Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 07.11.2000

Anrede: Sehr geehrter Herr Schrempp, sehr geehrte Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/24/23424/multi.htm


Vielen Dank für die Einladung zu der heutigen Präsentation Ihres Brennstoffzellen-Fahrzeuges NECAR 5. Ich habe diese Einladung gerne angenommen. Denn sie gibt mir Gelegenheit, den Blick der Öffentlichkeit auf eine neue Technologie zu lenken, die den Automobilverkehr voraussichtlich revolutionieren wird.

Es ist schon eine faszinierende Vorstellung: kein Straßenlärm, keine Abgase mehr, Automobile gleiten leise und ohne Emissionen über unsere Straßen. Und dies mit einer Technologie, die älter ist als das Automobil und erst durch die Raumfahrt wieder entdeckt wurde.

So gesehen verstehe ich gut, dass auch der eine oder andere Bundestagsabgeordnete eine ganz neue Liebe zum Automobil entdeckt.

Ich erinnere mich noch sehr gut an das Vorgänger-Modell NECAR 4, das mir Herr Schrempp bei meinem Besuch bei DaimlerChrysler im letzten Jahr präsentiert hat.

Die Fahrzeuge sehen äußerlich nahezu identisch aus. Aber unter dem Karosserieblech wurde Atemraubendes entwickelt.

Das Antriebsaggregat im ersten NECAR 1 auf der Basis eines Mercedes-Transporters im Jahr 1994 war mit 800 Kilogramm noch ein platzfressendes Ungetüm und ließ nur Sitzen für den Fahrer und den Beifahrer Raum.

Der neue NECAR 5 bietet dagegen das Platzangebot der modellgleichen A- Klasse mit beinahe schon konkurrenzfähigen Fahrleistungen.

Mit diesem technologischen Quantensprung hat die deutsche Autoindustrie einmal mehr Maßstäbe gesetzt und bei innovativen Forschungs- und Entwicklungsleistungen eine Vorreiterrolle übernommen.

Die Automobilindustrie wird damit ihrem Ruf als Motor von Innovationsprozessen gerecht. Und das sind notwendige Innovationen, denn nur neue Produkte schaffen neue Märkte und damit neue Beschäftigung.

Und wie immer belebt Konkurrenz das Geschäft. Ich begrüße es deshalb, dass deutsche Automobilhersteller auch andere Antriebskonzepte verfolgen, wie beispielsweise die direkte Verbrennung von Wasserstoff.

Bei all diesen neuen Antriebstechnologien sind deutsche Unternehmen mit an der Spitze. Sie bestimmen somit über Standards und Marktchancen mit.

Die darin liegenden Wachstums- und Beschäftigungspotenziale werden unserem Lande maßgeblich zugute kommen.

Mit dem Einstieg in neue Antriebstechnologien nimmt die Automobilindustrie ihre Verantwortung wahr, auf die absehbare Endlichkeit der Erdölreserven eine wettbewerbsfähige und kundenorientierte Antwort zu geben.

Ich habe Verständnis für den Unmut der Autofahrer angesichts der gestiegenen Spritpreise. Nur darf nicht vergessen werden: Der Anstieg der Benzinpreise hat seine Ursachen in der Fördermengenpolitik der OPEC, in der Wechselkursentwicklung von Euro und Dollar und in der Preispolitik der Mineralölkonzerne.

Darum sollten wir in der gegenwärtigen Entwicklung auch eine große Chance und einen großen Anreiz erkennen, neuartige Antriebstechnologien zu entwickeln, die uns von der Ölpreisentwicklung unabhängiger machen.

Sie, die Mitarbeiter und Manager der Automobilindustrie, wissen natürlich, welcher Weg noch zurückzulegen ist und welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind, bis die Vision vom geräuscharmen und abgasfreien Automobilverkehr Realität wird.

