Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 05.10.2000
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/30/20930/multi.htm
Sehr geehrter Herr Ostermann, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich darf Sie im Namen der Bundesregierung herzlich begrüßen und möchte mit ein paar Gedanken zu "Politik und Kultur" die "Inspirations" eröffnen.
Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth war einer der ersten, die erkannten, dass Kultur nicht nur das Leben bereichert, sondern im Wettbewerb von Wirtschaftsregionen als sogenannter weicher Standortfaktor eine immer größere Rolle spielt.
Mehr denn je gilt dies heute, mitten im Übergang von der klassischen Industriegesellschaft zur Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts.
War in der Agrargesellschaft Boden, in der Industriegesellschaft Kapital der limitierende Faktor für Wachstum und Beschäftigung, so ist der Erfolgsfaktor der Zukunft der Mensch, seine kreativen Potenziale. Wir verfügen mit Köpfen und Können über die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts.
Doch diese Rohstoffe sind, anders als fruchtbare Felder oder ergiebige Kohleflöze nicht ortsgebunden. Verbunden, ja, das allerdings. Ich bin überzeugt, dass Globalisierung und Regionalisierung zwei Seiten der selben Medaille sind.
Dass also das Bedürfnis nach Identifikation, Einbindung, Heimat wächst, angesichts des zunehmenden Zwangs zu Mobilität und Flexibilität.
Und diesem Bedürfnis nach Geborgenheit kommen kulturelle Werke ebenso entgegen wie der Teilhabe an überregionalen Entwicklungen. Kultur ist also die Brücke, Einbindung und Verbindung.
Außerdem Anregung, Inspiration. Ich habe vor längerer Zeit bereits die These vertreten, Information werde - neben den klassischen Faktoren Arbeit, Boden und Kapital - zum vierten Produktionsfaktor einer Volkswirtschaft.
Doch es geht um mehr. Wir leben bis heute von den Basisinnovationen des 19. Jahrhunderts - in Maschinenbau, Elektrotechnik und Fahrzeugbau. Bei den Innovationen des 20. Jahrhunderts waren wir zu langsam bei der Umsetzung von Erkenntnissen und Ideen in marktfähige Produkte.
Deshalb haben in der Unterhaltungselektronik und in der Datenverarbeitung Amerikaner und Japaner die Nase vorn.
Heute beim Zusammenwachsen von Medien, Datenverarbeitung, Informations- und Kommunikationstechnologie werden die Chancen und Märkte noch einmal neu verteilt. Und beim Start um den Zukunftsmarkt iCommerce starten wir in Europa, nicht zuletzt dank einheitlicher Standards und konsequenter Liberalisierung, aus der Pole Position. Auch beim Content, wie die Inhalte heute heißen, haben wir große Möglichkeiten. Stuttgart ist als klassischer Verlagsstandort nicht ohne Rang.
Und Ludwigsburg macht vor, wie man Synergien nutzt und sich im Multimedia-Sektor binnen weniger Jahre international einen Namen macht.
Eine zweite große Herausforderung steht vor uns. Die Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts basiert auf der Ausbeutung fossiler Rohstoffe, auf der Illusion, sie stünden unbegrenzt zur Verfügung. Wir werden nicht umhin kommen, Energieeffizienz zu steigern und regenerative Quellen zu erschließen.
Die IT Entwicklung zeichnet nach meiner Überzeugung vor, welchen Weg wir auch im Energiebereich erfolgreich beschreiten können. Und gewinnen werden - wie meist - diejenigen, die voran gehen.
So wie wir vom Großrechner über die mittlere Datentechnik zu vernetzten PC bzw. mobilen Anwendungen kamen, werden wir von Großkraftwerkstechnologien über dezentrale Lösungen zu einem Internet von Kleinststromproduzenten bzw. -energieproduzenten kommen. Wir können diesen Markt erobern. Er wird, neben Biotechnologie, IT und vielleicht Mikro- bzw. Nanotechnik, dieses Jahrhundert vermutlich genauso wirtschaftlich, technologisch und gesellschaftlich prägen, wie das Maschinenbau, Elektrotechnik und Fahrzeugbau im vergangenen Jahrhundert taten.
diese Entwicklung ist geprägt und begleitet von einer neuen Kultur der Selbständigkeit. Wir erleben in Deutschland eine neue Gründerzeit. Und die Unternehmer der new economy rufen - im Unterschied zu manchem Vertreter der etablierten Branchen - nicht gleich nach dem Staat. Sondern handeln im Sinne des John F. Kennedy Leitspruchs "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Sondern was du für dein Land tun kannst."
Wir fördern diese Haltung, indem wir den Bundeshaushalt konsequent konsolidieren. Und die gewonnenen Spielräume nicht nur in Zukunftsinvestitionen, in Bildung und Forschung, umsetzen.
Sondern vor allem zurück geben an Bürger und Wirtschaft. Über niedrigere Steuern und Abgaben. Und mit einer Reform der sozialen Sicherungssysteme, die Eigeninitiative fordert und fördert. Und zugleich neue Impulse für den Kapitalmarkt gibt - und damit Finanzierungsbedingungen für Start ups und rasch wachsende High Tech- und Dienstleistungsunternehmen verbessert.
