Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 21.05.2009

Untertitel: anlässlich des Evangelischen Kirchentags in Bremen
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/05/2009-05-29-neumann-evangelischer-kirchentag,layoutVariant=Druckansicht.html


Was Kultur kann " ich finde es durchaus schlüssig, dass man im kirchlichen Raum, zumal in einer Kulturkirche, dieses Thema behandelt. Denn Kultur und Kirche stehen in engem Zusammenhang. Die Wertvorstelllungen unserer Gesellschaft, die in der Kultur ihren Ausdruck finden, haben ihren Ursprung im christlichen Glauben und in der christlichen Tradition. Kultur ist die geistige Grundlage jeder Gesellschaft, Kultur schafft Identität und Identität ist unverzichtbar für unsere Orientierung in einer zunehmend globalisierten Welt. Wir brauchen eigene Orientierung, wenn wir den Dialog der Kulturen und der Religionen bestehen wollen. Wie schwierig dieser ist, haben wir erfahren müssen bei der jüngsten Kontroverse um die Verleihung des hessischen Kulturpreises an Navid Kermani.

Förderung von Kultur ist keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft!

Die Kirchen haben dabei nach wie vor eine wichtige Leitfunktion; ihr kulturelles Engagement ist vorbildlich. Insgesamt geben die öffentlichen Hände in Deutschland etwa rund 8,1 Milliarden Euro jährlich für Kultur aus. 87 Prozent kommen ungefähr hälftig von den Ländern und Kommunen, etwa 13 Prozent vom Bund. Private Förderer und Sponsoren bringen noch einmal 500 Millionen Euro auf. Im Kirchengutachten von 2005, das das "Institut für kulturelle Infrastruktur Sachsen" im Auftrag der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages "Kultur in Deutschland" erstellt hat, wird errechnet, dass beide Kirchen in Deutschland jährlich 3,5 bis 4,8 Milliarden Euro jährlich für Kultur aufbringen soviel also wie jeweils alle Länder oder alle Kommunen zusammen.

Damit gehören die Kirchen zu den zentralen kulturpolitischen Akteuren in Deutschland. Ich gebe zu, ich war überrascht, als ich zum ersten Mal von diesen Zahlen hörte und selbst in kirchlichen Kreisen lösen diese Zahlen Erstaunen aus, wenn ich sie bei Gelegenheit anführe. Gerne nutze ich deshalb den heutigen Anlass, den Kirchen insgesamt, aber insbesondere meiner der evangelischen Kirche, herzlichen Dank für ihr kulturelles Engagement zu sagen! Die Leistungen der Kirchen für die Kultur sind ein existenzieller, unverzichtbarer Bestandteil der Kulturnation Deutschland.

Gerade auf dem Land sind die Kirchen oft die einzigen Orte, an denen Kultur stattfindet, wo Kinder und Jugendliche mit Musik und anderen Künsten in Berührung kommen. Fast eine Million aktiver Mitglieder zählen beispielsweise die kirchenmusikalischen Gruppen beider Konfessionen. Das sind 15 Prozent aller Laienmusiker in Deutschland überhaupt.

Auch das Engagement der Kirchen im medialen Bereich genießt einen außerordentlich guten Ruf ich erinnere hier nur an die hervorragende Arbeit des Evangelischen Pressedienstes insbesondere im Filmbereich.

Die Beschäftigung mit Kunst und Kultur ist also eine der Kernaufgaben der Kirche und keine aus dem Zwang leerer werdender Gotteshäuser geborene Notlösung.

Kirchen sind als geistliche Zentren und als Stätten der Einkehr nicht nur für gläubige Christen von Bedeutung. Sie machen Ortsbilder unverwechselbar, sie erinnern uns an die Wurzeln und das Fundament unserer Gesellschaft und sind als Zeugen der Vergangenheit ein wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes. Viele suchen die Kirchen auf, um sich an Kunst und Architektur zu erfreuen oder um an den vielfältigen kulturellen Programmen der Kirchengemeinden teilzunehmen.

Das ist heute ein wichtiger Aspekt, denn die Kirche befindet sich im Wandel: Kirchenaustritte und mographische Entwicklungen führen zu einem dramatischen Leerstand.

