Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 26.10.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/81/22781/multi.htm


26. Oktober 2000

Rede

von Bundeskanzler Gerhard Schröder

anlässlich der

offiziellen Einweihung des

Pharma-Technikums der Bayer AG

am Donnerstag, 26. Oktober 2000,

in Wuppertal

Sehr geehrter Herr Dr. Schneider,

sehr geehrter Herr Schmoldt,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

meine Damen und Herren!

Die heutige Einweihung des neuen Pharma-Technikums ist nicht nur für die Bayer AG ein wichtiges Datum. Die Entscheidung, diese Forschungseinrichtung in Wuppertal anzusiedeln, ist - für Belegschaft und Öffentlichkeit - ein klares Bekenntnis zum Chemie-Standort Deutschland.

Die chemische Industrie ist als zweitgrößter Investor und mit rund 470.000 Beschäftigten eine Schlüsselbranche der deutschen Volkswirtschaft. Zudem ist die chemische Industrie einer der technologisch fortschrittlichsten Industriezweige, der mit seinen Innovationen weltweit Maßstäbe setzt.

Die offizielle Einweihung des neuen Pharma-Technikums ist damit zugleich ein wichtiges Signal für Forschung und Innovation in Deutschland. Mit einem Investitionsvolumen von mehr als 170 Millionen Mark ist hier im Stammwerk der Bayer AG eine hochmoderne Forschungsstätte für die Entwicklung neuer Arzneimittel entstanden.

Meine Damen und Herren,

Innovation ist heute mehr denn je auf Forschung angewiesen. Das Wachstum der forschungsintensiven Industrie war 1998 doppelt so hoch wie das der übrigen Indu-strien. Klar ist: Die Forschungsanstrengungen von heute sind die Innovationen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Das Wachstum der Zukunft wird aus Wissen gemacht.

Die Bundesregierung hat daraus unmittelbare Konsequenzen gezogen. Trotz dringend notwendiger Haushaltskonsolidierung haben wir mit der längst fälligen Kurskorrektur in Bildung und Forschung ernst gemacht. Die entsprechenden Ausgaben des Bundes werden mit dem Haushalt 2001 nun das dritte Mal in Folge kräftig erhöht.

Doch damit nicht genug: Im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms werden wir in den nächsten drei Jahren zusätzlich 1,8 Milliarden Mark für die Genomforschung, für Hochschulen und Berufsschulen sowie für die Förderung innovativer Wachstumskerne in den neuen Ländern zur Verfügung stellen.

Auch die Wirtschaft investiert wieder verstärkt in Forschung und Entwicklung. Unsere Unternehmenssteuerreform eröffnet hier durchaus noch weitere Spielräume. Ich hoffe also, dass möglichst viele Unternehmen dem positiven Beispiel der Bayer AG folgen werden.

Meine Damen und Herren,

zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Globalisierung der Märkte für alle Industrienationen eine große Herausforderung. Sicher bedeutet Globalisierung eine spürbare Verschärfung des internationalen Wettbewerbs. Globalisierung, das heißt aber auch: neue Märkte, neue Produkte durch internationale Arbeitsteilung - und damit neue Chancen.

Das Auslands-Engagement der chemischen Industrie hat sich seit 1980 mehr als vervierfacht. Damit hat die Chemie eine Vorreiterrolle in der Globalisierung übernommen. Aber dieses Engagement ist zugleich eine Investition in die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit dieser Branche. Und damit auch für zukunftsfähige Beschäftigung.

Gerade für die chemische Industrie - aber auch für andere Branchen - wird die Biotechnologie dabei zur strategischen Zukunftswissenschaft. Seit 1999 liegt Deutschland bei den Neugründungen dieser Branche in Europa an der Spitze. Das war nicht immer so - aber der "Dornröschenschlaf" ist vorbei.

Deutsche Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen haben bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms wichtige Beiträge geleistet. Als nächstes muss nun die Funktion der einzelnen Gene erforscht werden. Da sich hier ein überaus großes Zukunftspotenzial eröffnet, ist auch die internationale Konkurrenz entsprechend groß.

Die Fördermittel für diesen wichtigen Bereich haben wir deshalb mit dem Haushalt 2001 bereits um 70 Prozent erhöht. Aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm werden wir nochmals 350 Millionen Mark für drei Jahre zur Verfügung stellen. Dadurch kann Deutschland im internationalen Wettbewerb, der auch ein Wettbewerb um Arbeitsplätze ist, insbesondere gegenüber den USA, Japan und Großbritannien mithalten.

Um nicht mißverstanden zu werden: Natürlich geht es vor allem darum, den durch Krankheit betroffenen Bürgerinnen und Bürgern neue Perspektiven, begründete Hoffnungen für Heilung und Therapie zu eröffnen.

