Redner(in): Angela Merkel
Datum: 22.08.2009

Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Erika Steinbach, sehr geehrter Herr Staatssekretär Christoph Bergner, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/08/2009-08-22-merkel-tag-der-heimat,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich sehr, heute gemeinsam mit Ihnen den "Tag der Heimat" zu begehen. Ich möchte natürlich auch zuerst dem ehemaligen Bundesinnenminister, Herrn Otto Schily, ganz herzlich zur Auszeichnung gratulieren. Ich möchte ich glaube, in Ihrer aller Namen ein herzliches Dankeschön an die Vereinigten Thüringer Chöre sagen, die uns eben mit diesen wunderbaren, anrührenden Liedern erfreut haben. Gerade das letzte gehört zu meinen Lieblingsliedern. Herzlichen Dank.

Der "Tag der Heimat", den wir heute begehen, ist beinahe so alt wie das Grundgesetz und die Bundesrepublik Deutschland, nämlich 60Jahre. Ihre Präsidentin Erika Steinbach hat ja schon darauf hingewiesen, dass das Jahr 2009 wahrhaft ein Jubiläumsjahr in vielerlei Hinsicht ist. Dazu gehört der 60. Geburtstag der Bundesrepublik und des Grundgesetzes. Und dazu gehört dann später im Jahr, am 9. November, der wunderbare Jahrestag des Falls der Mauer, der immerhin auch schon 20Jahre zurückliegt, was darauf hindeutet, dass wir in Ost und West fast schon ein Drittel der Wegstrecke dieser Bundesrepublik Deutschland gemeinsam zurückgelegt haben.

Natürlich ist ein solches Jubiläumsjahr ganz besonders dazu geeignet, uns den wichtigen Beitrag zu vergegenwärtigen, den Sie, die Vertriebenen, für unser Land geleistet haben. Der Anfang davon war in der Rede der Präsidentin auch schon die Rede war alles andere als leicht. Die Vertriebenen und Flüchtlinge mussten den Verlust der Heimat verkraften und sich zugleich ein neues Leben in fremder Umgebung aufbauen. Wir wissen, Heimat ist nicht nur der Ort, an dem man lebt, Heimat ist auch ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Menschen, zu einer Region, zu einer Kultur, zu einer Landschaft. Heimat hat viel mit der eigenen Kindheit zu tun. Heimat schafft Identität.

Wie schwierig muss es da gewesen sein, in ein fremdes, zerstörtes, zerrissenes und in vielen Teilen hungerndes Land zu kommen? Die Ankunft der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen veränderte das Gesicht der Regionen und Städte. In Schleswig-Holstein bestand 1950 ein Drittel der Bevölkerung aus Vertriebenen, in Niedersachsen ein Viertel und in Mecklenburg-Vorpommern sogar über 40Prozent. Das steigerte natürlich nicht gerade die Eingliederungsbereitschaft der Bevölkerung. Viele von Ihnen berichten aus den Anfangsjahren von Ausgrenzung und Diskriminierung.

In der sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR hatten die Vertriebenen noch mit weiteren Problemen zu kämpfen."Umsiedler" nannte man sie beschönigend; ansonsten schwieg man. Die Kinder wurden angewiesen, nicht über die Vertreibung zu sprechen, und der SED-Staat nannte die Vertreibung sogar absurderweise "Friedensmaßnahme". Nach 1989, als sich dann die Landesverbände in den neuen Ländern gründen konnten, konnten viele erstmals frei und offen über ihr Schicksal sprechen. Insofern ist der 20. Jahrestag des Mauerfalls gerade auch für Sie in den neuen Ländern ein ganz besonderes Jubiläum.

Dass die Integration in die Nachkriegsgesellschaft dennoch gelang, und zwar in beiden Teilen Deutschlands, ist und bleibt vor allem ein Verdienst der Vertriebenen selbst. Dabei hat das verantwortungsvolle Verhalten der Vertriebenenverbände eine wichtige Rolle gespielt. Sie haben die Interessen der Vertriebenen konsequent und selbstbewusst wahrgenommen, ohne sich vom Wunsch nach Rache oder Vergeltung leiten zu lassen. Im Rückblick sieht das einfach aus. In der täglichen Arbeit war das sicherlich manchmal außerordentlich schwierig. Ebenso wichtig war eine kluge Integrationspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden in den Anfangsjahren der Bundesrepublik. Sie hat geholfen, Abneigungen und Vorurteile in ein gemeinsames Zusammenleben überzuführen.

