Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 16.06.2009

Untertitel: "Es ist ein absolutes Novum, nicht nur für die Bundesrepublik, sondern in ganz Europa, dass die Ressorts für Wirtschaft und Kultur Hand in Hand arbeiten, um die Kultur- und Kreativwirtschaft zu stärken, eine der wichtigsten Zukunftsbranchen in Deutschland", erklärte Kulturstaatsminister Neumann
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/06/2009-06-16-neumann-kultur-und-kreativwirtschaft,layoutVariant=Druckansicht.html


als Kulturstaatsminister sehe ich natürlich nicht zuerst Zahlen, wenn ich an Kultur denke. Kunst und Kultur sind in der Demokratie in erster Linie Selbstzweck unsere Gesellschaft kann auf ihre Anstöße nicht verzichten, will sie lebendig und innovativ bleiben. Doch die Kultur ist nicht nur selbstgenügsam, sondern auch schon seit einiger Zeit ein Wirtschaftsmotor. Das wurde lange - wohl auch aus schlichtweg ideologischen Gründen schamhaft verschwiegen. Frühere Regierungen haben die Kultur eher als schmückendes Beiwerk oder auch als Mittel zur Veränderung der Gesellschaft gepflegt aber sie haben damit einen großen Teil ihres Potenzials für die Entwicklung Deutschlands übersehen oder gar negiert. Wir schlagen nun erfolgreich andere Wege ein!

Es ist ein absolutes Novum, nicht nur für die Bundesrepublik, sondern in ganz Europa, dass die Ressorts für Wirtschaft und Kultur Hand in Hand arbeiten, um die Kultur- und Kreativwirtschaft zu stärken, eine der wichtigsten Zukunftsbranchen in Deutschland.

In den letzen 12 Monaten haben wir insgesamt elf Tagungen mit den wichtigsten Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft durchgeführt. Ein Teil dieser Veranstaltung wurde vom Wirtschaftsministerium organisiert. Ein anderer Teil von meinem Haus: Das Branchenhearing Filmwirtschaft etwa und die Hearings zum Buchmarkt, zur Bildenden und Darstellenden Kunst. Sie haben uns dargestellt, wo Ihre Branchen Handlungsbedarf sehen, um die Wachstums- und Arbeitsplatzpotentiale besser zu nutzen, und wir haben gehört, wo die Politik aus Sicht der Wirtschaft unmittelbar eingreifen sollte, um die Rahmenbedingungen zu verbessern.

Die Bundesregierung wird natürlich nicht jede dieser Forderungen eins zu eins erfüllen können. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir uns dafür einsetzen werden, das Optimale für Ihre Branchen zu erreichen. Bis zum Frühjahr nächsten Jahres werden nun mein Haus und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ein detailliertes Konzept zur nachhaltigen Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft Deutschlands entwickeln. Darin wird auch das Gutachten Kultur- und Kreativwirtschaft einfließen, das wir in Auftrag gegeben hatten und das im Februar diesen Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. Ich möchte aber schon heute erste Hinweise darauf geben, wohin die Reise gehen wird, die wir mit der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft letztes Jahr angetreten haben.

Meines Erachtens gibt es vor allem drei Handlungsbereiche, die wir branchenübergreifend angehen sollten:

Erstens wollen wir erreichen, dass zukünftig mehr Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, dort wo es notwendig ist, an der Wirtschaftsförderung partizipieren können. Dies gilt insbesondere für die vielen kleinen und mittleren Unternehmen dieser Branche. Bundesweit sollen Lotsen tätig werden, die den Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft bei der Orientierung helfen. Wir haben schon auf anderen Gebieten gute Vorbilder für solche Lotsen, die hervorragende Ergebnisse vorweisen können.

Der von mir geförderte Cultural Contact Point Germany etwa erfüllt eine ähnliche Funktion zur Erschließung der Kulturförderung der Europäischen Union.

Zweitens klagen viele Klein- und Kleinstunternehmen der Kulturwirtschaft über Probleme beim Zugang zu privatem Kapital. Die Ursachen dafür sind vielfältig; zum Teil liegen sie bei den Banken, die die besondere Risikostruktur dieser Unternehmen schwer einschätzen können. Wir werden als erstes zusammen mit Beratern, Banken und Wirtschaftsförderern eine Handreichung erarbeiten, um den Investoren und Banken eine bessere Einschätzung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu ermöglichen.

Dies führt mich drittens zum Thema Professionalisierung. Hervorragenden Produkt- oder Geschäftsideen steht oftmals lückenhaftes betriebswirtschaftliches Wissen gegenüber.

Auch das ist ein Grund für die unbefriedigende Einkommenssituation von Künstlern und Kreativen.

