Redner(in): Angela Merkel
Datum: 26.05.2010

Anrede: Sehr geehrter Herr Minister Zainal, sehr geehrter Herr Kamel, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2010/05/2010-05-26-djidda,layoutVariant=Druckansicht.html


ich freue mich das sage ich im Namen meiner ganzen Delegation, dass Sie heute so zahlreich zu diesem Wirtschaftstreffen zwischen der saudischen Wirtschaft und der deutschen Wirtschaft gekommen sind. Bevor ich kurz auf die bilateralen deutsch-saudischen Beziehungen eingehe, möchte ich einige Worte zu dem sagen, was Sie, Herr Minister Zainal, zu Beginn angesprochen haben, nämlich zur Weltwirtschaftskrise und den Folgerungen, die sich daraus ergeben.

Es ist in der Tat so, dass die internationale Finanzmarktkrise dazu geführt hat, dass wir in eine wirtschaftliche Krise gekommen sind. Jetzt kämpfen wir mit den Folgen, die eine solche Krise mit sich bringt. Die erste Aufgabe, die sich uns stellt, ist natürlich, alles dafür zu tun, dass sich eine solche Krise nicht wiederholt. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang bei Herrn Kamel, dass er mir einige Richtlinien übergeben hat. Diese Richtlinien werden wir uns genau anschauen. Die Exzesse und die Übertreibungen auf den Märkten, die durch bestimmte Finanzmarktprodukte möglich geworden sind, schwächen die reale Wirtschaft und stärken sie nicht. Es muss wieder dazu kommen, dass die Banken sozusagen Dienstleister für die reale Wirtschaft sind und dass die Finanzindustrie nicht ein völlig abgekoppeltes Eigenleben führt. Deshalb werden wir auch im G20 -Bereich gut miteinander zusammenarbeiten, was die Finanzmarktregulierung anbelangt. Wir haben gestern auch darüber gesprochen, dass wir darüber diskutieren müssen, ob man die Finanzmarktakteure an der Begleichung der Schulden beteiligen kann zum Beispiel in Form einer Finanzmarkttransaktionssteuer.

Ich weiß, dass viele von Ihnen in diesen Tagen sehr stark in Richtung Europa schauen und fragen: Wie ist das mit dem Euro? Deshalb möchte ich ein ganz klares Wort sagen: Deutschland als größte Exportnation, als größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union, hat vom Euro in der Vergangenheit sehr stark profitiert; deshalb werden wir uns mit aller Kraft für einen starken Euro einsetzen. In der Diskussion, die wir innerhalb der Eurogruppe und der Europäischen Union führen, geht es vor allem darum, dass es uns gelingen muss, die Wettbewerbsfähigkeit aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union und speziell der Eurostaaten anzugleichen, und zwar nicht in Richtung der Schwächeren, sondern in Richtung der Stärkeren. Das ist das Ziel, das Deutschland verfolgt. Wenn wir dieses Ziel nicht erreichen, werden wir in der Welt nicht wettbewerbsfähig sein. Diese Diskussion führen wir jetzt mit dem festen Ziel, unsere Wachstumsmöglichkeiten zu vergrößern.

Damit bin ich auch schon bei Saudi-Arabien. Wir haben eben in dem kleinen Kreis des Round Table gesehen, dass die Dynamik Ihres Landes, Saudi-Arabiens, eine sehr große ist. Sie haben klare Visionen, wie und in welchen Bereichen Sie Ihr Land entwickeln wollen. Ich durfte gestern zusammen mit der Delegation die König Abdullah Universität besuchen. Sie ist sozusagen ein sichtbares Zeichen der Ambitionen Saudi-Arabiens, wirklich ein Wettbewerber in der Wissensgesellschaft zu werden. Wir wollen diese Ambitionen unterstützen und wollen dabei hilfreich sein. Es wird sich aber auch herausstellen, dass wir manchmal etwas schneller sein müssen, als wir es vielleicht in der Vergangenheit waren. Insoweit ist unsere Zusammenarbeit natürlich auch davon geprägt, dass wir daraus auf beiden Seiten Gewinn ziehen wollen. Deutschland kann hierbei verschiedene Angebote unterbreiten.

