Redner(in): Rolf Schwanitz
Datum: 20.11.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/67/25967/multi.htm


Thema: "Arbeitsmarktpolitik zur Flankierung des wirtschaftlichen Strukturwandels in den neuen Bundesländern"

Die aktive Arbeitsmarktpolitik ist ein unverzichtbarer Begleiter des strukturellen Wandels in Ostdeutschland. Erinnern wir uns an die Jahre 1990, 1991. Die industrielle Produktion ging innerhalb kürzester Zeit um 70 Prozent zurück. Ganze Branchen brachen in Folge der Öffnung des ostdeutschen Wirtschaftssystems zum 1. Juli 1990 zusammen. Sie waren ohne ausreichende Übergangsregelungen dem Druck der internationalen Konkurrenz nicht gewachsen. Insbesondere die Region um Senftenberg musste harte Umbrüche verkraften. Dass es nicht zum sozialen Kollaps kam, ist zurückzuführen auf das "soziale Netz" und im Wesentlichen auf die aktive Arbeitsmarktpolitik. Zeitweilig waren in den ersten Jahren nach 1990 mehr als 1 Mio. Personen in unterschiedlichsten Arbeitsmarktmaßnahmen ( von ABM bis zur Weiterbildung ) beschäftigt.

In diesem Zusammenhang muss immer wieder an die soziale Dimension als zentraler Bestandteil aktiver Arbeitsmarktpolitik erinnert werden, wenn Wirtschafts-Theoretiker verlangen, Fördermittel von konsumtiven zu investiven Maßnahmen umzuschichten und damit die Arbeitsförderung auszuhöhlen. Die Arbeitsförderung war und ist unverzichtbar für soziale Stabilität in dieser Phase des einzigartigen ökonomischen und gesellschaftlichen Umbruchs.

Arbeitsförderung und Nutzen für Mensch, Wirtschaft und Region sind bei moderner Arbeitsmarktpolitik keine Gegensätze. Dies gilt insbesondere dann, wenn die aktive Arbeitsmarktpolitik das Potenzial der Einzelnen fördert, ihre Qualifikation erhält und verbessert, sowie eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt baut. Weitere wichtige Voraussetzungen für moderne Arbeitsmarktpolitik sind die richtige Einbindung der örtlichen Wirtschaft und die gezielte Förderung im Bereich der weichen Standortfaktoren wie Wohnumfeld und Tourismus.

Der Aufbau neuer wirtschaftlicher Strukturen ist deshalb eine langfristige Aufgabe, die alle Beteiligten noch über viele Jahre in Anspruch nehmen wird.

Deshalb gilt es, aktive Arbeitsmarktpolitik nicht zu verteufeln. Wir müssen die Arbeitsförderung vielmehr als Chance begreifen bei der Bewältigung der künftigen wirtschaftlichen Herausforderungen.

Vor diesem Hintergrund ist ein allmählicher Wechsel der Strategie bei der Arbeitsförderung richtig. In den Jahren der Regierung Kohl wurde die aktive Arbeitsmarktpolitik kontinuierlich abgebaut. Einzige Ausnahme sind die "berühmten" Wahlkampf- ABM. Im übrigen sind über die Jahre hinweg unter der alten Regierung die Maßnahmen kontinuierlich gestutzt worden. Allein zwischen 1995 und 1998 hat es eine Halbierung gegeben, d. h. einen Abbau von durchschnittlich 150.000 Maßnahmen pro Jahr. Damit wäre die aktive Arbeitsmarkpolitik heute in ihrem Kern praktisch tot.

Hier ist uns ein Strategiewechsel gelungen. Zwei Jahre nach der Regierungsübernahme gibt es wieder einen gesellschaftlichen Grundkonsens über die Notwendigkeit stetiger aktiver Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland. Entsprechende Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit bestätigen dies.

Wir haben die ersten zwei Regierungsjahre dazu genutzt, das ständige Auf und Ab zu beenden. Wir stellen bei einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland weiterhin die notwendigen Mittel bereit, um die Arbeitsmarktentlastung auf einem hohen Niveau fortzusetzen. Dies ist auch wichtig, um die Planungssicherheit zu erhöhen und die Qualität der Maßnahmen zu steigern. Damit können Vorhaben noch besser auf die Zielgruppen und deren beruflichen Entwicklung abgestimmt und noch intensiver mit den regionalen Bedarfen verknüpft werden.

Zur Verlässlichkeit gehört, dass wir die "ABM-Sonderregelung" bis zum 31. Dezember 2002 in den neuen Ländern verlängert haben. Sie alle wissen, wie wichtig diese Regelung für die Finanzierung der Arbeitsbeschaffungsmassnahmen in den neuen Ländern ist. 9 von 10 ABM-Stellen profitieren von dieser Regelung. Darüber hinaus haben wir beschlossen, die Strukturanpassungsmaßnahmen bis 2006 zu verlängern. Auch dieses Instrument ist für die neuen Länder unverzichtbar, denn 95 % aller Strukturanpassungsmaßnahmen laufen in den neuen Ländern.

