Redner(in): k.A.
Datum: 12.12.2000

Anrede: sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/68/26468/multi.htm


Exzellenzen,

1. Stadtentwicklung in Deutschland und China

In wenigen Jahren wird die Bevölkerung der Welt eine historische Marke passieren: mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird in Städten leben. Von den Kindern, die heute in Entwicklungsländern geboren werden, wachsen zwei Drittel in der Stadt auf. Das 21. Jahrhundert wird somit das erste städtische Jahrhundert der Weltgeschichte sein.

China und Deutschland haben reiche Erfahrung mit Städten und städtischen Lebensformen. Von den 21 größten Städten der Welt liegen allein sechs in China. Sie alle - und viele weitere - zeugen von einer reichen städtischen Tradition. Deutschland kann so große Städte nicht aufweisen. Gleichwohl ist Deutschland seit vielen Jahren ein städtische Gesellschaft und hat eine städtisch geprägte Kultur. In Deutschland ist der Prozess der Verstädterung zum Stillstand gekommen - weil der allergrößte Teil der Bevölkerung, ca. 80 Prozent, bereits in Städten wohnt. China dagegen verfolgt weiterhin eine Strategie der dynamischen Urbanisierung.

Historisch gesehen war das Wachstum der Städte immer mit Entwicklung verknüpft - mit der Vermehrung von Wohlstand und mit der Verbesserung von Lebensumständen. Dass das Städtewachstum gleichzeitig eine soziale Kehrseite hatte, Armut und Elend hervorbrachte, ist uns nicht nur aus der Geschichte bekannt. Auch heute leben mehrere hundert Millionen Menschen in städtischen Slums unter schlimmen Bedingungen.

Aber die Menschen sahen in der Stadt für sich eine Chance, besser zu leben, oder zumindest besser zu überleben. Deshalb strömten in Europa im 18. und 19. Jahrhundert die Menschen aus den Dörfern in die Städte, mit der Hoffnung auf Arbeit, ein besseres Leben und politische Freiheiten. Die Ökonomen haben untersucht, warum Städte mehr Wohlstand erzeugen und in ihren Ländern die Pole für Wachstum und Innovation sind. Sie sind zum Ergebnis gekommen, dass der enge Kontakt von Produktion und Handel, von Forschung, Wissen und Kultur Standortvorteile hervorbringt, die sich in Wettbewerbsvorteilen niederschlagen, die anderswo nicht zu erreichen sind. Unter den Bedingungen der Globalisierung kommt heute die Chance des Zugangs zum Welthandel und zum digitalen Informationsnetzwerk hinzu.

Aber wie steht es mit der Umwelt? Ist es nicht so, dass die Urbanität uns zwar die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation gebracht hat, wie Straßen, Autos, Kraftwerke, Hochhäuser oder Kanalisation, dass der Preis hierfür aber eine Zerstörung der Umwelt ist? Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass gerade die Städte für einige der größten Umweltprobleme verantwortlich sind, mit denen wir heute zu tun haben: Luftverschmutzung, Vergiftung der Flüsse, Vernichtung von Natur und Landschaft sind dafür Beispiele. Klar ist, dass in den Städten, wo viele Menschen zusammenleben, auch der Verbrauch an Ressourcen hoch ist und dementsprechend seine Folgen für die Natur spürbar. Aber übersehen wir nicht die Chancen, die die städtischen Lebensformen auch für die Umwelt bieten?

In der Stadt sind Angebote des öffentlichen Nahverkehrs möglich, die uns zu einer umweltverträglichen Mobilität führen können; der Flächenverbrauch ist geringer; eine Umweltinfrastruktur ist wirtschaftlich möglich, zu der Abwassersammlung und -klärung ebenso gehören wie eine Abfallentsorgung. Auch solche umweltfreundlichen technischen Konzepte wie die Kraft-Wärme-Kopplung sind nur in einer städtischen Siedlungsstruktur sinnvoll einsetzbar. Die internationale Gemeinschaft hat sich diese Sicht der Urbanisierung, die die Chancen einer umweltverträglichen Stadtentwicklung in den Mittelpunkt stellt, 1996 mit der "Habitat Agenda" zu eigen gemacht. Die UNO-Konferenz über menschliche Siedlungen von Istanbul legte ihrem Globalen Aktionsplan eine Vision von einer nachhaltigen Stadtentwicklung zugrunde, die den Bürgerinnen und Bürgern in den Städten ein Leben in einer gesunden Umwelt anbietet und gleichzeitig die Belastbarkeit der Natur und ihrer Ökosysteme beachtet.

