Redner(in): Angela Merkel
Datum: 03.05.2010
Untertitel: am 3. Mai 2010 in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/05/2010-05-03-bkin-elektromobilit_C3_A4tskongress,layoutVariant=Druckansicht.html
Recht herzlichen Dank, Herr Seibert, für die Einstimmung in die Thematik!
Liebe Kollegen in der Bundesregierung,
liebe Teilnehmer des großen "ovalen" Tischs,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser großen öffentlichen Veranstaltung, die den Startschuss für die Nationale Plattform Elektromobilität gibt!
Danke schön dafür, dass das Thema ein so breites Interesse findet und zwar nicht nur hier im Raum, denn auch bei den Menschen im Lande ist durchaus ein reges Interesse festzustellen.
Herr Seibert hat soeben auf die internationale Wirtschaftskrise hingewiesen. Eine meiner Überzeugungen lautet, dass wir stärker aus dieser Krise herauskommen müssen, als wir hineingegangen sind. Das heißt, dass Krisenzeiten als Chancenzeiten genutzt werden müssen und dass Weichen für neue Technologien gestellt werden müssen. Im Bereich der Elektromobilität haben wir dafür sehr, sehr viel Unterstützung aus dem Bereich der Wirtschaft und der Wissenschaft sowie von allen anderen Beteiligten bekommen.
Deshalb ist es gut, dass wir dieses Thema erst einmal in die Gesamtlage einordnen. Wir müssen uns vor Augen führen, dass anstelle der heute sechs bis sieben Milliarden Menschen in etwa 40 Jahren neun Milliarden Menschen auf der Welt leben werden, die alle danach streben, an den Entwicklungen des Wohlstands teilzuhaben. Das allein wird uns schon aus Ressourcengründen dazu zwingen, in vielen Bereichen neue Wege zu gehen.
Wir erleben die Dynamik in schnell wachsenden Ländern wie China und Indien, wo die individuelle Mobilität genauso eingefordert wird, wie es bei uns seit über 100 Jahren der Fall ist. Es wird kein einziges Argument geben, warum man das nicht durchsetzen sollte. Wir müssen also sehen, dass wir das grundsätzliche Bedürfnis nach Mobilität ressourcenunabhängiger, umweltfreundlicher und nachhaltiger erfüllen.
Hinzu kommen die Aufgaben, die sich aus der Klimaschutzproblematik ergeben. Ich will dazu heute nicht viel sagen, sondern nur die Abwesenheit des Umweltministers damit erklären, dass er sich heute an einem anderen Ort, nämlich in Bonn, mit genau diesem Thema befasst. Wenn wir Mobilität, Umweltfreundlichkeit, Ressourcenschonung und Begrenzung des Klimawandels zusammendenken, tun wir mit Sicherheit etwas Richtiges.
Automobilhersteller überall auf der Welt stellen sich auf diesen Technologiesprung ein. Eine der viel diskutierten Fragen ist: Wo steht Deutschland in diesem Kontext, welche Voraussetzungen haben wir? Das, was wir eben miteinander diskutiert haben, hat uns zumindest deutlich gemacht: Wir müssen nicht in Sack und Asche gehen, sondern haben sehr gute Voraussetzungen. Es gibt sicherlich einzelne Bereiche, in denen Nachholbedarf besteht, aber ich glaube, durch die konzertierte Aktion, die wir jetzt begonnen haben, haben wir alle Voraussetzungen geschaffen, um mit den Entwicklungen weltweit mitzuhalten.
In diesem Zusammenhang wird sich immer wieder die Frage stellen: Wie strukturieren wir das Ganze, wie bringen wir die Dinge richtig voran? Da will ich in dem Land, das das Ursprungsland der Sozialen Marktwirtschaft ist, doch deutlich machen: Mit den marktwirtschaftlichen Kräften als Grundlage ist man eigentlich recht gut gefahren. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass es vernünftige Rahmenbedingungen staatlicherseits gibt. Das entspricht ja auch dem Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft. Und das ist auch nötig, um auf den Wegen und Pfaden, die wir zu gehen haben, vernünftig voranzukommen. Wir müssen auf Wettbewerb setzen und dürfen nicht etwa Marktabschottung betreiben. Wir müssen hier weit über Europa hinaus denken, aber vor allen Dingen in Europa die notwendigen Voraussetzungen schaffen.