Es ist gerade mal zwei Jahre her, da schrieb die internationale Presse von der German Disease. Wir sprachen von Reformstau. Diese Debatte ist überwunden. An ihre Stelle ist eine Aufbruchstimmung getreten, die nicht nur die junge Generation erfasst hat.
Der Test einer bekannten Illustrierten ergab, dass der DAX an Bekanntheit jeden Komponisten oder Literaten schlug. Auch wenn mich das Interesse für die Börse freut, reichen tut es nicht. Zumal Eliten, oder diejenigen, die sich dafür halten, sich nicht nur durch Marktkapitalisierung auszeichnen - sondern durch Leistung gepaart mit Verantwortung.
Wir beginnen in Deutschland auch hier einen Paradigmenwechsel. D 21 ist für mich ein Musterbeispiel für den Weg vom Vater Staat zum Partner Staat. Eine public private partnership, deren Initiative von Unternehmen ausging. Die Mitgliederliste liest sich wie ein Who is who der Wirtschaft in der Region Stuttgart. Den Vorsitz des Beirates hat Bundeskanzler Gerhard Schröder übernommen. Gemeinsam arbeiten wir - Wirtschaft und Politik - daran, den Weg in die Informations- und Wissensgesellschaft erfolgreich zu beschreiten. Chancen aufzuzeigen, Teilhabemöglichkeiten zu schaffen.
Denn die Nutzung des Internet ist für mich nicht weniger als eine neue Kulturtechnik, in ihrer Bedeutung Lesen und Schreiben vergleichbar. Wer nicht zu den Analphabeten der Zukunft gehören will, der muss sich mit den neuen Möglichkeiten vertraut machen. Sorge bereiten mir da weniger die Schüler. Die bringen zur Zeit ihren Lehrern bei, wie man sich im world wide web bewegt. Sorge bereitet mir Ihre Generation, von der viele glauben, sie kämen noch einmal davon.
Und ich betrachte es als Herausforderung, dass unsere Schulen mehr vermitteln als technische Fertigkeiten: Medienkompetenz, die Fähigkeit der Bewertung und Verknüpfung von Informationen. Wir brauchen als Rüstzeug ein Bildungswesen, das weit besser ist als heute. Ein Bildungswesen, das sich auch einem internationalen Wettbewerb mit Erfolg stellen kann. Und die Offenheit, Anregungen - und Menschen, die sie geben - aufzunehmen. Dieser Öffnung diente die sogenannte Green Card. Wir gehen jetzt behutsam weitere Schritte.
Anrede,
Die Schnellen fressen die Langsamen, die Erkenntnis ist nicht mehr neu. Aber um schneller, innovativer zu sein, muss man bereit sein, eingefahrene Wege zu verlassen und Neues zu wagen. Dies gilt für Wirtschaft, Politik - und erst recht für die Kultur. Sie, Herr Kremer, haben dies in Ihrem Lebenswerk und erst recht in Ihrem neuen Projekt "Eight Seasons" vorgemacht: "Tango meets Barock" - die Verknüpfung von scheinbar gegensätzlichen Stilen und Stücken zu einem neuen Kunstwerk.
Sie haben aber auch zu Recht davor gewarnt, alles und jedes unter dem modischen Label "Crossover" zu vermischen: Hier droht Nivellierung und der Verlust von Identität statt der angestrebten Innovation. Ein Hinweis, den nicht nur die Künstler ernst nehmen sollten. Auch und gerade in Wirtschaft und Politik wird die hektische Suche nach dem gerade aktuellen Trend leicht zu Beliebigkeit, zum Ersatz für fehlende Substanz und Strategie. Auf Dauer werden sich jedoch nur diejenigen durchsetzen, die sich, ihre Produkte und Konzepte konsequent weiterentwickeln. Die den Mut zur Veränderung haben und Bewährtes mit Neuem zu verbinden vermögen. Konsumenten und Wähler werden immer kritischer und anspruchsvoller - und das ist gut so.
Anrede,
der heutige Leadership Circle soll dem Austausch von Kultur, Politik und Wirtschaft dienen. Auch die kulinarische Seite soll heute abend nicht zu kurz kommen. Vielleicht werden Sie Inspirationen für Ihre tägliche Arbeit als Führungskraft mitnehmen. Möglicherweise die Anregung, sich und Ihr Unternehmen in noch stärkerem Maße für die Kunst- und Kulturförderung einzusetzen. Heute werden in Deutschland noch über 90 Prozent der für kulturelle Leistungen verwendeten Mittel vom Staat aufgebracht, weniger als 10 Prozent stammen von Firmen oder privaten Mäzenen. Mit dem neuen Stiftungssteuerrecht hat die Bundesregierung jetzt die Grundlagen geschaffen, damit auch in Deutschland eine Kultur des Stiftens entsteht. Machen Sie rege davon Gebrauch. Ich hoffe, dass dieser und andere Aspekte des Austauschs zwischen Wirtschaft, Politik und Kultur in unserer Arbeit ihren Niederschlag finden. Dieser Kreis trägt seinen Titel "Leadership Circle" zu Recht, wenn Sie, wenn wir gemeinsam, mehr betreiben als Management: Kulturelle Schöpfung, Unternehmertum im Schumpeterschen Sinne und mutige Reformpolitik.
Ich wünsche Ihnen einen Abend der Inspiration und Motivation.