Ich kann Sie nur immer wieder dazu ermutigen, aus dieser Zeit zu berichten, weil uns, also denen, die damals noch nicht geboren waren, heute manches Mal die Vorstellungskraft fehlt, welche Hindernisse zu überwinden waren, etwa bei der Frage, wer wen heiraten oder nicht heiraten sollte oder wer mit wem befreundet sein sollte. Das alles mutet heute an, als sei es ganz lange her. Aber es ist Teil der Geschichte unseres Landes.

Den entscheidenden Schritt haben Sie, die Vertriebenen selbst, gemacht. Sie haben sich auf Ihr neues Zuhause eingelassen und sich der Zukunft zugewandt, auch wenn Sie die Heimat natürlich weiterhin im Herzen getragen haben. Das ist eine bewundernswerte Haltung, die aus meiner Sicht Respekt und Anerkennung verdient.

Für viele Vertriebene hatte die Flucht zudem gravierende soziale Folgen. Bei einer Studie aus dem Jahr 1992 gab fast die Hälfte der Befragten an, durch die Vertreibung einen sozialen Abstieg erlebt zu haben. Viele hatten materiell alles verloren. Sie fingen mit nichts an. Doch die Vertriebenen resignierten trotz all der bitteren Erfahrung nicht. Sie haben angepackt, wo es anzupacken galt. Sie haben sich durch harte Arbeit unermüdlich am Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Landes beteiligt. Und so trugen sie maßgeblich zum Wirtschaftswunder der 50er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland bei.

Diese Aufbauleistung und die Unverzagtheit trotz aller Schwierigkeiten waren eine kaum zu überschätzende historische Leistung, die Sie, die Vertriebenen, erbracht haben. Dafür gebührt Ihnen unser allergrößter Respekt. Dafür gebührt Ihnen unser aller Anerkennung. Diesen Respekt und diese Anerkennung möchte ich Ihnen heute auch im Namen der Bundesregierung überbringen.

Und noch etwas, meine Damen und Herren, finde ich ganz bemerkenswert: Ihre ausgestreckte Hand. Sie haben sich nie zurückgezogen, sondern stets den Dialog gesucht. Sie haben Rache und Gewalt abgeschworen und erkannt: Es ist die europäische Einigung, die den Weg in die Zukunft weist. Das wird schon in der Charta der Heimatvertriebenen von 1950 deutlich. So sind Sie zu Botschaftern der Verständigung in Europa geworden. Das Europa, das wir heute kennen, ist eben auch durch Sie geformt.

Sie haben die weitere Geschichte unseres Landes immer intensiv begleitet oft kritisch, oft betroffen von politischen Entwicklungen, die von Ihnen schmerzhafte Kompromisse und Entscheidungen verlangten. Dennoch haben Sie die Deutsche Einheit und die europäische Einigung unterstützt, auch wenn diese vielerlei völkerrechtlich schwierige Konsequenzen hatten. So erklärte der Bund der Vertriebenen zur EU-Osterweiterung im Jahr 2004 ich zitiere: "Es ist gut, dass diese Völker, die politisch, kulturell und wirtschaftlich zu Europa gehören, jetzt ihren Platz in der erweiterten Europäischen Union finden. Unsere Nachbarvölker sind uns willkommen." Angesichts des Leids der Vertriebenen während und nach dem Krieg ist eine solche Haltung gar nicht hoch genug zu schätzen.

Ich glaube, wer Flucht und Vertreibung nicht erlebt hat das ist heute am Anfang auch im Film deutlich geworden, kann nie ganz verstehen, was das für Sie, die Sie das am eigenen Leib erlebt haben, bedeutet, und zwar nicht nur für die Erlebnisgenerationen, sondern über Generationen hinweg.

