Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 13.09.2000

Anrede: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/67/18467/multi.htm


Redaktionell bearbeitete Fassung!

Herr Gysi, in einem Punkt haben Sie Recht. Wir werden am Ende der Legislaturperiode nicht nur sagen können: Wir haben diese Gesellschaft sozial gerechter gemacht, sondern auch: Wir haben sie ökonomisch vernünftiger organisiert. Wir werden sagen können: Es ist uns gelungen, Modernität in unserer Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Es ist keineswegs so, dass wir sagen können: Wir haben alles erreicht, was wir uns vorgenommen haben, aber allemal so, dass wir sagen können: Wir haben viel erreicht und es hat sich gelohnt, die vier Jahre gearbeitet zu haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesfinanzminister, auf dessen Arbeit ich stolz bin - ich benutze dieses Wort ausdrücklich - , hat einen Haushalt vorgelegt, der in diesem Sinne Solidität auf der einen Seite und Zukunftsorientierung auf der anderen Seite miteinander verbindet. Die unter anderem in diesem Haushalt zum Ausdruck kommende Politik ist eine geglückte Verbindung zwischen wirtschaftlicher Vernunft und politischer Veränderungswilligkeit und -bereitschaft.

Es ist noch nicht so lange her, da hatte Politik in Deutschland international das Attribut "German disease", die "deutsche Krankheit". Es war das Markenzeichen der Vorgängerregierung. Meine Damen und Herren, damit werden Sie sich wohl abfinden müssen; denn exakt dieser Begriff ist in der internationalen Publizistik verwendet worden, als Sie regiert haben, niemand anders. Sie werden sich also damit auseinander zu setzen haben. Es war das Attribut für Ihre Regierungszeit: "Deutsche Krankheit" hat es geheißen. Dieser Begriff der "deutschen Krankheit", der "German disease", ist nicht nur aus der nationalen, sondern auch aus der internationalen Öffentlichkeit verschwunden. Deutschland ist - das ist ein Erfolg dieser Regierung - wirtschaftlich und politisch wieder vorn. Ich werde Ihnen das gleich anhand einiger Daten erklären.

Meine Damen und Herren, dies darf niemand gefährden; denn das wäre verhängnisvoll für unser Land und für die Menschen in unserem Land. Verantwortliche Politik hat vielmehr den Trend, den wir Gott sei Dank haben, zu verstärken. Also: Organisierte Verantwortungslosigkeit, wie sie in Ihren Kampagnen zum Ausdruck kommt, darf ihn nicht bremsen. Ihre kurzsichtigen und kurzatmigen Kampagnen beinhalten die Gefahr, dass wirtschaftliches Wachstum und damit Verstärkung von Beschäftigung wieder ausbleiben. Sie werden dann dafür verantwortlich gemacht; damit müssen Sie rechnen.

Wenn ich heute in einer großen Berliner Boulevard-Zeitung etwas über regelrechte Aufmarschpläne für Blockaden von Versorgungseinrichtungen lese, dann ist es ein Ergebnis Ihrer Aufforderung zu organisierter Verantwortungslosigkeit. Sie sollten zumindest darüber nachdenken. Im Übrigen zeigt das nur, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, dass Sie das Thema benutzen, um aus der selbst verschuldeten politischen Defensive, in der Sie stecken, herauszukommen. Ich will auf die Einzelheiten nicht eingehen. Aber klar ist, dass das der Versuch ist. Schlimm ist, dass es Ihnen bei diesem Versuch, aus der selbstverschuldeten Defensive herauszukommen, gleichgültig ist, wie sich wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung entwickeln.

Das, meine Damen und Herren, ist die Gleichsetzung von Parteiinteressen mit Interessen des Staates und das zeigt eindeutig, dass Sie auf absehbare Zeit nicht in der Lage sind, gesamtwirtschaftliche und gesamtstaatliche Verantwortung zu übernehmen. Demgegenüber ist es an der Zeit, die Lage so zu beschreiben, wie sie wirklich ist; das ist auch Aufgabe dieser Debatte. Wir haben, meine sehr verehrten Damen und Herren, im ersten Halbjahr dieses Jahres ein reales Wachstum von 3,3 Prozent gehabt. Wir können damit rechnen, dass wir, wenn bewusst herbeigeführte Störungen nicht eintreten, in diesem Jahr ein reales Wachstum von 3 Prozent - manche halten sogar mehr für möglich - erreichen werden. Dies wird unmittelbar positive Auswirkungen auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit haben und hat es bereits jetzt. Deshalb meine Bitte an alle, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, ob sie in den Medien, in der Wirtschaft oder in der Politik tätig sind: Lasst das gefährliche Spiel mit dieser Kampagne, denn es könnte dazu führen, dass die Wachstumserwartungen und damit die Beschäftigungschancen, die wir Gott sei Dank haben, zumindest gefährdet werden. Für dieses Zündeln werden Sie die volle Verantwortung übernehmen müssen, weil wir Sie aus der Verantwortung nicht herauslassen. Was Sie dort betreiben, ist der Aufruf zur Nötigung, und dies wird der Staat nicht hinnehmen, damit das völlig klar ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben - das trägt erheblich zum wirtschaftlichen Wachstum und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei - ein Exportwachstum, das in diesem Jahr zweistellig sein wird. Das freut mich und andere sollte es auch freuen; denn bedauerlicherweise sind wir immer noch sehr stark von den Exportquoten abhängig. Immer noch brauchen wir ungeachtet der sich bessernden Binnenkonjunktur den Schub aus dem Export, wenn wir Wachstum und Aufbau von Beschäftigung politisch wirklich wollen. In diesem Zusammenhang, Herr Gerhardt, zu Ihnen oder, besser gesagt, zu Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich ökonomisch betätigt haben, um Ihnen aufzuhelfen. Ich lese Ihnen einmal etwas vor, was jemand geschrieben hat, der sich sein ganzes Leben lang sehr erfolgreich mit diesen Fragen beschäftigte und dazu keine Mitarbeiter brauchte, nämlich Helmut Schmidt.

