Redner(in): Angela Merkel
Datum: 02.09.2011
Untertitel: in Berlin
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/09/2011-09-02-merkel-abb,layoutVariant=Druckansicht.html
Sehr geehrter Herr Terwiesch,
sehr geehrter Herr Ochsner,
sehr geehrter Herr Antmann,
vor allen Dingen liebe Auszubildende,
liebe Kollegen aus den Parlamenten
und Vertreter der verschiedenen Betriebe,
ich bin heute sehr gern nach Pankow gekommen. Der Beginn eines neuen Ausbildungsjahres ist etwas ganz Besonderes. Er ist verbunden mit vielen Hoffnungen, Erwartungen, vielleicht auch mit ein bisschen Beklommenheit was alles wird jetzt kommen? Aber Sie haben ja an den älteren Ausbildungsjahrgängen schon gesehen: Die Ausbildung nimmt ihren Gang und wird schon gut werden.
Ich finde, es ist ein sehr ermutigendes Zeichen, dass wir hier im "PankowPark" sind. Ich habe nebenbei auch gehört, was hier schon alles entstanden ist. Herr Antmann ist nicht mehr Auszubildender, sondern schon 45 Jahre dabei. Das ist eine ganz tolle Sache. Das zeigt, wie lange einen die Ausbildung prägen kann, wenn man immer weiter daran arbeitet.
Der Park hier hat bereits eine über 100-jährige Industriegeschichte. Daran kann man studieren, wie sich Deutschland als Industrieland entwickelt hat, was unsere Stärken ausgemacht hat und was die Brücke in die Zukunft ist. Aber man kann sich auch genau ansehen, wie sich die Art der Arbeit gewandelt hat. Da sind zu unseren großen Fähigkeiten in klassischen Bereichen wie dem Maschinenbau auch die im gesamten Bereich der Datenverarbeitung und Elektronik hinzugetreten. Die günstige Verbindung von beidem hat Deutschland eigentlich die Brücke eröffnet, auch heute noch ein starkes Exportland zu sein.
Wenn Sie verschiedene Berufe lernen Mechatroniker scheint ja hier einer der Starberufe zu sein, dann müssen Sie wissen: Was Sie lernen, das ist in hundert Jahren gewonnene Erfahrung kombiniert mit der Freude an Neuem. Das ist Weltklasse, was Sie hier lernen. Die Art und Weise, wie Sie das aufnehmen, wie Sie dann das Gelernte beherrschen und es eines Tages weitergeben hier sind ja auch Vertreter, die ausgelernt haben und Ausbilder sind, das ist Teil dessen, was auch in Zukunft unsere Basis für Wohlstand ausmacht.
Nur wenn wir Dinge können, die andere nicht können, haben wir eine Chance, sie zu verkaufen. Und da wir mit Sicherheit nicht diejenigen sind, die auf der Welt am billigsten etwas herstellen, haben wir nur eine Chance, wenn wir etwas Besseres, Interessanteres, Neueres und Spannendes machen. Deshalb ist jede gute Idee willkommen. Junge Leute haben oft noch einen anderen Blick auf die Dinge.
Auch ich kann Ihnen nur empfehlen, wenn es Probleme gibt, mit dem Ausbilder zu sprechen. Sie scheinen mir hier alle sehr aufnahmebereit zu sein, soweit ich gesehen habe. Also, haben Sie keine Angst und stauen nicht erst einen Haufen Frust auf, sondern nennen Sie die Dinge beim Namen.
Es ist hier schon über das Thema des demographischen Wandels und die Herausforderungen gesprochen worden, vor denen wir stehen. Aber erst einmal sind wir froh, dass sich so viele Auszubildende hier gefunden haben. Die gute Nachricht für die jungen Leute ist: Sie sind begehrter als vielleicht vor zehn oder zwanzig Jahren. Das heißt, nicht nur Ihr müsst euch mühen, gut zu sein, sondern die Unternehmen müssen sich auch mühen, aus Euch etwas Gutes zu machen. Das ist eigentlich eine der chancenreichsten Situationen, die man sich vorstellen kann. Es ist wirklich wichtig, dass gerade auch die jungen Leute einen betrieblichen Ausbildungsplatz bekommen.
In den letzten elf Monaten ist die Zahl der betrieblichen Ausbildungsstellen in ganz Deutschland um 48.800, also fast 50.000, auf über 467.000 gestiegen. Das ist eine sehr, sehr gute Nachricht. Ich habe mich hier auch darüber informieren können, dass quer durch die Betriebe hinweg sehr intensiv überlegt wird, wie es zu erreichen ist, dass keiner verlorengeht, der ausbildungsfähig ist, dass jedem eine Chance gegeben wird.
