Redner(in): Michael Naumann
Datum: 05.12.2000
Anrede: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/22/26522/multi.htm
Ihre Einladung zur Eröffnung des Hauptstadtbüros habe ich sehr gern angenommen. Und das bereits zu einem Zeitpunkt, als noch nicht klar war, wie stark sich unsere Aufgaben schon bald annähern werden. Ich hoffe, Sie alle haben den Umzug nach Berlin gut überstanden - ich heiße Sie in der deutschen Hauptstadt herzlich willkommen. Glauben Sie mir: Es ist leicht, sich hier richtig wohl zu fühlen. Neben der Hauptgeschäftsstelle in Bonn haben Sie nun ein zweites Standbein, und Sie werden sicher bald merken, dass man auf zwei Beinen ziemlich gut stehen kann.
Die Berlinerinnen und Berliner freuen sich - gelegentlichen Bonner Gerüchten zum Trotz - sehr über die Zuzügler aus anderen Ecken der Republik. Das hängt nicht so sehr mit der Hoffnung auf ein höheres Steueraufkommen zusammen, sondern vor allem mit der angeborenen Neugier der Berliner, nicht nur der Eingeborenen.
Berlin ist eine Stadt fast ohne traditionelle Industrie geworden, deren Entwicklung vor allem vom Erfolg der sogenannten "Kreativen" abhängt. Es ist schön, dass die Bundesregierung dabei helfen kann, einfallsreiche Köpfe in die Hauptstadt zu locken.
Der DJV hat sich für einen markanten Neubau entschieden - in unmittelbarer Nähe zum "Plenarbereich Reichstag", wie der Sitz des Deutschen Bundestages umständlich, aber korrekt heißt. Doch als "Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien" werde ich mich hier nicht über die Sinnhaftigkeit von Sprachschöpfungen in der Politik verbreiten.
Die räumliche Nähe zum Reichstagsgebäude und zu den Abgeordnetenbüros verspricht einen raschen, direkten Informationsfluss. Und ich wünsche Ihnen und den Politikern, dass Sie hier, an diesem Ort, tatsächlich zu einem intensiven Meinungsaustausch zwischen Politik und Medien beitragen werden.
Eine vorrangige Aufgabe der Medienpolitik besteht darin, die Unabhängigkeit von Presse und Rundfunk zu garantieren und die Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in unserer Demokratie zu sichern. Dabei beanspruchen die elektronischen Medien wegen ihrer immensen öffentlichen Verbreitung, aber auch wegen ihrer politischen Bedeutung, wegen ihrer kulturellen Ausstrahlung und wegen ihres wirtschaftlichen Gewichts unsere besondere Aufmerksamkeit.
Die in der Bundesrepublik seit 1984 bestehende duale Rundfunkordnung hat sich bewährt. Sie brachte uns das dichteste Sendernetz und das vielseitigste Programmangebot zumindest in Europa. Dennoch ist es notwendig, das Verhältnis zwischen den beiden Säulen des dualen Systems immer wieder zu diskutieren. Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der "Grundversorgung" geprägt, gesichert durch die Rundfunkgebühren.
Dennoch stellt sich die Frage immer wieder neu, was öffentlich-rechtlicher Rundfunk darf und wie seine Finanzierung gestaltet werden soll. Welche Rolle in diesem Kontext zum Beispiel zusätzliche Einnahmen aus der Werbung spielen können, wird nun schon seit Jahren nicht nur auf Landesebene, sondern auch in der Bundesregierung diskutiert. Es geht hier um die Zahlungsbereitschaft der gesamten Bevölkerung, aber auch um die Einbindung in die medienrechtlichen Strategien der Europäischen Kommission in Brüssel.
Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung tritt nachdrücklich für eine Bestandsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Und die könnte mittelfristig bedroht sein: Versuche der Europäischen Union, die Definitionshoheit darüber zu beanspruchen, was "Grundversorgung" ist, weisen wir zurück. Im Konsens mit Partnerstaaten wie Spanien, Italien und Frankreich, vertreten wir die Auffassung, dass die Struktur, die Finanzierung und der Sendeauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nationales Hoheitsrecht bleibt.
