Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 05.09.2011

Untertitel: In seiner Rede im Berliner ICC sprach Staatminister Bernd Neumann über Smartphone-Anwendungen von ARD und ZDF und notwendige Regularien zum Schutz geistigen Eigentums. Auch ging er auf die Themen Leistungsschutzrecht, Kinodigitalisierung und Digitalisierung von verwaisten und vergriffenen Werken ein.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/nn_1498/Content/DE/Rede/2011/09/2011-09-05-neumann-medienwoche-ifa,layoutVariant=Druckansicht.html


die Kulturnation Deutschland lebt. Sie lebt von der einzigartigen kulturellen Vielfalt in unserem Land, von unserem kulturellen Erbe, aber genauso von unseren kreativen Köpfen in Kultur und Wirtschaft. Kunst und Kultur sind wesentliche Antriebskräfte wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Innovation und damit auch wichtige Faktoren für Wachstum und neue Arbeitsplätze. Die Kultur- und Kreativwirtschaft, zu der die Medienwirtschaft zählt, hat in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für Deutschland mittlerweile die Automobilindustrie eingeholt, und bei einer steigenden Anzahl von Produkten und Dienstleistungen bilden Kunst und Kultur längst nicht mehr nur das ästhetische "Sahnehäubchen", sondern sind ein integraler Bestandteil von Produktentwicklung und Marketing.

Als Staatsminister für Kultur und Medien sehe ich es als meine zentrale Aufgabe an, die rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entfaltung dieser Bereiche zu verbessern und weiterzuentwickeln. Die Digitalisierung eröffnet dafür eine Vielzahl hervorragender Chancen, stellt uns aber gleichzeitig auch vor gewichtige Herausforderungen.

Digitale Technologien und das Internet sind die vielleicht größte technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwälzung seit Erfindung des Buchdrucks. Das Internet hat die Art und Weise revolutioniert, wie wir an Informationen gelangen, Informationen verarbeiten und miteinander kommunizieren. Es ermöglicht neue Geschäftsmodelle, ist ein faszinierende Quelle gesellschaftlicher Teilhabe und ein enormer Arbeitsmarkt. Aus kulturpolitischer Sicht treten neue Möglichkeiten der kulturellen Vermittlung und neue Wege der Bewahrung von Kultur- und Wissenschaftsgütern hinzu.

Die Chancen der Digitalisierung zur noch größeren gesellschaftlichen Teilhabe an unseren kulturellen Schätzen werden wir nutzen. Derzeit bauen wir z. B. die Deutsche Digitale Bibliothek auf, die der deutsche Beitrag zur Europäischen Digitalen Bibliothek Europeana sein wird. Sie wird nach und nach die Schätze der rund 30.000 Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in ganz Deutschland erschließen.

Die Jahrhundertaufgabe der digitalen Erschließung unseres kulturellen Erbes kann jedoch der Staat finanziell bei weitem nicht allein bewältigen.

Ich befürworte deshalb die Kooperation öffentlicher Einrichtungen mit der Privatwirtschaft ( Public-Private-Partnership ) , so wie es zum Beispiel bereits die Bayerische Staatsbibliothek erfolgreich praktiziert. Mein Haus ist dabei, in Gestalt eines Rahmenvertrages dafür eine prinzipielle Grundlage zu schaffen.

Eines aber muss dabei ganz klar sein: Weder darf dies zu Informationsmonopolen privater Unternehmen führen, noch dürfen die Vorgaben des Urheberrechts missachtet werden. Auch im Falle der Kooperation mit Privaten müssen Digitalisate den öffentlichen Einrichtungen weiter frei zur Verfügung stehen. Und für Wissenschaft und Private dürfen keine neuen Hürden beim Zugang zu Kulturgütern entstehen. Ich bin allerdings sehr zuversichtlich, dass auch unter diesen Voraussetzungen für alle Beteiligten lohnenswerte Kooperationen möglich werden.

