Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 21.11.2000
Anrede: Sehr geehrter Herr Hundt, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/21/24521/multi.htm
um mit dem letzten Hinweis zu beginnen: Es gab die Bitte der österreichischen Botschaft um ein Gespräch. Da die Europäische Union - die Vierzehn der Fünfzehn - die Maßnahmen, die sie gegen Österreich zu vierzehnt beschlossen hatte, aufgehoben hat, gab es überhaupt keinen Grund, das Gespräch nicht zu führen; auch deshalb, weil der österreichische Bundeskanzler und ich einander weder Hund noch Katze sind. Deswegen ist das ein Vorgang, der ganz normal ist, der jeder Dramatik entbehrt. Aber ich denke, das steht nicht im Vordergrund Ihrer Zusammenkunft, das sollte es auch nicht, weil hinter diesen Beziehungen ja das Anliegen der deutschen Arbeitgeber nicht verschwinden sollte.
Sie haben aus guten Gründen bestimmte Fragen in den Mittelpunkt Ihres diesjährigen Arbeitgebertages gestellt, nicht zuletzt Zuwanderungsfragen und Bildungsfragen. Aber keine Angst, ich werde auf die anderen Fragen, die Sie heute Morgen in so überaus freundlicher Weise schon thematisiert haben, zurückkommen.
Beide Themen - Bildung und Zuwanderung - stehen in einem engen Zusammenhang. Bei der Zuwanderung geht es nicht nur, aber auch um die gezielte Öffnung unseres Landes für Wissen und Talente aus aller Welt. Unser Land - dessen bin ich sicher - hat nur als ein weltoffenes Land mit europäischer und internationaler Orientierung eine gute Zukunft. Alles andere führt in die Irre. Die Rückbesinnung auf Fragen von gestern hilft überhaupt nicht, zukunftsfähig zu werden. Mehr Internationalität in den Fragen, die ich genannt habe und noch nennen werde, ist ein Gebot politischer und ökonomischer Vernunft. Deshalb ist das, was sich gegenwärtig in der öffentlichen Debatte vollzieht - die einen diskutieren über Internationalität, die anderen über deutsche Leitkultur - , auch eine Debatte um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Ich bin ganz sicher, dass die Zukunft denen gehört und gehören muss, die angesichts der Globalisierung unserer Wirtschaft über die Internationalität reden, weil das die zentrale Frage im politischen und sozialen Überbau des Landes werden wird.
Die Zuwanderungspolitik ist eine wichtige Facette dieser notwendigen Internationalität. Ich finde, dass wir auf diesem Gebiet - und wenn ich "wir" sage, meine ich neben den deutschen Arbeitgebern natürlich auch die Bundesregierung - eine Menge bewegt haben. Nicht zuletzt die Auseinandersetzung um das, was man "Green Card" nennt, hat die Diskussion in Deutschland von einer ausschließlich angstbesetzten und politisch ausgenutzten Diskussion zu einer Debatte gemacht, bei der es wirklich um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes geht. Ich meine, es ist wirklich gut, dass wir das erreicht haben.
Ausgangspunkt war die Initiative der Bundesregierung. Ich habe diese Initiative natürlich in erster Linie als Möglichkeit verstanden, den von vielen verursachten Arbeitskräftemangel so zu beheben, wie es ökonomisch notwendig ist. Aber ich habe es auch immer unter dem Aspekt verstanden: Wie erreichen wir es miteinander in dieser Gesellschaft, dass die Menschen vor Internationalität, vor anderen Kulturen und vor Zuwanderung, die wir natürlich steuern müssen und steuern können, keine Angst haben, sondern dass sie sie als ökonomisches Muss und damit auch als Chance für unser Land begreifen? Es gibt nun einmal keinen weiteren so internationalen Wirtschafts- und Arbeitsmarkt wie den der Informations- und Kommunikationstechnologie.
Jeder, der meint, mit einer rückwärts gewandten, mit einer nicht frei von nationalistischen Vokabeln geführten Debatte diese Probleme lösen zu können, irrt gründlich. Er schadet uns nicht nur politisch, er schadet nicht nur dem weltoffenen Image Deutschlands, er schadet auch ökonomisch. Und das darf nicht sein. Es ist eben nicht nur eine moralische Frage, ob wir bereit sind, mit Angehörigen anderer Kulturen, anderer Nationen, mit Menschen anderer Hautfarbe und anderer Religionen zusammenzuarbeiten und zusammenzuleben. Sondern es liegt auch in unserem ganz nüchternen ökonomischen Interesse. Beides gehört zusammen, es lässt sich nicht voneinander trennen, nicht in den öffentlichen Debatten, auch nicht in zugespitzten Situationen wie etwa Wahlkämpfen.