Wir wollen die duale Rundfunkordnung in Deutschland auf Dauer erhalten, und sie soll von einem breiten gesellschaftlichen Einvernehmen getragen werden. Dabei müssen - das steht außer Frage - auch die wirtschaftlichen Interessen des privaten Rundfunks berücksichtigt werden. Wir streben ein faires Nebeneinander an; beide Säulen des Systems sollen sich vorteilhaft entwickeln können.
Zu den großen medienpolitischen Herausforderungen, denen sich die Bundesregierung gegenüber sieht, gehören die Folgen der technischen Entwicklungen in der Telekommunikation, den traditionellen Medien und den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten. Wir denken darüber nach, wie der Staat auf angemessene Weise dem damit verbundenen Regulierungsbedarf entsprechen kann. Hier sind innovative und grenzüberschreitende Lösungen gefragt.
Unabhängig davon ist selbstverständlich die freiwillige Selbstkontrolle der Medienbranche in Deutschland unverzichtbar.
Sie hat sich als flexibles und wirksames Instrument erwiesen, um öffentliche Interessen zu wahren. Man muss sie nur konsequent anwenden. Mit anderen Worten: Die freiwillige Selbstkontrolle ist Ausdruck einer gestärkten gesellschaftlichen Eigenverantwortung - wenn sie konsequent wahrgenommen wird! Damit komme ich zu aktuellen Gesetzgebungsvorhaben, die den Medienbereich berühren:
1. Die Europäische Union verabschiedet in diesen Tagen die lange diskutierte urheberrechtliche "Harmonisierungsrichtlinie". Diese soll im Rahmen des Fünften Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes in Deutschland umgesetzt werden. Das klingt kompliziert, ist aber wichtig: die Rechte von Autoren, Fotografen, Musikern und anderen werden endlich ernst genommen. Und dabei werden - schwierig genug - die neuen technischen Möglichkeiten bei der Vervielfältigung und Verbreitung berücksichtigt. Für die weitere Gestaltung der Informationsgesellschaft im europäischen Kontext ist das von erheblicher Bedeutung.
2. Wie Sie wissen, liegt im Bundesministerium der Justiz inzwischen ein vorläufiger Entwurf des Urhebervertragsrechts vor - der sogenannte "Professoren-Entwurf". Dazu sind auch zahlreiche Stellungnahmen der Verbände und sonstiger Interessenten eingegangen. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich mich dazu auch trotz Ihrer an mich gerichteten Bitte und der Übersendung Ihrer Einwände nicht äußern werde. Darüber reden wir derzeit intern. Dabei stimme ich mit der Bundesjustizministerin überein, dass zu einem lückenlosen Urheberrecht ein angemessener Vergütungsanspruch auch für Journalisten gehört. Seien Sie in diesem Zusammenhang auch versichert, dass sich Prof. Dr. Nida-Rümelin, der ab Januar mein Nachfolger sein wird, bereits mit großem Engagement dieser Problematik angenommen hat.
3. Bei der Novellierung der Strafprozessordnung wird auch das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten neu gefasst. Dazu hat in diesem Haus unlängst der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Sachverständige gehört - darunter auch einen Vertreter des DJV. Der neue Gesetzentwurf wird sorgfältig zwischen einer wirksamen Verbrechensbekämpfung und dem Schutz der verfassungsrechtlich garantierten Pressefreiheit abwägen. Die Haltung der Bundesregierung ist auch nach der Stellungnahme des Bundesrats unverändert.
Sie befürwortet die auch von mir favorisierte "generelle" oder auch "Pauschallösung" : Ausnahmen vom Zeugnisverweigerungsrecht werden nur bei Verbrechen zugelassen. Das selbst recherchierte Material soll vom Zeugnisverweigerungsrecht geschützt werden; es unterliegt einem Beschlagnahmeverbot. Die Bundesregierung unterstreicht damit den hohen verfassungsrechtlichen Rang der Pressefreiheit und der Freiheit der Rundfunkberichterstattung in unserem Land.