Die Zusammensetzung unserer Wirtschaftsdelegation zeigt: Auf der einen Seite sind es die großen Unternehmen, auf der anderen Seite sind es aber auch die vielen mittelständischen Unternehmen, die mit zu der Stärke der deutschen Wirtschaft beitragen. Wir haben ein Interesse daran, dass unsere mittelständischen Unternehmen einen guten Zugang zu der saudi-arabischen Wirtschaft und zu den Investitionen, die hier getätigt werden, bekommen, genauso wie unsere großen Anbieter mit langjähriger und weltweiter Erfahrung bei der Weiterentwicklung Saudi-Arabiens und seiner Modernisierung eine wichtige Rolle spielen können.

Wir unterstützen voll und ganz den Kurs der Diversifizierung, das heißt, wegzukommen von der einseitigen Ausrichtung auf Erdöl und Rohstoffe und hinzukommen zu einer modernen Infrastruktur, zu einem modernen Bildungssystem und natürlich auch zu modernen Feldern wie der Gesundheitsvorsorge, den erneuerbaren Energien, der Energieeffizienz, des effizienten Wassermanagements und anderen Dingen. Dabei schauen wir uns natürlich die hier getätigten Investitionen an und wollen in einem fairen Wettbewerb mit anderen unseren Beitrag dazu leisten. Ob bei der Verarbeitung von Erdöl, ob im Bereich der Schienentechnologie, ob beim Management von neuen Flughäfen, bei der Entstehung einer Stadt der erneuerbaren Energien oder beim Wasser- und Abwassermanagement überall kann Deutschland wirklich wertvolle Beiträge leisten.

Wir haben einige Hemmnisse zu überwinden; darüber will ich auch ganz offen sprechen.

Erstens. Wir verhandeln seit rund 20Jahren ein Abkommen über den Freihandel zwischen der Europäischen Union und dem Golf-Kooperationsrat. Wir sind jetzt von einigen asiatischen Ländern überholt worden; da ging es etwas schneller, dass Saudi-Arabien solche Abkommen abschließen konnte. Das soll uns Ansporn sein. Ich habe eben schon gesagt: Ich möchte nicht noch einmal nach Saudi-Arabien kommen und sehen, dass noch immer kein Abkommen zwischen dem Golf-Kooperationsrat und der EU abgeschlossen ist. Ich werde mich jetzt auch persönlich dafür einsetzen, dass die letzten Millimeter noch überwunden werden können. Ich habe gestern an einer anderen Stelle gesagt: Ansonsten müssen wir das Abkommen ins Museum stellen und können es nicht für den täglichen Gebrauch verwenden. Das wäre ja schade.

Zweitens müssen wir bei unserem Doppelbesteuerungsabkommen vorankommen.

Drittens weiß ich, dass für viele von Ihnen die Visa-Fragen nicht zufriedenstellend geregelt sind. Gerade für Geschäftsleute und für Studenten muss sichergestellt werden, dass wir sehr schnelle und möglichst auch sehr unbürokratische Antworten bekommen.

Ein weiterer Punkt, der von zunehmender Bedeutung ist, ist die Frage einer ausgeglichenen Handelsbilanz. Hierüber hat Herr Kamel auch gesprochen. Wir nehmen das sehr ernst. Auf der einen Seite verstehe ich Ihren Wunsch, auf der anderen Seite müssen wir uns das aber sehr detailliert anschauen. Deutschland ist nicht der zentrale Abnehmer von Erdöl aus Saudi-Arabien, sondern wir decken unseren Bedarf an Erdöl und Erdgas sehr stark auch aus anderen Regionen, zum Beispiel aus Russland.

