Redner(in): Angela Merkel
Datum: 05.05.2010
Untertitel: in Ludwigshafen
Anrede: Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Bundestagspräsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kurt Beck, sehr geehrte Ministerpräsidenten, sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/05/2010-05-05-bkin-festakt-80-jahre-kohl,layoutVariant=Druckansicht.html
sehr geehrte Frau Kohl-Richter,
und vor allem: sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Helmut Kohl,
sehr gerne bin ich heute hierher gekommen, um Ihnen noch einmal von ganzem Herzen zu Ihrem runden Geburtstag zu gratulieren. Vor allem bin ich hier, um Ihnen zu danken, als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, aber auch ganz persönlich.
Als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist Ihnen etwas gelungen, was den Kern der Staatsräson unseres Landes seit Konrad Adenauer ausmacht: das unerschütterliche Festhalten an Deutschlands und Europas Zukunft in Frieden, Freiheit und Einheit. Ihnen ist es zu verdanken, dass Deutschland heute wieder als geeinte Nation ein starker und verlässlicher Partner in der Europäischen Union und in der Welt sein kann. Danke schön.
Es bleibt Ihre historische Leistung, dass Sie gemeinsam mit Ihren damaligen Partnern den Weg zur Deutschen Einheit friedlich, in großem gegenseitigen Vertrauen und eingebettet in die europäische Einigung gestaltet haben. Deutschland, Europa und die internationale Staatengemeinschaft haben Ihnen viel zu verdanken. Sie haben in sechs Jahrzehnten politischer Arbeit Herausragendes für unser Land geleistet. Ohne Ihren historischen Beitrag wäre das Leben von Millionen Menschen, die wie ich bis 1990 in der DDR gelebt haben, völlig anders verlaufen. Die neuen Möglichkeiten und Chancen, die ich nach 1990 in meinem persönlichen wie auch beruflichen Leben erhalten habe, sind untrennbar mit Ihrem Namen verbunden. Dafür möchte ich Ihnen persönlich danken, aber auch im Namen von Millionen Menschen, die in der ehemaligen DDR gelebt haben.
Worauf gründet Ihr Lebenswerk als Wegbereiter der friedlichen Wiedervereinigung unserer Nation und Förderer des europäischen Einigungsprozesses? Als Kind und Jugendlicher haben Sie das schreckliche Leid erlebt, das der Zweite Weltkrieg über Deutschland, Europa und die Welt gebracht hatte, ausgelöst durch den menschenverachtenden Nationalsozialismus. Sie gehörten als Gymnasiast 1944 zu einem so genannten Schülerlöschtrupp, der Leichen aus den Ruinen bergen musste. Dieses unmittelbare Erleben von Krieg, Tod und Zerstörung hat Sie Ihr ganzes Leben lang geprägt. Daraus ist Ihre wichtigste politische Überzeugung entstanden: Was geschehen ist, darf nie wieder geschehen. Wir wollen aus der Geschichte lernen. Dieses Denken in geschichtlichen Zusammenhängen hat Sie zu einem Menschen werden lassen, der Politik nicht nur aus dem Jetzt heraus gestaltet, sondern der die historischen Wurzeln wie die künftigen Herausforderungen gleichermaßen im Auge behält.
Ein Europa des Friedens, der Freiheit und der Partnerschaft das war für viele Politiker nach dem Ende des Krieges lediglich eine Vision, die in weiter Ferne schien. Sie, lieber Helmut Kohl, haben dagegen vorgemacht, wie aus der Vision eines jungen Mannes eine neue Wirklichkeit für einen ganzen Kontinent werden konnte nicht nur mit der Fähigkeit, eine Vision zu haben, sondern auch mit dem Mut und der Kraft, sie gegen Widerstände zu verfolgen und mit dem Gespür, die passende Gelegenheit dafür zu ergreifen. Nur so kann eine Vision zur Realität werden. Nur so konnten Sie am Nato-Doppelbeschluss festhalten, obwohl Sie dafür angefeindet wurden. Nur so konnten Sie sich zu einer Zeit zur Deutschen Einheit bekennen, in der andere Sie dafür müde belächelt haben. Und nur so konnten Sie unsere gemeinsame Währung in Europa, den Euro, ohne Furcht und gegen größte Widerstände einführen. Wie richtig es war, dass Sie 1997 für die Einführung des Wachstums- und Stabilitätspakts gekämpft haben, spüren wir in diesen Tagen hautnah.
Durch Ihren festen Willen zur Deutschen Einheit, Ihren festen Glauben an die europäische Einigung haben Sie Deutschland, stabil und eingebettet in die europäische Integration, gut auf das 21. Jahrhundert, auf eine immer stärker zusammenwachsende und multipolare Welt vorbereitet.
Bei aller historischen Weitsicht haben Sie, lieber Helmut Kohl, aber stets als ein Politiker agiert, der die Bodenhaftung behält. Immer wussten Sie zum Beispiel, wie viel Geld man für einen Liter Milch von der Molkerei bekam. Wer dies nicht wusste, stand für Sie nicht mitten im Leben. Oder: Als Sie mich 1990 baten, Frauenministerin in Ihrem Kabinett zu werden, haben Sie mich nicht nach irgendwelchen Programmen und Zielen gefragt, sondern einfach nur: Verstehen Sie sich mit Frauen? Mitten im Leben zu stehen, nicht abzuheben das also verlangen Sie von sich, aber eben auch von anderen.
