Redner(in): Angela Merkel
Datum: 15.05.2009

Untertitel: in Kalkriese
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident des Europäischen Parlaments, sehr geehrte Herren Ministerpräsidenten, lieber Christian Wulff und lieber Jürgen Rüttgers, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/05/2009-05-15-rede-merkel-varus-schlacht,layoutVariant=Druckansicht.html


insbesondere auch diejenigen, die hier vor Ort Verantwortung tragen,

auch ich freue mich, heute hier bei der Eröffnung dieser außergewöhnlichen Ausstellung dabei zu sein. Sie ist außergewöhnlich, zum einen, weil sie aus drei Teilen an drei verschiedenen Orten besteht Haltern, Kalkriese und Detmold, und zum anderen, weil sie nicht, wie wir das in diesen Tagen oft tun, an 60Jahre Bundesrepublik oder sogar nur an 20Jahre Mauerfall erinnert, sondern weil das Ereignis, an das wir denken, 2. 000Jahre zurückliegt.

Aber je länger es zurückliegt, umso größer ist vielleicht die Faszination eines solchen Ereignisses wie die Varusschlacht. Sie ist Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, von Bildung und von Identität. Das Wunderschöne ist Jürgen Rüttgers hat, glaube ich, darauf hingewiesen, dass sie die Gedanken der Menschen in einem umfassenden Ausmaß beschäftigt. Deshalb ist es so schön, dass es gelungen ist, diese Kooperation "Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht" ins Leben zu rufen, und dass auch alles getan wurde, damit den vielseitigen Interessen, die bei einer solchen Sache zu berücksichtigen sind, Rechnung getragen wird.

Den chronologischen Anfang der Trias macht die Ausstellung "IMPERIUM", die in Westfalen-Lippe, in Haltern am See, ihren Platz gefunden hat. Dort sind wir heute nicht. Dort wird aber deshalb behalte ich mir einen Besuch dort vor die Entwicklung Roms aufgezeigt von den mythologischen Anfängen des Dorfes auf den sieben Hügeln bis zu der kulturellen und politischen Blütezeit unter Kaiser Augustus. Von diesem so genannten "Goldenen Zeitalter" zeugen zahlreiche Meisterwerke. Viele davon werden in dieser "IMPERIUM" -Ausstellung zum allerersten Mal in Deutschland gezeigt. Die Ausstellung in Haltern durchzieht als roter Faden der Lebensweg des Varus, des Namensgebers dieser Schlacht.

Hier in Kalkriese soll an den tödlichen Hinterhalt des Cheruskerfürsten Arminius erinnert werden. Es ist von Herrn Demandt sehr schön gesagt worden, dass Kalkriese die "höchste Plausibilität" besitze und dass alle anderen Orte keine höhere Beweiskraft entwickeln könnten. Er hat das fein ausgedrückt. Man kann ja in den nächsten 2.000 Jahren weiterarbeiten. Sehen wir einmal, ob das Jubiläum "4.000 Jahre Varusschlacht" auch noch hier in Kalkriese gefeiert werden wird.

Kalkriese zählt heute jedenfalls zu den bedeutendsten Ausgrabungsstätten Europas. Hier bietet sich für Geschichtsinteressierte, Kunst- und Kulturliebhaber, Urlauber und Erholungsuchende gleichermaßen ein ganz besonderes Erlebnis. Denn der europaweit einzigartige archäologische Park verbindet Wissenschaft, Architektur, Kultur und Tourismus auf ganz wundersame Weise. Er lässt Archäologie, Geschichte, Kunst und Natur mit allen Sinnen erleben. Insofern ist das auch ein ganzheitliches Erlebnis. Deshalb war es nur folgerichtig, dass das Museum und der Park Kalkriese im Jahr 2005 den europäischen Kulturerbe-Preis in der Kategorie "Archäologische Denkmäler" erhalten haben als bisher einzige archäologische Einrichtung in Deutschland.

Die verschiedenen Fachgruppen ob nun Archäologen, Archäozoologen, Archäobotaniker, Bodenkundler und andere Wissenschaftler lassen hier alle mit modernsten Methoden ein Bild der Vergangenheit entstehen, über dessen Details vor einigen Jahren noch schwer gerätselt wurde. Überraschende Erkenntnisse haben Anteil daran, dass geschichtsträchtige Ereignisse auch heute noch und immer wieder eine breite Öffentlichkeit in ihren Bann ziehen.