In den Medien wird über die Gen- und Biotechnologie vor allem dann an herausragender Stelle berichtet, wenn neue Vorstöße der Wissenschaft in ethische Grenzbereiche befürchtet werden. Ich erinnere nur an die Diskussion um das Klonen. Es geht in dieser Frage nicht darum, ob ein mehr oder weniger seriöser Wissenschaftler Tabuverletzungen begeht. Es wird immer einzelne Menschen geben, die sich nicht an die Regeln halten wollen.

Entscheidend ist aber die Haltung der Gesellschaft zu diesen Themen. Wir brauchen einen möglichst weltweiten Konsens über die notwendigen Regeln und die einzuhaltenden ethischen Grundsätze. Oberstes Prinzip ist: Die wissenschaftlichen Möglichkeiten dürfen nur zum Nutzen des Menschen Anwendung finden. Dafür trete ich, dafür tritt diese Bundesregierung ein - in Deutschland ebenso wie auf internationaler Ebene.

Meine Damen und Herren,

gute Forschung bedeutet nicht automatisch ein Mehr an Innovation. Und für eine Volkswirtschaft wie die unsere genügt es auch nicht, anderswo entwickelte Verfahren bei uns anzuwenden. Wir müssen in Forschung, Produktion und Anwendung in der Spitze der Innovationsbewegung zu finden sein.

Einer der Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Innovationen ist das effiziente Zusammenspiel der Partner in Wissenschaft und Wirtschaft, also zwischen Forschung, Entwicklung und Produktion. Die chemische Industrie ist ein gutes Vorbild dafür, wie man diese Vernetzung ausgestalten kann: durch die Pflege des strategischen Dialogs, die Mitwirkung von Industrieforschern in der Lehre, bei der Ausgestaltung von Studienplänen, durch die Betreuung von Doktoranden seitens der Industrie und durch gemeinsame Projekte.

Aber noch immer gibt es - in allen Branchen - erhebliche Spielräume, Forschungsergebnisse in größerer Zahl und schneller am Markt umzusetzen. Um neue Antworten auf die Frage zu finden, wie die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft verbessert werden kann, habe ich eine Reihe von Experten für den 15. November in das Bundeskanzleramt eingeladen.

Erfolgreiche Innovationen sind heute vielfach nur in einem arbeitsteiligen Prozess zu gestalten -zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch zwischen den einzelnen Unternehmen. Ich habe in diesem Zusammenhang nachlesen können, dass die Trend-Scouts von Bayer in den vergangenen Jahren gleichsam die Bio-Tech-Boutiquen auf der ganzen Welt durchstöbert haben.

Sie wühlten sich durch Fachpublikationen, nutzten das Internet, besuchten Kongresse und Unternehmen. Das Ergebnis sind Forschungsallianzen im Umfang von fast 2 Milliarden Mark - von den USA über Großbritannien bis nach Heidelberg. Nach dem Urteil von Fachleuten hat Bayer damit eine für Deutschland einzigartige Technologieplattform geschaffen.

Dieses Beispiel zeigt auch: Wer Forschung und Entwicklung heute nur durch die nationale Brille sieht, wird leicht kurzsichtig. Eine Politik der langfristigen Zukunftssicherung braucht die internationale Perspektive - und zwar sowohl auf den Weltmärkten als auch bei uns zu Hause. Wir wollen und brauchen den Austausch mit anderen Staaten, Völkern und Kulturen - einen "Transfer über Köpfe" in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.

Auf die globalen Herausforderungen müssen wir deshalb auch in der Bildung reagieren. Denn das Wissen der Menschen ist unser Kapital für die Zukunft. Hier bekommt der Begriff des "Humankapitals" seine wirkliche Bedeutung. Gerade dieses sogenannte Humankapital ist eine unserer wesentlichen Stärken in Deutschland. Ein Blick auf die Qualifikationspyramide zeigt: in der Spitze brauchen wir Höchstleistungen in der Forschung und in der Breite eine solide berufliche Ausbildung. Das eine geht nicht ohne das andere.

Und ganz wichtig: Das Lernen darf nicht mit der Ausbildung zu Ende sein, sondern muss das ganze Leben begleiten. Lebenslanges Lernen wird unsere Zukunft prägen.

Meine Damen und Herren,

die Bayer AG hat sich ein Leitmotiv gegeben, dem sich die Bundesregierung - auch und gerade im Bereich von Bildung und Forschung - uneingeschränkt verpflichtet. Es lautet: "Kompetenz und Verantwortung". Ich bin sicher, dass dieses Motto auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des neuen Pharma-Technikums zu großen Erfolgen führen wird.