Bevor Kirchen jedoch ungenutzt verfallen, kann die respektvolle Umnutzung wie beispielsweise die Umwandlung in eine "Kulturkirche" eine sinnvolle Möglichkeit sein, um "die Kirche im Dorf zu lassen". Der Ort, an dem wir uns befinden, die Kulturkirche St. Stephani, ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein solcher Prozess gelingen kann. Die Bundesregierung ist mit finanziellen Mitteln am Erhalt und an der Restaurierung von Kirchen maßgeblich beteiligt. Im Förderprogramm des Bundes für national wertvolle Kulturdenkmäler sind von insgesamt 549 geförderten Denkmälern rund die Hälfte Kirchen, Dome und Klöster.

Hier in Bremen wird 2009 der Dom St. Petri mit 100.000 Euro gefördert. Damit ist dann - alles aus den Vorjahren zusammengerechnet - fast 1 Million zur Erhaltung des Doms aus Bundesmitteln geflossen. Im Rahmen des neu aufgelegten zusätzlichen Denkmalschutz-Sonderprogramms, das besonders kleineren Denkmälern zugute kommt, wird z. B. hier in Bremen-Grohn die Kirche St. Michael mit rund 165.000 Euro dabei unterstützt, den historischen Orgelprospekt wiederherzustellen.

Auch in diesem zusätzlichen Sonderprogramm sind von den bislang 229 geförderten Denkmälern immerhin 65 Kirchen. Im Osten unseres Landes wurde in den vergangenen 20 Jahren seit der Wiedervereinigung der Kirchenerhalt ganz besonders intensiv gefördert.

Da Herr Bischof Noack heute hier ist, möchte ich nur das Beispiel des Magdeburger Doms St. Mauritius und Katharinen nennen, zu dessen Restaurierung der Bund von 1992 bis 2003 insgesamt über eine Million Euro beigetragen hat.

Gerade in Regionen, die sich im Umbruch befinden, kann Kultur Motor für Entwicklung sein. Wir sehen das ganz deutlich hier in Bremen und vor allem auch in Bremerhaven, wo seit einigen Jahren erfolgreich die Schaffung kultureller Attraktivitäten nahezu vorangetrieben wird, um der strukturellen Krise im Bereich von Werften, Schiffbau und Fischerei etwas entgegenzusetzen.

Es lohnt sich, das neue Stadtbild der Seestadt einmal anzusehen: Auswanderermuseum, Schifffahrtsmuseum, das neue Kunstmuseum und andere Attraktionen.

Auch die Europäische Kulturhauptstadt Ruhr 2010, ( die von meinem Haus mit 18 Millionen Euro unterstützt wird ) steht für eine Region im Wandel. Herr Fischer wird dazu nachher ausführlich sprechen. 16 deutsche Städte hatten sich um den begehrten Titel beworben, darunter auch Bremen, das es auch verdient hätte soviel Lokalpatriotismus müssen Sie mir gestatten! Es gibt jedoch sicher kaum eine Region in Deutschland, die sich in den vergangenen Jahrzehnten konsequenter von einer Industrie- und Bergbauregion hin zu einem Standort für Kreativität, Innovation und Kultur entwickelt hat alsdas Ruhrgebiet.

Als Symbol dafür steht das Unesco-Weltkulturerbe "Zeche Zollverein", das mit Unterstützung des Bundes, zu einem lebendigen kulturellen und kreativen Mittelpunkt der Region geworden ist aus einer Industriebrache zu einem kulturellen Highlight! Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist mittlerweile ein zentraler Standortfaktor im Ruhrgebiet. An diesem Beispiel zeigt sich: Kultur kostet nicht nur Geld, sondern sie stärkt auch die Wirtschafts- und Steuerkraft. Mit einem bundesweiten Umsatz von

132 Milliarden Euro, 238.000 Unternehmen und über 1 Million Erwerbstätigen expandiert die Kultur- und Kreativwirtschaft Jahr für Jahr. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt beträgt 2,6 Prozent, damit liegt sie noch vor der chemischen Industrie mit 2,1 Prozent und kurz hinter der Automobilindustrie mit 3,1 Prozent.

Ich habe ein eigenes Referat für Kultur- und Kreativwirtschaft in meinem Haus eingerichtet, das, gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium, in den letzten Monaten Branchenhearings mit den einzelnen Sparten der Kultur- und Kreativwirtschaft durchgeführt hat, um zu erfahren, wie dieser Wirtschaftszweig besser gefördert und unterstützt werden kann.