Aber wir können wenigstens versuchen, zu begreifen. Wir können zuhören und lernen, wie zum Beispiel im Schlesischen Museum zu Görlitz. Dort hängt eine Tafel mit Schlüsseln große und kleine Schlüssel, rostige und silberne Schlüssel, Schlüssel mit und ohne Anhänger. Die Schlüssel sind Symbole für das geworden, was verloren wurde Materielles und Nichtmaterielles, für eine Hoffnung auf Rückkehr, die viele Flüchtlinge und Vertriebene hatten, als sie ihre Wohnungen und Häuser abschlossen und verließen, die sich aber so nicht erfüllte.

Hinter den wenigen Erinnerungsstücken, die Flucht und Vertreibung überstanden haben, verbergen sich Geschichten mehr als 14Millionen Lebensgeschichten. Es sind die Geschichten der rund 14Millionen Menschen, die am Ende des Krieges und danach Flucht und Vertreibung erlebt haben. Viele Lebensgeschichten handeln von Angst angesichts der näher rückenden Front, von Vergewaltigung, Gewalt und Hunger, von qualvoll langen Wegen bei eisiger Kälte über verwüstetes Land oder die eiskalte Ostsee, zu Fuß oder über das zugefrorene Eis oder auf heillos überfüllten Schiffen; so wie eine junge Frau aus Lyck in Ostpreußen es beschrieb ich zitiere: "Das Eis war brüchig, stellenweise mussten wir uns durch 25Zentimeter tiefes Wasser hindurch schleppen. Bombentrichter zwangen uns zu Umwegen. Aber die Todesangst vertrieb die Frostschauer, die über den Körper jagten."

Andere Berichte erzählen von Trennung und Suche nach Kindern und nahen Angehörigen. Es gibt Schätzungen, dass 1945 fast 300. 000Kinder in Heimen lebten und nicht wussten, wo ihre Eltern waren. Und wieder andere Erzählungen handeln vom Grauen des Todes, vom Sterben naher Angehöriger und Freunde, aber auch unbekannter Menschen. Bis zu zweiMillionen Menschen sind im Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung ums Leben gekommen. Den Überlebenden haben sich schreckliche Bilder eingeprägt. Viele ich will fast sagen: alle tragen sie ein Leben lang mit sich.

Wir können das Leid, die Schmerzen und die Verluste der Vergangenheit nicht ungeschehen machen, so sehr wir uns das auch wünschen würden. Wir können aber etwas anderes. Wir können dafür sorgen, dass nicht neues Leid durch Leugnung, Verdrängung und Nichtachtung geschieht. Die Wahrheit lässt sich auf Dauer nicht leugnen, meine Damen und Herren. Und dass sich die Wahrheit auf Dauer nicht leugnen lässt, das greift auch Ihr diesjähriges Leitwort auf: "Wahrheit und Gerechtigkeit ein starkes Europa!"

Wir werden nie vergessen: Vertreibung und Flucht der Deutschen waren unmittelbare Folge des von Deutschland begonnenen Krieges und der Verbrechen des Nationalsozialismus. Konrad Adenauer nannte diese Zeit in seiner Biografie deshalb auch treffend "Absturz des deutschen Volks ins Bodenlose".

Ja, meine Damen und Herren, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Es gibt keine Umdeutung der Geschichte mit uns. So können wir hinzufügen: Zu einem Gedenken nach den Maßstäben von Wahrheit und Klarheit gehört auch die Erinnerung an das Leid und das Unrecht der Vertreibung. Denn darum geht es. Wir erinnern uns nicht, um alte Wunden aufzureißen. Wir erinnern, damit die Ereignisse von Flucht und Vertreibung des 20. Jahrhunderts Mahnung für alle für die Zukunft sind. Wir erinnern, um Wahrhaftigkeit und echter Versöhnung mit unseren Nachbarn eine Lebensfähigkeit zu geben. Wahrhaftige Erinnerung, um daraus zu lernen und Gegenwart und Zukunft in Versöhnung zu gestalten das ist unsere Aufgabe heute.