Aber der Anfang wird mit der Markteinführung des Brennstoffzellenfahrzeugs bereits in den nächsten Jahren gemacht sein und zum Ende des Jahrzehnts kann dieser Fahrzeugtyp bereits einen ansehnlichen Anteil an der Fahrzeugflotte haben.

Welches Antriebskonzept sich am Ende durchsetzen wird, ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern das hängt auch von intelligenter internationaler Kooperation ab.

Ich weiß, dass Ihr Unternehmen, Herr Schrempp, auch bei der Entwicklung des NECAR international für eine Vielzahl von Optionen gesorgt hat.

Vermutlich werden die grundlegenden technischen und wirtschaftlichen Entscheidungen im Kräftedreieck zwischen Europa, den USA und Asien getroffen.

Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung es an Unterstützung technisch und wirtschaftlich richtiger Konzepte der deutschen Automobilindustrie nicht fehlen lassen wird.

Meine Damen und Herren,

innovative Antriebsformen wie sie in der Automobilindustrie derzeit entwickelt werden, sind eine wesentliche Ergänzung unserer auf Modernisierung und Nachhaltigkeit ausgerichteten Energiepolitik.

Wir befinden uns mitten im Übergang von einer rohstofforientierten zu einer technologieorientierten Energiepolitik, die auf Einsparung und Effizienz setzt.

Gerade die Brennstoffzelle ist neben dem Einsatz in Kraftfahrzeugen auch eine der wichtigsten Zukunftsoptionen im Bereich der dezentralen Energieversorgung. Einige sprechen sogar schon von einer Art "Energie-Internet", das aus vielen miteinander verbundenen Brennstoffzellen entsteht.

Auch bei dieser Entwicklung spielen deutsche Unternehmen eine führende Rolle.

Wie notwendig neue Ideen in diesem Bereich sind, haben uns gerade die Entwicklungen der letzten Monate verdeutlicht.

Sie haben uns daran erinnert, in welchem Umfang wir von Importen abhängig sind und dass Energie auch sehr teuer sein kann. Viele hatten das bereits verdrängt oder vergessen.

Erneut wird uns auch bewusst, dass fossile Energien endlich sind, dass wir sie in zunehmendem Maße mit anderen teilen müssen.

Und dass wir zudem die Verpflichtung haben, unseren Kindern und Enkeln eine sichere und nachhaltige Energieversorgung und eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen.

Der Energiebereich war der erste, für den das Prinzip der Nachhaltigkeit entwickelt wurde. Nachhaltigkeit hat nichts mit Mangel oder Verzicht zu tun, sondern bedeutet den schonenden und effizienten Umgang mit Ressourcen.

Die Industrie hat diesen Gedanken schon lange aufgegriffen. Fast jede neue Maschine ist heute umweltfreundlicher als ihr Vorgängermodell und verbraucht weniger Energie. Unsere Automobile werden nicht nur immer komfortabler und sicherer, sie sind im Verbrauch insgesamt auch sparsamer.

Das energiepolitische Umsteuern ist ein hoch innovativer Prozess, der die besten Ideen unserer Ingenieure und Wissenschaftler erfordert.

Notwendig ist allerdings auch, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Chancen erkennen, die darin für unsere Volkswirtschaft, aber auch für jeden Einzelnen liegen.

Es geht um einen immensen Zukunftsmarkt, um Wachstum, Jobs und Einkommen. Insofern hat New Energy mindestens genau so viel Zukunft wie New Economy.

Wir müssen allerdings den Spitzenplatz, den wir bereits haben, weiter behaupten.

Deutschland ist mit den USA weltweit führender Anbieter auf dem Gebiet der Umwelttechnologie.

Bei der Entwicklung und Produktion von Anlagen zur Nutzung von Wind- und Solarenergie belegen deutsche Unternehmen Spitzenplätze.

In der Automobilindustrie hat sich Energiesparen längst zum Innovationsmotor entwickelt.

Moderne TDI-Aggregate haben gezeigt, dass Leistung und Sparsamkeit nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen. Das 3-Liter Auto wird gebaut, das 1- Liter Auto ist angekündigt.