Helmut Schmidt schrieb in der "Zeit" vom letzten Donnerstag:

Sind 2,20 DM etwa eine Katastrophe für uns oder für den Euro und Wim Duisenberg, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank? Waren denn 3,45 DM eine noch größere Katastrophe für die Deutsche Mark oder für Kohl und den damaligen Bundesbankchef Pöhl? Waren denn 1,38 DM eine Katastrophe für Clinton und den Dollar?

Dann kommt eine Mahnung, die Sie sich wenigstens anhören sollten:

Freunde, hört auf mit dem Gejammer! Den Herren Koch, Rüttgers und Genossen, leider auch Frau Merkel -

Das steht hier. Ich zitiere Helmut Schmidt, den auch Sie sonst doch immer ganz gern zitieren.

Ich zitiere weiter:

Freunde, hört auf mit dem Gejammer!

Ich unterstreiche das dreimal: Hört wirklich auf!

Den Herren Koch, Rüttgers und Genossen, leider auch Frau Merkel, ist zu empfehlen, das Auf und Ab der Kurve zu studieren, ehe sie sich das nächste Mal als Währungssachverständige aufspielen.

Das ist ein Rat meines verehrten Vorvorgängers, den ich Ihnen dringend anempfehle, nicht zuletzt demjenigen, der sicher nach mir reden wird und zu dem Thema sicher auch das eine oder andere beizutragen hat, ein Rat, den ich, Herr Gerhardt, auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur kritischen Durchsicht anempfehle.

Ich sage es noch einmal: Wir brauchen diese Exporte, weil sie in sinnvoller Weise die sich langsam festigende Binnenkonjunktur ergänzen und weil alles zusammen die Chance enthält, die wir ergreifen werden und müssen, über das wirtschaftliche Wachstum zu einem nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit zu kommen.

Übrigens: Hochinteressant waren natürlich die Bemerkungen von Herrn Glos, und zwar nicht nur wegen seiner Sprachgewalt, die mir wirklich Freude macht - das muss ich einfach mal einräumen das Ganze, verehrter Michael Glos, hatte ja phasenweise weniger den Anschein einer Parlamentsrede, als einer Büttenrede. Sie scheinen übersehen zu haben, dass wir noch vor dem 11. November dieses Jahres sind. Danach ist noch mehr möglich. Sie sind gewiss noch steigerungsfähig. Aber Spaß macht es jedenfalls, Ihnen zuzuhören. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Sie haben aber über eine angeblich galoppierende Inflation geredet. Im August lag die Inflationsrate bei 1,8 Prozent und war damit niedriger als überall in Europa. Von einem richtigen Galopp kann man bei diesen Daten wohl kaum reden. Die Wahrheit ist: Wir haben in diesem Jahr ein wirtschaftliches Wachstum von 3 Prozent zu erwarten. Wir haben einen Abbau der Arbeitslosigkeit, speziell der Jugendarbeitslosigkeit - ich komme noch darauf - , und dies bei einer Inflationsrate von unter 2 Prozent. Das sind - wenn Sie es auch nicht wahr haben wollen - brillante gesamtwirtschaftliche Daten, die Sie in Ihrer Regierungszeit nie erreicht haben. So einfach ist das.

Es ist daher kein Wunder, dass angesichts dieser Lage die Europäische Zentralbank - wahrhaft keine Versammlung von Sozialdemokraten - sagt: Seit 20 Jahren - ich betone: seit 20 Jahren - war die konjunkturelle Situation in Deutschland nicht so gut wie heute. - Beschäftigen Sie sich bitte mit den Fakten, mit den wirklichen Entwicklungslinien der Politik in Deutschland, mit dem, was uns mittel- und langfristig helfen wird, und lassen Sie diese kurzatmigen Kampagnen, die Ihnen vielleicht einen kurzfristigen Entsatz bei Ihren Schwierigkeiten bringen können, mittel- und langfristig fallen Sie aber nur weiter in die politische Defensive. Mir soll es recht sein. Worin liegen die Ursachen für diese Daten und worin liegt der Erfolg, der in ihnen steckt? Er liegt - das kann man nicht oft genug unterstreichen - nicht zuletzt an einer Konsolidierungspolitik, für die der Name Hans Eichel steht.

Auf dem Weg, den er mit unser aller Unterstützung beschrieben hat, stehen wir erst am Anfang. Wir werden ihn konsequent weiter beschreiten. Ich wiederhole sein Ziel: im Jahre 2006 zu einem möglichst ausgeglichenen Haushalt, also zu einem Haushalt ohne Neuverschuldung zu kommen. Das ist ein Ziel, das unse rem Staat, unserer Gesellschaft sowie den Menschen in unserem Land nutzen wird und das Hans Eichel mit aller Konsequenz und mit der Unterstützung des gesamten Kabinetts weiter verfolgen wird. Und natürlich mit Unterstützung der Koalitionsfraktionen.

