Redner(in): Frank-Walter Steinmeier
Datum: 16.11.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/71/24271/multi.htm


Grußwort des Chefs des Bundeskanzleramtes, Staatssekretär Dr. Frank-Walter Steinmeier,

anlässlich

der Einweihung der Geschäftsräume des Verbandes der deutschen Verbundwirtschaft e. V.

am 16. November 2000 in Berlin

manche Ehre fällt einem in den Schoß. Die Ehre, mit Ihnen gemeinsam heute die Eröffnung Ihres Berliner Büros feiern zu dürfen, gehört nicht in diese Kategorie. Über 100 Stunden habe ich mit den Vertretern der Energiewirtschaft direkt verhandelt, manchmal 14 Stunden am Stück, bis spät in die Nacht. Das schafft eine gewisse Art von Verbundenheit - wie ich Ihrer Einladung entnehme, offenbar auch auf Ihrer Seite.

Ich gestehe ganz offen, dass ich mir eine Wiederholung dieses Verhandlungsmarathons nicht wünsche. Da dies nicht drohte, wir uns hier vielmehr unter vertrauten Partnern begegnen, bin ich Ihrer Einladung doppelt gern gefolgt.

Anrede,

vor gerade mal einem halben Jahr wurde der VdV von acht Energieversorgern gegründet. Inzwischen sind es faktisch nur noch sechs. Unter anderen Umständen wäre ein solcher Mitgliederschwund Grund zur Beunruhigung. Nicht so in der Elektrizitätswirtschaft. Hier zeugen sinkende Mitgliederzahlen nicht von einem Schrumpfungsprozess, sondern von einer ganz neuen Marktdynamik.

Die Liberalisierung des deutschen und europäischen Energiemarktes hat zu einem dramatischen Strukturwandel geführt. Die Fusionen von RWE mit VEW einerseits und VEBA mit VIAG andererseits zeigen, dass die deutschen Energieversorger die europäische Herausforderung angenommen haben. Dabei kann die deutsche Energiewirtschaft auf die Unterstützung der Bundesregierung zählen: Unser gemeinsames Ziel ist ein starker, wettbewerbsfähiger und innovationsfreudiger Energiestandort Deutschland. An diesem Ziel orientieren wir uns auch bei der durch Umsetzung der EU-Gasrichtlinie.

Bei der Liberalisierung des Gasmarktes wollen wir vermeiden, dass wir wie bei der Stromliberalisierung vom späteren Marktverlauf überrollt werden. Deshalb gehen wir hier sehr sorgfältig vor.

Im Strombereich hat es in den gut 2 Jahren seit der Liberalisierung vermeidbare Fehlentwicklungen gegeben - ich denke da zum Beispiel an die heutige Situation der VEAG vor dem Hintergrund der weitgehend untauglichen Braunkohle-Schutzklausel. Deshalb nutzen wir die Gasliberalisierung, um mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes die Reziprozitätsklausel eindeutiger zu formulieren und mit einer Verordnungsermächtigung zu versehen. Liberalisierung kann keine Einbahnstraße sein.

Anrede,

nicht nur die europäischen Rahmenbedingungen haben sich verändert. Auch in Deutschland selbst ist das gesellschaftliche Umfeld ein anderes geworden. In der deutschen Öffentlichkeit hat das Interesse an energiepolitischen Themen in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Das ist in meinen Augen eine der positiven Folgen der ansonsten ja nicht immer auf hohem Niveau geführten Ökosteuer-Debatte. Weit über die Fachkreise hinaus ist das Bewusstsein gewachsen, dass wir mit einem bloßen "Weiter so" die energiepolitischen Zukunftsfragen nicht beantworten können.

Die Entwicklung der Ölpreise hat das Bewusstsein für unsere energiepolitische Abhängigkeit deutlich geschärft. Energiesparen ist plötzlich "in". Neue Technologien wie die Brennstoffzelle beflügeln die Phantasie nicht nur der Automobilunternehmen. Das unfruchtbare Gegeneinander von verzichtsorientierter Fortschrittskritik und expansivem Wachstumsoptimismus ist dabei, sich aufzulösen. Eine neue Energiepolitik muss gleichzeitig innovativ, technikorientiert und ressourcenschonend auftreten.

Bei ihrer Erarbeitung setzen wir auf eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und Elektrizitätsunternehmen - übrigens auch in den Bereichen wo wir, wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung - Schwierigkeiten miteinander haben. Ich gehe davon aus, dass auch die kürzlich gegründete Energieagentur dazu beiträgt, dass wir bei der Erarbeitung der neuen energiepolitischen Leitlinien intensiv miteinander im Gespräch bleiben. Wir wissen und wollen, dass die Energiewirtschaft auch in Zukunft zu den Schlüsselbranchen unserer Volkswirtschaft gehört.

Anrede,

Die Bundesregierung hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Klimaschutzkonferenz in Den Haag zu einem Erfolg zu führen. Erst in der vergangenen Woche haben wir die Vereinbarung mit der Wirtschaft zum Klimaschutz unterzeichnet. Unser Signal nach Den Haag hieß: Es geht, und gemeinsam geht es sogar besser. Im Rahmen unseres nationalen Klimaschutzprogramms werden wir konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Reduzierung der C02 -Emissionen um 25 % bis zum Jahr 2005 auch wirklich zu erreichen.

Dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung kommt dabei wesentliche Bedeutung zu.

Wir haben deswegen das Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien und das KWK-Sofortprogramm verabschiedet. Dazu sind wir derzeit im intensiven Gespräch mit Brüssel, um möglichst bald Klarheit über die EU-rechtlichen Aspekte zu haben. Auch die EU-Kommission sollte Verständnis dafür haben, dass es zur Erfüllung europäisch verabredeter Klimaschutzziele entsprechender nationaler Instrumente bedarf.

Aber, und das möchte ich auch an dieser Stelle besonders betonen, der Bundesregierung ist klar, dass für unsere Stromversorgung auch weiterhin der klassische Energiemix aus Steinkohle, Braunkohle und für eine begrenzte Zeit auch noch Kernkraft eine zentrale Rolle spielen wird. Wir wollen, dass Deutschland auch künftig Strom nicht nur importiert, sondern auch produziert. Wir brauchen deshalb auch in Zukunft den Neubau von Kraftwerken mit modernster Technik und höchstem Umweltstandard. Auch heimische Energieträger wie Stein- und Braunkohle sollen weiter einen Anteil an der Stromversorgung behalten.

Erst vor zwei Wochen ist es in intensiven Gesprächen mit dem Land Nordrhein-Westfalen, der IG BCE und der Ruhrkohle gelungen, eine gemeinsame Position zur Zukunft der deutschen Steinkohle zu erarbeiten. Auch nach 2005 wird die Bundesregierung zusammen mit Nordrhein-Westfalen und dem Saarland die deutsche Steinkohle unterstützen. Unser Vorstellungen zur künftigen Förderung der heimischen Steinkohle sind von der EU-Kommission positiv aufgenommen worden. Von zentraler Bedeutung war dabei, dass wir in Brüssel mit einer gemeinsamen Position von Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften auftreten konnten.

Anrede,

auch der eingangs bereits erwähnte Atom-Konsens konnte nur zustande kommen, weil wir in unseren Verhandlungen nicht die Differenzen betont haben, sondern die Formulierung gemeinsamer Interessen in den Mittelpunkt rückten. Schritt für Schritt haben wir Lösungen für konkrete Probleme gefunden. Diesem Grundansatz werden wir auch bei der Umsetzung des Atom-Konsenses, für die ich ja weiter innerhalb der Bundesregierung verantwortlich sein werde, treu bleiben.

Die Bundesregierung wird, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen, ihre Verpflichtungen aus der Vereinbarung nach Geist und Buchstaben erfüllen. Dazu gehört auch, dass wir gemeinsam die noch offenen Transport- und Entsorgungsfragen klären.

Der von der früheren Bundesregierung verhängte Transportstopp wurde bereits aufgehoben. Die erforderlichen Genehmigungen sind erteilt. Seit wenigen Tagen liegt auch die Genehmigung für den Rücktransport der Abfälle aus der Wiederaufarbeitung vor. Dass die erteilten Genehmigungen derzeit noch nicht genutzt werden können, liegt - wie Sie wissen - nicht an der Bundesregierung. Wir arbeiten hart daran, dass die bestehenden Probleme gelöst werden. Das gilt ganz besonders für die schwierigen Gespräche mit Frankreich.

Der Bundeskanzler hat das Problem vor wenigen Tagen in Vittel mit Staatspräsident Chirac und Premierminister Jospin intensiv erörtert. Ein Durchbruch konnte dabei noch nicht erreicht werden. Eine hochrangige Arbeitsgruppe, die von Staatssekretär Pierret und mir geleitet wird, soll bis Weihnachten zu konkreten Ergebnissen kommen. Bereits am nächsten Freitag werde ich mit Staatssekretär Pierret in Philippsburg zusammenkommen.

Bei diesen Gesprächen geht es zum einen um einen möglichst raschen Rücktransport der Abfälle aus der Wiederaufarbeitung. Zum anderen setzen wir uns in dieser Arbeitsgruppe dafür ein, dass die dringend erforderlichen Transporte nach Frankreich so bald wie möglich aufgenommen werden. Einen Stillstand deutscher Kraftwerke wegen ungelöster Transportfragen soll und wird es nach dem Willen der Bundesregierung nicht geben.

Anrede,

die Öffentlichkeit erwartet von uns langfristig angelegte, ökonomisch und ökologisch durchdachte Antworten auf die neuen energiepolitischen Herausforderungen. Bei ihrer Formulierung und anschließenden Umsetzung setzen wir auf Ihren Sachverstand, Ihre Kooperationsbereitschaft und nicht zuletzt Ihre Innovationskraft. Wir wollen es unsererseits an der notwendigen Unterstützung Ihrer Anliegen nicht fehlen lassen. Neben den anderen Mitgliedern der Bundesregierung stehe auch ich selbst Ihnen als Ansprechpartner jederzeit gern zur Verfügung.

Anrede,

die Stichworte Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigungssicherung und Klimaschutz zeigen, wie vielschichtig die Ziele im Energiebereich sind. Es ist zweifellos schwierig, die verschiedenen Zielsetzungen unter einen Hut zu bringen. Wir wollen das dennoch gemeinsam mit der Energiewirtschaft versuchen, und ich bin sicher, dass das Berliner Büro des VdV dabei eine konstruktive Rolle spielen kann.