Redner(in): k.A.
Datum: 29.11.2000

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/60/25160/multi.htm


für die Einladung zum "Adlerkreis" darf ich Ihnen herzlich danken. Adlerkreis " : Das verspricht - und soll es hoffentlich auch versprechen - strategische Höhe und Perspektive, die Ziele am Boden dabei stets fest im Blick. Deshalb gestatten Sie mir,

bevor ich näher auf die politischen Nah- und Fernziele am Boden eingehe, einige Bemerkungen vorweg zur Topographie der politischen Landschaft.

I. Im Vordergrund der politischen Debatten des letzten Jahrzehnts stand die Frage nach dem richtigen Weg zu wirtschaftlicher Modernität und sozialer Sicherheit. Von allen Parteien ist diese Diskussion aus der Logik der Innenpolitik heraus geführt worden, aus der Logik der Verteilungskämpfe und der Konfrontation.

Kleinere Staaten Europas, wie z. B. die Niederlande oder Dänemark, haben sich demgegenüber viel konsequenter auf die Herausforderungen der Globalisierung eingestellt und den nötigen Wandel früher eingeleitet - sei es beim Umbau des Steuersystems, der Alterssicherung oder bei der Reform der Arbeitsmärkte ( übrigens jeweils im Konsens ) . Gemessen daran ist die Bundesrepublik in den 90er Jahren international zurückgefallen, weil die Debatten noch zu sehr in den traditionellen Bahnen nationaler Verteilungspolitik geführt worden sind. Kein Wunder, dass die Soziale Marktwirtschaft an Renommee und Glanz verloren hat und manche Kommentatoren in Deutschland gar den "kranken Mann" Europas sahen.

Der politische Streit um das Ziel und den richtigen Weg im Koordinatensystem von Modernisierung und Gerechtigkeit war und ist notwendig. Solange er aber konfrontativ geführt und Modernisierung gegen sozialen Ausgleich gestellt wurde, hatten langfristige, zukunftsorientierte Lösungen kaum eine Chance - wie an der uferlos gestiegenen Staatsverschuldung gut ablesbar war.

Das war über Jahre hinweg Politik pur zu Lasten kommender Generationen. Diese Verengungen der Politik der 90er Jahre aufzubrechen, war und ist eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung.

II. Mehr Internationalität und Weltoffenheit einerseits, mehr Generationengerechtigkeit andererseits, das sind tragende Konstruktionsprinzipien und -pfeiler unserer Politik. Internationalität, Weltoffenheit und Zukunftsorientierung - das sollen die neuen Markenzeichen Deutschlands, die Markenzeichen einer modernen sozialen Marktwirtschaft werden. Dass wir damit auf dem richtigen Weg sind, hat der Sachverständigenrat vor 14 Tagen ausdrücklich bestätigt. Die Steuerreform, die Rentenreform, die Neuregelung des Staatsbürgerschaftsrechts, die Green Card und nicht zuletzt auch die Regelung der Zwangsarbeiterentschädigung sind nur die prominentesten Beispiele für diese konzeptionell neue Politik.

Bei dieser Politik, das lehren auch die Erfahrungen der europäischen Nachbarn, geht es um Strategien, die erstens ökonomisch tragfähig und effektiv sind, die zweitens in eine auf Ausgleich und Kompromiss bedachte nationale Kultur passen und die drittens politisch und administrativ umsetzbar sein müssen, wenn sie Erfolg haben wollen.

An diesem anspruchsvollen Dreiklang modernen Regierens ist die alte Regierung seinerzeit gescheitert. Welche Lehren daraus gezogen worden sind, vermag ich nicht zu beantworten. Aber wenn Sie mir dazu ein offenes Wort gestatten: Ich persönlich habe großen Zweifel, ob die Revitalisierung von Verteilungsdiskursen und traditionellen Gerechtigkeitsdebatten seitens der Opposition der richtige Weg ist, um Deutschland in das digitale Zeitalter zu führen. Und das Zündeln mit bewusst missverständlichen Begriffen ( "Leitkultur" ) ist sicherlich nicht geeignet, Weltoffenheit und Internationalität in Deutschland voranzubringen.

Gefordert ist eine konstruktive, zielgerichtete Politik der "kleinen Schritte" oder, um es mit Max Weber zu sagen, das "beharrliche und ausdauernde Bohren dicker Bretter". Und der Bretterstapel, den diese Regierung sich zurechtgelegt hat, ist wahrlich noch dick genug.

