Redner(in): Michael Naumann
Datum: 16.03.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/26/11826/multi.htm


Frage: Herr Naumann, welcher europäische Film konnte Sie zuletzt beeindrucken?

Naumann: Der Film "My name is Joe" von Ken Loach. Ein bewegender Film.

Frage: Welche Bedeutung hat der europäische Film für Sie persönlich?

Naumann: "Der" europäische Film existiert eigentlich nicht; ebensowenig wie es eine europäische Filmindustrie gibt. Wohl aber gab es bis in die 70er Jahre Filme von weltbe-rühmten Regisseuren aus Frankreich, Deutschland, Italien. Um Beispiele zu nennen: die Filme der Godard, Truffault, Resnais, die deutschen Filme von Rainer Werner Fassbinder oder Wim Wenders, die italienischen Filme von Fellini, Pasolini, Antonioni oder Bertolucci - in jüngster Zeit von Benigni.

Frage: Zum ersten Mal hat Deutschland einen Vertreter für Kultur bzw. Film in Europa. Was wird sich ändern?

Naumann: Die deutsche Filmwirtschaft hat seit langem beklagt, daß es auf politischer Ebene keinen Vertreter für die Belange des deutschen Films gab. Dieses Defizit wurde besonders im außenpolitischen Bereich deutlich, z. B. im Falle der Kulturministerräte der EU oder bei den großen internationalen Filmfestivals. Dort wird jetzt der Staatsminister für Kultur und Medien den deutschen Film vertreten. Ich werde in meinen Gesprächen mit den im europäischen Bereich für den Film maßgebenden Persönlichkeiten und Institutionen darauf hin wirken, daß die Position des Films in Europa gestärkt wird, seine kreativen Kräfte wieder mehr bewußt werden und seine kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung zunimmt.

Frage: Am 1. Januar 1999 hat Deutschland den Ratsvorsitz in der Europäischen Union übernommen. Mit welchen Ideen wollen Sie den deutschen Film auf europäischer Ebene stärken? Wie sehen Sie Ihre Rolle dabei?

Naumann: Ich glaube nicht, daß das Thema Film - auch wenn ich es wollte - während der deutschen Präsidentschaft in der EU im ersten halben Jahr 1999 im Vordergrund der Arbeit im Kulturministerrat stehen wird. Im Mittelpunkt stehen zunächst Themen wie die Beibehaltung der Buchpreisbindung, die Einigung auf ein einheitliches Kulturprogramm für die EU und die Präsentation von Weimar als der europäischen Kulturhauptstadt im Jahre 1999. Im audiovisuellen Bereich werden wir uns verstärkt engagieren, wenn die EU-Kommission, vermutlich gegen Ende der deutschen Präsidentschaft, ihre Vorschläge für ein Media-III-Programm vorlegen wird. Haben Sie bitte Verständnis, daß ich das Initiativrecht der EU-Kommission respektieren und hier deshalb niemandem vorgreifen möchte.

Frage: Die Europäische Union unterstützt mit dem MEDIA-Programm seit 1991 die europäische AV-Industrie. Wie könnte Ihrer Meinung nach die Arbeit des MEDIA-Programms noch verbessert werden und auf welchem Wege wollen Sie das erreichen?

Naumann: Das Media-II-Programm ist 1995 für die Jahre 1996 bis 2000 mit einem Volumen von insgesamt 310 Mio. ECU beschlossen worden. Für 18 Länder ist das zu wenig. Insgesamt denke ich, daß die Schwerpunkte des Media-Programms - Vertrieb, Entwicklung, Aus- und Fortbildung - richtig gesetzt sind. Die Halbzeit- Auswertung ( Mid-Term-Evaluation ) des Media-II-Programms ist jetzt gerade abgeschlossen worden. Deutschland wird sich für gewisse Modifikationen des Media-II-Programms einsetzen, z. B. für die Stärkung des automatischen Filmvertriebssystems, eine verstärkte Förderung und ein gemeinsames "Auftreten" der europäischen Filme außerhalb der Europäischen Union und schließlich für eine verstärkte Unterstützung des Europäischen Filmpreises, der von der European Film Academy in Berlin veranstaltet wird.

Frage: Deutschland stand der Einrichtung eines europäischen Garantiefonds bislang skeptisch gegenüber. Wird sich das unter Ihrer Führung ändern?

Naumann: Die Produktion von Filmen in Europa erfolgt ebenso wie ihre Förderung national. Die Mitgliedstaaten fördern die Produktion von Spielfilmen aus ganz unterschiedlichen Motiven. Kulturelle, wirtschaftliche und arbeitsplatzschaffende Gründe spielen eine Rolle. Ich sehe deshalb bisher keine Notwendigkeit, die Produktion von Spielfilmen auch auf europäischer Ebene finanziell zu unterstützen. Die Vorschläge hierfür waren - möglicherweise aus diesem Grund - nicht ausgereift. Anders ist die Lage bei Koproduktionen - hier gibt es den europäischen Koproduktionsfonds Eurimages in Straßburg - und für den Vertrieb nationaler Filme in den europäischen Nachbarländern. Wohl aber halte ich strukturelle Verbesserungen der Filmförderung - sprich: Ausbildung, Vertrieb, Marketing etc. - für wünschenswert. Wenn Vorschläge von der EU-Kommission gemacht werden, wird die deutsche Seite sie, was eine Selbstverständlichkeit ist, in jedem Fall sorgfältig prüfen.

Frage: Sie sprachen sich kürzlich für die Stärkung der deutschen Produzenten aus. Wie könnte diese aussehen?

Naumann: Meine Äußerung bezog sich auf die Sicherung der Rechte der Spielfilmproduzenten in der Kette der Weiterverwertung der Spielfilme auf Video, bei Pay-TV sowie durch das öffentliche und private Fernsehen, aber auch bei der Kabelweiterverbreitung oder bei der Nutzung von neuen Medien wie "Digital Versatile Disc" ( DVD ) . Bei den anstehenden Änderungen des Urheberrechtsgesetzes muß daher auf nationaler Ebene wie auf internationaler Ebene ( Wipo, EU-Richtlinien ) darauf geachtet werden, daß neben den originären Urheberrechten auch die Leistungsschutzrechte der Produzenten in vollem Umfang gesichert und gestärkt werden.

Frage: Europas unabhängige Verleihfirmen beklagen das zunehmende Desinteresse der TV-Sender, am Kauf anspruchsvoller Filme. Werden Sie als Kulturbeauftragter mit den Sendern reden?

Naumann: Ich beobachte mit zunehmender Sorge, daß die unabhängigen deutschen Verleiher immer größere Schwierigkeiten haben, einzelne deutsche oder - noch schwieriger - Filme aus den europäischen Nachbarländern an die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zu verkaufen, da diese Sender immer mehr in Paketen einkaufen. Gleichzeitig werden anspruchsvolle Filme immer mehr aus dem Hauptprogramm auf Sendezeiten nach Mitternacht verdrängt. Ich meine in der Tat, daß die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten für ihr Programm einen "Kulturauftrag" haben und daß sie diesen Kulturauftrag auch gegenüber den unabhängigen Produzenten und Verleihern von Spielfilmen aus Deutschland oder anderen europäischen Nachbarländern erfüllen müssen. Ich werde jede sich bietende Gelegenheit wahrnehmen, um diesen für mich zentralen Punkt im Gespräch mit den Verantwortlichen in den Fernsehanstalten aufzugreifen.