Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 26.10.2000

Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/98/23198/multi.htm


es war schon beeindruckend, was Herr Dr. von Pierer hier über sein E-Mail-Verhalten deutlich gemacht hat: 220.000 E-Mails und 1.500 Antworten! Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass ich auf meinen letzten herkömmlich geschriebenen Brief immer noch keine Antwort habe. Am Beifall merke ich, dass es Ihnen als Kunden gelegentlich auch so geht.

Darüber ist jetzt nicht zu reden, auch nicht über Tennis. Ich gebe es wirklich ungern zu, aber ich muss sagen: Er ist deutlich besanschließend auf den Server kopiert. Dieses Fenster schließt sich automatisch, sobald der Transfer abgeschlossen ist.

ser als ich. Jedes Mal, wenn man mit ihm spielt, ist es so, dass die anderen keine Chance haben, auch dann nicht, wenn sie deutlich jünger sind als wir. Deswegen muss man aber nicht nur über Enkel reden.

Wir befinden uns in der Tat in einem tief greifenden Strukturwandel, und zwar in einem, der Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt erfasst hat. Dieser Strukturwandel verlangt nicht nur von Ihnen, also von den Unternehmen und Unternehmern, sondern auch von Ihren Beschäftigten und von der Politik ein sehr hohes Maß an Anpassungsbereitschaft, und zwar an Anpassungsbereitschaft, die auch mit gewissen Ängsten verbunden ist. Das betrifft die gesamte Gesellschaft, die Politik eingeschlossen. Ich versuche immer deutlich zu machen, dass es völlig unmöglich ist, in einer Gesellschaft, deren ökonomische Basis sich so schnell verändert, das politisch soziale System unverändert zu lassen. Im Gegenteil. Wenn sich das alles so schnell verändert, womit Sie in erster Linie in Bezug auf Ihre Lebenszusammenhänge zu tun haben, muss sich das politisch soziale System mit verändern. Passiert das nicht, kommt es zu Kontroversen, die uns allen nicht helfen können. Das ist der Grund dafür, dass das, was Sie machen - der Umgang mit den Informations- und Kommunikationstechnologien - keineswegs nur die Wirtschaft verändern wird und verändern muss. Vielmehr wird und muss es auch die Politik verändern.

Die Rahmen müssen anders werden, als wir es gewohnt sind. Nur wenn es uns miteinander gelingt, den Übergang ins Informationszeitalter nicht nur im Business, sondern auch darüber hinaus erfolgreich zu gestalten, dann und nur dann werden wir ein ökonomisches und soziales Klima aufrechterhalten können, das Wohlstand, Gerechtigkeit und Arbeitsmöglichkeiten wirklich auf Dauer schafft. Wir stehen also gemeinsam vor diesen Veränderungsprozessen; das betrifft Sie keineswegs allein.

Genauso deutlich will ich aber auch Folgendes machen. Ich bin nicht der Meinung, dass wir es gleichsam mit einer völligen Ablösung des Bisherigen zu tun hätten. Ich bin nicht der Meinung, dass man einfach eine Trennung in New und Old Economy machen könne, dass es also darum ginge: weg von den klassischen Industrie- und Produktionszweigen sowie dem verarbeitenden Gewerbe, hin zu dem, was man New Economy nennt. Ich glaube, es ist viel mehr richtig zu sehen, dass Old und New Economy einander durchdringen.

Die größten Wachstums- und Erfolgschancen haben wir deshalb, wenn wir diesen Prozess der wechselseitigen Durchdringung organisieren lernen. Es hat sich immer erwiesen, dass unabhängig von der Frage, ob wir in bestimmten Bereichen zu den Forschungseliten dieser Welt gehören, Deutschland bei der Organisation und Anwendung von bestimmten Prozessen führend war. Ich denke, es kann wieder so sein, dass wir vor allen Dingen bei der Integration der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in bewährten, von uns verstandenen Produktionsprozessen gut sind.