III. In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode stehen eine Reihe von Reformen an, um mehr Internationalität und mehr Generationengerechtigkeit zu verwirklichen:

Die Reform der EU auf dem Europäischen Rat in Nizza am 7. / 8. Dezember mit dem Ziel, die Handlungsfähigkeit Deutschlands in der europäischen Politik zu verbessern, * die Entscheidungsfähigkeit der Europäischen Kommission und des Rates zu stärken, und die Legitimation europäischer Entscheidungen zu verbessern.

Die Bewältigung der "left-overs" und eine größere Flexibilität in der "verstärkten Zusammenarbeit" sind die unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration der ost- und mitteleuropäischen Aufnahmekandidaten.

Die Erweiterung der Green-Card auf Hochschulabsolventen, die hierzulande studiert haben, sowie möglichst noch im nächsten Jahr eine umfassende Regelung zur Steuerung der aus demografischen und ökonomischen Gründen notwendigen Zuwanderung.

Eine Energiepolitik "Weg vom Öl", um Deutschland energiepolitisch unabhängiger zu machen. Die jüngste Preisexplosion auf den Rohölmärkten hat gezeigt: Wir sind immer noch viel zu abhängig von Energielieferungen aus dem Ausland. Nur durch Einsparungen werden wir den Energieverbrauch und die Energiekosten für Unternehmen und Haushalte begrenzen können. Dabei setzen wir auf kalkulierbare Preissignale, auf neue Energietechnologien und auf regenerative Energieträger.

Die Rentenreform ist ein erster Schritt, um die soziale Sicherung europafähig zu machen und sie langfristig intakt zu halten. Mit der Ergänzung der kollektiven Vorsorge um eine private Alterssicherung überwinden wir die Schnittstelle zwischen Sozial- und Privatversicherung, fördern so die grenzüberschreitende Mobilität der Arbeitnehmer und öffnen neue Märkte für die private Versicherungswirtschaft und die Banken.

Mit der Rentenreform fördern wir zugleich den Vermögens-aufbau, um langfristig Druck von den sozialen Sicherungssystemen und damit den Lohnnebenkosten zu nehmen. Das stärkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft direkt und indirekt - indem die Rahmenbedingungen für Start-Ups auf den Kapitalmärkten verbessert werden. Im übrigen glaube ich, dass wir mit der Steuerpolitik, dem Börsengang der Telekom und nun mit der Rentenreform mehr für den Vermögensaufbau breiter Schichten bewirkt haben werden als alle Sparförderungen der Vergangenheit.

Wir flankieren diese Stärkung des Kapitalmarktes, indem wir die Rahmenbedingungen für New Economy gezielt verbessern und unseren Ordnungsrahmen stärker an die Realitäten von Globalisierung und Digitalisierung anpassen. Noch in diesem Jahr werden wir das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung streichen, um gleiche Chancen im e-commerce zu sichern.

Mit der Reform der befristeten und der Teilzeitbeschäftigung, der Reform der Betriebsverfassung und des Unternehmensrechts werden wir den arbeitsrechtlichen Rahmen gleichgewichtig zwischen den Anforderungen von Flexibilität einerseits und Sicherheit andererseits modernisieren. Dabei werden wir weder Willkür noch einzelbetriebliche Überforderung zulassen.

Darüber hinaus geht es noch im Jahr 2001 darum, die föderalen Strukturen in der Bundesrepublik zu modernisieren und europafähig zu machen.

Last but not least stellen wir uns der gewachsenen internationalen Verantwortung der Bundesrepublik in der Entwicklungspolitik und durch die konsequente Fortführung der Wehrstrukturreform sowohl im Hinblick auf die internationale Einsatzfähigkeit der Bundeswehr als auch hinsichtlich der erforderlichen Standortentscheidungen. Diesen Prozess beginnen wir im Frühjahr 2001; er wird bis 2006 abgeschlossen.

IV. Anrede,

Diese - natürlich nicht vollständige - Reformagenda für die 2. Halbzeit ist, vorsichtig formuliert, mindestens ebenso anspruchsvoll wie die Regierungsprogramme mancher Bundesregierung in den letzten Jahren. Verschärfend ", das sage ich nicht ohne Hintersinn, kommt hinzu, dass wir den - für Deutschland beispiellosen - Prozeß der Haushaltskonsolidierung ungebremst voranbringen. Spätestens im Jahr 2006 werden wir einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen. Das ist konkrete Generationengerechtigkeit. Wir reden nicht über die" Wir-Gesellschaft ". Wir nehmen sie ernst.

Anrede,

früher ging es darum,"mehr Geld für Reformen" zu mobilisieren. Damit ist Schluß. Bei uns bekommen sie mehr Reformen fürs Geld.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!