Übrigens: Ganz entgegen dem, was ich gelegentlich höre - ich hatte erst heute Morgen wieder ein Gespräch mit einem der Großen auf dem I- und K-Sektor - und was gelegentlich geschrieben wird, ist die "Green Card" bereits heute ein Erfolg. Mehr als 3.000 Menschen haben davon Gebrauch gemacht, und da, wo nicht davon Gebrauch gemacht wurde, hat das auch etwas mit der Gewöhnung an Veränderungen in Deutschland für die Menschen zu tun, die zum Beispiel aus Osteuropa zu uns kommen. Ich war überrascht, dass mir gesagt wurde: Wir können mit den Regelungen, die es gibt, gut leben; wir setzen darauf, dass sich herumspricht, dass Deutschland diese Menschen braucht und sie deshalb mit offenen Armen aufnimmt. Ich habe hinzugefügt: Wo immer das nicht der Fall ist und Veränderungen notwendig sind, werden wir sie - wie in der Vergangenheit auch - Schritt für Schritt in Gang setzen.
Ich bin darüber hinaus der Auffassung - und auch das werden wir Schritt für Schritt regeln - , dass in Deutschland ausgebildete Studenten, vor allen Dingen im Maschinenbau, aber auch in den Naturwissenschaften, die Möglichkeit haben müssen, ihre erworbenen Erkenntnisse in Deutschland auf Zeit und, wo immer das nötig ist und gewollt wird, auf Dauer zur Verfügung zu stellen. Ich denke, dass wir Menschen, die wir hier teuer ausgebildet haben und die nach ihrem Examen ihr Wissen und ihre Erfahrungen Unternehmen bei uns zur Verfügung stellen wollen, diese Möglichkeit geben müssen. Auch das hilft in einer globalisierten Wirtschaft und trägt zu einem Mehr an Internationalität bei.
Ich freue mich darüber hinaus, dass die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände dem zentralen Thema "Bildung" einen besonderen Stellenwert gibt und sich offensiv für Reformen im Bildungsbereich einsetzt. Wenn man genau hinguckt und Polemik einmal beiseite lässt - die auch sein muss - , stellt man fest, dass zwischen den Grundforderungen des BDA und den Reformanliegen der Bundesregierung in wichtigen Punkten durchaus Übereinstimmung besteht. Unser schulisches Bildungssystem muss für die Zukunft eine Menge mehr leisten als in der Vergangenheit. Die sichere Beherrschung der Muttersprache - das gilt übrigens nicht nur für diejenigen, die als Ausländer bei uns leben wollen - , solide Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften sowie die Mehrsprachigkeit auch in den Grund- und Hauptschulen sind solche Grundfertigkeiten, die mehr als in der Vergangenheit vermittelt und eingeübt werden müssen. Übrigens auch das ökonomische Basiswissen und das Wissen um moderne Unternehmensorganisation kann und soll gelehrt werden, weil das für die Lebenschancen der jungen Menschen immer wichtiger wird.
Bildung - ich glaube, da renne ich auch bei Ihnen offene Türen ein - muss mehr sein als nur Wissensvermittlung und Fitmachen für den Arbeitsmarkt. Bildung dient auch der individuellen Entfaltung und der Ausformung der Persönlichkeit. In einer Arbeitswelt, in der Kreativität, Sich-Einordnen-Können in ein Team, Interaktivität immer wichtiger werden, gewinnen diese Formen von Kenntnissen und Ausbildung der Menschlichkeit immer mehr an Bedeutung. Hier liegt übrigens auch das Fundament für die von der Wirtschaft immer wieder geforderten so genannten Schlüsselqualifikationen. Ich begrüße deshalb, dass die BDA allen Schulen und Hochschulen in Deutschland eine Zusammenarbeit mit den Betrieben vor Ort angeboten hat. Ich hoffe, dass das sowohl die Mitgliedsfirmen als auch die Schulen, das heißt auch die Lehrerinnen und Lehrer, nutzen. Was die Bundesregierung angeht, so gibt es in unserem Programm "Schule, Wirtschaft, Arbeitsleben" viele innovative Projekte, die auf Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt vorbereiten. Inzwischen nehmen bereits mehr als 380 Schulen an diesen Projekten teil.
Ich denke, wir sind uns einig in der Aussage, dass Ausbildung Zukunftsvorsorge für die Jugendlichen wie für die Unternehmen ist. Wo sollen die dringend benötigten Fachkräfte herkommen, wenn nicht aus der "eigenen Schmiede" ! Der Betrieb, der heute in Ausbildung investiert, gibt ja nicht nur unseren Jugendlichen eine wichtige Chance, sondern - die meisten wissen und verstehen es auch - er investiert zugleich in die eigene Zukunft. Deshalb freut es mich besonders, dass erstmals seit fünf Jahren wieder mehr freie Ausbildungsstellen als unvermittelte Bewerberinnen und Bewerber gemeldet sind. Ich denke, man kann und sollte auch in aufgeregteren Zeiten einmal selbstbewusst sagen, dass das nicht zuletzt ein Erfolg unserer gemeinsamen Arbeit im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit ist, also ein Erfolg des darin vereinbarten Ausbildungskonsenses. Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten, Erfolge, die auch solche sind, vor diesem Publikum zu rühmen und daran zu erinnern, dass das so weitergehen muss.
