Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 06.05.2010

Untertitel: In seiner Rede betonteKulturstaatsminister Bernd Neumann, dass die "Topographie des Terrors"für den Bund ein wichtiger Bestandteil bei der Aufarbeitung und Vermittlung der NS-Verbrechen ist.Auch erinnerte er daran, dass die intensivierte Beschäftigung mit den Tätern nicht vergessen lassen soll, dass dem Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zukommt.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/05/2010-05-06-neumann-rede-topo-terror,layoutVariant=Druckansicht.html


in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 besiegelte die offizielle Kapitulation des Deutschen Reiches nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, sondern auch seine Befreiung vom nationalsozialistischen Terrorregime. Heute, 65 Jahren später, wird mitten in Berlin mit der Topographie des Terrors eine Dokumentation eröffnet, die besonders geeignet ist, die Genese der nationalsozialistischen Verbrechen im authentischen Umfeld aufzuzeigen.

Das so genannte Prinz-Albrecht-Gelände ist ein Ort der Täter Zentrum und Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die weite Teile Europas überzog. Hier wurden

grundlegende Entscheidungen getroffen und ihre tödliche Durchführung organisiert. Dies betrifft den systematischen, auf die völlige Vernichtung abzielenden Völkermord an den Juden Europas und die Entrechtung und Ermordung der Sinti und Roma ebenso wie die Verbrechen an den Sowjetbürgern und Polen im Zuge des Vernichtungskriegs im östlichen Europa. Die Dokumentation beleuchtet die Strukturen und Mechanismen des Apparates und zeigt dadurch auch das Schicksal der Opfer der Repressions- und Mordpolitik auf.

Die "Topographie der Terrors" ist jedoch auch ein Ort der Opfer: Zu den materiellen Spuren des historischen Geländes gehören die durch Grabungen freigelegten Reste des ehemaligen so genannten Gestapo-Hausgefängnisses. Hier wurden zwischen 1933 und 1945 insgesamt 15.000 politische Gegner des NS-Regimes Tage, Wochen und Monate inhaftiert. Verhöre, Isolation und Folter trieben viele der Häftlinge in den Selbstmord. Die Schicksale der Inhaftierten geben ein wichtiges Signal: Es gab im nationalsozialistischen Deutschland auch Menschen, die die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht hinnehmen wollten und die sich dem Terror unter Einsatz ihres Leben entgegenstellten.

Die "Topographie des Terrors" ist für den Bund ein wichtiger Bestandteil bei der Aufarbeitung und Vermittlung der NS-Verbrechen. Aus diesem Grund finanziert der Bund gemeinsam mit dem Land Berlin nicht nur den Aufbau der "Topographie des Terrors", sondern auch deren Dauerbetrieb. Das Team unter der Leitung von Professor Nachama leistet großartige Arbeit. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle herzlich danken!

Meine Damen und Herren,

es ist an uns allen, die Erinnerung an die Terrorherrschaft des Nationalsozialismus weiter zu tragen, und es ist unsere Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen, Kausalitäten zu benennen und Schuld einzugestehen.

Dazu ist es auch notwendig, sich dezidiert mit den Tätern zu befassen. Aus diesem Grund unterstützt die Bundesregierung zahlreiche Projekte in diesem Bereich. So wurde die Neugestaltung der Erinnerungs- und Dokumentationsstätte Wewelsburg 1933 - 1945 hälftig finanziert, die seit dem 15. Mai in der Nähe von Paderborn zu sehen ist. Sie ist auch ein Ort der Täter und der Opfer zugleich. Neben dem Gedenken an die Häftlinge des Konzentrationslagers Niederhagen, die beim Aufbau der so genannten SS-Ordensburg eingesetzt wurden, dokumentiert die Erinnerungsstätte Wewelsburg in ihrer Dauerausstellung auch die Ideologie der SS.

Sie zeigt auf, welchen Einfluss, neben biographischen Gründen, auch das Milieu sowie das weltanschauliche, das soziale und poltische Umfeld auf die Täter hatten.