Nun ist es in der Tat so, dass bezüglich der Frage, wie wir jedem eine Chance geben können und dass vor allen Dingen auch in den richtigen Bereichen ausgebildet wird, der Staat und damit meine ich Politik auf den verschiedenen Ebenen mit Unternehmen und den Vereinigungen der Unternehmen sehr eng zusammenarbeiten muss.
Deutschland, das darf man sagen, ist weltweit berühmt für sein Ausbildungssystem. Das duale Ausbildungssystem kennt man von Äthiopien über China bis Indien. Es ist einer unserer großen Exportschlager. Wir können gar nicht so viel von diesem Wissen exportieren, wie auf der Welt nachgefragt wird. Als ich jüngst in Indien war, habe ich erfahren das muss man sich einmal vor Augen führen; Indien hat 1,2 Milliarden Einwohner, dass man bis 2022 200 Millionen jungen Leuten eine Ausbildung geben will. Da sehen Sie einmal, was woanders auf der Welt los ist. Aber es ist auch toll hier mit 178 Auszubildenden, denn wir sind eben auch nur ein Volk von 80 Millionen. Die Aufgaben, die vor den aufsteigenden Weltwirtschaftsländern wie China und Indien liegen, sind gigantisch. Eine gute deutsche Ausbildung ist da immer noch ein vorbildliches Beispiel, dem man nacheifern möchte.
Ich kann Herrn Ochsner nur zustimmen, dass wir uns überlegen müssen: Wie können wir unsere Chancen und Möglichkeiten noch besser ausschöpfen? Da muss man sagen: Es ist manchmal gar nicht einfach, wenn Bund und Länder in Bildungsfragen zusammenarbeiten sollen, weil dann immer nach der Zuständigkeit gefragt wird. Es ist ja so: Sie als direkt Betroffene interessieren die Zuständigkeiten überhaupt nicht. Wenn Ihnen einer einen langen Vortrag darüber hält, wer für die Schule, wer für die Universität und wer für die Berufsausbildung zuständig ist, dann sagen Sie: Okay, ich will nur, dass das klappt. Das verstehe ich auch, das ist Ihr legitimer Anspruch.
Deshalb ist es gut, dass wir uns mit den Ländern geeinigt haben, dass die Zahl der Schulabbrecher in den nächsten Jahren halbiert werden soll sie sinkt ja auch kontinuierlich und dass Berufsberatung in den Schulen stattfinden kann. Das ist sehr interessant, wann die Unternehmen und die Ausbildungsstätten schon anfangen, sich ihren Nachwuchs heranzubilden. Fünfte Klasse einmal Knopfdrücken, große Begeisterung. Dann muss man die Schüler noch über die ganze Zeit bis zur zehnten Klasse oder bis zum Abitur interessiert halten. Und ganz wichtig ist: Wir ermuntern jedes Jahr auch im Bundeskanzleramt mit dem Girls " Day Mädchen dazu, technische Berufe zu erlernen.
Ich selber habe ja Physik studiert; ich habe es auch überlebt. Ich habe es nicht nur überlebt, es hat sogar Spaß gemacht. Ich kann jedem Mädchen nur sagen: Das kann man schaffen. Gerade die neuen Berufe sind ja nicht mehr körperlich so anstrengend, sondern es geht sehr viel um die Verbindung von Mathematik und mechanischen und technischen Fähigkeiten. Das muss sich fortsetzen, sodass auch Frauen gute Karrierechancen haben.
Je mehr Frauen in die klassischen Männerdomänen hineingehen, umso mehr ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Thema. Mit den Vätermonaten, die wir im Zusammenhang mit dem Elterngeld geschaffen haben, sind inzwischen auch mehr Väter an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehr interessiert. Je besser ein Unternehmen darauf eingeht, umso günstiger ist das.
Natürlich müssen wir auch das gesamte Arbeitsleben in den Blick nehmen und versuchen, nicht nur den jungen Leuten gute Chancen zu geben. Lebenslanges Lernen gehört heute dazu; man darf nicht stehen bleiben. Sicherlich sind auch die Fragen des altersgerechten Arbeitens am Ende eines Berufslebens noch ein Thema, um das wir uns sehr kümmern müssen und bei dem man noch sehr viel mehr machen kann.
Die Betreuungssituation für Kleinkinder wird sich in den nächsten Jahren kontinuierlich verbessern. Auch das ist für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie natürlich wichtig. Außerdem ist ganz wesentlich, dass wir die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund besser hinbekommen. Deutschlands Stärke liegt vor allen Dingen auch darin, dass wir sehr gute und hochqualifizierte Auszubildende und Ausgebildete haben. Deshalb müssen schon in der Schule Kinder mit Migrationshintergrund von Anfang an mitkommen. Deshalb ist es so wichtig, dass Sprachtests gemacht werden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir im Kindergarten und möglichst schon in der Krippe mit der Sprach- und Integrationsförderung beginnen und wir hier durchaus deutlich machen, dass auch Leistung erwartet wird. Es hat keinen Sinn, wenn man bei Kindern in den ersten Lebensjahren zu nachsichtig ist und sagt: Das wird schon alles werden. Denn Kinder, die schon in der Schule ihren Lehrer nicht verstehen, werden ihren Ausbilder dann vielleicht gar nicht zu sehen bekommen, weil sie nicht die Fähigkeit haben, die für eine Ausbildung notwendig ist.