Mein Eindruck ist, Herr von Pierer, dass das einer der Punkte ist, bei denen Siemens Beispielhaftes geleistet hat beziehungsweise auf dem Weg ist, dies zu tun. Sie haben das ausgeführt. Das, was in einem Unternehmen, also in einer kleineren Einheit - gleichgültig, wie groß das Unternehmen ist - möglich ist, müsste als Strategie für die gesamte Gesellschaft auch Erfolg versprechend sein.

Deutschland kann auf seine traditionellen Stärken bauen, neue Technologien in bestehende zu integrieren. Noch einmal nenne ich das Beispiel Siemens: Vor 150 Jahren begann das Unternehmen als Hersteller von Telegraphen-Anlagen, dann kam der Aufstieg zu einem Elektronikunternehmen von Weltrang. Heute ist das Unternehmen "Global Player" im Bereich der gesamten Nachrichtentechnik. Das ist meiner Meinung nach eine geglückte Integration.

Entscheidend dafür war die Bereitschaft von Unternehmensleitung und Beschäftigten, neue Herausforderungen anzunehmen und neue technische Möglichkeiten nicht nur zu entwickeln, sondern sich auch darum zu kümmern, dass sie genutzt werden. Man kann daran gut sehen, dass unsere Zukunft nicht allein von den "Kleinen", von den Tüftlern in den Garagenfirmen abhängt. Man kann aber auch sehen, dass sich große Unternehmen und ihre Mitarbeiter ständig neuen Ideen öffnen und vor allem in der Anwendung dessen versiert sein müssen, was erforscht worden ist und was sie gelernt haben. Kurz gesagt: Es kommt darauf an, die Kreativität aller zu entfalten. Das ist der Grund dafür, dass ich sage: Früher haben wir über Bildung unter dem Aspekt der Gerechtigkeit diskutiert. Ich habe völlig zu Recht gesagt: Zugang zu Bildung darf nicht auf einzelne Gruppen beschränkt bleiben, sondern Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit erfordern, dass die Möglichkeit, sich zu bilden, allen offen steht, unabhängig vom Geldbeutel des Elternhauses.

Das gilt nach wie vor. Aber heute kommt etwas Entscheidendes hinzu. Das hat etwas mit der Greencard-Debatte zu tun. Wir können es uns in Deutschland - das gilt nicht nur, aber vor allem für Deutschland; dafür sind wir zuständig - buchstäblich auch volkswirtschaftlich nicht mehr leisten, auch nur eine einzige Begabungsreserve im Volk unausgeschöpft zu lassen. Das heißt, wir sind darauf angewiesen - das ist vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Fall - umfassend Bildung zu mobilisieren, nicht nur aus sozialen Gründen und aus dem Gerechtigkeitsideal heraus, sondern auch aus schlichten ökonomischen Gründen. Greencard ist auch unter einem anderen Aspekt wichtig. Darauf ist bereits hingewiesen worden: Wir brauchen in Deutschland mehr Internationalität, mehr Bereitschaft, uns mit anderen Kulturen auseinander zu setzen, deren Herangehensweise zu lernen, zu schauen, was die Menschen dort besser können und was wir besser können, um auf diese Weise unser eigenes Verhalten und unsere eigenen Strategien zu optimieren.

Die gesamte Zuwanderungsdebatte ist eine Debatte um Deutschlands Internationalität. Wenn wir an Internationalität verlieren, dann verlieren wir auch wirtschaftlich. Es gibt - das weiß niemand besser als Sie - wohl kaum Märkte, die so international organisiert sind, wie der Markt der Informations- und Kommunikationstechnologien oder - das kommt jetzt auf - der Markt der Biotechnologien. Es ist ein Gebot der Vernunft, sich um mehr Internationalität zu kümmern. Modernisierung des Staates und der Gesellschaft parallel zu dem, was sich in der Wirtschaft vollzieht, wird umso besser gelingen, je wirksamer wir das Prinzip der gesellschaftlichen Teilhabe zur Geltung bringen. Nur wenn die Menschen, um die es uns gehen muss, wirklich teilhaben an dem, was man Haben und Sagen in der Gesellschaft nennt, werden sie ihre Kreativität und ihre Leistungsfähigkeit optimal für die Modernisierungsaufgaben, die wir vor uns haben, nutzen können. Das ist in der Gesellschaft nicht anders als in einem Betrieb.