Wir könnten natürlich ganz leicht eine ausgeglichene Handelsbilanz hinbekommen, indem wir einfach sagen das geht natürlich nicht so einfach, aber nur einmal als Gedankenexperiment: Wir gleichen die Handelsbilanz durch Rohstoffkäufe in Saudi-Arabien aus. Ich glaube, dann wäre in der Sache nichts gewonnen. Es geht eigentlich um die Entwicklung eines qualitativ hochwertigen, im Sinne der Wissensgesellschaft aufgebauten, langfristig ausgeglichenen Handelsaustauschs. Denn wir in Europa und gerade in Deutschland werden zum Beispiel unseren Erdölverbrauch nicht mehr dramatisch steigern; die Regionen mit höheren Wachstumsraten liegen hier eher in Asien. Wir wollen aber alles dafür tun, dass innovative saudische Unternehmen meinetwegen über Joint Ventures, die wir gründen in einem fairen Wettbewerb Zugang zum deutschen Markt bekommen.

Deshalb brauchen wir eine langfristig tragfähige Grundlage für einen qualitativ besser ausgeglichenen Handel. In der Anfangsphase kann es aber auch sein, dass erst einmal ein gewisser Überschuss von Technologietransfers nach Saudi-Arabien erfolgen muss, bevor dann überhaupt ein fairer Wettbewerb möglich ist. Deshalb bitte ich an dieser Stelle um eine ausgewogene Diskussion. Ich verstehe aber das Bedürfnis und den Anspruch, zu sagen: Wir sind nicht nur Empfänger von interessanten Produkten, sondern wir wollen auch auf die Märkte hinausgehen und uns dort behaupten.

In diesem Sinne gibt es noch sehr viel zu besprechen und sehr viel für unsere beiden Länder zu tun. Ich glaube, dass die deutsch-saudischen oder saudisch-deutschen Beziehungen eine so lange Tradition haben, dass man letztlich weiß: Man kann ehrlich miteinander sprechen und man kann sich auch auf das Wort verlassen, das gegeben wird. Dies ist eine außerordentlich tragfähige Grundlage.

Ich möchte schließen mit der Bemerkung, dass gerade das Gespräch gestern Abend mit König Abdullah noch einmal gezeigt hat: Saudi-Arabien hat eine klare Vision, wo es hin möchte und wie es sich entwickeln möchte. Wir sind beeindruckt von dieser Vision. Wir wünschen uns, dass das einen guten Verlauf nimmt. Wir wissen, dass es nicht immer ganz einfach ist, Tradition und Moderne in Einklang zu bringen. Wir wünschen Ihnen aber auf diesem Weg viel Erfolg. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen zu diskutieren, mit Ihnen gemeinsam Projekte zu gestalten und, wenn es nötig ist, auch einmal Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Das alles bringt uns voran.

Ich glaube, die Möglichkeit, heute bei der Handelskammer in Djidda, dem Wirtschaftszentrum Saudi-Arabiens zu sein, hat uns einen Einblick gegeben, was sich hier in Saudi-Arabien tut. Wir sind beeindruckt und werden das auch mit nach Deutschland bringen und unseren Unternehmen erzählen.

Ganz besonders wichtig ist mir das ist meine letzte Bitte, dass die mittelständischen Unternehmen, die oft nicht über die internationale Erfahrung verfügen, wie man in welchem Land mit den Regeln klarkommt, klare Anlaufpunkte haben und dass wir das nicht zu kompliziert gestalten, damit jeder Mittelständler, der in Saudi-Arabien investieren möchte, weiß, wie er sich hier zu verhalten hat, damit er vorankommt, genauso wie jedes Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte, auch klare Ansprechpartner braucht.

Danke dafür, dass wir heute hier sein können, danke für Ihre Gastfreundschaft und auf gute weitere Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.