Warum? Wir machen damit klar, dass solide Finanzen dem Prinzip der Nachhaltigkeit folgen und auch folgen müssen. Nachhaltigkeit heißt hier, dass wir während unseres Lebensabschnitts nicht das aufessen, wovon unsere Kinder und Enkelkinder auch leben wollen und müssen. Die solide eichelsche Finanzpolitik ist nicht zuletzt ein Gebot der Fairness gegenüber künftigen Generationen. Deshalb machen wir mit dem Schuldenabbau Ernst. Deshalb setzen wir entgegen lautstarken Forderungen von der rechten Seite des Hauses die Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen für den Abbau von Schulden ein, nicht, weil es keine Aufgaben gäbe, Herr Gysi, die wir auch gerne sofort anpacken und finanzieren würden, nicht, weil wir nicht wüssten, dass einige der Forderungen, die Sie gestellt haben, durchaus nachvollziehbar sind, und nicht, weil wir diese Aufgaben nicht auch gerne erfüllen würden - das ist doch nicht der Punkt - , sondern deshalb, weil wir uns zwischen der Möglichkeit, mit dem Geld aus der Versteigerung uns, der jetzt lebenden und aktiven Generation, zu helfen, und der Möglichkeit, dieses Geld im Sinne der Nachhaltigkeit für künftige Generationen einzusetzen, entscheiden müssen und weil wir wissen, dass wir das Geld nur einmal ausgeben können und dass wir es im Interesse unserer Kinder und Enkelkinder in den Schuldenabbau stecken müssen, wenn wir unserer Verantwortung ihnen gegenüber gerecht werden wollen. Das ist der wirkliche Grund.

Deshalb werden schon in diesem Jahr die Schulden substanziell abgebaut, übrigens das erste Mal seit 30 Jahren. Im nächsten Jahr wird der Schuldenstand unter dem Maastricht - Kriterium, nämlich bei 58 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, liegen. Das ist früher als geplant der Fall. Das ist - abgestimmt in Europa - auch vernünftig so.

Ein weiterer Punkt ist die Steuerpolitik, für die gleichfalls der Name Eichel steht, die ein wirklich ausgewogenes Verhältnis zwischen Nachfrageorientierung auf der einen Seite und Angebotsorientierung auf der anderen Seite herstellt. Bis zum Jahre 2005 - das ist hier schon erwähnt worden; aber man kann es gar nicht oft genug sagen - werden den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen dieses Landes durch die eichelsche Steuerreform insgesamt 95 Milliarden DM zurückgegeben.

Ein solches Steuerentlastungsprogramm hat es in der Geschichte Deutschlands noch nie gegeben. Deshalb ist es wichtig, dass daran festgehalten wird. Es ist auch wichtig, dass wir mit einer Steuerpolitik Schluss gemacht haben, die in Jahresraten vonstatten ging. Jene jährlichen Steuergesetze, die Sie gemacht haben, hatten nicht zuletzt unsoziale Wirkungen. Aber das war nicht alles! Nein, sie haben auch die Planbarkeit des politischen und damit auch des - soweit das möglich ist - ökonomischen Prozesses sowie die Planbarkeit von Investitionen aufs Höchste gefährdet. Die Ergebnisse dieser Politik haben Sie ja gesehen. Sie haben nicht zuletzt zu Ihrer Abwahl geführt. Dass wir jetzt bis zum Jahr 2005 eine verlässliche und damit planbare Situation auch für die Wirtschaftssubjekte geschaffen haben, ist der eigentliche, über den Tag hinausgehende Vorteil, der sich mit der eichelschen Steuerreform verbindet.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen. Niemand in diesem Hohen Hause - das können Sie der einen wie der an deren Seite abnehmen; ich nehme es Ihnen ja auch ab - ist nicht von der Entwicklung der Energiepreise betroffen. Es gibt niemanden, der nicht wüsste, dass durch die hohen Benzinpreise und insbesondere durch die hohen Heizölpreise gerade Menschen belastet werden, die es nun wahrlich nicht dicke haben. Aber das kann man doch nicht durch eine hektisch betriebene Steuerpolitik verändern. Das kann man doch nur verändern, indem man bei einer gesamtwirtschaftlich vernünftigen Steuerpolitik bleibt und dann, wenn es notwendig und möglich ist versucht, das Übrige mit sozialen Korrekturen abzufangen. Das ist der einzige vernünftige Weg, meine Damen und Herren.

Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen - das betrifft die Nachfrageseite der Steuerpolitik - , dass wir im Jahr 2001 vor allem in den unteren Bereichen ein Entlastungsvolumen von 45 Milliarden DM an das Volk zurückgeben. 45 Milliarden DM sind doch kein Pappenstiel! Das ist kaufkräftige Nachfrage. Das wird der Binnenkonjunktur helfen.

Wenn ich das sage, so will ich die bedrückenden Energiepreise gar nicht bagatellisieren. Wahr ist doch auch, dass wir in den letzten 18 Monaten eine Verdreifachung der Rohöl preise hatten. Wenn Sie die Mehrwertsteuer mitrechnen, haben wir durch die Mineralölsteuer eine Erhöhung von 14 Pfennig politisch verursacht.

Sie wissen außerdem, dass das Geld, das dadurch hereinkommt, direkt in die Rentenkasse geht. Versuchen Sie doch nicht immer, den Leuten etwas anderes zu sagen. Das Geld geht direkt in die Rentenkasse und dient der Reduzierung von Beiträgen, die sowohl die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch die Unternehmen aufzubringen haben. In diesem Hause hat es eine ellenlange Debatte gegeben. Es hat sich - unbestritten von allen, die sich damit beschäftigt haben - gezeigt, dass es notwendig ist, die Lohnnebenkosten zu senken. Zu den Lohnnebenkosten, die wir im Interesse der aktiv Schaffenden senken wollen, gehören die Rentenbeiträge. Jetzt machen wir das, und Sie kritisieren es vordergründig. Das ist doch keine redliche Politik, meine Damen und Herren, die Sie betreiben.