Wenn Sie davon ausgehen, dass Sie - das galt in der Vergangenheit bereits; es gilt in der Gegenwart erst recht, aber noch mehr in der Zukunft - um Erfolg im geschäftlichen Bereich zu haben, darauf angewiesen sind, das gesamte Potenzial Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu mobilisieren, dann müssen Sie sie möglichst breit am Erfolg, aber auch an den Entscheidungen im Unternehmen, teilhaben lassen. Jedem nach seinem Vermögen, das ist keine Frage, aber die Chance der Teilhabe muss gegeben sein, wenn man die Leute wirklich packen und erreichen will, dass sie alles tun, um Erfolg zu erzielen. Es spricht wenig dafür, dass man die Möglichkeiten, die Sie im Unternehmen in Bezug auf Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen müssen, um Erfolg zu haben, den Menschen in der Gesellschaft vorenthalten kann. Das würde nicht funktionieren. Es werden immer weniger Entscheidungen per Order de Mufti fallen. Gelegentlich - ich weiss es wohl - sind sie trotzdem nötig.

Wir setzen auf eine Politik, die sich insbesondere darauf konzentriert, die so genannte "digitale" Spaltung der Gesellschaft, also eine Spaltung in Nutzer und Habenichtse der neuen Informations- und Kommunikationsangebote, zu verhindern. Wir müssen - genauso wie Herr von Pierer es vorgeführt hat und wie Sie es in den Unternehmen tun - den Staat in Richtung auf mehr "E-Government" modernisieren und die Rahmenbedingungen für "E-Commerce" und "Online-Ökonomie" verbessern.

In absoluten Zahlen gemessen, hat Deutschland in Europa einen Spitzenplatz bei den Nutzern von Internet- und Online-Diensten inne. Was den Prozentsatz derer, die "drin" sind, an der Gesamtbevölkerung betrifft, liegen wir im europäischen Mittelfeld, und zwar etwa gleichauf mit Volkswirtschaften von gleicher Größe und Bedeutung. Das darf uns aber nicht zufrieden stellen. Unser Ziel muss es sein und ist es, Internet für alle möglich zu machen, zumindest für alle, die es wollen. Deswegen haben wir im vergangenen Monat auf der Weltaufstellung im Rahmen einer Veranstaltung der Initiative "D 21" ein Paket mit insgesamt zehn Maßnahmen beschlossen, die wir Schritt für Schritt umsetzen werden.

Von zentraler Bedeutung ist, dass alle Schülerinnen und Schüler so früh wie möglich den Umgang mit dem Medium Internet einüben können. Denn es geht nicht nur um die technische Verfügbarkeit der Hardware, sondern gleichsam um eine neue Kulturtechnik, nämlich um die Kulturtechnik der Beherrschung dieser neuen Medien. Das wird in ein paar Jahren so wichtig sein wie heute das Schreiben und das Lesen. Deshalb haben wir in einem wirklich exzellenten Beispiel von Private-Public-Partnership die Initiative "Schulen ans Netz" auf den Weg gebracht.

Ohne das Sponsoring der Wirtschaft wäre das ehrgeizige Ziel, alle 40.000 deutschen Schulen bis zum Ende des nächsten Jahres an das Internet anzuschließen und mit multimediafähigen PC zu versorgen, nicht zu erreichen. Deshalb danke ich allen Unternehmen und Organisationen, die sich hier in vorbildlicher Weise engagieren.