Neben den finanziellen gilt es auch die rechtlichen Voraussetzungen für die digitale Erschließung unserer Kulturgüter zu schaffen. So sind die Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen dringend auf Rechtssicherheit bei der Digitalisierung von verwaisten und vergriffenen Werken angewiesen.

Hierzu bedarf es einer raschen, praktikablen, gesetzlichen Lösung, die den berechtigten Interessen aller Beteiligten Rechnung trägt. Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Richtlinienvorschlag zu verwaisten Werken ist daher ein erster wichtiger Schritt, den wir unterstützen.

Meine Damen und Herren,

der Urheber ist und bleibt Ausgangspunkt aller rechtlichen Überlegungen. Der Schutz seines geistigen Eigentums auch in einer digitalen Welt stellt für mich eine der größten kulturpolitischen Herausforderungen unserer Zeit dar.

Der Urheber schafft mit seinem Buch,

Musikstück, Film oder seinem Presseartikel erst den individuellen Ausgangspunkt jeder kulturwirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Ohne den Urheber wäre auch das Internet nur ein leeres Medium. Der Urheber muss folglich an der Wertschöpfung angemessen beteiligt werden.

Auch die rasante Entwicklung digitaler Technologien und die Konvergenz der Medien darf dies nicht außer Kraft setzen. Leider scheint das immer weniger selbstverständlich zu sein.

Massenhafte Verbreitung illegaler Raubkopien im Internet und eine weit verbreitete Gratis-Mentalität gefährden die Existenz von Künstlern wie von Kultur- und Medienschaffenden. Und hiervon betroffen ist nicht allein die Film- und Musikindustrie, sondern z. B. auch der wachsende Markt für E-Books.

Ein Kernvorhaben ist daher für mich eine angemessene Reform des Urheberrechts. Ich habe darum ganz bewusst mit meinem Positionspapier "Ohne Urheber keine kulturelle Vielfalt" einen Beitrag in die aktuelle Diskussion eingebracht um den Entscheidungsprozess auch innerhalb der Koalition voranzubringen. Dabei ist für mich ein Essential, dass der freie Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken auch im digitalen Zeitalter nicht auf Kosten der Kreativen erfolgen kann, in dem das Urheberrecht in ein Verbraucherrecht umgedeutet wird.

Zur besseren Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte sollte der rechtliche Rahmen daher zum Beispiel um ein so genanntes Warnhinweismodell ergänzt werden, das es ermöglicht, bei illegaler Nutzung zu verwarnen, ohne sofort zu bestrafen. Bei wiederholter Rechtsverletzung muss aber mit einer ernstzunehmenden Reaktion zu rechnen sein, z. B. einer kostenträchtigen Abmahnung.

Die Urheber und sonstigen Rechteinhaber sind zur Verwirklichung ihrer Rechte auf die Mitwirkung aller, die von der Verwertung kreativer Leistung profitieren, angewiesen. Dazu gehören die Provider, deren Haftung fortzuentwickeln ist.

Die kürzliche Schließung des Filmportals kino. to war ein wichtiges Zeichen an die Anbieter illegaler Inhalte, gerade weil damit auch die Hintermänner in großem Stil zur Verantwortung gezogen werden können. Doch wie bei der Hydra, der für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen, stehen auch hier bereits Nachfolgeanbieter in den Startlöchern. Ich erwarte, dass die zuständigen Behörden überall in Deutschland hiergegen mit derselben Entschlossenheit vorgehen. Es gilt: Mehr Respekt vor den Kulturschaffenden und ihrer kreativen Leistung!

Auch die angemessene Vergütung der Urheber und Rechteinhaber ist entsprechend dem analogen Bereich sicherzustellen. Vorschläge wie die Einführung einer Kultur-Flatrate oder die einer Kulturwertmarke lehne ich ab. Sie sind unpraktikabel, verfassungsrechtlich bedenklich, sichern keine angemessene Vergütung und führen zur Enteignung der Kreativen.