In vielen Städten und Gemeinden wird dieser Gedanke praktisch umgesetzt. Weltweit arbeiten Bürgerinnen und Bürger, Politiker, Verwaltungen, Unternehmen und Wissenschaftler bei der "Lokalen Agenda 21" mit, die nicht nur ein Umweltprogramm ist, sondern den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ebenso im Blick hat. In China sind die Menschen auf örtlicher Ebene ebenso engagiert wie in Deutschland und in vielen anderen Ländern. Im Juli diesen Jahres kamen 3000 Bürgermeister und -innen, Experten, Vertreter von Regierungen, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen in Berlin zusammen, um bei der Weltkonferenz "Urban 21" über die Prioritäten zu beraten. Seit Istanbul 1996 war dies die größte Konferenz über Fragen der Stadtentwicklung, und sie wurde zu einem deutlichen Signal des Willens zu abgestimmtem Handeln.

Ich konnte zu dieser Konferenz auch die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der 21 größten Städte der Welt zu einem Gipfel begrüßen. Aus China waren die Städte Peking, Chongqing, Schanghai und Shenyang auf höchster Ebene vertreten. Der Gipfel der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen war sich einig, dass Armutsbekämpfung und nachhaltige Stadtentwicklung die wichtigsten Aufgaben der Zukunft sind, und dass sie nicht nur lokale Anstrengungen erfordern, sondern ebenso eine kohärente Politik im nationalen und internationalen Rahmen. Dabei ist die demokratische Willensbildung auf lokaler Ebene und die breite Partizipation aller Bürgerinnen und Bürger unabdingbar, nicht nur, weil es hier um Bürgerrechte geht, sondern auch, weil eine Stadtentwicklungspolitik ohne Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger keinen Erfolg haben kann.

2. Aufgaben für eine nachhaltige Stadtentwicklung

Wo liegen konkret die Aufgaben für eine nachhaltige Stadtentwicklung? Sind diese Aufgaben in China und in Deutschland vergleichbar? Können wir gegenseitig von unseren Erfahrungen lernen? Die großen Unterschiede in den Ausgangsbedingungen sind unverkennbar. China und Deutschland befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. So haben wir es in der Erklärung formuliert, mit der wir diese Konferenz abschließen. Dasselbe trifft auch für die Städte in beiden Ländern zu. Bei allen Unterschieden gibt es aber große Ähnlichkeiten in den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die Städte: Sie wollen sichere Arbeit und ausreichendes Einkommen, Wohnraum und Zugang zu den städtischen Dienstleistungen, persönliche Sicherheit vor Gewalt und Katastrophen. Ähnlichkeit gibt es auch bei den Wünschen, in einer gesunden und angenehmen Umwelt zu leben, zu wohnen und zu arbeiten.

Die Möglichkeiten, diese Wünsche zu realisieren, sind in einem reichen Land oder in einer reichen Stadt natürlich größer als dort, wo Armut herrscht. Dennoch muss die Umweltverträglichkeit überall einen hohen Rang erhalten. Denn eines hat sich als Irrtum herausgestellt: man kann nicht erst Wachstum fördern auf Kosten der Umwelt und danach die eingetretenen Umweltschäden reparieren. Denn dort, wo die Umwelt über ihre Grenzen belastet wird, kann sich auch kein Wohlstand entwickeln.

Bodennutzung, Wohnungsbau, Stadterneuerung: Kernaufgabe der Stadtplanung ist die Festlegung der anzustrebenden Flächennutzung. Gerade in rasch wachsenden Städten befindet sich die Planung hier immer in einem Wettlauf mit der wirtschaftlichen Wachstumsdynamik, zumal eine demokratische abgesicherte Planung, die die Bevölkerung in die Entscheidungen einbezieht, immer mehr Zeit braucht, als eine Planung "am grünen Tisch".