Wir haben gleichermaßen zu sehen, dass die Elektromobilität nicht mit einem Mal Raum greifen wird, sondern dass dies ein schrittweiser Übergangsprozess ist. Unser Verkehrsminister hat darauf hingewiesen: Wenn wir unser Ziel erreichen, im Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen zu haben, dann sind das eine Million von heute 45 Millionen Fahrzeugen. Das heißt, es wird einen langen Zeitraum der Koexistenz zwischen Verbrennungsmotor und Elektromobilität geben. Aber wer heute die Elektromobilität nicht intensiv entwickelt und zur Marktreife führt, der wird in wenigen Jahren hintendran sein; und das wäre schade.
Unser gemeinsamer Anspruch so habe ich unsere Sitzung heute verstanden besteht darin, die Automobilbranche für die Zukunft fit zu machen und damit eine führende Stellung weltweit zu haben, wenn es um Elektromobilität und alternative Antriebe geht. Das bedeutet darüber haben wir eben auch intensiv gesprochen, dass 750.000 Beschäftigte, die heute in der Automobilindustrie tätig sind, diese Entwicklung nicht etwa als Bedrohung verstehen müssen, sondern mit uns gemeinsam diesen Weg gehen. Denn die Stärke der deutschen Automobilindustrie war auch immer die Stärke der Mitarbeiter vom Facharbeiter bis zum Ingenieur, die gemeinsam das Automobil aus Deutschland zu einem Spitzenprodukt gemacht haben.
Wir haben natürlich über die verschiedenen Bereiche diskutiert, über die in den Arbeitsgruppen weiter beraten werden wird. Der Kernbereich ist dabei erst einmal die Frage der Speichertechnologien. Hier ist vieles in Gang gekommen. Es ist ja fast etwas tragisch gewesen, dass Deutschland die Lehrstühle für Elektrochemie erst einmal abgeschafft hat, bevor es sie wieder einführen konnte. Jetzt sind wir aber sozusagen belehrt und gelehrter und bilden mit ganz gezielten Schwerpunktuniversitäten ein Netzwerk, in dem das entsprechende Know-how wieder vorhanden ist. Die Elektrochemie von früher ist aber sicherlich nicht die Elektrochemie der Zukunft. Sie muss vielmehr vernetzter sein und in die verschiedenen Bereiche der Chemie und der Physik hinein wirken.
Wir brauchen Standardisierung und Normierung. Wer die Standards bestimmt, hat auch sehr gute Chancen, die Märkte zu erschließen. Insofern ist hier eine ganz enge Zusammenarbeit notwendig, und zwar eine Zusammenarbeit der stromerzeugenden Wirtschaft mit denen, die die Automobile der Zukunft bauen, und denjenigen, die sozusagen die Ladestationen zur Verfügung stellen, das heißt, mit den Kommunen, den Ländern und dem Bund. Deutschland als föderales Land muss aufpassen, dass es mit der Frage, wie wir standardisieren und normieren und wie wir dies dann umsetzen, nicht zu viel Zeit verbringt. Wir können jetzt in großer Vielfalt in Modellregionen arbeiten wir haben acht davon in der Bundesrepublik Deutschland, aber es wird zum geeigneten Zeitpunkt eine gemeinsame Kraftanstrengung notwendig sein, um aus den Erkenntnissen, die man in diesen Modellregionen gewonnen hat, dann auch die richtigen Lehren zu ziehen.
Wir haben mit der französischen Regierung abgemacht, dass wir eine gemeinsame deutsch-französische Modellregion entwickeln. Es stellte sich heute in der Diskussion immer wieder die Frage: Ist Frankreich vorneweg, ist Deutschland gut mit dabei? Das werden in unserem gemeinsamen Modellversuch sehr gut erproben können. Auf jeden Fall ist Deutschland ein Land, das immer vielfältige Wege beschreiten wird. Das werden die vielfältigen Automobilhersteller durchsetzen; und das ist auch im Bereich der Elektrizitätswirtschaft der Fall. Wir müssen unsere Gegebenheiten so kombinieren, dass wir zwar schnell sind, aber trotzdem nicht unsere Stärken zugunsten einer Vereinheitlichung und Uniformierung aufgeben. Das wäre, wie ich glaube, der vollkommen falsche Weg.
Welche Aufgabe sich den Stromerzeugern stellt, sieht man, wenn man bedenkt, dass das Ganze nur dann ein wirklicher Fortschritt im Sinne von mehr Umweltfreundlichkeit ist, wenn die alternativen Antriebstechnologien nicht wieder auf denselben Rohstoffen basieren, die wir eigentlich nicht mehr verwenden wollen. Das heißt, zum Thema Elektromobilität gehört unmittelbar die Tatsache, dass sich die Bundesrepublik vorgenommen hat, das Zeitalter der regenerativen Energien möglichst schnell zu erreichen und auf diesem Weg konsequent voranzuschreiten. Ich glaube, da können wir uns wirklich sehen lassen.