Deshalb ist es wichtig, dass wir die Zeitzeugen befragen und ihnen zeigen, dass wir uns für ihre Lebensgeschichte interessieren. Die Kinder und Enkel der Vertriebenen, aber auch viele andere, stellen heute Fragen. Sie fragen: Wie war das Leben in Schlesien, Pommern oder Ostpreußen, in Siebenbürgen oder in den Sudetengebieten vor und während des Zweiten Weltkrieges? Wo sind die Wurzeln der Familie, was kann man davon heute noch erfahren?

Als Bundesregierung wollen wir dem breiten Bedürfnis nach Erinnerung als Mahnung für die Zukunft Rechnung tragen, und zwar mit der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Als ich 2005 am "Tag der Heimat" zu Ihnen sprach, habe ich Ihnen meine Unterstützung zur Errichtung eines Zentrums der Aufarbeitung und der Dokumentation zugesagt. Mittlerweile ist es uns gelungen, alle Voraussetzungen für ein solches Vorhaben als zentrales Gedenkvorhaben der Bundesregierung zu schaffen. Wir haben die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" in der Trägerschaft des Deutschen Historischen Museums errichtet.

Ich darf ergänzen: Auch wenn der Bund der Vertriebenen einen Sitz im Stiftungsbeirat für seine Präsidentin Erika Steinbach unbesetzt freihält, so kann das über eines nicht hinwegtäuschen, und zwar darüber, dass eine lange, oft kontroverse und manchmal auch unselige Diskussion die Gründung der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" nicht hat verhindern können, sondern sie am Ende ermöglicht hat. Darüber freue ich mich sehr. Ich sehe, dass Sie das auch tun. Das kann uns auch niemand mehr nehmen. Das ist jetzt beschlossen. Sie, liebe Erika Steinbach, haben dazu über Jahre hinweg einen besonders maßgeblichen Beitrag geleistet. Es ist vor allen Dingen auch Ihr Erfolg und der Erfolg Ihrer Weggefährten, die sich seit Jahren für dieses Projekt eingesetzt haben. Dafür gebührt Ihnen ein herzliches Dankeschön.

Die Stiftung soll die Geschichte von Flucht und Vertreibung als Teil unserer deutschen Geschichte historisch angemessen darstellen eingebettet in den Kontext der europäischen Geschichte. Und sie soll das wichtige Thema der Integration der Vertriebenen behandeln. Damit will sie zur Aufarbeitung und eben auch wieder zur Versöhnung beitragen. Dabei geht es nicht nur um die Erinnerung der Vertriebenen. Die Geschichte von Flucht und Vertreibung geht uns alle an. Sie ist Teil unserer nationalen Identität und unserer gemeinsamen Erinnerungskultur.

Bei manchen in unseren Nachbarstaaten wurde das Vorhaben angesichts vieler schmerzvoller Erinnerungen nicht ohne Sorge und Beunruhigung aufgenommen. Ich sage: Wir werden weiter sensibel sein und argumentieren. Wir werden weiter deutlich machen, warum unsere Initiative richtig ist, warum Deutschland ein Erinnerungszentrum braucht ein Erinnerungszentrum, das an das Leid der Vertriebenen erinnert, das sich der deutschen Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus in vollem Umfang bewusst ist und das die europäische Dimension von Flucht und Vertreibung in den Blick nimmt.

Nun geht es darum, die Stiftung mit Leben zu erfüllen. Mit der Konstituierung des Stiftungsrates hat die aktive Arbeit der Stiftung begonnen. Wir wollen allen Facetten von Flucht und Vertreibung gerecht werden. Das erfordert eine anspruchsvolle Ausstellungskonzeption. Sicherlich werden die Diskussionen darüber nicht aufhören; und das ist auch gut. Die Vorarbeiten für die notwendigen Baumaßnahmen am "Deutschlandhaus" hier in Berlin sind bereits im Gange. Unser Ziel ist es nun, die Dokumentations- und Gedenkstätte zügig zu realisieren. Das wird die Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein. Daran werden wir hart arbeiten.