Mir kommt es darauf an, dass deutlich wird, dass die Ökosteuer, die alle bezahlen, den aktiven Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute kommt, weil dadurch ihre Beiträge, die ihnen vom Lohn abgezogen werden, reduziert werden. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Her ren. Dann würden Sie Ihre Polemik schon aufgeben. Die Reduzierung der Lohnnebenkosten verbessert im Übrigen die ökonomische Position und damit die Wettbewerbsposition unserer Unternehmen. Es ist doch sehr vernünftig, dass wir das angehen. Meine Damen und Herren, Ihre Kritik, die ich ja nachvollziehen kann, weil ich den Ärger, den Sie nutzen wollen, nachvollziehen kann, ist kurzfristig vielleicht von einem gewissen Erfolg geprägt. Mittel- und langfristig werden Sie damit aber kräftig hereinfallen. Davon bin ich überzeugt.

Im Grunde spekulieren Sie nämlich auf die wirtschaftliche Unvernunft. Sie werden se hen, dass die in Deutschland nicht so entwickelt ist, wie Sie es gerne hätten. Da können Sie sicher sein.

Bei der Angebotsseite möchte ich noch einmal klarstellen: Wir haben die Unternehmen entlastet und werden sie weiter entlasten. Diese Entlastung ist in Höhe von 25 Milliarden DM vor allen Dingen eine Entlastung des Mittelstandes.

Sie wollen dem Volk eines der größten Märchen weismachen. Man glaubt es Ihnen aber nicht. Das sehen Sie an den Kompetenzzuweisungen. Es ist eines der größten Märchen, dass davon vor allem die großen Konzerne profitieren. Durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage auf der einen Seite und die Einrech nung der Gewerbeertragsteuer auf der anderen Seite haben wir insbesondere den Mittelstand entlastet. Ihre Rechnungen mit den 25 Prozent Körperschaftsteuersatz plus - das verschweigen Sie immer - 13 oder mehr Prozent Gewerbeertragsteuer beziehen sich auf eine Definitivbesteuerung, während es auf der anderen Seite eine Einkommensbesteuerung mit dem höchsten Grenzsteuersatz ist.

Es muss doch auch in Ihren Kopf einmal hineingehen, dass wir mit der Abschaffung der Gewerbesteuer ein uraltes Ziel realisiert haben, dass Sie, jedenfalls gelegentlich, durchaus vor sich hergetragen haben.

Die von uns eingeleitete Politik, die wir unbeirrt fortsetzen, hat dazu geführt, dass sich auf dem Arbeitsmarkt endlich Bewegung zeigt. Wir befinden uns bereits jetzt in einer Situation, in der wir, verglichen mit dem Höchststand 1997, eine Arbeitslosenziffer haben, die um 800 000 bis 900 000 unter derjenigen liegt - darunter! - , die Ihnen politisch zuzurechnen ist, soweit das überhaupt möglich ist. Ich habe noch die Häme im Ohr, die Sie im letzten Jahr bei der Debatte über den Bundes Haushalt 2000 ausgiebig ausgeschüttet haben. Ich weiß noch, wie Sie gesagt haben: Sie wollten doch an der Reduzierung der Arbeitslosigkeit gemessen werden.

Ja, das ist so, gar keine Frage: Wir wollen an der Reduzierung der Arbeitslosigkeit gemessen werden. Ich sage Ihnen: Wir werden es bis zum Ende der Legislaturperiode schaffen, unter die 3, 5-Millionen-Grenze zu kommen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir eine Million Arbeitslose weniger, als Sie zu verantworten hatten. Ist das etwa nichts?

Ich kann ja verstehen, dass Sie mit Ihren Kampagnen ein bisschen dagegen arbeiten wollen. Aber ich sage noch einmal: Verwechseln Sie nicht ständig Ihre Parteiinteressen mit den Interessen der Gesamtgesellschaft. Glauben Sie nicht, dass wir Sie damit durchkommen lassen!

Im Übrigen ist hier - zu Recht - über die Erfolge im Osten geredet worden. Dort haben wir, jedenfalls im gewerblichen Bereich, zum ersten Mal zweistellige Wachstumsraten. Wir haben im Osten Exportzuwächse von bis zu 30 Prozent, zwar auf niedrigem Niveau, das gebe ich zu, aber immerhin. Das ist doch etwas. Darüber sollte man sich freuen, Herr Gerhardt, und diese Freude sollte man auch zeigen.

Auch wenn es auf die Politik einer anderen Partei, einer anderen Regierung, einer anderen Koalition zurückzuführen ist, muss man doch in der Lage sein, sich über das, was unserem Volk nutzt, einmal schlicht zu freuen, anstatt immer miesepetrig dazusitzen.

Wir haben im gewerblichen Bereich im Osten Wachstumszahlen, die denen im Westen überlegen sind. Gott sei Dank ist das so; denn es ist noch viel aufzuholen, gar keine Frage. Wir haben im Osten ein spezielles Problem: die Situation in der Bauwirtschaft, insbesondere im Bauhauptgewerbe. Diejenigen, die sich etwas mit ökonomischen Fragen beschäftigen, wissen, dass das mit in der Vergangenheit geschaffenen Überkapazitäten zu tun hat, die übrigens - ich will das doch gar nicht kritisieren - auch etwas mit einer im Ergebnis zweifelhaften Förderungspolitik zu tun hatten. Das steht außer Zweifel. Ich will gar nicht sagen, dass man das alles am Anfang so genau hätte wissen können; aber wir müssen korrigieren. Was daraus folgt, ist doch klar: Wir werden auch nach dem Jahr 2004 Solidarität zwischen West und Ost politisch organisieren müssen.