Vielleicht kann man in einem Kreis wie diesem noch etwas tun. Vielleicht kann man sich vor Ort, in der Gemeinde oder im Dorf, also dort, wo man lebt, mit den Schulen zusammentun und schauen, was man miteinander machen kann. Solche Partnerschaften mit Schulen können und sollten auch kleine und mittlere Unternehmen eingehen, um die Durchdringung mit diesem Medium an den Schulen schneller zu bewerkstelligen. Der Staat soll das als seine Hauptaufgabe betrachten. Aber angesichts der Konsolidierungsaufgaben, also des Zwangs zur Sparsamkeit, den wir auch haben, ist nicht alles möglich, was wünschenswert wäre.

Das private Sponsoring, das in den Vereinigten Staaten längst selbstverständlich ist, kann sich auch in Deutschland so durchsetzen. Warum eigentlich nicht? Die Bundesregierung wird sich darüber hinaus bei der EU-Kommission dafür einsetzen, das PC-Sponsoring mehrwertsteuerfrei zu stellen. Das ist ein europäisches Projekt. Das geht nur in diesem Rahmen. Wenn wir das erreichen könnten, hätten wir wahrscheinlich große Fortschritte auf diesem Gebiet zu erwarten.

Darüber hinaus haben wir uns im "Bündnis für Arbeit" auf eine mehrjährige Offensive zum Abbau des Fachkräftemangels speziell in der Informationswirtschaft geeinigt. Gemeinsam mit den Sozialpartnern haben wir in den letzten Jahren ein gutes halbes Dutzend neuer Berufsbilder für den IT-Bereich definiert. Die Wirtschaft hat zugesagt - sie ist auf dem Weg das einzuhalten - in den IT-Berufen 60.000 zusätzliche Ausbildungsplätze bis zum Jahre 2003 zur Verfügung zu stellen.

Sie wissen, dass diese Fachkräfte dringend benötigt werden. In Deutschland fehlen der IT-Branche und den anwendenden Unternehmen zurzeit 150.000 Fachkräfte. Das waren Versäumnisse der Vergangenheit, Versäumnisse von uns allen, auch von den Unternehmen - ich meine auch die großen - , die ihre Kostenprobleme Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre häufig genug durch die Plünderung ihrer Forschungsabteilungen und das Nichteinstellen von qualifizierten Naturwissenschaftlern und Ingenieuren gelöst haben. Vielleicht haben sie das so lösen müssen, ich will das nicht bewerten. Wir haben uns damals aber alle prozyklisch verhalten und haben es an antizyklischem Denken auch in diesem Sektor fehlen lassen.

Für die Zeit, bis diese mittelfristigen Maßnahmen Wirkung zeigen, haben wir mit der Greencard-Initiative schnell und flexibel reagiert. Wir können - Herr von Pierer hat bezüglich seines Unternehmens darauf hingewiesen - erste Erfolge verzeichnen. Mehr als 11.000 Fachkräfte haben sich beworben und mehr als 2.200 IT-Spezialisten aus Nicht-EU-Ländern konnten innerhalb von zwei Monaten bereits vermittelt werden. Es kann gar keine Rede davon sein, dass das schleppend vorangehe. Falls bürokratisch nachzuarbeiten ist - das wird sich herausstellen - , haben wir kein Problem damit, das zu tun. Das betrifft zum Beispiel die Frage: Wie lange dürfen oder sollen sie bleiben?

Ich denke, das ist ein guter Anfang. Es gilt, weiter Werbung für unser Land zu machen und die Möglichkeiten auszuweiten, indem wir um die besten Köpfe weltweit auch wirklich konkurrieren. Dass das eine Offenheit unserer Gesellschaft voraussetzt, ist eine blanke Selbstverständlichkeit. Was diese Frage angeht, ist zu sagen: Es ist nicht so, dass diese hervorragend qualifizierten Fachleute sich nichts anderes vorstellen könnten als in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Alles, was hier schief läuft, etwa hinsichtlich rechtsradikaler Gewalt, schreckt diese Menschen ab. Um sie wird weltweit geworben. Wenn wir sie nicht bekommen, gehen Sie woandershin zum Nutzen der dortigen Volkswirtschaften und zum Schaden unserer Volkswirtschaft. Ich denke, das sollte man möglichst vermeiden.