Schauen wir uns den IT-Bereich an: Wir haben dort wirklich große Fortschritte vorzuweisen. Dort werden die bis 2002 verabredeten 40.000 neuen Ausbildungsplätze voraussichtlich schon in diesem Jahr geschaffen und - was noch wichtiger ist - auch besetzt werden. Was nützt aber die Schaffung neuer Ausbildungsberufe, wenn wir nicht über die erforderliche Infrastruktur für eine wirklich qualifizierte Ausbildung verfügen? Die Bundesregierung wird deshalb für einen Modernisierungsschub an den Berufsschulen sorgen, übrigens dies, obwohl - wie Sie wissen - wir dort eigentlich nicht zuständig sind, sondern dies Sache der deutschen Länder ist. Im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms werden wir in den nächsten zwei Jahren insgesamt 255 Millionen DM für die Ausstattung der beruflichen Schulen mit modernen Technologien und modernen Medien bereitstellen. Wir haben das auch in der Hoffnung getan, dass die deutschen Länder in ihrer eigenen Verantwortlichkeit, die sie zu Recht so beharrlich verteidigen, nachziehen und Defizite, die es dort noch gibt, aufarbeiten.
Auch im Bereich der Hochschulen geht es voran. Wir haben eine BAföG-Reform auf den Weg gebracht, die diesen Namen wirklich verdient. Ab Sommersemester 2001 werden Förderhöchstsatz und Freibetrag erhöht, Ost und West in der Ausbildungsförderung endlich gleichgestellt und, was entscheidend ist, die Auslandsförderung erheblich ausgeweitet. Damit können mehr Studierende als bisher gefördert werden. Nun mag man ja sagen: Das ist nicht so wichtig. - Aber glauben Sie mir, es ist wichtig. Wir haben als deutsche Sozialdemokraten die Frage des Zugangs zu Deutschlands höheren Schulen immer mit einem eher moralischen oder auch programmatischen Argument gefordert und verteidigt, dem der Chancengerechtigkeit, von der ich im Übrigen in gewissen Grenzen selber profitiert habe. Deswegen weiß ich hier besonders gut, worüber ich rede, und zwar deshalb, weil ich seinerzeit die Erfahrung gemacht habe, dass es nicht gut ist, wenn man bestimmte Begabungsreserven, die augenscheinlich vorhanden sind, nicht ausschöpft, weil das Geld zu Hause fehlt. Deswegen ist Ausbildungsförderung so wichtig.
In diesen Zeiten kommt indessen ein wirtschaftliches Argument dazu, für das auch jene Verständnis haben müssten, die Schwierigkeiten mit dem Gerechtigkeitsargument haben könnten. Ich sage das sehr vorsichtig, weil ich das hier gar nicht unterstellen will. Das Argument ist schlicht: In einer wissensbasierten Industriegesellschaft, die so entwickelt und so im Wettbewerb steht wie die unsere, kann man es sich buchstäblich aus ökonomischen Gründen nicht leisten, eine einzige Begabungsreserve im Volk unausgeschöpft zu lassen. Das ist das ökonomische Argument, das heute mehr denn je in Richtung Chancengerechtigkeit drängt. Das heißt, eine Schichten- oder Gruppenteilung im Volk in diejenigen, die sich den Königsweg zur höheren Bildung leisten können, und die anderen, die auf den Trampelpfad verwiesen werden, können wir uns nicht mehr leisten, sondern wir müssen alle Begabungsreserven ausschöpfen. Andernfalls stehen wir über kurz oder lang auch in anderen Bereichen vor der Notwendigkeit, den Fachkräftebedarf durch Zuwanderung zu decken.
Auch die Hochschuldienstrechtsreform ist inzwischen auf einem guten Weg, in Deutschland kein Pappenstiel. Noch in dieser Legislaturperiode werden wir die notwendigen Reformschritte beim Qualifikationsweg, aber auch - und das ist nicht ein-fach an den Hochschulen - bei der Besoldungsstruktur vollziehen. Wir werden hierdurch das Eintrittsalter in den Professorenstand deutlich senken, mehr Anreize auch und gerade an den Hochschulen für Leistung in Lehre und Forschung schaffen und mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen. Wenn ich "Leistung" sage, meine ich, das soll sich auch im Gehalt von Professoren niederschlagen, für die wir etwas vorsehen, was für Sie längst selbstverständlich ist, nämlich, dass das, was man für seine Arbeit bekommt, mehr und mehr aufgeteilt wird in Grundlohn- oder Grundgehaltsbestandteile und andere, die leistungsorientiert sind. Warum soll das, was in der Wirtschaft längst eine Selbstverständlichkeit ist, in der Hochschule nicht gelten? Die Zeiten, in denen die Hochschulpolitik vom Bund vernachlässigt wurde, sind vorbei. Das zeigt sich auch daran, dass wir allein im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms bis zum Jahre 2003 mehr als eine Milliarde Mark in eine Zukunftsinitiative "Hochschule" investieren werden.