Meine Damen und Herren,

auch die Presseverleger stehen urheberrechtlich vor Herausforderungen. Die Bedeutung einer vielfältigen Presselandschaft für unsere Demokratie kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn ohne sie und ohne anspruchsvolle journalistische Inhalte wäre das kulturelle, politische und gesellschaftliche Leben in Deutschland deutlich ärmer. Deshalb ist es wichtig, auch die Leistungen von Presseverlegern einschließlich denen der Journalisten angemessen zu schützen, wie dies bei allen anderen Werkvermittlern bereits der Fall ist.

Mit der Einführung eines Leistungsschutzrechts will die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für Presseverleger verbessern und ihnen ein eigenes rechtliches Fundament zur Durchsetzung ihrer Rechte im Internet bieten. Das Leistungsschutzrecht soll nur die gewerbliche Nutzung betreffen. Dabei muss auch den Journalisten als Urhebern die Stärkung der Rechtsposition der Verleger zugutekommen.

Meine Damen und Herren,

in einem Bereich bietet die Digitalisierung einmalige Chancen und ist gleichzeitig alternativlos: Im Kino!

Mit dem Einzug der digitalen Projektionstechnik eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten der Kinonutzung. Das Stichwort dazu lautet "Alternativer Content". In einem digital ausgestatteten Kino können kulturelle Veranstaltungen oder Sportereignisse auf der Großleinwand in bester Qualität live übertragen werden.

Und selbstverständlich bieten sich großartige Möglichkeiten für den Film. Das Kino als Ort der Begegnung und des gemeinsamen Erlebens ist dank der digitalen Technik im Begriff, ganz neue Dimensionen auszubilden und neue Besuchergruppen zu erschließen. Die hierfür notwendige Umrüstung der Kinos auf digitale Abspieltechniken stellt aber gerade kleine Kinos vor große finanzielle Herausforderungen. Ohne eine flankierende staatliche Förderung wäre es vielen Kinos, insbesondere Kinos in ländlichen Regionen und Filmkunsttheatern, nicht möglich, diese Kosten zu tragen.

Für mich ist es daher ein wichtiges kulturpolitisches Ziel, gerade kleine Kinos wegen ihrer unverzichtbaren Funktion als Kulturort bei der Digitalisierung zu unterstützen und ein Kinosterben zu verhindern.

Die im Februar dieses Jahres gestarteten Förderprogramme meines Hauses und der Filmförderungsanstalt haben bereits großen Anklang in der Branche gefunden haben.

Meine Damen und Herren,

die Digitalisierung ermöglicht eine Vielzahl neuer Verbreitungswege und -formen. Viele Aktivitäten im Rahmen der nationalen und europäischen Agenda zielen darauf ab, die technische Infrastruktur hierfür zu verbessern bzw. zu schaffen.

Die Bundesregierung betreibt mit Hochdruck die Realisierung ihrer Breitbandoffensive, um für die technischen Innovationen präsentiert jedes Jahr hier auf der IFA auch eine flächendeckende Versorgung unseres Landes mit leistungsfähigen Breitbandanschlüssen sicherzustellen.

Bei unseren Anstrengungen für immer schnellere und kostengünstige Übertragungswege dürfen wir aber nicht den Anspruch an kreative und niveauvolle Inhalte aus den Augen verlieren. Ich begrüße es

deshalb ausdrücklich, dass sich mit der jüngst gegründeten Content-Allianz Interessenverbände privater und öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen branchenübergreifend zusammengeschlossen haben, um die Anbieter- und Angebotsvielfalt auch in der digitalen Welt zu sichern.

Ich fände es im Übrigen auch sinnvoll, wenn die Verleger dieser Allianz beitreten würden, zumal sie ja die formulierten Ziele unterstützen und ganz maßgeblich für Inhalte stehen.