Im Rückblick stellen wir fest, dass die wichtigsten und prägendsten Planungsentscheidungen solche waren, die Natur- und Grünflächen von der Bebauung freihielten. In Deutschland sind wir heute den weitsichtigen Stadtvätern und -müttern dankbar, die in der Zeit der dynamischen Entwicklung an Grünflächen und Parks gedacht haben, die heute das Leben in den Städten so bereichern. Im Ruhrgebiet, dem größten zusammenhängenden Stadtgebiet Deutschlands, hat sich ein Zusammenschluss der Städte, der Ruhrsiedlungsverband, dieser Aufgabe gestellt und für die ganze Region ein zusammenhängendes System von Grünflächen entwickelt. In den letzten Jahrzehnten hat sich in Deutschland die Dynamik von den Außenbezirken wieder in die Stadtzentren verlagert. Die Städte haben mit Unterstützung der Bundesländer und des Bundes viele Milliarden Mark in die Erneuerung alter Stadtquartiere investiert; die Hauseigentümer haben ein Vielfaches davon an privatem Kapital mobilisiert, um die Gebäude zu verbessern und die Wohnungen zu modernisieren. Ausgangspunkt war der politische Wille, die alten, gewachsenen Stadtquartiere nicht verfallen zu lassen und die Wohn- und Lebensbedingungen dort attraktiv und wettbewerbsfähig zu machen.

Stadtverkehr Eine der schwierigsten Herausforderungen für die schnell wachsenden Städte ist die Bewältigung der Mobilität. Mobil zu sein, gehört gerade zu den großen Vorteilen des Lebens in der Stadt. Weil die Nachfrage nach Mobilität so rasch wächst, braucht der Transport in der Stadt immer mehr Flächen und immer mehr Energie. Beides führt zu großen Umweltproblemen, die wir auch in Deutschland im Grunde noch nicht gelöst haben, weil hier öffentliche Güter und private Interessen nur schwer in Harmonie zu bringen sind.

Im Hinblick auf den Energiebedarf für die städtische Transportnachfrage sind die Städte Asiens Vorbilder für die Industrieländer. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Energieaufwand ( pro Kopf ) für Transport in den Städten Asiens sehr niedrig ist, was ursächlich mit der hohen Siedlungsdichte zusammenhängt. Der Aufwand ist sehr viel niedriger als in den Städten Nordamerikas und noch erheblich unter denen Europas. Das Auto hat den Verkehr in den deutschen Städten in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Heute meint allerdings niemand mehr, dass wir die Städte autogerecht machen sollen. Eher verfolgen die Städte heute das Ziel, den Autoverkehr so zu lenken, dass er das Leben in der Stadt nicht unerträglich macht. Die öffentlichen Verkehrsmittel wurden stark ausgebaut. Auf der anderen Seite wird der nicht-motorisierte Verkehr, also der Fahrrad- und Fußgängerverkehr, gefördert. Die Fußgängerzonen in den Städten erfreuen sich großer Beliebtheit, gerade weil hier keine Autos fahren dürfen.

Nachdem der Autoverkehr lange Zeit im Vormarsch war ( und noch ist ) , sind wir stolz, dass in einigen Städten ( Münster, Freiburg, Bonn ) bis zu 30 % des Verkehrs per Fahrrad oder zu Fuß geschehen. Dies mag aus chinesischer Sicht merkwürdig erscheinen, zumal Deutschland den Ruf hat, ein Land der schnellen und teuren Autos zu sein. Aber wir haben in Deutschland und Europa die Erfahrung gewonnen, dass der ungebremste Autoverkehr städtische Lebensqualität zerstören kann.

EnergieDie Städte sind auch Zentren des Energieverbrauchs. Häufig jedoch wird die Energie weit weg von den Verbrauchern erzeugt und muss über lange Wege dorthin transportiert werden. Gerade in China stellt der Energietransport angesichts der großen Entfernungen ein großes Problem dar. Städtische Strukturen bieten vielfache Möglichkeiten, neue, angepasste und effizientere Energieversorgungssysteme einzusetzen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Kraft-Wärme-Kopplung. Kernstück einer nachhaltigen Stadtentwicklung muss daher die Vorsorge für eine umweltgerechte und nachhaltige Energiezukunft sein. Hier sind wir auf einem der wichtigsten Felder gemeinsamer globaler Verantwortung.

China und Deutschland kommen von einer ähnlichen Ausgangsposition her. In China ist Kohle die traditionelle Rohstoffbasis der Primärenergie. In Deutschland gilt dies ebenso, heute allerdings einschließlich der importierten Kohle. In Deutschland sind wir daher mit allen den Problemen gut vertraut, die die Nutzung der Kohle mit sich bringt. Zum Beispiel die Luftverschmutzung: Das Ruhrgebiet war in den 60er und 70er Jahren bekannt für seine schlechte Luft, weil die Kohleverbrennung in den Kraftwerken und Stahlschmelzen Staub und Schadstoffe freigesetzte. Es war Willy Brandt, der frühere Außenminister und Bundeskanzler, der bereits 1961 die Luftreinhaltung im Ruhrgebiet zu einem politischen Thema machte. Nicht von allen wurde er damals verstanden; er war seiner Zeit voraus.