Meine Damen und Herren, Sie alle kennen den oft gesagten Satz: Wer keine Herkunft hat, hat auch keine Zukunft. Dieser Satz hat von seiner Gültigkeit nichts verloren. In diesem Sinne muss es auch unsere Aufgabe sein, das Gedenken an die jahrhundertealte deutsche Kultur und Siedlungsgeschichte im östlichen Europa wach zu halten. Bund und Länder erhalten gemeinsam mit den Vertriebenen das Kulturgut der Vertreibungsgebiete. Zugleich fördern sie die Pflege, die wissenschaftliche Aufarbeitung und die Weiterentwicklung der deutschen Kultur im östlichen Europa.

Nach einer langen Serie von Kürzungen war die deutliche Erhöhung des Fördervolumens seit 2005 durch unseren Kulturstaatsminister Neumann ein ganz wichtiges Signal. Allein 2009 beträgt die Bundesförderung hierfür fast 18Millionen Euro. In sieben Landes- und Spezialmuseen werden große Regionen und Siedlungsgebiete dargestellt von Ostpreußen bis Siebenbürgen. Wir fördern wissenschaftliche Institute, die sich der Erforschung von Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa widmen.

Einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt des deutschen Kulturerbes leisten wir auch durch die Förderung der Denkmalpflege. So konnten wir zum Beispiel im Juni 2008 schnelle Hilfe leisten, nachdem im siebenbürgischen Bistritz der frisch renovierte Kirchturm der evangelischen Stadtpfarrkirche in Flammen aufging. Im heute polnischen Marienburg, also im früheren Westpreußen, fördern wir die Restaurierung des mittelalterlichen Jerusalem-Hospitals. Die Initiative für solche Vorhaben kommt oft aus den Landsmannschaften. Dafür sei allen, die viel Zeit, Kraft und Geld investieren, ein ganz herzliches Dankeschön gesagt. Ohne Ihre private Initiative ginge das überhaupt nicht. Herzlichen Dank.

Besonders wichtig sind aus meiner Sicht auch die Projekte, die Menschen über Grenzen hinweg zusammenbringen Projekte für Studenten, Filmvorhaben, Seminare zum Beispiel zur deutschen und tschechischen Literatur. Deutsche Kultur in Osteuropa ist an vielen Orten durch Deutsche lebendig, die dort leben. Diese deutschen Minderheiten sind ein Schatz, den es zu pflegen gilt. Ich danke Ihnen allen, die die Kontakte zu ihnen halten. Der Versöhnungs- und Verständigungsgedanke leitet heute unsere Unterstützung für die deutschen Minderheiten in anderen Ländern. Auch sie mussten nach dem Krieg viel Leid erfahren, wenn sie sich dazu bekannt haben, Deutsche zu sein. Heute sind sie wichtige Mittler und Bewahrer deutscher Kultur und Sprache in Ost- und Südosteuropa und zugleich natürlich auch diejenigen, die eine Brücke zu denen bilden, die unter Vertreibung gelitten haben, aber auch zu uns allen.

Unser Engagement gilt auch den Spätaussiedlern. Wer zu uns kommen möchte, soll auch weiterhin die Möglichkeit dazu haben, sofern die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Wir halten fest an der Vermutung des allgemeinen Kriegsfolgenschicksals der Deutschen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Für die Menschen, die zu uns kommen, ist es wichtig, dass ihre Integration gelingt. Wir alle wissen um diese Aufgabe. Man muss sich noch einmal vergegenwärtigen: Allein seit 1988 sind rund dreiMillionen Spätaussiedler zu uns in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. Die überwiegende Mehrzahl ist gut integriert.

Mit den Fördermaßnahmen des Bundes versuchen wir, Grundlagen für das konfliktfreie Einleben zu legen. Deshalb haben wir das Stundenvolumen der ergänzenden Integrationsförderung für Spätaussiedler verdoppelt. Nun werden auch mitreisende Familienangehörige darin einbezogen. Der BdV und seine Landsmannschaften leisten bei der Integration der Aussiedler seit langem eine wichtige Arbeit. Dafür sei Ihnen allen ganz herzlich gedankt. Ohne Sie würden wir das nicht so gut schaffen. Das muss ich ganz eindeutig sagen.