4. Auch die Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes befindet sich im Endstadium. Es wird voraussichtlich im nächsten Jahr in Kraft treten. Dass das Medienprivileg in § 41 des Gesetzes beibehalten werden konnte, habe ich mit Ihrer journalistisch-medialen Unterstützung im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens gegen die ursprünglich vorgesehene Einrichtung eines Datenschutzbeauftragten im redaktionellen Bereich durchsetzen können. Das ist, wenn Sie so wollen, ein schöner gemeinsamer Erfolg für die Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Auch hier kommt der Selbstkontrolle eine große Bedeutung zu. Ihr Verband war maßgeblich an der Erarbeitung dieser Regelungen beteiligt - dafür gebührt Ihnen an dieser Stelle noch einmal mein herzlicher Dank!
Meine Damen und Herren,
ich bin gebeten worden, in meiner Rede auch kurz auf das Verhältnis von Journalismus und Demokratie einzugehen. Ich tue das sehr gern, ist damit doch auch ein Moment der Selbstvergewisserung verbunden, bevor ich meine neue Aufgabe in Hamburg antreten werde.
Ein elementares Wesensmerkmal unserer freiheitlichen Demokratie ist nach Artikel 20 unseres Grundgesetzes das Prinzip der Gewaltenteilung. Dieses Prinzip steht seit Montesquieu stets in engem Zusammenhang zur Rechtsstaatsidee. Die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit bildet mit der Idee der Menschenrechte die Essenz eines demokratisch verfassten Humanismus. Die Vorstellung, dass staatliche Macht nicht ungeteilt in einer einzigen Hand liegen darf, war ein wesentlicher, historisch bedeutender Schritt auf dem Weg zu ihrer Mäßigung. Dieser Lehre der Gewaltenteilung liegt ein Menschenbild zugrunde, das auch die Verfassungsordnung des Grundgesetzes entscheidend prägt.
Im Gegensatz zu dem durch und durch optimistischen Menschenbild Rousseaus, gehen die freiheitlichen Verfassungsordnungen von der Fehlbarkeit der Menschen aus. Und zwar auch dann, wenn ein Mensch in staatliche Ämter gelangt. Ich denke, ich muss das an dieser Stelle nicht mit empirischen Daten belegen. Die Verfasser unseres Grundgesetzes hielten es deshalb für wichtig, den Entscheidungsspielraum der politischen Akteure klar zu definieren und sie einer machtvollen Kontrolle - und wenn nötig der Korrektur - durch andere Verfassungsorgane zu unterwerfen: die Legislative und die Judikative.
Institutionen müssen ihrer Qualität nach jedoch nicht bloß rechtlich, sondern auch gerecht und zivil, wenn Sie so wollen: demokratisch sein. Sie legitimieren sich durch ihr Handeln. Dahingehend können sie auch befragt und kritisiert werden. Welche Funktion in diesem Kontext den Medien zukommt, der sogenannten vierten Gewalt, muss ich Ihnen hier nicht erläutern.
Die parlamentarische Demokratie ist ein System, das Stärken aufweist und Erfolge feiert, aber auch seine blinden Stellen hat, seine Unschärfen, seine Konstruktionsschwächen und beklagenswerte Routinen, das gelegentlich zu heiklen Verfahrenstricks einlädt und die Verwirklichung bestimmter Ideale aus prinzipiellen Gründen ausschließt. Die parlamentarische Demokratie ist nicht perfekt, aber für den aus historischer Erfahrung gegenüber Ideologien empfindlichen Generation haben niemals hinreichenden Gründe bestanden, sie in Frage zu stellen.
Der Politiker in einer stabilen Demokratie hat die Institutionen, für die er Verantwortung trägt, so zu beeinflussen, dass sie dauerhaft anspruchsvollen Vorstellungen des Demokratischen entsprechen. Trotz Schwächen, trotz Leerlaufs. Und er sollte geleitet sein von einer hohen Bewusstheit bei der Ausübung der auf Zeit geliehenen Macht - im besten Fall von Umsicht.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, Sie beobachten das bisweilen auch bei der Politik der Bundesregierung und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.