Redner(in): Angela Merkel
Datum: 10. Februar 2012

Untertitel: in Berlin
Anrede: Lieber Herr Zwanziger,lieber Herr Niersbach,lieber Herr Bierhoff,liebe Frau Schwarzenbart,liebe Maria Böhmer,liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,meine Damen und Herren
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2012/02/2012-02-10-bkin-integrationspreis.html


Und vor allem auch: liebe Preisträger,

Der Integrationspreis von DFB und Mercedes Benz wird heute zum fünften Mal verliehen. Wir haben vor wenigen Tagen zum fünften Mal den Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt abgehalten. Man kann also sehen, dass dieses Thema in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, von der Politik bis hin zum privaten Engagement, an Bedeutung gewonnen hat. Hinter beiden Veranstaltungen stehen die Einsicht und Überzeugung, dass Integration eine Schlüsselaufgabe für unser Land ist und im Übrigen für die gesamte Gesellschaft noch für lange Zeit bleiben wird.

Die Veränderungen im Altersaufbau unserer Gesellschaft in den nächsten Jahren sind absehbar. Wir werden weniger. Im Durchschnitt werden wir älter. Und wir werden vielfältiger, was nichts anderes heißt, als dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund steigen wird. Sehr vielfältig war eben auch die Liste der Teilnehmer am Integrationsgipfel. Neben Migrantenorganisationen, dem Bund, den Ländern, den Kommunen und Religionsgemeinschaften waren natürlich auch Verbände vertreten, darunter der Deutsche Fußball-Bund. Gemeinsam haben wir den Nationalen Aktionsplan Integration präsentiert. Wir wollen Integration messbarer, überprüfbarer und damit auch Integrationspolitik verbindlicher machen. Das ist das, was sich Maria Böhmer als Staatsministerin für diesen Aufgabenbereich vorgenommen hat und was ich voll unterstütze.

Nun wissen wir alle: Integration lässt sich weder einfach beschließen noch kann man sie verordnen, sondern sie muss vor Ort gelebt werden. Deshalb zitiere ich das Motto des Deutschen Fußball-Bundes: "Integration fängt bei mir an." Das gilt für jeden einzelnen in unserer Gesellschaft. Die zahlreichen Vereine in unserem Land vereinen Menschen unterschiedlicher Herkunft sozialer wie nationaler. Deshalb bieten Vereine eine Chance, sich besser kennenzulernen. Im Vordergrund steht dabei das das hat auch der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes immer wieder beteuert und unterstrichen, was der Begriff Sportsgeist zusammenfasst: Sportlicher Ehrgeiz, gemeinsame Anstrengung, Fair Play, Zusammenhalt, gemeinsam verlieren und vor allen Dingen auch gemeinsam gewinnen und sich darüber gemeinsam freuen. So erweist sich der Sport als ein ziemlich einzigartiger Integrationsmotor.

Deshalb fördern wir als Bundesregierung auch das Programm "Integration durch Sport" jährlich mit 5, 4Millionen Euro. Das kommt auch dem Fußball zugute. Fußball ist in Deutschland Volkssport Nummer eins. Ob auf dem Vereinsplatz, beim Straßenfußball, ob als Profispieler oder Amateurkicker, ob als Funktionär oder Fan Fußball gehört in Deutschland einfach zum Alltag. Fußball verbindet. Es spielt keine Rolle, aus welchem Land die Eltern oder Großeltern der Spielerinnen und Spieler stammen. Ein Fernsehspot des DFB bringt dies wunderbar auf den Punkt. Zu sehen sind Menschen verschiedenster Herkunft, die ein Gartenfest feiern. Was verbindet sie? Ihre Kinder spielen für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Sie heißen Müller und Özil, Schweinsteiger und Boateng, Neuer und Podolski; man könnte viele weitere Namen aufzählen. Sie verkörpern das Motto der Europäischen Union: "In Vielfalt geeint." Deshalb nehme ich das einfach als ein gutes Vorzeichen für die Europameisterschaft im Sommer. Auf jeden Fall werden wir natürlich nicht nur zugucken, sondern auch hinter der Mannschaft stehen.

Eine Mannschaftssportart wie Fußball vermittelt einprägsam die alte Lebensweisheit: Gewinnen lässt sich nur, wenn jeder nach seinen Möglichkeiten auch Verantwortung für das Ganze übernimmt. Genau darauf kommt es auch in unserer Gesellschaft an. Deshalb gehen vom Fußball so viele Impulse aus. So kann Sport auch helfen, Jugendgewalt entgegenzuwirken oder vorzubeugen. Wie gut das gelingen kann, konnte ich mir am Beispiel des Frankfurter Boxcamps "Kuckucksnest" anschauen. Es gibt viele, viele Beispiele mehr.