Eine Politik der Abschottung und der Mobilisierung von Ressentiments gegen eine vernünftig gesteuerte - ich betone: vernünftig gesteuerte - Zuwanderung darf es nicht geben. Das ist nicht in erster Linie eine moralische Debatte, sondern es ist eine Frage der schlichten ökonomischen Vernunft. Alle reden von Globalisierung. Aber was Globalisierung auf diesem Sektor bedeutet, das verdrängt man manchmal gern. Wenn es Volkswirtschaften gibt, die der Globalisierung ausgesetzt sind, kann die Antwort darauf niemals Abschottung nach innen sein. Vielmehr muss die Antwort lauten: Offenheit gerade nach außen. Die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes, aber auch die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger hängen im Informationszeitalter nicht zuletzt davon ab, wie gut und wie schnell der Staat Dienstleistungen erbringen kann. Deshalb wird die Bundesregierung bis zum Jahr 2005 alle dafür geeigneten Dienstleistungen online bereitstellen.

Gemeinsam mit den Ländern, die die Gesetze umzusetzen haben - jedenfalls in der Hauptsache - werden wir die Einführung eines elektronischen Bürgerservices auf Bundes- , Länder- und Gemeindeebene zu beschleunigen haben. In Zukunft sollen - ich weiss, dass das ein hehres Ziel ist - Informationen laufen und nicht mehr die Bürgerinnen und Bürger. Ich stelle mir vor, was wir für eine Gesellschaft haben werden, wenn wir es hinbekommen, dass man nicht aufs Amt kommt und dort mehr oder minder gut behandelt wird, sondern dass diejenigen, die dort sitzen, sagen: Wir sind der Dienstleister. Diejenigen, die zu uns kommen, auf allen Ebenen des Staates, betrachten wir als unsere Kunden, von denen wir leben - wie Sie es auch tun müssen; die Größeren weniger, die Kleineren mehr; das weiss ich wohl.

Ich stelle mir wirklich eine Gesellschaft vor, in der wir dieses Prinzip durchsetzen könnten. Das wäre eine für uns alle gute Gesellschaft. Die IuK-Technologien könnten uns - so denke ich - dabei helfen. Bei einer solchen modernen Verwaltung würden online Anträge gestellt, Genehmigungen erteilt und Leistungen bewilligt werden. Durch die Errichtung eines gemeinsamen Internetportals wird die Verwaltung von Grund auf modernisiert. Damit schaffen wir nicht nur einen Zugang zu staatlichen Internetdienstleistungen, sondern mit Hilfe des Internet soll beispielsweise die Management-Struktur des öffentlichen Beschaffungswesens reorganisiert werden. Es geht um eine Gesamtgrößenordnung von immerhin 500 Milliarden DM. Ich unterstelle, dass hier sowohl in Bezug auf die Effizienz als auch auf die Kosten immense Reserven schlummern.

Das kann man an dem ermessen, was Herr von Pierer gesagt hat. Er kauft jedes Jahr für 70 Milliarden DM - von 35 Milliarden Euro hat er gesprochen - ein und sagt: Ich kann zwei Milliarden DM, also eine Milliarde Euro, sparen, wenn ich das vernünftig organisiere. Das muss man bei 500 Milliarden DM der öffentlichen Hand hochrechnen. Ich kann es so schnell nicht, aber online könnte ich das. Darin sind viele Möglichkeiten enthalten. Diese Möglichkeiten wollen wir wirklich nutzen. Das heißt, das geht nicht nur Ihren Bereich etwas an, sondern meinen beziehungsweise unseren Bereich ganz genauso.