Natürlich kann man Investitionen und Investitionshilfen intelligenter einsetzen. Das geschieht bereits, etwa mit dem Inno-Regio-Programm. Aber natürlich besteht auch in der Infrastruktur gewaltiger Nachholbedarf, dem Rechnung getragen werden muss. Aus diesem Grund sage ich, dass der Solidarpakt II auch nach 2004 fortgesetzt werden muss. Meine Bitte an Sie in diesem Fall lautet, den ernsthaften Versuch zu unternehmen, auch Ihre Freunde in den Landesregierungen von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die entweder unfähig oder unwillig zur Solidarität sind, davon zu überzeugen, dass das, was wir vorhaben, gesamtstaatlich notwendig ist. Das liegt doch auch in Ihrer Verantwortung.

Wenn ich Ihnen das so sagen darf: Bei diesem Vorhaben, verehrter Herr Merz, können Sie sich wirklich einmal als Stratege erweisen. Bei dem anderen Vorhaben ist das ja, wie wir wissen, im wahrsten Sinne des Wortes, in die Hose gegangen.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass in diesen für unser Volk so wichtigen Bereichen Fortschritt wirklich erkennbar und messbar ist. Im Übrigen hat sich, was mich freut, auch die Stimmung in diesen Bereichen im Osten wie im Westen geändert. Das hat natürlich auch mit den Erfolgen zu tun, die wir für die jungen Leute erreicht haben. Wir haben, nicht zuletzt als Ergebnis der Beratungen im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, in zwischen im Westen einen so gut wie ausgeglichenen Ausbildungsmarkt: An gebot und Nachfrage sind ausgeglichen. In einigen Ländern, denen es wirtschaftlich besonders gut geht - darüber freue ich mich - , zum Beispiel in Bayern und Baden-Württemberg, können wir sogar eine Entwicklung hin zu einer Angebotsverknappung verzeichnen. Das freut uns. Im Osten haben wir dagegen nach wie vor ein Problem. Das hat nicht unbedingt mit der Unwilligkeit der Betriebsinhaber zu tun, auszubilden - das gibt es auch, da muss nachgearbeitet werden - , sondern vor allen Dingen damit, dass es dort nicht genug Betriebe gibt. Im Vergleich mit den Strukturen in den alten Ländern liegt die Anzahl der Betriebe bei nur etwa zwei Drittel. Da müssen wir ansetzen. Da setzen wir auch an.

Bis hier ein Gleichgewicht hergestellt worden ist, kann man nicht hergehen, wie Sie es bisweilen getan haben, und dieses JUMP-Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit diffamieren, sondern man muss es unterstützen. Hierbei handelt es sich um sinnvoll ausgegebenes Geld. Ich denke, dass sich die Bilanz sehen lassen kann. Was sind die nächsten Projekte, mit denen wir es zu tun haben? Die Notwendigkeit, Reformen und Veränderungen in unserem Land durchzuführen, besteht nämlich nach wie vor. In einem Moment, wo sich die Ökonomie so dramatisch schnell verändert, kann das politisch-soziale System diesen Veränderungen nicht einfach standhalten wollen. Das "Weiter so!" ist keine Perspektive für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Was packen wir also im nächsten halben Jahr an? Hier wurde schon viel über Rente geredet. Ich will jetzt keine Spezialdebatte führen, sondern nur sagen, worum es uns politisch gehen muss.

Es gibt im Moment von zwei Seiten Druck auf das bestehende Renten system. Erstens werden die Menschen - Gott sei Dank - älter, beziehen also natürlich auch länger Rente. Zweitens besteht Druck des wegen - da liegt unser Problem - , weil das wachsende Bruttoinlandsprodukt in Deutschland von immer weniger Vollerwerbstätigen erwirtschaftet wird. Das heißt, die Arbeitsbiografien ändern sich. Da liegt unser Problem. Das ist der Grund, warum wir - ich denke, da sind wir uns einig - sagen: Es geht nicht um die Abschaffung des bewährten Umlagesystems - darum geht es überhaupt nicht - , sondern um seine sinnvolle Ergänzung. Das heißt, wir müssen eine zweite Säule aufbauen, um die Alterssicherung zu gewährleisten. An dieser zweiten Säule wird gebaut, und zwar im Wege der Kapitaldeckung.

Um diese Frage, den Aufbau einer zweiten Säule, dreht sich die ganze Auseinandersetzung. Im Kern geht es darum, die Renten für die älteren Menschen so sicher wie möglich zu machen, sie aber für die jüngeren bezahlbar zu halten. Um diesen Kern geht es, über die Details kann man streiten.

Nun wissen wir, dass es Menschen gibt, die diese Säule aus eigener Kraft nicht mit errichten können. Denen helfen wir: durch ein Zulagensystem für Ge ringverdienende und ein steuerliches Präferenzmodell für diejenigen, deren Einkommen höher, aber noch unterhalb der Bemessungsgrenze liegt. Dafür mobilisieren wir bis zum Jahre 2008 19,6 Milliarden DM. Dieses Angebot habe ich Ihnen unterbreitet, leider sind Sie darauf noch nicht eingegangen. Es ist vernünftig, wenn jemand kommt - wir haben ja darüber geredet, Herr Seehofer - und sagt: Dann nehmt diese 19,6 Milliarden DM und setzt sie familienorientiert ein. Aber das muss uns doch keiner sagen, das tun wir aus eigenem Antrieb! Das ist völlig klar.