Wir werden uns dafür einsetzen, dass es mehr "Coaching on the Job" -Angebote geben wird, etwa im Rahmen eines bundesweiten Kompetenznetzwerkes. Und diese Qualifizierungsmaßnahmen müssen auch bekannt gemacht werden! Wirtschaftliches Denken und Kreativität schließen sich nicht aus, und sie zusammenzubringen, bedeutet auch keine "Ökonomisierung der Kultur". Kreative und Künstler haben das Recht, für ihre Arbeit angemessen entlohnt zu werden und ich werde mich auch in Zukunft für dieses Recht einsetzen, wo immer es bedroht ist!

Ansonsten leben nämlich andere gut von fremdem geistigen Eigentum. Wie das geht, sehen wir ja gerade bei Google Books.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich verschließe nicht die Augen vor den Chancen der Digitalisierung, denn sie bietet die Möglichkeit, Kultur einem größeren Teil der Bevölkerung zugänglich zu machen. Und das ist gut so.

Doch der Schutz geistigen Eigentums ermöglicht auf Dauer erst kreatives Schaffen. Durch Raubkopien und Zweckentfremdung des geistigen Eigentums entstehen jährlich Schäden in Milliardenhöhe, die die Existenz von Künstlern und entsprechenden Unternehmen bis hin zu den Verlagen bedrohen. Das dürfen wir so nicht hinnehmen! Ich denke hierbei insbesondere auch an die gesamte Musik- und Kreativwirtschaft, die mittlerweile zu entscheidenden, erfolgreichen Playern in unserem Wirtschaftsgeschehen geworden sind.

Die Novellierung des deutschen Urheberrechts ( 1. und 2. Korb ) war ein Schritt in die richtige Richtung aber weitere Schritte müssen folgen. Mittlerweile haben andere Länder in Europa wie Frankreich Vorstöße gemacht, die Internetpiraterie zu ahnden. Wir können daraus lernen und ich denke dabei auch an die Fehler, die wir vermeiden können.

Ohnehin kann man andere Modelle aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgangslage nicht 1: 1 übernehmen, aber es kann nicht sein, dass bei uns gar nichts geht. Selbstverständlich müssen wir Urheberschutz und Datenschutz in Einklang bringen. Wir brauchen Kooperationsvereinbarungen zwischen Providern, Rechteinhabern und Verbrauchern. Hier erwarte ich vom federführenden Ressort Justiz endlich konstruktive Vorschläge. Ich habe diese Thematik auch auf die Agenda der EU-Kulturminister setzen lassen; die EU-Kommission beschäftigt sich damit; denn dieses Problem können wir nur länderübergreifend erfolgreich lösen.

Auch auf meine Initiative hin, wurde vor einigen Wochen beim Europäischen Kultur- und Medienministerrat das Thema "Google" behandelt, denn das Verfahren von Google widerspricht den fundamentalsten Überzeugungen von Urheberschutz und geistigem Eigentum sowie allen europäischen Gesetzen. Google schafft Fakten vor allem auch für die langfristige Nutzung bis hin zu einem Monopol. Jetzt soll alles nachträglich durch einen Vergleich legitimiert werden. Das können wir nicht taten- und hilflos verfolgen! Es gibt sogar selbst aus Amerika Stimmen, die sich eine Intervention Europas wünschen. Ich habe darum EU-Kommissarin Reding aufgefordert, möglichst schnell zu konkreten Handlungsempfehlungen zu kommen. Es geht ja bei "Google books" nicht nur um Fragen des Urheberschutzes, sondern sozusagen um das Fundament unseres Kulturverständnisses. Bücher sind Kulturgut. Sie sind Teil unserer abendländischen kulturellen Identität.

Es kann nicht angehen, dass ein Privatunternehmen künftig ein Monopol auf diesen essentiellen Teil unserer Kultur hat! Die digitale Verfügungsgewalt muss in öffentlicher Verantwortung bleiben.

Darum fördern wir auch Vorhaben wie die Deutsche und Europäische Digitale Bibliothek, die nicht nach kommerziellen Gesichtspunkten auswählt, was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird oder eben nicht.

Ein weiteres wichtiges Thema auf EU-Ebene sind aus meiner Sicht die Schutzfristen für ausübende Künstler. Ich habe im vergangenen Jahr gemeinsam mit meiner französischen Kollegin Albanel bei der EU dafür plädiert, die Schutzfrist jetzt 50 Jahre deutlich zu verlängern, damit Künstler auch im Alter noch in den Genuss der Früchte ihrer Arbeit kommen. Derzeit zeichnet sich in der EU eine Verlängerung auf 70 Jahre ab.

Ich denke, damit sind wir ein wichtiges Stück weiter gekommen, die Kreativen in unserer Gesellschaft zu stärken. In der nächsten Legislaturperiode muss das Thema Leistungsschutzrecht für Presseverlage auf die Agenda. Sie sind bislang mangels ausreichender Rechte an ihren Presseerzeugnissen in weiten Teilen der Verwertungskette nicht in der Lage, ihre Rechtsposition angemessen zu schützen. Das wollen wir ändern.

