Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 06.12.2000

Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Stadtpräsident, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/21/25621/multi.htm


heute den Willy-Brandt-Platz und das hier geschaffene Denkmal gemeinsam mit Ihnen einzuweihen, das ist etwas, was mir persönlich sehr nahe geht. Als Willy Brandt 1970 zu seinem historischen Besuch nach Warschau kam, war ich - wie so viele in meiner Generation - , voller Hoffnung, aber auch voller Zweifel. Wir waren zu jung, um den Krieg miterlebt zu haben. Aber wir waren alt genug, um zu wissen, dass zwischen Deutschen und Polen schreckliches Verbrechen und namenloses Leid standen, von Deutschen begangenes Verbrechen, von Deutschen verursachtes Leid.

Wir fragten uns, ob Willy Brandt, der Kanzler, auf den wir alle so viel Hoffnungen setzten, einen solchen gewaltigen Schritt zur Überwindung dieser furchtbaren Kluft, die uns bewusst war, würde tun können.

Nicht weit von hier, am Mahnmal für die gefallenen Helden des Warschauer Gettos, hat Willy Brandt dann jenen Schritt getan, zu dem wohl nur wirklich große Menschen in der Lage sind, wenn ihnen die Worte versagen.

Seine Geste ließ uns den Atem stocken. Hier hatte ein deutscher Politiker, der deutsche Regierungschef, stellvertretend für die Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland Mut bewiesen. Durch diese Geste hatte er Mitgefühl ausgedrückt, was noch so viele Worte nicht vermögen.

Das Bild des knieenden Willy Brandt ist zu einem doppelten Symbol geworden - zum Symbol des "Nie wieder" und zum Symbol dafür, dass wir unsere Vergangenheit anzunehmen haben als Voraussetzung dafür, Zukunft gewinnen zu können.

Ich danke der Stadt Warschau und ihrem Bürgermeister sehr herzlich. Ich danke der polnischen Regierung sehr herzlich. Ohne sie wäre dieses für uns so bewegende Ereignis nicht möglich gewesen.

Ich denke, alle Deutschen, auch und gerade diejenigen, die damals skeptisch oder sogar ablehnend waren, können stolz darauf sein, dass Willy Brandt mit seinem Kniefall hier unendlich viel zur so notwendigen Versöhnung zwischen Deutschen und Polen beigetragen hat.

Es hat sich gezeigt, wie richtig es war, auf gute Nachbarschaft zu setzen. Es war richtig, an den Freiheitswillen des polnischen Volkes zu glauben, und es war richtig, Polen als in seiner Geschichte und in seinen Perspektiven tief verwurzelte Nation in Europa zu begreifen.

Die Ostpolitik Willy Brandts war die richtige Antwort auf die Geschichte. Die Integration Polens in die Europäische Union ist die richtige Antwort für unsere gemeinsame Zukunft. Genau dafür wollen und werden wir arbeiten.