Jetzt zur Kritik an der Haltung der Gewerkschaften. Sie müssten sich doch freuen, wenn möglichst viele Gruppen in dieser Gesellschaft bereit sind, ihre Skepsis und Einwände zurückzustellen, um das große Ziel erreichen zu helfen! Ich freue mich über die Gesprächsbereitschaft der Gewerkschaften. Sie sollten nicht sauer darüber sein. Konsens in diesem Sinne hilft doch, Reformen durchzusetzen, und ist eben nicht, wie Sie immer unterstellen, das Gegenteil dessen. Ich komme jetzt zu Ihnen. Sie sagen, wir bräuchten Beitragsbemessungsgrenzen, die Sie definieren wollen. Aber die Beiträge zur Rentenversicherung sind in Ihrer Regierungszeit explosionsartig gestiegen. Wir konnten sie - Sie erinnern sich sicher noch - beim letzten Mal nur unter 22 Prozent halten, weil wir miteinander die Mehrwertsteuer erhöht haben, anders war das gar nicht drin. Jetzt liegen sie unter 20 Prozent. Wenn wir es wirklich schaffen, sie bis 2020 da zu halten, dann sollten Sie, meine Damen und Herren von der F. D. P. , dem zu stimmen.

Denn es geht doch nicht, dass Sie hergehen und sagen: Dass die Einnahmen aus der Ökosteuer zur Entlastung der Rentenkasse dienen, will ich nicht. Das aber würde sich negativ auf die Einnahmeseite auswirken. Gleichzeitig sagen Sie: Der Bundeszuschuss ist viel zu hoch; das will ich auch nicht. Darüber hinaus sagen Sie - jedenfalls habe ich nichts anderes gehört - : Bei den Ausgaben wollen wir nicht kürzen. Und schließlich: Die Beiträge sollen aber stabil bleiben, möglichst sogar sinken.

Das ist doch eine Politik, die versucht, den Kreis zu quadrieren! Aber das schaffen selbst Sie nicht, Herr Gerhardt, auch dann nicht, wenn Ihnen Herr Westerwelle oder gar Ihr Kanzlerkandidat Möllemann dabei assistieren. Das werden Sie nicht packen, was immer dann auf Sie zukommt.

Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, welche Kraftanstrengung das bedeutet, was wir vorhaben. Denn das Reformfenster ist in dieser Frage bis zum Ende der Legislaturperiode offen. Wenn wir das jetzt nicht schaffen - aber wir werden es schaffen, dann wird es ganz schwierig mit dem Aufbau einer kapitalgedeckten Zusatzversorgung.

Noch ein Märchen muss man endlich beenden, nämlich das Märchen vom Rentenniveau, das angeblich sinkt. Wenn wir sagen, die zukünftigen Ren ten werden nicht aus einer Quelle, sondern aus zwei Quellen gespeist, dann muss man doch bei der Ermittlung dessen, was man Rentenniveau nennt, also was die Rentner in die Kasse bekommen, das Ergebnis beider Quellen nennen, sowohl das Ergebnis der Umlagefinanzierung als auch das Ergebnis der neuen Säule, die wir aufbauen.

Ich komme jetzt zu Ihnen, Herr Gysi. Wissen Sie, was Sie im Grunde vor schlagen, wenn Sie - im Einklang mit wem auch immer - vor einem so genannten Systembruch warnen? Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dass diese zweite Säule im Grunde aus privater Vorsorge für die Bedürftigeren besteht, der wir politisch aufhelfen. Aber die private Vorsorge ist noch nie paritätisch finanziert worden. Deshalb: Den Systembruch wollen im Grunde Sie und nicht diejenigen, die Sie dessen bezichtigen. So einfach ist die Situation in diesem Bereich. Da könnt ihr ruhig ein bisschen mehr klatschen, das ist nämlich richtig, was ich gesagt habe, damit das klar ist.

Das zweite große Vorhaben, das wir im nächsten halben Jahr anpacken müssen, ist, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der notwendigen Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und der ebenso notwendigen Sicherheit für die Menschen, die Arbeit haben und haben wollen, herzustellen.

Wir brauchen die Möglichkeit, in einem bestimmten Zeitraum, etwa 24 Monate, wie jetzt, auch Zeitverträge abzuschließen. Diese Möglichkeit brauchen wir aus beschäftigungspolitischen Gründen. Davor kann sich keiner drücken. Wir wer den das auch gewährleisten.

Meine Damen und Herren, man kann heute ohne weitere Gründe - das soll auch so bleiben - , hergehen und Verträge über sechs Monate, wieder sechs Monate, wieder sechs Monate und dann weitere sechs Monate schließen. Es kann auch so bleiben, dass man dazwischen einen Zeitarbeitsvertrag mit einer sachlichen Begründung schiebt. Es darf aber nicht sein, dass dann das Spielchen mit den sechs Monaten wieder losgeht. An diesem Punkt bitte ich Sie, einmal zu überlegen, was das für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet.

Deswegen werden wir das Gesetz so fassen, dass die Flexibilität in den 24 Monaten gewährleistet bleibt, aber der Missbrauch in Form solcher Kettenarbeitsverträge nicht möglich ist.

Das kann man durchaus als ausgewogenes Verhältnis zwischen der notwendigen Flexibilität auf den Arbeitsmärkten und einem Stück verdammt noch mal verdienter Sicherheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen.

Über den Solidarpakt und dessen Notwendigkeit sowie über die Rente und die Beschäftigungsförderung habe ich schon geredet. Diese zentralen Aufgaben werden wir anzupacken haben. Bei der Rente sind Sie nach wie vor aufgefordert, mitzuarbeiten und mitzuhelfen, dass diese Entscheidung in einem gesellschaftlichen Konsens - das ist für mich kein Schimpfwort, sollte es auch für Sie nicht sein - getroffen werden kann.