In den ersten zwei Jahren unserer Regierungsverantwortung - länger ist das noch nicht her! - haben wir neue, erfolgreiche Formen dessen entwickelt, was man "public private partnership" nennt. Wir haben dies aus der Überzeugung getan, dass die Zusammenarbeit aller volkswirtschaftlichen Akteure ein wesentlicher Motor konsequenter Modernisierung, aber eben auch nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung ist. Dazu gehört an erster Stelle das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit. Aber ich nenne ebenso den mit den Unternehmen vereinbarten Umstieg in die Energieversorgung sowie unsere Initiative "D 21 - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft". Besonders das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hat dazu beigetragen, Verkrustungen aufzulösen und die Reformbereitschaft bei allen Beteiligten zu stärken, ohne die jeweiligen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten infrage zu stellen. Die wirtschaftspolitische Verantwortung bleibt dort, wo sie hingehört, bei Bundesregierung und Parlament, die tarifpolitische Verantwortung bei den Sozialpartnern.
Aber gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine Bemerkung, bezogen auch auf Ihre offenen und öffentlichen Debatten. Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht zuletzt die Diskussionen, die wir im Bündnis für Arbeit geführt haben, und die Überzeugungsarbeit, die viele Akteure in allen gesellschaftlichen Bereichen, Gewerkschaften eingeschlossen, geleistet haben, dazu geführt haben, dass wir eine Tarifrunde beendet haben, die von wirtschaftlicher Einsichtsfähigkeit und wirtschaftlicher Vernunft gekennzeichnet ist. Und ich sage Ihnen sehr deutlich: Das ist nur möglich gewesen, weil die Akteure auf beiden Seiten das Gefühl hatten und haben konnten, dass es einen fairen Ausgleich zwischen den nun einmal divergierenden Interessen gibt. Wer aus verständlichen Verbandsinteressen heraus meint, er müsse, aus welchen Gründen auch immer, die eine oder die andere Seite in die Ecke drücken, der irrt. Wenn man das weiter verfolgen will, was wir erreicht haben, nämlich die Rede von der "deutschen Krankheit" überall in der Welt zu beenden - und wir haben das erreicht - , gehört dazu eine Politik des fairen Interessenausgleichs auch zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Genau die macht die Bundesregierung und wird sie weiter machen, ungeachtet allen verbandspolitischen Hickhacks, mit dem wir uns auseinander zu setzen haben.
Die Tarifparteien haben ihre Verantwortung in diesem Jahr mit Augenmaß und mit Weitsicht wahrgenommen. Und ich will, dass das so bleibt. Würden wir das ändern, indem wir das Konsensprinzip verlassen und uns Einseitigkeiten hingeben, würden wir diese Basis zerstören. Aber das ist überhaupt nicht meine Absicht. Sowohl die Höhe der Abschlüsse als auch ihre längeren Laufzeiten passen in die konjunkturelle Landschaft, sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass es mit Wachstum und Beschäftigung in Deutschland aufwärts geht. Nicht zuletzt ist das ein Verdienst der Einsichtsfähigkeit in ökonomische Zusammenhänge auf beiden Seiten der Sozialpartnerschaft, auch - und das betone ich gerade hier - auf Seiten der Gewerkschaften.
Übrigens hat die diesjährige Tarifrunde gezeigt, dass der Flächentarifvertrag flexibel gehandhabt werden kann. Das ist auch gut so; denn wir brauchen mehr Flexibilität zugunsten der betrieblichen Ebene, wie dies viele Tarifverträge auch bereits vorsehen. Aber dies bedeutet doch nicht den Abschied vom Flächentarifvertrag. Ich will - lassen Sie mich das freundlich gegenüber Freunden, die es nun einmal sind, sagen - wirklich nicht, dass Rezzo Schlauch Vizepräsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände wird. Die Bundesregierung hat also ein umfangreiches Modernisierungsprogramm für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze in Deutschland auf den Weg gebracht, und wir haben die längst überfällige Konsolidierung der Staatsfinanzen eingeleitet - mit Ihrer Zustimmung; das ist einzuräumen - , und wir sind froh darüber, dass das so war.