Wir haben auch darüber gesprochen, welche staatlichen Fördermöglichkeiten es gibt. Neben dem Setzen von Standards und einheitlichen Rahmenbedingungen ist das natürlich die Forschungsförderung. Wir haben im Konjunkturpaket als Reaktion der Bundesregierung auf die Wirtschaftskrise 500 Millionen Euro für die Forschung im Elektromobilitätsbereich zur Verfügung gestellt. Da wird es jetzt sehr wichtig sein, dass es die betreffenden Arbeitsgruppen schaffen, die Maßstäbe für die zukünftige Forschungsförderung klar zu definieren. Es ist heute durchaus gesagt worden: Am Anfang hat man noch vieles gefördert, aber es ist wichtig, dass wir unsere Förderung in Zukunft nach dem Prinzip der Exzellenz, nach dem Prinzip der besten Ergebnisse ausrichten.
Wir werden in der gesamten Verkehrspolitik umweltfreundliche Technologien immer weiter herausstellen müssen und Anreize schaffen müssen, sich diesen Technologien zu widmen. Das tun wir bereits durch die Kfz-Steuer, die wir auf eine CO2 -Basis gestellt haben. Es war eine jahrelange Anstrengung notwendig, bis der Bund endlich gesagt hat: Wir nehmen uns die Kfz-Steuer von den Ländern, kompensieren das mit anderen Steuereinnahmen für die Länder und können dann besser in dieser Sache arbeiten. Jetzt haben wir einen CO2 -Ansatz in der Pkw-Besteuerung, den ich für ökologisch sehr vernünftig halte.
Außerdem wird es zukünftig eine Kennzeichnung von Fahrzeugen bezüglich ihrer Umweltfreundlichkeit geben. Auch das ist ein eher längeres Projekt. Die Beratungen zwischen den beteiligten Ressorts haben jetzt zu einem Ergebnis geführt, wahrscheinlich nicht ohne Mitdiskussion der Wirtschaft. Ob dieses Ergebnis einfach genug umzusetzen sein wird, wird sich herausstellen. Jedenfalls können wir erst einmal einen Anfang machen und dann per "learning by doing" auch vorankommen.
Wir müssen zusehen auch das war ein interessanter Abschnitt in unserer Diskussion, dass wir die Beschäftigten zukunftsorientiert qualifizieren. Der klassische Ingenieurmangel, den Deutschland hat, ist sicherlich auch in diesem Bereich spürbar. Die Bundesforschungsministerin konnte aber darauf hinweisen, dass wir mit unserem entschiedenen Werben für technische, ingenieurtechnische und naturwissenschaftliche Berufe jetzt doch Fortschritte sehen. Es ist festzustellen, dass die Zahl der Studenten in diesen Bereichen deutlich gestiegen ist. Das ist aber auch dringend erforderlich, wenn wir in diesen technischen Bereichen vorn dabei sein wollen und in Zukunft Verlagerungen von Forschungs- und Entwicklungskapazitäten wegen Personalmangels nach außerhalb Deutschlands vermeiden wollen.
Die demografische Herausforderung ist in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzen. Wenn man sich einmal die Einschulungs- und die Schulabgängerzahlen anschaut, stellt man fest, dass es in Zukunft einen harten Wettstreit um jeden Kopf geben wird. Insofern ist es richtig, beizeiten zu beginnen und für die Ingenieurwissenschaften zu werben.
Wir brauchen aber auch Berufsbilder für Facharbeiter. Unsere große Stärke ist die duale Berufsausbildung. Zu überlegen, wie Herr Huber hat darauf hingewiesen die Berufe im Kfz-Bereich der Zukunft aussehen und wie wir die Menschen beizeiten darauf einstellen werden, wird auch eine der ganz großen Aufgaben sein. Wenn ich manchmal verfolge, wie neue Berufsbilder im Facharbeiterbereich geschaffen werden, schlussfolgere ich daraus, dass man nicht früh genug beginnen kann, hier die richtigen Maßstäbe zu setzen.
Meine Damen und Herren, es wird darauf ankommen, dass in dem Moment das hat in unserer Diskussion auch eine Rolle gespielt, in dem die Wirtschaft die ersten marktreifen Elektroautos entwickelt hat, diese auch vom Käufer erworben und gefahren werden können. Das heißt, die Fragen der Infrastruktur, die Fragen der Marktreife und alle Fragen der Abrechnungssysteme wie und wo tanke ich dann meinen Strom, wie bekomme ich die Elektronen also in mein Auto? müssen in einem sehr feinen Prozess aufeinander abgestimmt sein. Denn natürlich erfordert Elektromobilität große Investitionen, die, wie auch richtig gesagt wurde, von den Aktionären mitgetragen werden müssen. Da geben die Unternehmen, die heute in diese Bereiche hineingehen und zwar nicht nur auf der Forschungsebene, sondern mit der tatkräftigen Zielsetzung, Massenprodukte zu entwickeln, der Gesellschaft und dem Staat einen Vertrauensvorschuss.