Noch einmal zu Ihnen, Herr Gerhardt, was das Thema Zuwanderung angeht. Ich weiß nicht, was Sie dagegen haben, gute Fachleute ins Land zu holen. Ich weiß auch nicht, was man dagegen haben kann zu sagen: Macht doch einmal einen Vorschlag, wie man das, was wir hoffentlich alle wollen, verbinden kann, auf der einen Seite eine Einwanderung, die für uns wirtschaftlich durchaus interessant sein darf, und auf der anderen Seite - etwas, was zu uns gehört, was zur Offenheit und Toleranz, der deutschen Gesellschaft gehört, und im Ausland auch als solches wahrgenommen wird - das Recht für politisch Verfolgte, nach Deutschland zu kommen.

Ich hoffe, dass Sie mithelfen werden, ein vernünftiges Zusammenspiel zu finden. Ich bin davon überzeugt, dass das möglich sein wird.

Wenn Frau Süssmuth mit ihrer Kommission dafür sorgt, dass diese Debatte, die ja schon Landtagswahlkämpfe entschieden und für sehr viel böses Blut gesorgt hat, etwas sachlicher geführt werden kann, als dies in der Vergangenheit der Fall war, dann kann man das nur begrüßen. Ich freue mich über die Bereitschaft von Frau Süssmuth, in dieser Kommission mitzuarbeiten. Das ist doch nur vernünftig.

Zum Rechtsradikalismus ist das Notwendige schon gesagt worden. Ich hoffe, das Gesagte eint uns. Ich hoffe aber auch, dass es Auswirkungen auf den Gebrauch der Sprache bei denen hat, die man wirklich nicht in dieselbe Ecke stellen sollte. Ich hoffe also, dass demokratische Politiker nie mehr von "durchrassten Gesellschaften" reden. Das hat der damalige bayerische Innenminister und heutige Ministerpräsident getan. Man muss schon sagen: Wenn man diese Entwicklung nicht will, dann muss man sich entsprechend verhalten. Wir und - ich nehme zur Kenntnis - auch Sie wollen das.

Im Übrigen, Herr Glos, ich hatte nichts dagegen, dass der bayerische Innenminister Beckstein gesagt hat: Lasst uns ein solches Verbot prüfen! - Aber Sie haben ja über Verfassungsschutz und über Verfassungsschutzämter geredet. Von denen wird im Moment das vorhandene Material zusammengetragen. Sagen Sie Ihrem Kollegen Beckstein einen schönen Gruß und richten Sie ihm aus, dass er liefern muss. Er wird sich ja wohl nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, sein Verfassungsschutzamt würde nicht ganz so intensiv arbeiten. Ich will ja nicht, dass ihm Vorwürfe von Ihnen gemacht werden, die er gar nicht verdient. Meine Damen und Herren, es reicht jedenfalls nicht aus, nur Forderungen aufzustellen. Im Übrigen ist es bei diesem Thema sehr ruhig geworden. Herr Koch hat sich sehr skeptisch geäußert. Ich frage mich: Warum eigentlich? Es gibt sehr unterschiedliche Motive, die man - wie auch deren Ursprung - noch herausarbeiten muss. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Wenn wir nur die Spur einer Chance haben, jene Strukturen zu zerschlagen, die den gewaltbereiten Rechtsradikalismus offen fördern oder ihn zumindest decken, dann werden wir das tun.

Wir werden dies übrigens nicht nur um unseres Ansehens im Ausland willen - auch das - , sondern auch um unserer eigenen Selbstachtung willen tun. Es ist doch sehr viel wichtiger, dass wir es aus diesem Grunde tun. Niemand von uns hier in diesem Hohen Hause macht sich die Illusion - ich kann die skeptischen Stimmen aus der Publizistik beruhigen; ich kann sie aufgrund ihres ernsten Hintergrundes nachvollziehen; ich will dies gar nicht bestreiten, auch wenn sie von Ihnen aus der Opposition kommen - , das Stellen eines Verbotsantrages oder das ausgesprochene Verbot seien das Ende dieses Treibens. Worauf wir alle achten müssen, ist, dass das, was sich in der Zivilgesellschaft, in unserer Gesellschaft gegen den Rechtsradikalismus mobilisiert, kein Ereignis des Sommerlochs bleibt, sondern dass dies zu einem dauerhaften Widerstand gegen jede Form des Rechtsradikalismus wird.

Es ist gefragt worden, was wir in Bezug auf Europa tun werden. Wir wer den in Nizza, nachdem wir auf dem Gipfel in Berlin die finanzielle Vorausschau bis zum Jahre 2006 in einer verdammt schwierigen Operation hinbekommen haben, das fertig stellen müssen, was man die "leftovers" von Amsterdam nennt, das also, was vom Gipfel in Amsterdam übrig geblieben ist. Dies sind keine leichten Brocken; sonst wären sie ja nicht übrig geblieben. Es sind viel mehr verdammt schwierige Brocken. Wir müssen das hinbekommen, und zwar deshalb, weil die anstehenden Reformen, das Abarbeiten der drei Punkte Größe der Kommission, Stimmengewichtung und die Frage des Verhältnisses zwischen Mehrheits- und Einstimmigkeitsprinzip, institutionelle Voraussetzungen für die anstehende Erweiterung sind. Deswegen müssen wir diese Reformen packen.