Die Bundesregierung wird das Jugendsofortprogramm über das Jahr 2000 hinaus verlängern. Die Jugendarbeitslosigkeit veranlasst uns dazu, das Sofortprogramm in den neuen Ländern nochmals zu verstärken. 2001 werden 50 Prozent der Mittel, das sind 1 Mrd. DM, in den neuen Ländern eingesetzt. Zur Zeit sind 40.000 Jugendliche in den neuen Ländern im Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt. Das sind 40.000 junge Menschen, denen wir berufliche Perspektiven vermitteln, die eine Ausbildung beginnen können, denen wir helfen, von der Straße wegzukommen. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang bitten, so engagiert wie bisher an dem weiteren Erfolg des Programms mitzuwirken.

Bei der beruflichen Erstausbildung gibt es weitere Programme, teilweise kofinanziert von den Ländern. Ich denke da z. B. an das Ausbildungsprogramm Ost, womit wir in den neuen Ländern 17.000 Ausbildungsstellen finanzieren. Es ist positiv, dass die Betriebe in diesem Ausbildungsjahr wieder mehr Ausbildungsstellen angeboten haben als im Vorjahr. 1999 hatten wir noch einen Rückgang von 12 % der betrieblichen Stellen zu verkraften. Aber trotz einer leichten Steigerung kommen wir ohne eine zusätzliche öffentliche Finanzierung nicht aus. Das ist nicht zufriedenstellend. Insbesondere reichen die Anstrengungen der Betriebe in Ostdeutschland noch nicht aus. Hier ist folgende Erkenntnis wichtig: "Wer heute nicht ausbildet, wird morgen nicht expandieren können." Auch die besten außer- und überbetrieblichen Ausbildungen können betriebliche Ausbildungsstellen nicht ersetzen.

Unser Ziel ist, die aktive Arbeitsmarktpolitik an neuen Anforderungen zu orientieren und zu reformieren. Die Bundesregierung hat sich mit den Partnern im Bündnis für Arbeit darauf verständigt, neue Wege zu gehen. Es kommt ganz entscheidend darauf an, die Übergänge von Arbeitslosigkeit zur Beschäftigung zu verbessern. Zugleich müssen wir der Weiterbildung im Betrieb mehr Aufmerksamkeit schenken. Deswegen soll das Modell Jobrotation als ein Regelinstrument in den Kanon der Bundesanstalt für Arbeit aufgenommen werden. Jobrotation führt bei den Unternehmen und den Beschäftigten zu Vorteilen, weil durch die Weiterbildung das Qualifikationsniveau erhöht wird. Der als Stellvertreter eingesetzte, vormals Arbeitslose, sammelt Berufserfahrung und kann in Zukunft besser vermittelt werden.

Darüber hinaus hat die Bundesregierung, gemeinsam mit einigen Ländern, Modelle initiiert, deren Ziel es ist, die Arbeitsaufnahme von gering Qualifizierten in Unternehmen zu verbessern. Wir gehen der Frage nach, wie zusätzliche Anreize geschaffen werden, Menschen mit geringen Qualifikationen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. In dem einen Fall werden die Arbeitgeber unterstützt, indem Teile des Lohnes subventioniert werden. In dem anderen Modell werden die oftmals sehr geringen Einkommen der Arbeitnehmer unterstützt. Ich freue mich, dass sich auch Brandenburg an einem Modell beteiligt, denn es ist gut, wenn gemeinsam Wege gesucht werden, die Situation am Arbeitsmarkt zu verbessern.

Wie schaffen wir es, unsere Ziele in den neuen Ländern qualitatives Wachstum, steigende Wettbewerbsfähigkeit und hohe Beschäftigung zu erreichen? Die Bundesregierung schafft die Voraussetzung mit der neu ausgerichteten Steuer- und Wirtschaftspolitik. Dadurch werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen steuerlich entlastet.

Zugleich können wir diese Ziele noch wirkungsvoller erreichen, wenn die unterschiedlichen Akteure in Netzwerken zusammenwirken. Insbesondere die noch zu geringe Dichte des Wirtschaftspotentials in den neuen Ländern ist Problem und Chance zugleich. Die Wettbewerbsfähigkeit einer Region hängt auch davon ab, ob diese in der Lage ist, ein klares Profil zu entwickeln. Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass auch in Ihrem Landkreis der Versuch unternommen wird, die arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten zu bündeln.

Die in Ihrem Landkreis angesiedelte Beschäftigungsagentur kann ein solcher Ansatz sein.

Es wächst die Einsicht, dass strukturelle Veränderungen nur teilweise auf zentraler Ebene zu bewältigen sind. Die Bundesregierung hat beispielsweise mit dem Förderprogramm InnoRegio ganz bewusst auf die Verantwortung und die Kreativität der Menschen in den Regionen gesetzt. Ziel von InnoRegio ist es, durch neue Formen der Zusammenarbeit von Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie Wirtschaft und Verwaltung vermarktungsfähige Produkte und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Ich will dafür werben, diese vielversprechenden Ansätze auch im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik weiter zu führen.

Ich bin sicher, dass wir mit der Kombination aus wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Förderung auf hohem Niveau und den selbstbestimmten und selbstbewußten Aktivitäten in den Regionen beim Aufbau der neuen Länder in den nächsten Jahren ein gutes Stück vorankommen, auf dem Weg zu gleichwertigen Lebensverhältnisse in ganz Deutschland.