Genauso möchte ich aber betonen: Auch große Limousinen und Mittelklassewagen haben weiterhin ihre Existenzberechtigung. Auch sie erzielen heute, gemessen an ihrer Größe und Leistungsstärke, Verbrauchswerte, die vor wenigen Jahren niemand für möglich gehalten hätte.

Das Automobil wird und muss weiterhin ein Fahrzeug für die ganze Familie sein können.

Meine Damen und Herren,

die wichtigste Aufgabe der Bundesregierung besteht darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innovation und intelligenten Umgang mit Energie fördern.

Im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms haben wir für Energieforschung, darunter auch die Entwicklung der Brennstoffzelle, für drei Jahre zusätzlich insgesamt 300 Millionen Mark zur Verfügung gestellt.

Und in unserem nationalen Klimaschutzprogramm haben wir uns zum Ziel gesetzt, den Anteil der Erneuerbaren Energien sowie der umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung innerhalb der nächsten zehn Jahre zu verdoppeln. Dies fördern wir durch erhebliche Zuschüsse.

Ich appelliere in diesem Zusammenhang an die Europäische Kommission, die von uns beschlossenen Fördermaßnahmen für eine moderne Energiepolitik und einen wirksamen Klimaschutz zu unterstützen.

Eine der wichtigsten Quellen zur Einsparung von Energie sind die privaten Haushalte.

Zu viel Wärme verflüchtigt sich durch unzureichend isolierte Wände. Wir haben deshalb die anspruchsvollsten Standards für den Neubau von Häusern vorgeschrieben.

Noch wichtiger aber sind die 1,2 Milliarden Mark, die wir - ebenfalls im Zuge des Zukunftsinvestitionsprogramms - in den nächsten drei Jahren für zinsverbilligte Kredite bereitstellen. Damit können Investitionen in die Wärmedämmung von Altbauten gefördert werden, die zugleich außerordentlich beschäftigungswirksam sind.

All diese Maßnahmen werden künftig noch zusätzlich verstärkt durch die Arbeit der neuen Energieagentur des Bundes. Sie wird die energiepolitischen Vorhaben der Ministerien bündeln und die konzeptionelle Weiterentwicklung einer nachhaltigen und modernen Energiepolitik begleiten.

Mit diesem fortschrittlichen Programm werden wir uns auf der Ende der Woche beginnenden Klimaschutzkonferenz in Den Haag gut sehen lassen können.

Eine Industrienation wie die Bundesrepublik Deutschland wird den Übergang ins Solarzeitalter aber nur langfristig vollziehen können.

Für die Stromversorgung bei uns wird weiterhin der klassische Energiemix aus Steinkohle, Braunkohle und für eine begrenzte Zeit auch noch Kernkraft eine zentrale Rolle spielen.

Auch nach dem Ausstieg aus der Kernenergie haben wir ein Interesse daran, dass Strom nicht nur importiert, sondern auch in Zukunft in unserem Land produziert wird.

Ich bekenne mich deshalb ausdrücklich zu einem bedarfsgerechten Neubau von Kraftwerken mit modernster Technik und führenden Umweltstandards.

Neben kleinen dezentralen Kraftwerken, die in Kraft-Wärme-Kopplung produzieren, haben auch große Anlagen für Stein- und Braunkohle weiterhin ihren Platz.

Meine Damen und Herren,

diese wenigen Bemerkungen sollen uns ins Bewusstsein rufen, welche Herausforderungen wir gerade im Energiebereich zu bewältigen haben, welche ungeheueren Chancen allerdings sich gerade auch unserem Land bieten.

Dabei kann die Automobilindustrie mit ihrem technologischen Potential und ihren innovativen Möglichkeiten Wegbereiter für wirklich zukunftsweisende Entwicklungen sein.

Lassen Sie uns gemeinsam neue Energien für Deutschland mobilisieren.