Welche Bedeutung die Schlacht hatte, verdeutlicht hier in Kalkriese die Sonderausstellung "KONFLIKT". Nach der Niederlage zog sich das Römische Reich zurück, sodass der Einfluss der römischen Hochkultur auf die Germanen östlich des Rheins endgültig erstarb. Die Ausstellung geht der Frage nach, warum bei den Germanen, die eigentlich die Sieger waren, keine Ruhe einkehrte, warum sie weiterhin permanent Krieg führten. So spannt die Ausstellung einen Bogen bis ins 5. Jahrhundert und versucht auszuloten, welche Bedeutung das Thema Konflikt und Krieg in den germanischen Gesellschaften hatte. Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, dass wir heute glücklicherweise in einer friedlichen Zeit leben. Allerdings haben wir das als Germanen eben auch nicht aus eigener Kraft geschafft, sondern es hat des europäischen Gedankens bedurft.

Von den Fragen an die Geschichte klingen einige immer noch sehr aktuell. Denn die Welt vor 2. 000Jahren ist zwar mit der heutigen kaum zu vergleichen, aber Kriege gehören eben immer noch zum Alltag. Die Vergangenheit bietet sicherlich keine Lösungen, die einfach auf das Heute zu übertragen sind. Aber sie zeigt anhand einer Fülle von Fallbeispielen, an denen sich der Verlauf der Ereignisse aus sicherem Abstand nachverfolgen lässt, was man aus der Geschichte lernen kann. Deshalb erscheint uns, wenn wir uns mit der Geschichte auseinandersetzen, dann auch manches in unserer Gegenwart in einem klareren Licht.

Deshalb freue ich mich sehr, dass hier in Kalkriese die Erkenntnisse über diese Vergangenheit in Europa so umfassend genutzt werden können. Das wird hier auch gelebt, zum Beispiel in dem Internationalen Jugendcamp im Museum und Park. Die europäischen Wurzeln werden hier erforscht. Gemeinsam soll aus der Geschichte gelernt werden.

Lieber Hans-Gert Pöttering, mit Sicherheit wird die Varusschlacht auch im Haus der Europäischen Geschichte ihren angemessenen Platz finden. Der Mann selbst bietet dafür Gewähr. Vielleicht hast du den Gedanken des Hauses der Europäischen Geschichte überhaupt nur haben können, weil du in der Nähe des Ortes der Varusschlacht aufgewachsen bist und gelebt hast.

Meine Damen und Herren, auch in diesem Juli werden wieder junge Menschen hier sein und ein Lernfeld aus dem antiken Schlachtfeld machen. Das ist eine wunderschöne Initiative.

In diesem Zusammenhang kommen wir dann auch zur Ausstellung "MYTHOS" des Lippischen Landesmuseums Detmold, das als dritter Partner der Kooperation im Spiel ist. Unweit des Hermannsdenkmals, das 1875 errichtet wurde, illustriert sie die unterschiedlichen Deutungen der Varusschlacht, die Suche nach der nationalen Identität sowie die Gefahr, wie leicht die Geschichte auch instrumentalisiert werden kann. Damit schließt die Ausstellung in Detmold, an deren Eröffnung ich heute auch teilnehmen werde, den Themenbogen von "IMPERIUM KONFLIKT MYTHOS" ab.

Das heißt, es gibt hier eine einzigartige Kooperation, länderübergreifend und unter Einbeziehung des Bundes, die es uns ermöglicht, den Verlauf einer Schlacht vor 2. 000Jahren und der weiteren Geschichte zu erleben und daraus Lehren zu ziehen. Deshalb spreche ich von meiner Seite allen ein herzliches Dankeschön aus, dem "Landschaftsverband Westfalen-Lippe Römermuseum" in Haltern, der "Varusschlacht im Osnabrücker Land Museum und Park Kalkriese" und dem "Lippischen Landesmuseum" in Detmold. Es gab eine gute Zusammenarbeit und ich wünsche deshalb allen drei Ausstellungen den Erfolg, den sie verdient haben, leidenschaftliche Besucher, die vom Werk der leidenschaftlichen Erarbeiter dieser Ausstellung zehren, und vor allen Dingen eine große Verbreitung nicht nur hier in der Region, sondern bundesweit und in ganz Europa.

Dies ist ein spannender Teil europäischer Geschichte. Für uns ist es einer, der bei allem Leid der Schlacht ein erfolgreicher war. Man kann sich nicht ausdenken, was sonst gewesen wäre und wie die Germanen sich weiterentwickelt hätten. So sind wir froh, heute in einem friedlichen Europa zu leben und trotzdem am Ort dieser Schlacht zu sein.

Herzlichen Dank!