Wir werden unser Ziel erreichen, im Jahr 2006 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, was andere Länder in Europa schon erreicht haben. Das muss man wissen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands insgesamt. Aber jene der Kleineren - ich sage das mit großem Respekt - , etwa die Dänen, die Schweden oder die Niederländer, die das bereits geleistet haben, haben nicht das hinter sich oder auch noch vor sich, was uns glücklich macht, aber was Auswirkungen auf eine solche Politik hat, nämlich die Finanzierung der deutschen Einheit. Wenn wir es schaffen, das zu leisten - bis 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen - , was andere leisten konnten, ohne diese riesige Aufgabe bewältigen zu müssen, ist das eine enorme politische, aber auch eine enorme volkswirtschaftliche Leistung. Letztlich ist es eine Leistung der arbeitsamen Menschen in unserem Land; denn die sind es doch, die über Wohl und Wehe dieses Landes entscheiden.
Bereiche, die für die Zukunft unseres Landes wichtig sind, haben wir gleichwohl vom Sparzwang ausgenommen oder weniger hart herangenommen. Übrigens sind wir dem Grundsatz der Konsolidierung auch bei der Verwendung der Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen ganz konsequent gefolgt. Die 100 Milliarden DM, die wir eingenommen haben, werden vollständig zur Schuldentilgung eingesetzt. Jene fünf Milliarden DM, die wir deshalb nicht in Zinsen stecken müssen, verwenden wir ausschließlich für nachhaltige Investitionen, nicht für konsumtive Ausgaben. Wir finanzieren damit drei Jahre lang ein Zukunftsinvestitionsprogramm mit den Schwerpunkten, die Sie selber einfordern und diskutieren: Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung, aber auch Infrastruktur und Energieeinsparung.
Also: Sparpolitik auf der einen Seite, Verstetigung und Verstärkung der Zukunftsinvestitionen auf der anderen Seite, das ist eine moderne Haushaltspolitik, die den Anforderungen von Generationengerechtigkeit und von Nachhaltigkeit auch in der Finanzpolitik entspricht. Ich denke, dass unsere Konsolidierungspolitik zugleich die Grundlage geschaffen hat für eine Steuerreform, die Sie kennen und im Großen und Ganzen auch zu schätzen wissen, auch wenn es die eine oder andere Kritik - und das wird immer so sein - an Details gegeben hat. Wir haben Schluss gemacht mit dem Gegeneinanderausspielen einer nachfrageorientierten gegen eine angebotsorientierte Steuer- und Finanzpolitik. Wenn Sie sich das genau anschauen, stellen Sie fest: Wir stärken die Nettoeinkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wir sorgen dafür, dass von dem, was Sie brutto entlohnen, mehr in den Portemonnaies Ihrer Angestellten übrig bleibt. Es sind nicht nur Gerechtigkeitsgesichtspunkte, die wir dabei verfolgen, sondern das ist auch ein Gebot ökonomischer Vernunft; denn Sie wissen so gut wie ich, dass schon mit der Steuerreform, die 2001 in Kraft tritt, Erhebliches zur Stabilisierung und Entwicklung der Binnenkonjunktur getan wird. Nachfrageorientierte Finanzpolitik, wenn sie so gemacht wird, hat auch immer stabilisierende Wirkung auf die Binnenkonjunktur, und die können wir gut brauchen.
Bei den Unternehmen haben wir entgegen allem, was diskutiert wird, darauf geachtet, dass der Mittelstand nicht zu kurz kommt, sondern gestärkt wird. Wir haben mit der Unternehmenssteuerreform eine uralte Forderung auch aus diesem Kreis realisiert, nämlich die faktische Abschaffung der Gewerbeertragssteuer. Sie kennen das Anrechnungsverfahren, das exakt zu dieser Folge führt. Deswegen glaube ich nicht, dass die Kritik berechtigt ist - ich kann das nachweisen - , dass wir Kapitalgesellschaften besser gestellt hätten als Personengesellschaften. Der Unterschied zwischen Defensivbesteuerung auf der einen Seite, die für die Kapitalgesellschaften gilt, die also 38 Prozent von der ersten Mark an abzuliefern haben, und einer Grenzbesteuerung, bei der das prinzipiell anders ist, müsste auch denen, die die Verbandserklärungen schreiben, langsam in den Kopf gekommen sein.
Das zweite große Reformprojekt neben Haushalt und Steuern ist die Zukunft der Alterssicherung. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man von einer Verlangsamung des Reformtempos sprechen kann angesichts der Größe dieser Aufgabe und angesichts des mit unterschiedlichen Begründungen vorgebrachten gesellschaftlichen Widerstands dagegen. Warum machen wir das? Wenn ich Ihnen das nur ganz kurz auf meine Weise sagen darf: Wir haben einen dreifachen Druck auf das überkommene Alterssicherungssystem.