Projektunterstützung durch den Bund erfährt derzeit auch der Aufbau des NS-Dokumentationszentrums München auf dem Gelände des ehemaligen Sitzes der NSDAP-Reichsleitung. Hier wird in Zukunft insbesondere der Frage nachgegangen, welche Rolle München als "Hauptstadt der Bewegung" für den Aufstieg der NSDAP und die Durchsetzung des nationalsozialistischen Terrorregimes spielte.

In Nürnberg wurde bereits 2001 mit Bundeshilfe das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg fertiggestellt. Es verdeutlich unter anderem mit seiner Dauerausstellung "Faszination und Gewalt" die Ursachen, Zusammenhänge und Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Der Umgang mit den NS-Verbrechern in der bundesdeutschen Nachkriegszeit war bislang nicht Gegenstand einer eigenen Dokumentationsstätte. Das vom Bund mitgeförderte "Memorium Nürnberger Prozesse", das im November diesen Jahres im Landgericht Nürnberg-Fürth eröffnet, wird über diesen wichtigen Themenkomplex am authentischen Ort informieren.

Die intensivierte Beschäftigung mit den Tätern soll nicht vergessen lassen, dass dem Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen in der deutschen Erinnerungskultur eine unvergleichlich hohe Bedeutung zukommt jetzt und für alle Zeiten. Dabei gilt, dass die Aussagekraft der authentischen Orte für das Erinnern und die Aufarbeitung der NS-Diktatur unverzichtbar ist. Aus diesem Grund hat der Bund im vergangenen Jahr die westdeutschen KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Dachau, Neuengamme und Flossenbürg in die institutionelle, also in die dauerhafte Förderung aufgenommen zusätzlich zu den vier großen KZ-Gedenkstätten in den neuen Bundesländern.

Da sich hier in Berlin die wichtigsten Zentralen nationalsozialistischer Repressions- und Verbrechenspolitik befanden, legt die Bundesregierung neben den deutschlandweit

existierenden authentischen Orten des Leidens auch ein erinnerungspolitisches Augenmerk auf die Hauptstadt. In Umsetzung der Gedenkstättenkonzeption, die der Deutsche Bundestag 2008 gebilligt hat, wurde in Zusammenarbeit mit dem Land Berlin die "Ständige Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum" eingerichtet.

Die Stiftung "Topographie des Terrors", das Haus der Wannsee-Konferenz, die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand", die Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" sowie die "Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen" sind über die "Ständige Konferenz" eng miteinander vernetzt. Von der intensivierten Zusammenarbeit und der Abstimmung der Einrichtungen bei Ausstellungen und Veranstaltungen wird das Gedenken in der Hauptstadt profitieren. Der Öffentlichkeit und den zahlreichen Besuchern Berlins können so besser Information über die existierenden Angebote zu Aufarbeitung und Gedenken des Nationalsozialismus geboten werden.

Meine Damen und Herren,

in diesem Jahr würdigen wir in allen KZ-Gedenkstätten die Befreiung der Konzentrationslager vor 65 Jahren. Mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff habe ich an der Gedenkstunde in Bergen-Belsen am 18. April teilgenommen. Immer wieder berührt mich die große Geste, die die Anwesenheit so vieler Zeitzeugen allein in Bergen-Belsen waren es über 200 für Deutschland bedeutet.

Auch heute sind Zeitzeugen hierher gekommen, die unter der Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Regimes gelitten haben. Ich danke Ihnen, dass Sie gemeinsam mit uns die Einweihung der neuen Ausstellung begehen.

Ich bin überzeugt: Ohne die Zeitzeugen wird es viel schwerer, gerade der jungen Generation begreiflich zu machen, welche Folgen Verblendung, Intoleranz, Hass und Kriegstreiberei haben und wie wichtig Zivilcourage und Mut sind. Da die Zeitzeugen eines Tages verstummt sein werden, ist es unabdingbar, dass in einer Dokumentationsstätte wie der "Topographie des Terrors" mit einer immer wieder aktualisierten Ausstellung die Vergangenheit lebendig bleibt. Ich wünsche der Dauerausstellung einen guten Neubeginn und zahlreiche Besucher!