In diesem Zusammenhang will ich hier über die noch nicht gelungene Integration Einzelner nicht sprechen. Damit müssen wir uns natürlich befassen. Wir tun das auch im Rahmen unseres Integrationsplans. Aber ich möchte ein Thema ansprechen, das wir schnell lösen müssen, bei dem ich eigentlich dachte, dass wir schon weiter wären, nämlich die Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise und Bildungsabschlüsse von denen, die zu uns kommen. Wir haben uns zwischen Bund und Ländern auf dem Qualifizierungsgipfel im Oktober 2008 darauf verständigt, die Anerkennungspraxis zu verändern. Aber ich hätte mir gewünscht, dass das in dieser Legislaturperiode noch richtige Formen annimmt. Es bleibt eine der ersten Aufgaben für die nächste.

Meine Damen und Herren, das 20. Jahrhundert ist als ein Jahrhundert der Kriege und der Flüchtlinge bezeichnet worden. Die Vertreibungen am Ende des Zweiten Weltkriegs waren ein Ausdruck, aber nicht der Schlusspunkt einer Politik, die die Umsiedlung und Vertreibung von Menschen als ein Mittel der Politik verstand. Heute wissen wir, welche Schrecken Vertreibungen auslösen. Wir wissen, welchen Verlust es für einen Menschen bedeuten kann, seiner Heimat beraubt zu werden. In manchen kriegerischen Konflikten sind leider auch heute noch gewaltsame und gezielte Vertreibungen tägliche Realität. Dies ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Dies darf niemals Mittel der Politik sein. Es ist vielmehr unsere gemeinsame Aufgabe, ja unsere Verpflichtung, uns weltweit dafür einzusetzen, dass Menschen- und Minderheitsrechte, Toleranz und Vielfalt geschützt werden.

Die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs haben zu der Einsicht geführt: Nur in einem geeinten Europa ist dauerhafter Frieden möglich. Deshalb haben die Heimatvertriebenen die europäische Dimension von Anfang an zu ihrem Selbstverständnis gemacht. Heute leben fast 500Millionen Menschen in Frieden und Freiheit gemeinsam in der Europäischen Union. Das ist ein großartiger Erfolg. Wenn wir die Dimension dieses Erfolgs und den Wert dieses Erfolgs wirklich verstehen wollen, dann müssen wir uns immer wieder bewusst werden, was und wie es früher war. Wir dürfen nicht vergessen, was wir auf dem Weg der Versöhnung und Freundschaft heute schon erreicht haben. Mit unseren osteuropäischen Nachbarn verbindet uns weit mehr als ein gemeinsamer Markt. Uns verbindet zuallererst ein freiheitliches und friedliches Europa.

Meine Damen und Herren, als ich in dieser Woche an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn in Sopron war, habe ich gesehen, was Ungarn zum Beispiel dafür geleistet hat, dass diejenigen, die aus der ehemaligen DDR fliehen wollten, das konnten. Und wenn ich an das Geheimtreffen von Bundeskanzler Helmut Kohl mit dem damaligen Ministerpräsidenten Németh auf Schloss Gymnich denke, als dieser auf die Frage von Helmut Kohl "Was wollen Sie als Gegenleistung dafür, dass Sie Anfang September den Zaun aufmachen?" geantwortet hat "Wir nehmen kein Geld für Menschen", dann kann ich nur sagen: Das ist eine europäische Dimension, die wir uns für dieses friedliche Europa wünschen.

So ist es eben heute. Uns verbinden sehr viele Dinge geschichtlicher und anderer Natur und vor allen Dingen menschliche Beziehungen. Viele dieser menschlichen Beziehungen haben Sie hier, die Sie in diesem Saal sind, geknüpft und gepflegt. Aus diesem Wissen heraus können wir unsere Zukunft zuversichtlich und vertrauensvoll, gemeinsam und in Frieden gestalten. Der Bund der Vertriebenen ist bei all dem ein wichtiger und unermüdlicher Bewahrer von Erinnerung. Er ist als Wegbereiter zur dauerhaften Versöhnung auf die Zukunft ausgerichtet.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen, dass es uns auch in Zukunft gelingt, ebenso aufrichtig wie umsichtig miteinander umzugehen. Genau das zeichnet ein modernes weltoffenes und einiges Europa aus. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit.