Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 13.04.2011

Untertitel: Im Rahmen des Pressetermins, bei demdreizehn restituierte Bücherübergeben wurden, ging Staatsminister Bernd Neumann unter anderem auf die Arbeit der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung (AfP) ein und hob hervor, dassBestandsforschung unbedingt weitergehen muss.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/04/2011-04-13-neumann-provenienz,layoutVariant=Druckansicht.html


die 13 Bücher, die heute zurückgegeben werden, bewahren das Andenken an die Berliner jüdische Gemeinde, die im Nationalsozialismus ausgelöscht und deren Mitglieder getötet oder vertrieben wurden. Sie erinnern an die Schuld, die Deutschland mit der Verfolgung und Ermordung der Juden Europas auf sich geladen hat. Es handelt sich nicht um Bücher, bei denen uns zuerst der künstlerische oder materielle Wert ins Auge fallen würde, wie dies mitunter bei Restitutionen von Gemälden der Fall ist. Nein, gerade ihre Alltäglichkeit ist es, die uns an die schreckliche Realität der Judenverfolgung in der Nazidiktatur erinnert.

Die völlige Entrechtung und Ausplünderung umfasste alle Lebensbereiche, sie kannte keine Tabus und machte nirgendwo Halt. Ich erinnere mich noch gut an die Ausstellung zu Raub und Restitution im Jüdischen Museum im Herbst 2008. Es hat mich sehr bewegt, wie sie die Schicksale der Besitzer mit den geraubten Kulturgütern verknüpfte. Ähnlich berührt mich der Anblick dieser 13 Bände, die hier vor uns liegen.

Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin hat diese Bücher im Rahmen eines Forschungsprojekts wieder aufgefunden, das zum großen Teil von der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche / -forschung finanziert wurde, die mein Haus gemeinsam mit der Kulturstiftung der Länder trägt.

Das Unrecht der NS-Zeit wirft seine langen Schatten bis in die Gegenwart. Da sind einerseits komplexe juristische Fragen, die die Suche nach NS-Raubkunst schwer machen. Andererseits wurde aber in Deutschland über viele Jahrzehnte hinweg zu wenig Zeit, Sorgfalt und Aufwand und, ja: auch zu wenig Geld in die Bestandsrecherche investiert. Das dürfen wir nicht hinnehmen! Auch die Mühen, die mit der Suche nach NS-Raubkunst gerade in großen Sammlungen wie einer Landesbibliothek verbunden sind, wo hunderttausende Bücher überprüft werden müssen, befreien uns nicht von unserer Verantwortung. Ich danke daher Ihnen, liebe Frau Professor Lux, ganz besonders für Ihr Engagement!

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

heute gehören Provenienzforschung und Restitutionen im Bereich NS-Raubkunst zum Selbstverständnis der meisten Kultureinrichtungen. Das war vor nur vier Jahren noch ganz anders. Sie erinnern sich: Im Jahr 2007 gab es eine zum Teil hitzige und politisch sogar gefährliche Debatte ausgelöst durch die Restitution von Kirchners "Berliner Straßenszene". In vielen Museen in Deutschland herrschte eine sehr defensive Haltung zu Provenienzrecherche und Restitution. Von Fristen zu Beendigung der Restitution war die Rede. Von der Realisierung des Washingtoner Abkommens aus dem Jahr 1998 war man weit entfernt. Ich habe dann eine große Dialogrunde mit Verantwortlichen aus großen und kleinen Museen initiiert. Es konnte die Diskussion in eine konstruktive Richtung gelenkt werden.

Im Ergebnis haben wir dann gemeinsam die Handreichung zur "Gemeinsamen Erklärung" überarbeitet, die Struktur der "Koordinierungsstelle Magdeburg" verbessert und nicht zuletzt die "Arbeitsstelle für Provenienzrecherche / -forschung" am Institut für Museumsforschung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eingerichtet. Eine Million Euro stellt der Bund seit 2008 jährlich für die Provenienzrecherche zur Verfügung, zweihunderttausend steuerte die KSL für die Geschäftsstelle bei.

Ich bin sicher, dass es die Einrichtung dieser Stelle in Verbindung mit den zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel waren, die einen regelrechten "Boom" ausgelöst hat und den unbestreitbaren Nachholbedarf erst so richtig deutlich machte.

Lassen Sie mich kurz einige Zahlen nennen:

Insgesamt kamen in den letzten drei Jahren 69 Projekte in 58 Einrichtungen in den Genuss einer finanziellen Unterstützung. In den bislang abgeschlossenen 28 Projekten konnten rund 6.000 Kunstwerke und 1.500 Bücher auf ihre Herkunft untersucht werden und in den noch laufenden sind es viele tausend mehr. Durch die Kofinanzierung der einzelnen Projekte flossen neben den 3 Millionen Euro des Bundes weitere 1,2 Millionen Euro aus den Ländern und Kommunen in die Provenienzrecherche. Waren es 2007 nur 20 Kunsthistoriker, die sich hauptberuflich mit der Herkunftsforschung beschäftigten, so sind es mittlerweile 100. Diese Zahlen machen deutlich, wie wichtig und richtig der Schritt war, Bundesmittel als Anschubfinanzierung und Motivation bereit zu stellen. Zu Anfang unserer Förderung gab es allerdings den Verdacht, insbesondere die großen Kunstmuseen würden sich einer Aufarbeitung ihrer Geschichte verweigern, weil sie um ihre Bestände fürchten müssten. Das ist klar widerlegt: Weder gibt es Verweigerungshaltungen im großen Stil, noch drohen durch die Aufarbeitung der Geschichte und die Suche nach fairen und gerechten Lösungen in den Häusern "leere Wände", wie uns manche in einer inakzeptablen "Schlussstrichdebatte" weis machen wollten.

Im Gegenteil: Museen, Archive und Bibliotheken gewinnen an Ansehen, Glaubwürdigkeit und auch an Kompetenz, wenn Sie sich ihrer Sammlungsgeschichte stellen.

Mit Fug und Recht kann man heute sagen, dass die Provenienzrecherche in Deutschland einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht hat! International erhält sie große Anerkennung. Auf internationalen Symposien werden die Aktivitäten Deutschlands ausdrücklich als positiv und vorbildlich erwähnt. Die Einrichtung der Arbeitsstelle hat sich also wissenschaftlich, politisch und nicht zuletzt moralisch als richtiger Schritt erwiesen. Die vielen Rückmeldungen, die ich aus Museen, Bibliotheken und Archiven, aber auch aus der Öffentlichkeit und den Medien erhalte, sind ermutigend aber sie machen auch deutlich, dass die Bestandsforschung weitergehen muss.

Die am vorigen Sonntag in diesem Haus eröffnete Ausstellung zur Geschichte des Berliner Kunsthandels im Nationalsozialismus, die mein Haus über den Hauptstadtkulturfonds gefördert hat, ist hier nur ein weiteres beredtes Beispiel.

Wir stehen sozusagen mitten in der Arbeit. Darum habe ich mich entschieden, die Förderung der "Arbeitsstelle für Provenienzrecherche / -forschung" erst einmal bis 2013 in gleicher Höhe fortzusetzen. Schon morgen tritt der Beirat zu seiner nächsten Sitzung zusammen und wird über 19 neue Anträge auf längerfristige Förderung beraten. Mein Wunsch wäre es, dass noch mehr kleine und kommunale Einrichtungen das Angebot auf Förderung, Beratung und Vernetzung annehmen.

Gleichzeitig erwarte ich, dass die Länder die aufgrund ihrer Kulturhoheit besondere Verantwortung tragen ihre großen Einrichtungen so ausstatten, dass sie schließlich selbst die Provenienzforschung weiter betreiben können.

Die Geschichte der 13 Bücher, die heute an die Berliner Jüdische Gemeinde zurückgegeben werden, macht besonders deutlich, dass noch viel mehr geforscht werden muss auch an anderen Beständen wie Kunsthandwerk und wissenschaftlichen Sammlungen. Selbst wenn nicht am Ende einer jeden Untersuchung die Rückgabe steht. Dass die Restitution jedoch zu den besonders bewegenden und damit letztlich auch motivierenden Momenten der Herkunftsforschung zählt, das dürfen wir heute erleben.