Erstens: Gott sei Dank werden die Menschen älter. Das führt dazu, dass sie länger Rente bekommen.
Zweitens: Ein steigendes Bruttoinlandsprodukt, das wir glücklicherweise haben, wird mit immer weniger Vollerwerbsarbeitsverhältnissen hergestellt, die Zahl der "gebrochenen" Erwerbsbiografien nimmt zu. Wo aber die umlagefinanzierte Rente fast ausschließlich oder maßgeblich an Vollerwerbsarbeitsverhältnissen hängt, ist das ein Punkt, der auf die Finanzierung Druck macht.
Drittens: Eine Forderung, die, wie ich meine, gerade in diesem Kreis blind unterschrieben wird, betrifft die Notwendigkeit, die Beiträge stabil zu halten, sie nicht uferlos steigen zu lassen, wie das in der Vergangenheit war. Gegenwärtig sinken sie. Wir mussten und müssen immer noch vielen erklären, dass das auch im Jahr 2020 und im Jahr 2030 nicht wesentlich anders sein darf, weil wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit die Beschäftigung sichern und entwickeln wollen.
Das sind die Punkte, die Druck auf das System ausüben. Die Konsequenz, die wir daraus gezogen haben, ist nicht, dass wir sagen: Uns fällt nichts mehr ein, wir lassen es so laufen, wie es ist. Die Konsequenz kann auch nicht sein, dass wir durch exorbitante Rentenkürzungen die Menschen in die Altersarmut drängen. Die Konsequenz konnte nur sein - und ich rede mir gern den Mund fusselig, um das verständlich zu machen - , nicht anstelle des bewährten Systems, sondern ergänzend zu ihm das aufzubauen, was ich die zweite Säule der Alterssicherung nenne. Die kann nun einmal nur kapitalgedeckt auf privater Vorsorge basieren.
Dies ist die zentrale Frage: Schaffen wir es in der nächsten Zeit - einschließlich Bundesrat - , möglichst zu Beginn des nächsten Jahres Kapitaldeckung als zweite Säule unseres Rentensystems aufzubauen? Das muss auch für diejenigen gelten, die geringe oder mittlere Einkommen haben, natürlich mit staatlicher Förderung. Wir mobilisieren 20 Milliarden DM, damit sich die Beschäftigten für das Alter privat absichern können. Das ist verdammt viel Geld! Wir mobilisieren dies, weil wir von der Wichtigkeit dieser Aufgabe überzeugt sind. Darüber, was im Einzelnen über die Jahre und Jahrzehnte hinweg gemacht werden kann oder muss, kann man mit mir diskutieren. Das ist nicht die Frage, die mich bewegt. Das zentrale Anliegen, das mich bewegt und das ich durchsetzen will, ist: Wir müssen es schaffen, ergänzend zur umlagefinanzierten Säule des Rentensystems eine kapitalgedeckte aufzubauen.
Und ich sage mit Blick auf die andere große Volkspartei: Man kann nicht so tun, als sei man im Ziel einig, aber gleichzeitig durch ständige, auch kleinkarierte Forderungen dieses Ziel konterkarieren. Ich fordere all diejenigen auf, die es ernst meinen mit der Zukunftsfähigkeit des Alterssicherungssystems, mit uns zusammen dafür zu sorgen, dass die Chance des Aufbaus einer kapitalgedeckten zweiten Säule jetzt ergriffen wird. Wenn wir nämlich nachlassen, wenn wir es verzögern, wenn der Bundesrat nicht mitmacht, dann, fürchte ich, wird die Chance, dies zu tun, vertan, und wir alle werden erhebliche Probleme bekommen, ob in der Wirtschaft, ob als betroffene Rentnerinnen und Rentner oder auch in der Politik.
Deshalb haben all diejenigen Unrecht, die jetzt so tun, als wollten wir Reformvorhaben mit weniger Nachdruck verfolgen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Einwände und die Unterschiedlichkeit der Gruppen unserer Gesellschaft, die diese Einwände aus jeweiligen Einzelinteressen heraus vortragen, ist die Reform der Alterssicherung eine der zentralen Herausforderungen für jede Regierung. Meine Regierung jedenfalls begreift es so, und wir wollen diese Aufgabe bewältigen. Ich hoffe, dass bei aller Bereitschaft, Detailkritik auch aus diesem Kreis anzunehmen, erkannt wird, dass das jetzt gemacht werden muss und es nicht an einer kleinkarierten Detaildiskussion scheitern darf.
