Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 27.08.2009

Untertitel: In seiner Redeanlässlich der 6. Zeitgeschichtlichen Sommernacht der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur am 27. August in Berlin würdigte Kulturstaatsminister Bernd Neumann die Arbeit der Bundesstiftung. Gleichzeitigunterstrich er die Bedeutung von Mut und Zivilcourage jedes Einzelnen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_914560/Content/DE/Rede/2009/08/2009-08-27-neumann-stiftung-aufarbeitung,layoutVariant=Druckansicht.html


das Jahr 1989 hat nicht nur Berlin und Deutschland, sondern die ganze Welt verändert. Vor rund einer Woche, am 19. August, hat die Bundeskanzlerin in Sopron an die Öffnung des eisernen Vorhangs in Ungarn erinnert, die, wie sie es formulierte,"dem Freiheitswillen von Deutschen aus der ehemaligen DDR so etwas wie verliehen hat".

Es waren genau diese Flügel, auf denen "in Deutschland die Realität die Phantasie überholte", wie es im Untertitel des von Professor Henke im Deutschen Taschenbuch Verlag herausgegebenen Bandes heißt, der heute bei dieser Zeitgeschichtlichen Sommernacht vorgestellt wird. Namhafte Autoren tragen zur differenzierten Betrachtung der Friedliche Revolution und des Einheitsprozesses bei.

Es ist besonders wichtig, immer wieder ob in Buchform oder in anderen Medien daran zu erinnern, dass es nicht nur politische Entscheidungen und Entwicklungen waren, die den Fall der Mauer im Herbst 1989 herbeigeführt haben, sondern auch die Zivilcourage und der Mut so vieler Einzelner in Deutschland und Europa. Da waren die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler in der DDR, die nicht selten unter Gefahr für Leib und Leben für grundsätzliche Veränderungen in Staat und Gesellschaft eintraten. Da waren andererseits aber auch die vielen Hunderttausend, die von Rostock bis Plauen und ganz besonders natürlich in Leipzig aufgestanden sind. Ohne die Friedliche Revolution und deren Vorgeschichte ich denke nur an die mutigen Männer der Danziger Werft hätte es auf absehbare Zeit keinen Weg zur Deutschen Einheit gegeben. Untrennbar verbunden mit dem Prozess der Wiedervereinigung war natürlich auch die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl, der mit Weitsicht und Augenmaß innen- wie außenpolitisch die Weichen richtig gestellt hatte.

Die Friedliche Revolution, die einzige dauerhaft gelungene Revolution in der deutschen Geschichte, ist der beste Beweis dafür, dass auch ein System von Willkür, Repression und Bevormundung die Menschen auf Dauer nicht brechen kann! Damit junge Menschen diese große Leistung des Widerstands in der DDR auch in Zukunft einschätzen können, muss deutlich und unmissverständlich vermittelt werden, dass die DDR kein demokratischer Staat war, sondern eine Diktatur, die ihren Bürgern die fundamentalen Rechte wie Reisefreiheit, Meinungs- , Versammlungs- und Pressefreiheit vorenthielt, die keine unabhängige Justiz kannte und in der niemand eine Handhabe gegen die übermächtige staatliche Bevormundung hatte. Angesichts der Tendenzen, die SED-Diktatur schönzureden und zu verharmlosen, habe ich fest vor, die Anstrengungen zu Aufarbeitung noch wesentlich zu verstärken.

Besondere Sorge müssen die erschreckenden Ergebnisse der Studie von Professor Schröder von der FU Berlin bereiten, der zufolge heute sehr viele junge Menschen die DDR und die Bundesrepublik Deutschland in einen Topf werfen, die jeweiligen Politiker verwechseln, geschweige denn Unterscheidungen treffen können. Eine solche Entwicklung ist problematisch und kann im Hinblick auf die Festigkeit der Demokratie gefährlich werden. Wer die Vorzüge einer freiheitlichen Gesellschaft nicht zu benennen weiß, der ist eine leichte Beute für ideologische Rattenfänger jeglicher Couleur! Mehr Aufklärung tut Not. Mit der Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts, das mehrheitlich vom Bundestag begrüßt wurde, stärken wir zahlreiche Einrichtungen in ganz Deutschland, die meist an authentischen Orten an die SED-Diktatur erinnern ( Hinweis auf Hohenschönhausen und Cottbus ) . Deshalb habe ich den Etat für die Gedenkstättenförderung massiv angehoben, nämlich um 50 Prozentauf 35 Millionen Euro.