Gerade im so genannten Business-to-Government-Bereich erwarten wir ein langfristiges Potenzial zur Kosteneinsparung - so haben wir es ausgerechnet - im zweistelligen Prozentbereich. Das Geld können wir entweder den Bürgerinnen und Bürgern in Form von nachgelassenen Steuern und Abgaben zurückgeben, investieren es in Infrastruktur oder machen eine Mischung aus beidem. Das sind enorme Möglichkeiten nicht nur für die Geschäftswelt, sondern auch für uns.

Eine effiziente Online-Verwaltung und eine internetorientierte Modernisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen bieten auch gute Voraussetzungen für die breite Nutzung von E-Commerce. Im Vordergrund steht die Sicherheit beim Bestellen und Bezahlen von Gütern und Dienstleistungen im Internet. Ohne Vertrauen läuft auch in diesem Geschäft nichts, und auf diesem Gebiet des Vertrauens in die Sicherheit sind die Ansprüche in Deutschland besonders hoch. Deswegen müssen und werden wir IT-Kriminalität in besonderer Weise bekämpfen. Es bedarf hier verstärkter internationaler Zusammenarbeit, um die wir uns bemühen. Die Anforderungen, Sicherheit und Vertrauen zu schaffen, richten sich an alle Beteiligten, an die Anbieter, an die Kunden und an die Finanzdienstleister, aber ebenso an den Verbraucherschutz, der auf diesem Gebiet genauso wirksam werden muss wie im konventionellen Geschäftsverkehr, und auch an uns, an die Gesetzgeber.

Die Absicherung des Online-Zahlungsverkehrs nach US-amerikanischen Maßstäben ist sicherlich eine vernünftige Forderung, insbesondere für öffentliche Ausschreibungen. Aber auch für den gesamten Datenverkehr zwischen Bürgern und staatlichen Stellen müssen und werden wir sicherstellen, dass die elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung erhält, wie die von Hand geleistete Unterschrift. Dies muss auch für den Geschäftsverkehr gelten.

Insgesamt werden wir die rechtlichen Rahmenbedingungen für Internetgeschäfte, also die Regeln für den Online-Verkehr, umfassend und den jeweiligen Anforderungen entsprechend neu organisieren und modernisieren. Dies hat dann auch Auswirkungen auf die Urheberrechte in den Bereichen Wort, Bild und Musik. Wegen eines Titels, der jetzt in den Charts ganz oben ist, musste ich mich mit urheberrechtlichen Fragen in der letzten Zeit besonders intensiv auseinander setzen, wie Sie sich vorstellen können.

Ich habe davon geredet, dass wir es wirklich mit rasanten Veränderungen zu tun haben. Es ist kein Wunder, wenn das, was man New Economy nennt, gelegentlich unter Druck gerät. Wir haben jetzt so eine Phase. Aber all diejenigen, die diesen Bereich so hoch gejazzt haben, sollten sich jetzt davor hüten, den Abgesang anzustimmen. Wer den Abgesang der neuen, von Telekommunikation und Computer getriebenen Zukunftswirtschaft anstimmt, handelt genauso übertrieben wie diejenigen, die - das ist gar nicht so lange her - vor lauter Internet-Euphorie gleich die gesamte Old Economy begraben wollten. Beides ist falsch. Ich bin fest davon überzeugt.

Die gegenwärtig zu beobachtenden Börsenschwierigkeiten auf den Online-Märkten spiegeln - das glaube ich jedenfalls - den normalen Übergang von einem Gründerboom, den wir Gott sei Dank hatten und der uns in anderen Bereichen noch bevor steht, hin zu einem ganz normalen konsolidierten Wachstum des Marktes wider. Ich will hier keine Einzelschelte betreiben, aber wer immer nur auf märchenhafte Kurszuwächse gesetzt hat, der darf sich über gewisse Marktbereinigungen auch dann nicht wundern, wenn manche Analysten diese märchenhaften Prognosen abgegeben haben.