Ich denke, es ist deutlich geworden, dass man nicht davon reden kann, dass wir in dem, was wir vorhaben, nachlassen können. Ich möchte aber auch einige Bemerkungen zu einem Thema machen, das hier schon breit diskutiert worden ist und dem ich überhaupt nicht ausweichen will. Es ist natürlich so, dass man, wenn man eine Politik machen will, die in der Gesellschaft ausgleichend wirkt, die den Betroffenen die Angst vor den gewaltigen Veränderungen nimmt, die wir infolge der globalisierten Wirtschaft vor uns haben, nicht nur auf die eine Seite schauen darf. Ich möchte, dass auch diejenigen in den Gewerkschaften, mit denen Sie Ihre Tarifauseinandersetzungen führen, begreifen, dass dieser Reformkurs unausweichlich ist und dass er nicht zur Schmälerung ihrer Möglichkeiten führt. Im Gegenteil gilt es, auf einer neuen Ebene in Wirtschaft und Gesellschaft einen neuen Gesellschaftsvertrag oder einen neuen gesellschaftlichen Konsens zustande zu bringen. Wir wollen ein modernes Deutschland. Modernisierung heißt eine vernünftige Mischung zwischen Flexibilität einerseits und Sicherheit der Beschäftigten andererseits. Gelegentlich ist es vielleicht gut, wenn man aus der eigenen Familie weiß, wie es geht oder gehen kann.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel sagen, das ich selber erlebt habe und noch erlebe. Es betrifft das Beschäftigungsförderungsgesetz. Das ist übrigens ein Gesetz, das Sie immer unbefristet haben wollten, in der Fassung, wie es jetzt ist, das die Vorgängerregierung befristet gemacht hat, und zwar deshalb, weil sie einem bestimmten Druck ausgesetzt war. Ich will es jetzt nicht in den Einzelheiten erklären. Auf der anderen Seite war es so, dass Sozialdemokraten und Gewerkschaften gesagt haben: Diese Form der Flexibilität brauchen wir nicht. Ich stehe - wie meine Koalition auch - jetzt vor der Notwendigkeit, dieses Gesetz, das andere befristet gemacht haben, entweder auslaufen zu lassen, was eine durchaus gewichtige Forderung ist, oder zu entfristen. Und wir haben es entfristet. Wir haben es aber dort nicht gemacht, wo nicht flächendeckend und nicht generell damit umgegangen worden ist. Die eigene Erfahrung ist kurz erläutert: Zwei Jahre, jeweils sechs Monate, Befristung ohne sachlichen Grund, danach - ich kann Ihnen die Firma und die Leute nennen - ein halbes Jahr Befristung mit sachlichem Grund und danach wieder das Spiel mit den zwei Jahren. Das ist kein fairer Umgang mit Flexibilität. Sicher ist Flexibilität auf der einen Seite nötig. Wichtig ist aber auch Planbarkeit für junge Familienväter auf der anderen Seite. Deswegen haben wir gesagt: Wir schaffen eine vernünftige Balance zwischen den Anforderungen nach Flexibilität aus den Unternehmen und der Forderung nach Planbarkeit gerade in Familiengründungsphasen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Wir werden also bei den zwei Jahren bleiben. Sie können es auch - notwendige Flexibilität - dreimal verlängern, insgesamt sind es also viermal sechs Monate. Aber Kettenarbeitsverträge sollten nicht gemacht werden, die werden wir aus den Gründen, die ich eben genannt habe, beendet.
Das gleiche Prinzip des Ausgleichs zwischen den Flexibilitätsinteressen im Unternehmen sowie bei der Organisation des Unternehmens und den Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hat auch den Gesetzentwurf zur Reform des Rechtes der Teilzeitarbeit geprägt. Sie wissen so gut wie ich, dass fast alles, was wir gesetzlich geordnet haben, eine Umsetzung europäischer Richtlinien ist - bis auf den Rechtsanspruch, den Sie kritisiert haben. Wir haben das gemacht, weil wir glauben, dass insbesondere Frauen damit eine größere Möglichkeit erhalten können, von der Teilzeitarbeit Gebrauch zu machen. Aber wir wissen, dass es Betriebe - und insbesondere Kleinbetriebe - gibt, die das generell nicht gewähren können. Deswegen haben wir eine Kleinbetriebsklausel gemacht. Wir wussten auch, dass es betriebliche Gründe gibt und geben kann, die es dem Unternehmen ermöglichen müssen, einen solchen Anspruch zurückzuweisen. So wird es werden.
