Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 28.09.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/69/20169/multi.htm


Anrede!

Vor genau vier Jahren, am 27. September 1996, beschloss der Bundesrat, dem Beispiel des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung zu folgen und ebenfalls nach Berlin umzuziehen. Der Bundesrat bestimmte zugleich dieses Gebäude zu seinem Sitz, das ehemalige Preußische Herrenhaus. Er bat die Bundesregierung, das Anwesen entsprechend herzurichten. Die Bundesregierung ist dieser Bitte gerne nachgekommen. Das Ergebnis, da stimmen Sie wohl alle zu, kann sich wirklich sehen lassen. Die Umwandlung dieses 100 Jahre alten, im Krieg schwer beschädigten und dann über Jahrzehnte vernachlässigten Hauses in ein modernes Parlamentsgebäude ist eine Leistung, die nur im engagierten Team gelingen kann.

Dafür danke ich allen Beteiligten. Ihnen, Herr Professor Schweger, ist als Architekt die Verbindung von historischer Rekonstruktion und moderner Funktionalität auf beeindruckende Weise gelungen. Das Bundesamt für Bauordnung und Raumwesen, also Ihre Behörde, Herr Präsident Mausbach, leitete den Bau professionell. Sowohl der Kostenrahmen von rund 200 Millionen Mark als auch die Zeitvorgabe von vier Jahren wurden eingehalten.

Mein Dank gilt aber auch dem Bundesrat selbst, der durch den Ständigen Beirat und die Verwaltung viele Entscheidungen mit großer Sachkunde begleitet und mitgestaltet hat.

Hervorheben möchte ich schließlich den Beitrag der zahlreichen Handwerker. Arbeiten in denkmalgeschützten Gebäuden erfordern immer einen hohen Anteil an "Hand-Werk" im wahrsten Sinne des Wortes, an echter Hand-Arbeit.

Sie können die Ergebnisse überall betrachten, etwa hier im Plenarsaal bei der maßgefertigten Wandvertäfelung oder - besonders eindrucksvoll - , an den Restaurierungen in der Wandelhalle.

Die grundsätzliche Entscheidung, nach Möglichkeit auf bestehende Gebäude zurückzugreifen, hat den Hauptstadtumzug zu akzeptablen Kosten und in überschaubarer Zeit überhaupt erst möglich gemacht.

Als wertvoller Nebeneffekt ist dadurch auch die Denkmalpflege in großem Maßstab befördert worden. In der fachgerechten Aufarbeitung und sachgerechten Umnutzung zahlreicher historischer Bauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert liegt ein Gewinn für die Stadt, aber auch für unser ganzes Land. Mit diesem Gebäude haben wir ein besonders gelungenes Beispiel vor Augen.

Aber nicht nur aus diesem Grund halte ich die Standortentscheidung des Bundesrats für glücklich. Nimmt man den Begriff "Herrenhaus", eigentlich das Wohnhaus eines Gutsbesitzers, in seiner ursprünglichen Bedeutung, so sollte ein solches Gebäude nach zeitgenössischer Auffassung "zwar geräumig und bequem sein, aber nicht in ein Schloss ausarten".

Genau dieser Maßstab der Angemessenheit, findet sich hier wieder. Der Bau ist großzügig und repräsentativ, schön und elegant, aber ohne Übertreibung, kurz: er ist prächtig, aber kein Prunkbau. Dies entspricht dem Selbstverständnis des Bundesrates, der im besten Sinne Selbstbewusstsein mit Zurückhaltung verbindet. Gleiches gilt für die Lage des Gebäudes. Es steht nicht direkt im Regierungs- und Parlamentsviertel, aber in dessen unmittelbarer Nähe.

So symbolisiert es einerseits die Eigenständigkeit des Verfassungsorgans Bundesrat, beachtet andererseits jedoch die funktionale Verbundenheit mit den anderen parlamentarischen Institutionen.

Meine Damen und Herren,

der Bundesrat ist das vierte und zugleich letzte Verfassungsorgan, das seinen Sitz von Bonn nach Berlin verlegt. Damit ist der Hauptstadtumzug vollzogen. Mit Bonn, daran sollten wir gerade an so einem Tag erinnern, verbinden sich 50 Jahre stabiler und erfolgreicher Demokratie in Deutschland. Was wir in Bonn erreicht haben, haben wir nach Berlin mitgenommen. 50 Jahre sogenannter Bonner Republik, das sind auch 50 Jahre gelebter Föderalismus. Daran hat der Bundesrat einen entscheidenden Anteil. Seine Vorläufer, der Bundesrat im Deutschen Kaiserreich und der Reichsrat in der Weimarer Republik, waren gegenüber dem Gesamtstaat entweder zu stark oder zu schwach. Erst das Grundgesetz hat es verstanden, die Gewichte zwischen den Ländern und dem Bund angemessen zu verteilen.

Dennoch konnte auch dieses Modell nur gelingen, weil sowohl die Länder als auch der Bund ihre Rolle mit Verantwortung für das Ganze wahrgenommen haben.

Genau darauf kommt es auch bei den vor uns liegenden großen Aufgaben an.

Ich nenne nur die Neuordnung des Finanzausgleichs; hier müssen wir nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit einem Maßstäbegesetz Neuland betreten.

Ich denke ferner an den Solidarpakt II und die Ost-Erweiterung der EU.

Darüber hinaus müssen wir uns aber auch der grundsätzlichen Frage stellen, ob und in welchen Punkten der in Deutschland praktizierte Föderalismus reformbedürftig ist. Die föderale Ordnung ist nach der Konzeption des Grundgesetzes ein Verbundföderalismus mit ausgeprägten Verhandlungszwängen. Dies ist auch in Ordnung. Wir müssen aber kritisch prüfen, wo im Einzelfall die Grenze zur hemmenden Politikverflechtung überschritten ist, wo die Entscheidungsebenen zwischen Bund und Ländern, vielleicht auch der Länder untereinander, klarer geordnet werden können.

Dies ist der Kern der Reformdebatte, die seit einiger Zeit immer lebhafter geführt wird.

Dabei hilft allerdings das Schlagwort vom "Wettbewerbsföderalismus" nicht weiter. Kein verantwortungsvoller Politiker kann der Auffassung sein, Länder sollten wie Wirtschaftsunternehmen miteinander in Wettbewerb treten. Die Grundidee des Föderalismus wurzelt in der Verbindung von Einheit und Vielfalt, in der Anerkennung, aber auch im Ausgleich von Unterschieden.

Darüber besteht Einigkeit. Leitbild ist also die vielzitierte "Einheit in der Vielfalt". Unsere Aufgabe ist es, dieses Leitbild auszufüllen. Klar ist: Dies wird den Ländern wie dem Bund einiges abverlangen. Aber ich bin überzeugt: Die großzügige Atmosphäre dieses Gebäudes wird dazu beitragen, großzügige Lösungen zu finden.

In diesem Sinne möchte ich dem Bundesrat herzlich zu seinem neuen Sitz gratulieren.

Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit in Berlin und darf nun Herrn Professor Schweger bitten, den Schlüssel des Hauses an Präsident Mausbach weiterzureichen, der ihn dem Präsidenten des Bundesrates übergeben wird.