Solidität ist in Bezug auf das Wachstum in diesem Bereich gar nicht so schlecht. Das verbindet uns ja auch, Herr von Pierer. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie Sie gescholten worden sind, weil Sie gesagt haben, so ein Unternehmen habe auch eine volkswirtschaftliche, nicht nur eine betriebswirtschaftliche Verantwortung. Wenn 28-jährige Analysten in London von mir verlangen, dass ich mal eben 50.000 Leute herausschmeißen solle, um die Bilanz nach ihrem Gusto zu verbessern, muss ich es mir dreimal überlegen, ob ich diesen Analysten folge. Es ist sowieso eine Merkwürdigkeit in unserer Gesellschaft, dass sich gestandene Manager in großen Unternehmen damit befassen müssen, was diese Leute, die gerade dem Volkswirtschaftsstudium entsprungen sind, als Analysten von sich geben. Ich wundere mich auch manchmal darüber, welche Auswirkungen deren Bemerkungen auch auf völlig andere Bereiche haben. Irgendwie stimmt etwas nicht, was das Vertrauen auf deren Ratschläge angeht. Ich denke, eine solide Wachstumsprognose zu haben und sie auch Schritt für Schritt zu realisieren, ist allemal besser, als auf solche Merkwürdigkeiten einzugehen. Tatsache ist: Die starken Unternehmen und die guten Geschäftsideen werden überleben und expandieren. Das Marktvolumen wird zunehmen. Man kann es in Deutschland spüren.

Ich möchte abschließend noch einige Bemerkungen machen, die über das spezielle Thema hinaus gehen.

Erstens: Ich glaube, wir müssen wirklich alle Ressourcen, über die wir verfügen, schwerpunktmäßig in den Bereich Forschung, Bildung und Weiterbildung investieren. Das kann gar keine Frage sein. In den großen unternehmerischen Einheiten ist das inzwischen selbstverständlich geworden. Die kleinen und mittleren Unternehmen können das betriebswirtschaftlich nicht alleine leisten. Das ist uns klar. Deswegen muss der Staat das tun. Wo immer es Spielräume vor dem Hintergrund einer Konsolidierungs- und Sparpolitik gibt, müssen wir das wegen der Nachhaltigkeit der Finanzpolitik und des Respekts vor unseren Kindern - für einige auch vor den Enkelkindern; Sie haben das gehört - tun.

Zweitens müssen wir diese, wie ich finde, ausgewogene Balance zwischen einer Spar- und Konsolidierungspolitik auf der einen Seite und der Verstärkung von volkswirtschaftlich vernünftigen Investitionen des Staates auf der anderen Seite - nicht für Konsum soll Geld ausgegeben werden, aber für Investitionen - beibehalten und, wo immer es geht, noch präzisieren. Das ist Kern unserer Politik, der finanz- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen.

Es gibt genügend Gelegenheiten, sich über die Einzelheiten zu streiten. Es geht mir darum, dass das berühmte Leitplankenprinzip des Bundesfinanzministers beibehalten wird. Er sagt nämlich, dass wir Nachhaltigkeit - man kann auch "Zukunftsfähigkeit" sagen - nicht nur auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen beziehen, sondern als ein allgemeines Prinzip auffassen sollten, eines, das alle Politikbereiche und alle gesellschaftlichen Bereiche berührt. Ich meine es jetzt wirklich ernst: Nachhaltigkeit wegen der Kinder und Enkelkinder. Denn wir können und dürfen nicht auf Dauer auf deren Kosten leben. Das würde uns nicht helfen und wäre auch unmoralisch. Wenn wir das beibehalten wollen - wir müssen es beibehalten - , dann gibt es nur die Möglichkeit, dass die Politik der Konsolidierung der Haushalte auf der einen Seite und Investitionen in Schwerpunktbereiche für den Staat, also Infrastruktur und Bildung, Forschung und Entwicklung, auf der anderen Seite fortgesetzt wird.