Der Arbeitsmarkt für Kreative und Künstler hat besondere Bedingungen. Bislang hat ein wichtiger Bereich der Existenzsicherung von Kulturschaffenden diese Bedingungen nicht berücksichtigt. Film- und Fernsehschaffende haben zwar ihre Beiträge zur Solidargemeinschaft geleistet, sind aber faktisch nicht in der gewesen, die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld I zu erfüllen. Ich erinnere mich gut, dass dieses Problem auch ein zentrales Thema beim Branchenhearing Filmwirtschaft in Potsdam-Babelsberg war. Hier haben wir im vergangenen Monat nach beharrlichen und sehr kontroversen Verhandlungen einen Durchbruch erreicht! Eine verkürzte Anwartschaftszeit verbessert für viele Kulturschaffende den Zugang zum ArbeitslosengeldI. Damit ist der Gesamtkomplex "Soziale der Kulturschaffenden" selbstverständlich nicht abgeschlossen.

Denn: So froh ich über diesen Gesetzentwurf auch bin zumal er hart umkämpft war möchte ich an dieser Stelle folgendes betonen: Verbesserungen beim Arbeitslosengeld sind wichtig, aber wichtiger ist es allemal, dass kulturelle Leistungen auch in finanzieller Hinsicht angemessene Wertschätzung erfahren. Gewerbliche und öffentlich geförderte Kultur sind keine Bereiche, die man gegeneinander ausspielen sollte. Dies erkennt auch die UNESCO "Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen" an, die die Doppelnatur von Kulturgütern als Ware einerseits und als Verkörperung von Werten und Traditionen einer Gesellschaft andererseits festschreibt und damit von den Regeln des GATS-Abkommens ausnimmt.

Die deutsche Filmwirtschaft ist ein gutes Beispiel dafür, wie eng Kultur und Wirtschaft miteinander verzahnt und aufeinander angewiesen sind. Der deutsche Film leistet einen nennenswerten volkswirtschaftlichen Beitrag und er trägt erheblich zur kulturellen Vielfalt bei. Am Aufschwung des Filmproduktionsstandortes Potsdam / Babelsberg kann man sehen, dass diese Investitionen die Wirtschaftskraft der gesamten Region stärken. Sie schaffen Arbeitsplätze nicht nur in Unternehmen der Filmwirtschaft selber sondern auch bei zuliefernden Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben.

Die Filmförderung ist einer der Schwerpunkte meiner Arbeit. Beim Deutschen Filmförderfonds sind meine Hoffnungen bei weitem übertroffen worden. Seit Einführung des DFFF Anfang 2007 konnten in Deutschland Investitionen in Höhe von 812Millionen Euro getätigt werden.

Das bedeutet: Die jährlich eingesetzten 60Millionen Euro Fördermittel des Bundes generieren weit über das Sechsfache an Folgeinvestitionen. Die drei überwiegend in Deutschland produzierten Wettbewerbsteilnehmer "Das weiße Band","Inglorious Basterds" und "Antichrist" bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes wären ohne den DFFF nicht möglich gewesen. Wir haben das Erfolgsmodell DFFF um weitere drei Jahre bis 2012 verlängern können.

Neben der Filmwirtschaft gehört die Musikwirtschaft zu den kulturwirtschaftlichen Arbeitsschwerpunkten meines Hauses. Unsere Initiative Musik, die Nationale Initiative Printmedien und auch der Deutsche Computerspielpreis sind weitere Beispiele dafür, wie die Kulturpolitik gezielte Anreize geben kann, die sich auch wirtschaftlich positiv auswirken.

Auch in anderen, wenn man so will, wirtschaftsferneren Förderbereichen lassen sich solche positiven Effekte nachweisen. Nehmen wir als Beispiel die Klassik Stiftung Weimar, die mein Haus mit mehr als 10Millionen Euro jährlich fördert. In Thüringen schätzt man, dass sich die direkten und indirekten wirtschaftlichen Effekte der Einrichtungen dieser Stiftung auf über 130Millionen Euro summieren.

Wirtschaft braucht zunehmend Kultur, weil sie mittlerweile ein harter Standortfaktor geworden ist. Kultur ist längst kein reiner Zuschussbetrieb mehr. Im Gegenteil: Kultur schafft Werte, aber auch Arbeitsplätze. Ich lade Sie ganz herzlich ein, sich auch in Zukunft aktiv an unserer Initiative zu beteiligen. Wir brauchen Sie weiterhin: Bei der Formulierung von Maßnahmen und bei deren Umsetzung und Verbesserung.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Konferenz und möglichst viele kreative Impulse: Für Ihr Unternehmen und für die Branche insgesamt.