Dieses Vertrauen muss zum Schluss auch eingelöst werden können. Dieses Vertrauen muss nicht nur in Deutschland eingelöst werden können da haben wir schon alle Hände voll zu tun. Vielmehr ist es, da unsere Automobilindustrie stark exportorientiert ist, auch unsere Aufgabe, in den klassischen Exportmärkten erst einmal im europäischen Markt dafür zu sorgen, dass dort entsprechende Rahmenbedingungen vorhanden sind, damit sich die ganze Fertigung hin zur Wirtschaftlichkeit bewegt. Das wird am Anfang gar nicht so einfach sein, aber mit höheren Stückzahlen wird die Marktfähigkeit natürlich zunehmen. Keiner von uns weiß, wie sich die Benzinpreise, die Ölpreise und vieles andere mehr entwickeln. Insofern ist es sehr gut möglich, dass dann nach einer bestimmten Einführungsphase ein sehr steiler Anstieg der Zahl von Elektroautos auftritt. Niemand kann aber sagen, wie schnell die Elektromobilität dann einen größeren Anteil am gesamten Verkehrsbereich einnimmt.
Sie sehen also, hier gibt es wirklich eine partnerschaftliche Verantwortung der Politik, die die Rahmenbedingungen setzt, und der privaten Wirtschaftsakteure. Diese partnerschaftliche Verantwortung für eine Zukunftstechnologie ist der eigentliche Kern, der sich in der Nationalen Plattform Elektromobilität ausdrückt. Dabei wird auch die Bundesregierung eine zentrale Verantwortung übernehmen. Ich habe deutlich gemacht, dass wir nach Vorlage der ersten Berichte der Arbeitsgruppen auch darüber sprechen, wann aber spätestens in einem Jahr wir uns wiedersehen und dann ganz realistisch beurteilen müssen: Wo sind wir vorangekommen, wo sind wir nicht vorangekommen? Wer im internationalen Rahmen exzellent sein will, der muss eine klare Analyse vornehmen: Wo stehen wir, wo haben wir unsere Schwachstellen und wo sind unsere Stärken? Das ist nicht damit zu verwechseln, dass man sich schlechtredet, sondern die Voraussetzung dafür, dass man besser wird.
Ich habe zu danken. Allein für die Vorbereitung des heutigen Tages haben sich viele sehr engagiert. Es ist immer ein guter Zustand, wenn mehr Leute an einen Tisch wollen, als eingeladen wurden. Deshalb hoffe ich, dass das so bleibt und dass diejenigen, die diesmal nicht dabei sein konnten, nicht verzagt sind und nicht sagen, dass sie da nicht mehr mitmachen. Denn wir brauchen viele gute Ideen.
Ich möchte denen danken, die in Zukunft Verantwortung übernehmen. Das ist einmal Herr Kagermann, der bei der Nationalen Plattform für Elektromobilität sozusagen die Steuerung übernimmt. Herr Kagermann ist ja qua seiner Berufstätigkeit und beruflichen Erfahrung jemand, der weiß, was es bedeutet, in völlig neue Felder vorzustoßen, der aber auch weiß, wie schnell Märkte wieder verloren gehen können. Das sind hochdynamische Bereiche. Die Welt schläft nicht. Deshalb muss hier konzertiert gehandelt werden.
Ich bedanke mich bei Herrn Wissmann und Herrn Huber dafür, dass sie die Kontakte in die Wirtschaft und in den Bereich der Beschäftigten übernehmen, denn wir brauchen hierbei eine enge Verzahnung.
Ich finde, die Elektromobilität ist ein ungeheuer spannendes Gebiet. Wäre ich nicht Politikerin geworden, könnte ich mir vorstellen, mich auf diesem Gebiet im fachlichen Bereich meiner früheren Berufstätigkeit zu engagieren. Ich glaube, wir können die Faszination der Mobilität der Zukunft in die Köpfe der Menschen in Deutschland tragen, weil wir sehr stolz darauf sein können, das Auto des 20. Jahrhunderts sehr stark mitbestimmt zu haben. Daraus sollte der Ehrgeiz, aber auch die Zuversicht erwachsen, dass wir das für das Auto des 21. Jahrhunderts auch können.
In diesem Sinne: Frohes Schaffen, guten Mut und herzlichen Dank für das, was schon geleistet wurde!