Über die Ausfüllung im Einzelnen kann gern gestritten werden. Das Prinzip jedoch muss klar sein. Denn wenn wir dieses Prinzip nicht beibehalten, werden wir im internationalen Wettbewerb nicht besser werden, sondern wir werden zurückfallen. Seit dieses Prinzip gilt, läuft es wirtschaftlich in Deutschland auch deutlich besser. Es ist mir wichtig, dass auch das immer wieder einmal gesagt wird.

Man sagt, Wirtschaftspolitik habe viel mit Psychologie zu tun. Einige sagen, es wäre die Hälfte. Das mag sein. Ich will die Prozentzahlen nicht beurteilen. Aber sicher ist es so, dass Stimmungen auch Auswirkungen auf die Kaufentscheidungen und damit auf die Geschäftstätigkeit haben. Das ist keine Frage. Wenn das aber so ist, müssen wir es uns in Deutschland auch angewöhnen, dann, wenn es gut läuft, die positive Entwicklung zu verstärken und nicht durch unsinnige Debatten zurückzunehmen. Wir haben in diesem Jahr eine Wachstumsrate von drei Prozent, eher darüber als darunter. Wir werden drei Prozent auf jeden Fall erreichen. Das ist für eine Volkswirtschaft, die so entwickelt ist, wie die unsrige, eine ganze Menge. Das ist für ein Land, das hinsichtlich der Folgen der Wiedervereinigung noch mächtig investieren muss, ein wirklich gutes Ergebnis. So sollten wir es weltweit auch kommunizieren. Wir haben einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Die Zahl von 1997 habe ich noch gut in Erinnerung: 4,6 Millionen. Wir werden zum Ende der Legislaturperiode, also in nicht einmal zwei Jahren, eine Zahl haben, die bei weniger als 3,5 Millionen liegt. Das reicht immer noch nicht, aber das ist eine ganze Menge und ein Ergebnis, an dem man weiterarbeiten kann.

Wir haben im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit - das ist ein Bereich, der besonders wichtig ist; denn wir wollen die jungen Leute von der Straße weg bekommen - inzwischen im Westen des Landes - leider erst einmal nur im Westen - ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Es ist regional noch unterschiedlich. Wir haben in einigen Regionen sogar ein deutlich höheres Angebot an Ausbildungsplätzen als Nachfrage organisiert werden kann. Das ist ein Punkt, über den wir uns vor zwei oder drei Jahren noch gestritten haben. Damals haben wir noch beispielsweise über Abgaben, die man erheben müsste, diskutiert. Das ist vorbei. Es ist Geschichte, weil wir uns zusammengerissen und gemeinsam etwas bewegt haben.

Ich denke, all diese unbezweifelbaren Erfolge darzustellen, ist nicht nur die Aufgabe der Politik und der organisierten Öffentlichkeit, sondern aller am Wirtschaftsleben Interessierter und aller, die dort tätig sind. Ich will nicht so weit gehen und sagen, dass bei der Darstellung dessen, was wir in Deutschland geleistet haben, nun jeder immer gleich die Bundesregierung loben müsse. Es reicht mir, wenn Hans-Olaf Henkel das tut.

So sind die Zeiten inzwischen. Es geht darum, dass deutlich wird, dass wir in den letzten Jahren eine Menge auf den Weg gebracht haben, dass wir Reformstau aufgelöst haben und dass dieses Deutschland, seine Gesellschaft, alle Leute, die anpacken, weit besser sind als zu Zeiten, als es in der angelsächsischen Presse - nicht nur da - möglich und nötig war, über German disease, über die deutsche Krankheit, zu reden. Das haben wir Gott sei Dank überwunden. Sie und alle anderen auch haben etwas dazu beigetragen. Dafür danke ich Ihnen, ebenso wie für die heutige Einladung.