Dabei ist mir wichtig: Die Erinnerung an die Deutsche Teilung ist keine Angelegenheit nur der neuen Länder oder gar nur Berlins! Zwar ist Berlin das Symbol der Teilung, doch die Grenze war 1.400 Kilometer lang. Darum fördern wir Einrichtungen im ganzen Land, die an die Brutalität der Grenze und das Unrecht des SED-Staates erinnern. Erst am vergangenen Samstag wurde im Grenzlandmuseum Eichsfeld in Thüringen Richtfest gefeiert. Neukonzeption und Bau wurden von meinem Haus mit 1Million Euro gefördert. Andere Gedenkstätten wie die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn, Marienfelde, die Stiftung Berliner Mauer sowie die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam haben wir neu in die institutionelle Förderung aufgenommen.

Gedenken und Aufklären sind zentrale Aufgaben und zwar über das aktuelle Jubiläumsjahr 2009 hinaus. In diesem Jahr tragen jedoch bundesweit viele Institutionen, Vereinigungen und Persönlichkeiten engagiert dazu bei, die Friedliche Revolution in ihrer ganzen Tragweite in Erinnerung zu rufen. Allein aus meinem Bereich nenne ich nur das Haus der Geschichte mit seinem Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig. Am 7. Mai haben wir zudem die Ausstellung der Robert-Havemann-Gesellschaft auf dem Alexanderplatz mit einem Auftritt von Wolf Biermann eröffnet, der für mich immer noch eine der stärksten und unmittelbarsten Stimmen des Widerstands gegen die kommunistische Diktatur ist. Und die Stiftung Deutsche Kinemathek zeigt bis zum 9. November, dem Jahrestag des Mauerfalls, bekannte und unbekannte Filme und Fotos, die eindrücklich die Stimmung von damals wiedergeben.

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen maßgeblichen Beitrag geleistet, dass sich das Gedenken an die Ereignisse vor 20 Jahren nicht nur auf Berlin, Leipzig oder Dresden beschränkt. Seit 2007 hat Sie darauf hingearbeitet, dass möglichst viele große und kleine Kommunen und Einrichtungen im Westen wie im Osten Deutschlands ihren Beitrag zum Erinnerungsjahr leisten können. Und diese Bemühungen haben reiche Früchte getragen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo eine Ausstellung eröffnet, ein Film gezeigt, ein Buch vorgestellt oder eine Konferenz ausgerichtet wird, die von der Stiftung Aufarbeitung angeregt oder gefördert wurden. Die 20 Plakate umfassende kleine Ausstellung der Stiftung, die die Geschichte der Friedlichen Revolution und der deutschen Einheit erzählt, kann nachgerade als "Bestseller" bezeichnet werden! Sie wird nicht nur deutschlandweit in mehr als 500 Kommunen gezeigt, sondern auch international in mehr als zehn Sprachfassungen an über 250 Orten in fast 100 Ländern. Wer sie noch nicht gesehen hat, hat heute hier vor Ort die Gelegenheit.

Wir feiern in diesem Jahr die glücklichsten Momente unserer jüngeren deutschen Geschichte. Es war der Bundesregierung in diesem Jubiläumsjahr jedoch wichtig, nicht nur an 20 Jahre Mauerfall und auch an 60 Jahre Grundgesetz zu erinnern. Denn diese positiven Ereignisse sind untrennbar mit den dunklen Seiten der Vergangenheit verknüpft. Der Überfall auf Polen am 1. September 1939 also vor fast genau 70 Jahren markiert eine tiefe Zäsur in der Geschichte Europas. Es war der Beginn des schonungslosen Vernichtungskriegs, mit dem das nationalsozialistische Deutschland unaussprechliches Leid über ganz Europa gebracht hat. Wir dürfen nie vergessen: Ohne ihn wären Deutschland und Europa so nicht geteilt worden. Das meinem Haus zugeordnete Deutsche Historische Museum hat in einer bemerkenswerten Ausstellung den 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen aufgearbeitet.

Erst wenn man das Jahr 1989 in der Geschichte des 20. Jahrhunderts verortet, wird der Stellenwert der Friedlichen Revolution in der DDR für die deutsche Geschichte deutlich: 1989 schuf die Voraussetzung für die deutsche Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit, für das Leben in einer gefestigten Demokratie, in Wohlstand und im guten Einvernehmen mit unseren Nachbarn. So wurde 1990 vollendet, was vor 90 Jahren mit der Weimarer Demokratie angestrebt wurde und bald darauf mit so tragischen Folgen scheiterte. Deshalb sollte sich das Jahr 1989 als Freiheitsjahr der deutschen und europäischen Geschichte fest im öffentlichen Bewusstsein verankern.