Wenn ich von kreativen Inhalten rede, verbinde ich diese immernoch sehr stark mit den klassischen Medien. Ich meine hier, neben den Printmedien, auch den Rundfunk, der weiter auch die klassischen Verbreitungswege und nicht nur das Internet nutzen wird.

Sicherlich trägt ja die Internationale Funkausstellung getreu ihres Ursprungs dazu bei, den Blick weiterhin auch diesem Bereich zuzuwenden, der auch zukünftig eine tragende Rolle haben wird.

Zum Rundfunk kann man feststellen, dass sich trotz aller Scharmützel und Schwierigkeiten das duale Rundfunksystem bewährt hat, ja es hat uns in Deutschland eines der vielfältigsten Rundfunkangebote der Welt eingebracht.

Die alten Schlachten private gegen öffentlich-rechtliche Medienanbieter und umgekehrt sollten im Sinne der Content-Allianz geschlagen sein.

Der Qualitätsanspruch, den wir an kreative und kulturelle Inhalte haben, richtet sich zuallererst an die öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Aber auch der private Rundfunk hat eine gesellschaftliche Verantwortung und darf auf Qualität im Programm nicht verzichten. Ein Mindestmaß an Informationen und Nachrichten muss auch in den privaten Vollprogrammen gewährleistet werden. Qualität sollte kein Widerspruch zum Privatrundfunk sein.

Zugleich muss das öffentlich-rechtliche Profil stetig geschärft und am Auftrag immer wieder gemessen werden, um die Gebührenfinanzierung zu rechtfertigen und um eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der privaten Anbieter zu vermeiden.

Klar ist: Wir brauchen einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der auch angemessene Entwicklungsmöglichkeiten in der digitalen Welt hat. Diese dürfen allerdings nicht zu Lasten eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien gehen. Private Medienanbieter wie Verlage brauchen Spielraum für publizistisch und wirtschaftlich erfolgreiche Marktentwicklungen.

Haben sie diesen Spielraum nicht, wird das gedeihliche Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Medienangeboten in Frage gestellt. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind gehalten, dies bei der Gestaltung ihrer Angebote im Internet angemessen zu berücksichtigen. Dazu gehört auch eine kritische Überprüfung der Bereitstellung von Smartphone-Apps. Entsprechende Angebote sind überhaupt nur akzeptabel, wenn sie sich im Kern des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bewegen.

Die Politik wird darauf achten, dass sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten an ihren gesetzlichen

Auftrag halten, der gegebenenfalls weiter konkretisiert werden muss.

Für den privaten Medienbereich gilt es, die Rahmenbedingungen beispielsweise im Medienkonzentrationsrecht zu verbessern. Das Verhältnis von Meinungsmacht, marktbeherrschender Stellung und Wettbewerbsfähigkeit für den Medienbereich ist neu zu definieren.

Es kann nicht sein, dass deutschen Unternehmen mit dem Argument der Marktmacht versagt ist, Anteile an deutschen Medienunternehmen zu übernehmen und damit deren Existenz zu sichern andererseits sich dann nichtdeutsche Medienoligarchen mit viel größerer Medienmacht einkaufen und anschließend das Unternehmen finanziell ausnehmen. Hier sind auch die Länder wegen ihrer besonderen Kompetenz für Rundfunkfragen gefordert.

Ziel ist die Sicherung der Meinungsvielfalt, die Marktentwicklungen berücksichtigt und deutsche Medienanbieter nicht benachteiligt.

Im vergangenen Jahr hat der Deutsche Bundestag eigens eine Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" eingesetzt, die die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft untersucht und konkrete Handlungsvorschläge für die Politik entwickeln will.

Die Bundesregierung begleitet dies mit großem Interesse und ist gespannt, welches die Ergebnisse sein werden.

Aber in einem sind wir uns sicherlich alle einig: Die Aufgabe der Medienpolitik muss es sein, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und auszuschöpfen, gleichzeitig aber mögliche Risiken zu begrenzen und zu minimieren.