Genauso wichtig war Ihnen das kam hier schon zum Ausdruck die Verwurzelung in Ihrer pfälzischen Heimat. Dank dieser Bodenständigkeit gelang es Ihnen, das Denken in langfristigen Zusammenhängen mit dem Blick für das kurzfristig Machbare zu verknüpfen. So haben Sie, Ihr Ziel der Deutschen Einheit vor Augen, vor 1990 ganz praktisch den Reiseverkehr zwischen den beiden Teilen Deutschlands so weit wie möglich ausgebaut. Und so haben Sie, Ihr Ziel eines Europas des Friedens und der Freiheit vor Augen, die Grundlagen für den europäischen Binnenmarkt, für die Wirtschafts- und Währungsunion und das Schengener Abkommen geschaffen. Denn Sie wussten immer: Der europäische Gedanke ist dort am überzeugendsten, wo er für die Bürgerinnen und Bürger konkret greifbar ist.
Dabei, all diese historischen Veränderungen durchzusetzen, hat Ihnen auch Ihr Blick für das Menschliche in der Politik geholfen. Sie haben immer zuerst den Menschen und erst dann den Politiker gesehen. Ich durfte das 1992 ganz persönlich erleben, als ich mir im Januar einen schweren Beinbruch zugezogen habe und Sie sich permanent und sehr intensiv nach meinem Befinden erkundigten. So etwas vergisst man nie. Ähnliches haben viele Menschen erlebt.
Das gilt eben auch im Großen. Denn dank dieser Wertschätzung des Persönlichen in der Politik hatten Sie die Fähigkeit, verlässliche und belastbare persönliche Bindungen zu schaffen und innerhalb dieser Bindungen Weltpolitik zu gestalten. Nur so konnten Sie in der kurzen Zeitspanne zwischen dem Fall der Mauer und der staatlichen Wiedervereinigung Vertrauen in die zukünftige Zuverlässigkeit deutscher Politik vermitteln. Nur so konnten Sie noch bestehende Ängste vor einem wiedervereinten Deutschland zerstreuen und die Zustimmung der Alliierten sowie der europäischen Partner zur Deutschen Einheit erreichen. Und nur so konnten Sie zu einem wichtigen Motor der deutsch-französischen Freundschaft werden. Denn Sie wussten: Der deutsch-französischen Freundschaft kommt eine Schlüsselrolle für die europäische Einigung zu. Heute ist die enge Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich selbstverständlich. Doch am Anfang stand Ihr Eintreten für die Aussöhnung mit Frankreich. Das gemeinsame Gedenken von Ihnen und François Mitterand an den Gräbern Verduns ist dafür das beste Bild.
Mit Ihrer historischen Weitsicht, Ihrem Blick für das Machbare und Ihrer Wertschätzung des Persönlichen in der Politik ist vieles möglich geworden nicht nur durch Sie als Bundeskanzler, sondern auch als Parteivorsitzender, der Sie 25Jahre lang waren. Als Modernisierer und Reformer der Partei Konrad Adenauers haben Sie die CDU zu einer Mitgliederpartei gemacht und ihr ein programmatisches, zukunftsorientiertes Wertefundament gegeben. Sie haben den eingeschlagenen Kurs auch durch schwierige Phasen hindurch entschieden weitergeführt. Dafür gebührt Ihnen großer Dank, den ich Ihnen als Parteivorsitzende auch im Namen aller Mitglieder der Christlich Demokratischen Union überbringen möchte.
Lieber Helmut Kohl, dank Ihres Lebenswerks hat unser Land nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts allen Grund, mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken und die Herausforderungen unserer Zeit meistern zu können. Diese sind nicht klein. Denken wir nur an die Stabilisierung Europas, an die Erweiterung der Europäischen Union, an die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise, an die Zukunft der Nato und ihrer Einsätze. Aber Sie haben gezeigt: Deutschland hat schon ganz andere Herausforderungen bewältigt. Wir wissen um den guten Weg der Bundesrepublik, der ganz maßgeblich von Ihnen mitgestaltet wurde ob als Abgeordneter im Landtag von Rheinland-Pfalz und im Deutschen Bundestag, als Ministerpräsident oder als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Aus diesem Bewusstsein schöpfen wir, die wir heute aktiv sind, die Kraft, auch die aktuellen Herausforderungen meistern zu können. Sie, lieber Helmut Kohl, bleiben uns allen hier ein Beispiel. Denn es kommt auch heute auf das an, was Sie wie kein zweiter verkörpern: das Wissen um unsere historischen und kulturellen Wurzeln, den Mut zu langfristigen Konzepten, den bodenständigen Blick für das Machbare, Verlässlichkeit und Beständigkeit in den Werten und Maßstäben, an denen das eigene Handeln ausgerichtet ist. Nur so lässt sich die Zukunft Deutschlands als Kraftzentrum in einem Europa des Friedens, der Freiheit und der Partnerschaft positiv gestalten. Es tut gut, dabei weiterhin auf Ihren Rat und Ihre Unterstützung bauen zu können.
Für das neue Lebensjahrzehnt wünsche ich Ihnen alles erdenklich Gute, persönliches Wohlergehen und Gottes reichen Segen.
Noch einmal herzlichen Glückwunsch.