbeit in der Koalition läuft gut. Aber ich sage ganz deutlich: Zur Selbstzufriedenheit, gar zum Übermut besteht kein Anlass. Wir haben noch einige große Herausforderungen vor uns. Ich nenne die Rentenreform: Zwar ist es uns gelungen, den Beitragssatz um einen Prozentpunkt zu senken. Aber wer sich die demographische Entwicklung anschaut, der weiß, dass der Handlungsbedarf groß ist.

Walter Riester wird bis September einen Gesetzesentwurf vorlegen. Zum Verfahren möchte ich allen Beteiligten mit in die Sommerpause geben: Es hat gute Tradition, Rentenentscheidungen von großer Tragweite im Konsens herbeizuführen. Das war 1957 so und auch 1989. Die Bundesregierung ist offen für Konsens und Verständigung. Aber wenn andere sich lieber verweigern wollen, werden wir die notwendigen Entscheidungen treffen.

Die Bundesregierung hat ein klares Ziel: Deutschland erneuern und die Teilhabe der Menschen stärken. Die Ermutigung und Stärkung der Zivilgesellschaft ist dabei ein wichtiges Moment. Auf eine starke Zivilgesellschaft kommt es auch an, wenn es darum geht, mehr Zivilcourage zu zeigen. Ich sage es hier ganz deutlich: Ich habe es satt, beinahe täglich Meldungen über Prügelorgien rechtsradikaler Banden gegen Ausländer oder Minderheiten lesen zu müssen. Für Mord und Totschlag, für Körperverletzung, aber auch für Grab- und Denkmalsschändung gibt es keine Entschuldigung. Dieses Übel abzustellen, kann nicht allein Polizei und Justiz überlassen werden.

Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft basiert auf Werten, die nicht in Frage gestellt werden dürfen. Und die Gesellschaft insgesamt ist aufgerufen, diese Werte durchzusetzen.

Es ist für mich darum kein Widerspruch, einerseits für Gerechtigkeit und gegen Ausgrenzung zu kämpfen - und andererseits diejenigen gesellschaftlich zu ächten, die sich durch Hass und Intoleranz selbst ausgrenzen.