Die heutigen Ausbildungsberufe das sieht man ja hier erfordern durchaus hohes Können und Wissen. Mich freut besonders, dass durch Kontakte zu anderen Unternehmen im Ausland Wales wurde heute immer wieder genannt heute auch Fremdsprachenkenntnisse dazu gehören. Das ist auch sehr wichtig.
Die Bundesregierung versucht möglichst, die duale Ausbildung zu fördern. Flächendeckend wollen wir ein Netz von Berufseinstiegsbegleitern installieren. Das sind sogenannte Bildungslotsen, die von Klasse 7 an versuchen, Schüler besser darüber zu informieren, welche Berufe es überhaupt gibt. Immer noch wachsen wir mit einer geringen Vorstellungskraft auf, was man alles lernen könnte, obwohl der tatsächliche Berufsausbildungsbereich viel breiter ist.
Ich spreche mit unserer Arbeitsministerin Ursula von der Leyen auch immer darüber: Wenn wir diesen demographischen Wandel haben, wenn wir um jeden Jugendlichen kämpfen müssen, dann darf es unter den Langzeitarbeitslosen möglichst überhaupt keine jungen Leute mehr geben. Denn wer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren nicht in den Betrieb kommt, für den wird das wahrscheinlich nur noch ganz schwierig zu schaffen sein. Deshalb ist jeder junge Mensch für uns eine Aufgabe und eine Herausforderung.
Schön ist, dass wir inzwischen eine viel bessere Durchlässigkeit unseres Bildungssystems haben. Sie können erst einen Beruf lernen, dann können Sie studieren. Manche haben Abitur gemacht und lernen erst einmal etwas. Sie können Meister werden. Ihnen stehen viele Optionen offen. Da hat sich in den letzten Jahren viel getan. Was die Verfügbarkeit von Hochschulstudienplätzen anbelangt, so hat die Bundesregierung mit den Ländern einen Hochschulpakt geschlossen, damit wir sicherstellen können, dass diejenigen, die studieren wollen, auch einen Studienplatz bekommen.
Liebe Auszubildende, es ist schon ein neuer Abschnitt, dem Sie jetzt entgegensehen. Nachdem ich mir hier einiges anschauen konnte, glaube ich, Sie haben hier super Bedingungen; das reicht von den Maschinen, die für Ihre Ausbildung geschaffen wurden, bis hin zu leidenschaftlichen Ausbildern. Ich habe auch in den Gesprächen mit denen, die schon ein paar Jahre Ausbildung hinter sich haben, gemerkt, wie viel Freude, Elan und wie viel Bereitschaft und Neugierde dabei sind. Deshalb sage ich als Bundeskanzlerin an einem solchen Tag, dass mir nicht bange um die Zukunft unseres Landes ist.
Sie kommen in eine Ausbildungsstätte, in der man versucht, Ihnen das Beste zu geben. Aber wie es immer so ist: Man muss auch wollen. Ich habe allerdings keinen Zweifel, dass Sie wollen. Sie können hier schnell lernen. Sie können in den regulären Zeiten lernen. Sie können Englisch lernen. Sie können auch Sachen lernen, die gar nicht im Lehrplan stehen; auch das ist nicht schlecht. Sie können vielleicht manchmal durch gute Kenntnisse von Computern und anderem Ihre Ausbilder überraschen, sodass es auch gegenseitiges Lernen gibt. Unterstützen Sie sich gegenseitig, wenn der eine das eine gut kann und der andere das andere. Kameradschaft ist immer noch die beste Grundlage dafür, dass die Arbeit Spaß macht.
Der Mensch verbringt viele Stunden in seinem Arbeitsleben. Mein Motiv ist deshalb immer: Es muss auch Spaß machen. Deshalb versuchen Sie einfach, Pflichtgefühl zu haben, aber auch den Elan und vor allen Dingen die Freude in den Vordergrund zu stellen und sich bei großen Herausforderungen auch einmal durchzubeißen. Sie glauben gar nicht, was es für eine schöne Sache ist, wenn man etwas erst nicht versteht, aber wenn man es dann geschafft hat und es plötzlich ganz einfach ist und wenn man weiß, dass man selber ein Stück vorangekommen ist.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen viel Leidenschaft, viel Freude, viel Kameradschaft, gute Ausbilder. Herzlichen Dank.