Der dritte Punkt, über den man sich beschwert hat, ist die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. Das Betriebsverfassungsgesetz ist 25 Jahre alt. Die Arbeitswelt hat sich verändert, also ist dieses Gesetz den veränderten Bedingungen anzupassen, aber so, dass auch in dieser Frage ein vernünftiger Ausgleich zwischen den betrieblichen und unternehmerischen Interessen auf der einen Seite und den Interessen der Beschäftigten und der Gewerkschaften auf der anderen Seite erzielt wird. Ich bin ganz sicher, dass Sie dies, wenn dieser Gesetzentwurf vorliegt, auch einsehen werden. Wer kann etwas dagegen haben, dass man das Wahlverfahren für Betriebsräte entbürokratisiert? Ich kann das nicht nachvollziehen. Wer hat etwas gegen Informationsrechte über das, was Sie in den Umweltschutz investieren? In den meisten Betrieben wird es doch eher so sein, dass die Beschäftigten sagen: Tut an dieser Stelle eher zu viel als zu wenig! Das ist jedenfalls die Erfahrung, die viele von Ihnen schon gemacht haben oder machen werden. Ich denke, dass wir noch Gelegenheit haben werden, über dieses Gesetz in den Anhörungen und den Gesprächen, die es sonst gibt, zu reden. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass damit das Koordinatensystem, das in Deutschland immer einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Unternehmen bzw. ihrer Eigentümer und ihrer Beschäftigten gebracht hat, verschoben werden würde. Ich jedenfalls sehe es nicht so. Ich denke, bei fairer Betrachtungsweise werden es auch diejenigen, die sich bei Ihnen intensiv damit auseinandersetzen, so sehen.
Lassen Sie mich im Gegensatz zu dem, was in meinem Manuskript steht, noch einige Bemerkungen dazu machen, was wir auf europäischer Ebene vorhaben und dies mit einer Bitte verbinden. Die zentrale Frage nicht nur der deutschen, sondern der europäischen Politik der nächsten Jahre wird sein, ob wir es - vermutlich jetzt schon in Nizza und als Folge von Nizza - schaffen, zu einer zügigen Erweiterung der Europäischen Union in Richtung Osten zu kommen. Ich möchte dieses Forum benutzen, auf eine gefährliche Debatte hinzuweisen.
Es gibt natürlich gegenüber dieser politischen wie ökonomischen Notwendigkeit auch Ängste, zumal in den grenznahen Regionen. Dieses Land als ein Land, das sich immer als integrationsfreudig erwiesen hat, steht vor der Frage, ob wir eine Offensive zur Notwendigkeit einer zügigen Erweiterung der Europäischen Union wollen, oder ob wir, unter welchem Begriff auch immer - da lassen sich viele finden - , mit den Ängsten, die es insbesondere in den Grenzregionen gibt, Politik gegen Europa machen wollen. Das wird eine der entscheidenden Fragen in der Auseinandersetzung der nächsten zwei Jahre sein.
Nicht zuletzt steht jetzt die deutsche Wirtschaft vor der Frage: Was ist politisch, was ist ökonomisch los? Ich denke, politisch lässt sich schnell, jedenfalls im Kreis aufgeklärter Menschen, ein Konsens finden. Manche in Europa tun so, als seien die baltischen Staaten, als seien Polen und Ungarn kein Teil Europas. Dabei ist doch die blanke Wahrheit, dass dieses Europa auseinander gerissen worden ist als Folge der Hitler'schen Politik und des Zweiten Weltkrieges und dass es mit diktatorischer Macht auseinander gehalten worden ist als Folge des Kommunismus. Europa waren diese Staaten immer, so verstehen sie sich und so dürfen sie sich auch verstehen. Es kann also, politisch gesehen, gar keine Frage sein, dass wir historisch wie mit Blick auf unsere Zukunft verpflichtet sind, dieses Europa zusammenzubringen, nicht im Europa der Fünfzehn, sondern der Fünfundzwanzig oder auch der Siebenundzwanzig. Ich denke, das müsste gerade in Deutschland unbestritten sein. Ökonomisch gesehen, muss man den Menschen auch in den Grenzregionen sagen: Aktuelle Schwierigkeiten sind überwindbar. Wir werden über Übergangsfristen diskutieren und entscheiden. Aber letztlich ist es doch so, dass gerade die heutigen Grenzregionen ökonomisch dadurch gewinnen werden; denn die Märkte in den mittel- und südosteuropäischen Ländern sind schon heute Märkte, vor allen Dingen für deutsche Unternehmen und deutsche Produkte. Das wird sich eher verstärken, als dass das Gegenteil eintreten wird.
Deshalb ist meine herzliche Bitte, dass Sie in den nächsten zwei Jahren als deutsche Wirtschaft mit dafür sorgen - denn das werden die entscheidenden zwei Jahre im Erweiterungsprozess sein - , Ängste abzubauen. Ängste von Beschäftigten, die Lohndumping befürchten, Ängste von Handwerksmeistern, die die Gewerbefreiheit über die Grenzen hinweg befürchten, dass Sie mithelfen, diese Ängste, die kanalisierbar sind, abzubauen und im ökonomischen wie politischen Interesse als Deutsche dazu beizutragen, dass auch in Europa zusammenwächst, was doch nun wirklich zusammengehört.