Wir dürfen natürlich auch Gefahren nicht ignorieren. DFB-Präsident Theo Zwanziger hat jüngst davor gewarnt, dass rechtsextreme Aktivisten Sportvereine teilweise unterwandern. Das, was wir an erschütternden Erkenntnissen über die menschenverachtenden Untaten der Mördergruppe aus Zwickau erfahren mussten, hat uns noch einmal vor Augen geführt, wozu Extremisten fähig sind. Deshalb müssen wir solche Warnungen, wie sie von Herrn Zwanziger geäußert wurden, ernst nehmen und alles tun, um gegen Gewaltbereitschaft und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen und zwar mit null Toleranz.

Natürlich müssen wir auch das historische Bewusstsein stärken. Deshalb, lieber Herr Zwanziger, erlaube ich mir, noch einmal das zu erzählen, was Sie uns neulich beim Integrationsgipfel gesagt haben. Sie haben von der U17 -Nationalmannschaft erzählt, die nach Israel gefahren ist. Neben der Teilnahme an einem Fußballturnier stand dort auch der Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem auf dem Programm. Theo Zwanziger hat uns erzählt, dass die Journalisten den Kapitän türkischer Herkunft gefragt haben, ob er sich überhaupt für diesen Teil deutscher Geschichte interessiere. Es bedurfte gar nicht des Präsidenten, der junge Mann hat ohne jede Hilfe und ohne jede Aufforderung gesagt, er sei Deutscher und als Deutscher interessiere er sich selbstverständlich auch für die deutsche Geschichte, einschließlich der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust.

Diese Episode zeigt sehr gut, worauf es bei der Integration ankommt: Verantwortung für unser gemeinsames Land zu übernehmen, ohne dabei die Wurzeln der eigenen Familie zu vergessen eine Verantwortung, in der sich auch eine Identifikation mit dem Land, in dem man lebt, widerspiegelt. Dies gelingt im Sport sehr gut.

Ich darf Ihnen, lieber Herr Zwanziger, deshalb an dieser Stelle ganz herzlich danken. Die Tatsache, dass ich heute hier bin, hat natürlich auch mit Mercedes zu tun, aber auch mit Theo Zwanziger. Ich glaube, Sie haben für vieles, aber vor allen Dingen für das, was Sie für Integration im Fußball getan haben, ein ganz großes Dankeschön verdient. Dass Herr Niersbach jetzt bezüglich ähnlicher Aktivitäten unter Beobachtung steht, hat er schon vermutet. Er sagte, er würde wahrscheinlich nicht nur in diesem Feld unter Beobachtung stehen, aber in diesem auf jeden Fall. Deshalb sage ich einfach: Wir setzen auch hier auf Kontinuität, so wie sie im Fußball auch üblich ist.

Ich möchte mich ebenfalls ganz herzlich bei Mercedes Benz bedanken. Denn die DaimlerAG nimmt sich auf verschiedene Weise des Themas Integration an. Sie war vor fünf Jahren Mitinitiator der Charta der Vielfalt. Dahinter verbirgt sich die Selbstverpflichtung, Vielfalt in der Wirtschaft zu fördern. Inzwischen haben 1. 100Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Organisationen diese Charta unterzeichnet. Mercedes Benz war hierbei ein Vorreiter.

Zu guter Letzt aber wirklich nicht "zuletzt", sondern im Sinne von "vor allem" geht mein Dank natürlich an die Preisträger. Der Integrationspreis lenkt die öffentliche Wahrnehmung ganz bewusst auf kleinere Initiativen und Maßnahmen. Diese schaffen es zumeist nicht wie große Aktionen in die Schlagzeilen, aber sie sind genauso wertvoll. Denn Integration gelingt vor Ort; und das sollte möglichst überall sein. Deshalb können wir uns darüber freuen, dass es viele Bewerber für diesen Preis gegeben hat. Jeder hat seinen Beitrag dazu geleistet, dass unser Land lebenswerter wird und dass unser Land insgesamt gewinnt.

Der Preis ist natürlich auch ein Ansporn. Die Preisträger sind Vorbilder, wenn es darum geht, sich für Integration und Verständigung einzusetzen. Deshalb sind wir alle jetzt natürlich ganz gespannt auf die Verleihung. Ich möchte schon vorab meinen Glückwunsch an alle Preisträger richten. Und jetzt schauen wir einmal, um wen es sich dabei handelt. Danke dafür, dass ich hier mit dabei sein kann.