Kultur kann nur dann lebendig sein, wenn zum einen unser kulturelles Erbe erhalten bleibt, aber andererseits auch zum kulturellen Engagement und Mittun motiviert wird. Darum habe ich den Bereich der kulturellen Bildung und Vermittlung zu einem Schwerpunkt meiner Arbeit gemacht. Am 9. Juni werde ich gemeinsam mit meiner französischen Amtskollegin und meinem polnischen Kollegen die vom Bund und Brandenburg finanzierte Stiftung Genshagen bei Berlin als europäisches Zentrum für kulturelle Bildung vorstellen.

Abends werde ich dort zum ersten Mal den deutschlandweit ausgelobten Preis für kulturelle Bildung vergeben. Das sind wichtige Schritte zu einer größeren Anerkennung der kulturellen Bildung!

Bei der notwendigen Integration von Migrantenfamilien, insbesondere ihrer Kinder, sind gemeinsame Kulturaktivitäten eine unverzichtbare, ja häufig wunderbare Plattform. Gerade die Musik spielt hier eine bedeutende Rolle. Wir sehen das im Ruhrgebiet seit zwei Jahren anhand des Projekts "Jedem Kind ein Instrument", das die zu meinem Haus gehörige Kulturstiftung des Bundes gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen als Beitrag zur Europäischen Kulturhauptstadt fördert.

Dieses Projekt zur kulturellen Bildung, das bis 2010 allen 200.000 Grundschulkindern im Ruhrgebiet die Möglichkeit gibt, kostenlos ein Instrument ihrer Wahl mit entsprechendem Musikunterricht zu erhalten, ist mittlerweile ein Erfolgsmodell, das bundesweit Nachahmung findet.

Bei der seit nunmehr zwei Jahren laufenden "Initiative Musik", durch die wir gemeinsam mit der Musikindustrie junge Nachwuchsbands im Bereich von Pop und Rock fördern, liegt der Anteil von Teilnehmern und Projekten mit Migrationshintergrund deutlich über 25 Prozent.

Eines der bundesweit besten Beispiele für die Integrationskraft von Kultur an sozialen Brennpunkten haben wir jedoch hier in Bremen. Einen ganz besonderen und mittlerweile mit vielen Preisen gepflasterten Weg beschreitet die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen.

Sie ist mit Studios und Probenraum in die Gesamtschule Bremen-Ost eingezogen und realisiert mit den Schülern vielfältige Projekte wie "Melodie des Lebens" und "Faust II." Ich will Herrn Schmitt nicht vorgreifen, aber ehe er zu bescheiden ist, all " die Preise zu nennen, die die Deutsche Kammerphilharmonie mit ihrem Konzept von erstklassiger Musik in Verbindung mit sozialem Engagement bereits erhalten hat, tue ich dieses:

2007: Zukunftsaward für Soziale Innovation, 2008: ausgewählter Ort der Initiative "Deutschland Land der Ideen", Preisträger des Wettbewerbs "Kinder zum Olymp" der KSL und der KSB und last but not least 2008: Gewinner des "Deutschen Gründerpreises" in der Sparte Sonderpreis. Ich habe deshalb auch sehr gern dem Dokumentarfilmprojekt "Goethe in Tenever", mit dem der Filmemacher Eike Besuden die Arbeit am Opernprojekt "Faust II" dokumentiert, aus meinem Etat 100.000 Euro bewilligt.

Im Übrigen habe ich die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen am 9. Juni nach Genshagen eingeladen, damit ihre Projekte auch international bekannt werden.

Projekte wie die der Deutschen Kammerphilharmonie in Bremen und auch die Kulturkirche St. Stephani sind herausragende Impulse für die Kultur in Deutschland.

Es ist erfreulich, dass die Bremische Evangelische Kirche sich bereit gefunden hat, die Kulturkirche St. Stephani über den Kirchentag hinaus über vorerst weitere fünf Jahre nicht nur fortzuführen, sondern auch finanziell und personell besser auszustatten.

Unsere Landeskirche hat die Zeichen der Zeit verstanden und die richtigen Konsequenzen gezogen, denn - um meine Aussage vom Anfang meiner Rede zu wiederholen - jede Investition in Kultur ist immer eine Investition in die Zukunft unseres Landes!