Hinzu kommen muss nach unserer festen Überzeugung, möglichst im Rahmen des Vertrages - dafür wollen wir kämpfen - die Möglichkeit zu schaffen, dass diejenigen, die schneller vorgehen wollen, die mehr Integration wollen und können, dies auch dürfen, ohne dass dadurch der Klub geschlossen wird. Das muss klar sein. Ich denke, dass zwischen den Parteien dieses Hauses - abge sehen vielleicht von der einen oder anderen Ausnahme - auch in dieser Frage keine prinzipielle Auseinandersetzung nötig sein müsste und eigentlich auch nicht sein dürfte.

Das führt mich zu folgendem Punkt: Der Vorwurf, den ich neulich in einem Interview von Herrn Stoiber im "Spiegel" gelesen habe, ich hätte in Bezug auf die Beitrittsländer Daten genannt, ist ziemlich merkwürdig. Wer ist es denn, der hier ständig sagt "Bis dann oder dann müsst ihr aufnehmen!" ? Das bin doch nicht ich. Ich bin doch von Ihnen aus der F. D. P. und aus der Mitte der CDU - nicht aus der CSU; die sind etwas vorsichtiger, was diesen Punkt angeht - kritisiert worden, weil ich nicht gesagt habe: Zu diesem oder jenem Datum werdet ihr aufgenommen. Denn ich habe mich daran gehalten, was die 15 in Helsinki beschlossen haben. Das ist die Marschrichtung; die ist auch vernünftig. Sie heißt nämlich: Das Europa der 15 will bis Ende des Jahres 2002 dafür sorgen, dass es materiell und institutionell für neue Mitglieder aufnahmefähig ist. - Das ist unsere Verantwortung. Die müssen wir in den kommenden Jahren packen; das ist schwer genug.

Logische Folge dessen ist, was wir in Helsinki gemeinsam gesagt haben: Es ist Aufgabe der Beitrittsländer - wir wollen ihnen dabei ökonomisch und politisch helfen - , aufgrund der eigenen Anstrengungen selber zu entscheiden, ob sie zu diesem Zeitpunkt oder zu welchem Zeitpunkt auch immer nicht nur beitrittsbereit, sondern auch beitrittsfähig sind. Denn Beitrittsfähigkeit heißt doch, in der Lage zu sein, das gesamte Acquis der Europäischen Union mit allen wirtschaftlichen Folgen zu übernehmen, die das für diese Länder hat und haben wird. Diese Entscheidung muss in den Beitrittsländern getroffen werden.

Wenn ich sage: "Wir wollen bis zum Ende des Jahres 2002 aufnahmefähig sein", dann meine ich das auch so. Wenn dann die betreffenden Länder beitrittsfähig sind - jedes Land wird nach seinen Verdiensten behandelt werden müssen - , kann eine Aufnahme klappen. Ansonsten werden Konsequenzen daraus zu ziehen sein, dass ihre Anstrengungen noch nicht ausreichen. Ich hoffe aber, dass sie reichen. Wir sollten jetzt keine Debatte über die Fragen "Wer" und "Wann" führen, sondern dies in den Mittelpunkt vernünftiger Europapolitik stellen und vor allen Dingen in dieser Frage zusammen bleiben.

Ich glaube schon, dass es lohnen würde, eine Politik weiterzubetreiben - das ist hier ohne Wenn und Aber festzustellen - , für die auch mein Vorgänger immer gestanden hat, nämlich Deutschland als Anwalt der Erweiterung zu begreifen, und zwar unserer historischen Verpflichtung gegenüber die sen Völkern, aber auch unserer eigenen Interessen wegen. Es ist doch nicht schlimm - und die Menschen verstehen es auch - , wenn man ausspricht: Ja, wir haben ein wirtschaftliches Interesse an diesen Märkten, und weil wir es haben, müssen wir helfen, diese Märkte zu entwickeln. Sie sind in erster Linie unsere Märkte, das ist ganz klar. Das darf man auch sagen, wenn man hinzufügt, dass es neben den schnöden wirtschaftlichen Argumenten auch noch ein paar Argumente mehr für diese Europapolitik gibt. Aber auch die wirtschaftlichen Argumente sollte man nennen dürfen. Unsere Leute, vor allem diejenigen in den Grenzgebieten zum Osten, haben etwas davon.

Die letzte Bemerkung, die ich machen möchte, nehme ich vor dem Hintergrund der Diskussionen der vergangenen Zeit sehr ernst. Wir haben am 3. Oktober - in Dresden, eingeladen vom sächsischen Ministerpräsidenten - zehn Jahre deutsche Einheit zu feiern. Wir wollen das auch. Ich habe nicht gesagt, ich gehe da nicht hin, wenn nicht dieser oder jener redet. Das waren doch wohl andere. Meine Bitte ist, angesichts der internationalen Gäste und der Bedeutung solcher Institutionen und Vorgänge von einer Diskussion darüber, wer wann nicht kommt und wann wer nicht redet, abzulassen. Denn hinter dieser Art des Umgangs mit dem 3. Oktober durch Sie - leider auch durch Sie, Frau Merkel, und andere - steht unausgesprochen die Vorstellung, das, was sich dort vollzogen hat, könne für eine Partei monopolisiert werden. Das kann es indessen nicht.

Die zehn Jahre, um die es dabei geht, haben wir angesichts der Menschen im Osten des Landes, die vor allen Dingen dafür gesorgt haben, dass die Wiedervereinigung möglich geworden ist, respektvoll zu begehen. Wenn ich das sage, hat das nichts damit zu tun, dass ich nicht auch den persönlichen Beitrag von Menschen zu würdigen wüsste, die in dieser Zeit an hervorragender Stelle gearbeitet haben - erst recht nicht den Beitrag von Hans-Dietrich Genscher, aber auch nicht den Beitrag von Helmut Kohl.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.