Heute sind wir zu der Auffassung gekommen, dass eine nachhaltige Energiezukunft nur dann verwirklicht werden kann, wenn langfristig die Energienutzung nicht mehr auf Kohlenstoff basiert, sondern auf den erneuerbaren Energiequellen, also vor allem auf der Solarenergie, der Wind- und Wasserkraft, der Geothermie und der Biomasse. Ich betone das Wort "langfristig", weil wir alle wissen, dass dies nicht heute und auch nicht morgen zu erreichen ist, sondern dass dieser notwendige Wandel einen langen Zeitraum benötigt. Dies ist für Deutschland richtig, es trifft aber noch mehr für China zu. Um so wichtiger ist es, dass wir schon heute die Weichen für die Energiezukunft richtig stellen, und mit den heute schon machbaren Maßnahmen beginnen. Es gibt zwei wichtige Gründe für den notwendigen und anzustrebenden Umstieg auf erneuerbare Energie.

Zum einen: Das Erdklima ist in Gefahr. Die Wissenschaftler sagen uns, dass der Verbrauch fossiler Energie das Klima verändert und die Grundlagen des menschlichen Lebens gefährdet. Wie die Klimaveränderung sich real auswirkt, erleben gerade die Entwicklungsländer als erste, wie die Häufung von Überschwemmungen und Dürren in den letzten Jahren zeigt. Diese Gefahr hat einen wirklich globalen Charakter. Abgestimmtes Handeln ist dringend erforderlich. Wenn die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft zur Entwicklung und zur Armutsbekämpfung erfolgreich sind - was wir alle hoffen und erwarten - , dann wird der weltweite Energieverbrauch in diesem Jahrhundert erheblich zunehmen.

Insbesondere China ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, welche Folgen wirtschaftliches Wachstum und damit einhergehende Wohlstandsmehrung haben kann: betrug doch 1980 die gesamte installierte Kraftwerksleistung in China gerade mal 66.000 Megawatt, so sind es heute, also nur 20 Jahre später schon rund 320.000 Megawatt. Zum Vergleich: Deutschland verfügt insgesamt über knapp 120.000 Megawatt installierter Stromerzeugungskapazität. In China ist somit in den letzten 20 Jahren mehr als das doppelte der insgesamt in Deutschland installierten Leistung hinzugebaut worden, eine für Deutsche kaum vorstellbare Größenordnung. Der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung beträgt in China derzeit etwa 75 % . Auch heute noch gibt es Regionen in China, in denen die Menschen keinen Zugang zu kommerzieller elektrischer Energie haben.

Die chinesische Politik will auch diesen Menschen und Regionen Entwicklungschancen einräumen. Mit dem heutigen Wissen und der heute verfügbaren Technologie besteht die Möglichkeit, dieses Ziel möglichst umweltverträglich zu erreichen. Würde - bei unveränderter Struktur der Primärenergiebasis - traditionell gewonnene Energie eingesetzt, würde dies ein Wachstum beim Ausstoß von Treibhausgasen bedeuten. Für China würde das zusätzliche CO2 -Emissionen von etwa 180 Mio. Tonnen pro Jahr mit negativen globalen Auswirkungen bedeuten. Dies entspricht etwa 20 % der energiebedingten CO2 -Emissionen Deutschlands. Tatsächlich ist selbst eine Stabilisierung des Ausstoßes nicht ausreichend, um eine weitere Erwärmung zu verhindern. Eine wirksame Reduzierung ist erforderlich. Deshalb ist es zu bedauern, dass sich die Regierungen vor wenigen Wochen in Den Haag nicht auf gemeinsame Regeln verständigen konnten. Umso wichtiger wird daher sein, was wir jetzt in unseren jeweiligen Ländern tun. Nicht nur die Verbrennung fossiler Energieträger in Kraftwerken belastet das Weltklima: gerade China steht vor dem großen Problem, dass weit über 100 Mio. Tonnen Kohle pro Jahr durch großflächige Kohlebrände verloren gehen. Dies setzt, ohne dass die dabei freiwerdende Energie genutzt werden kann, erhebliche CO2 -Mengen frei, mit negativer Wirkung für das globale Klima. Ziel eines laufenden Projekts ist es daher, die chinesische Seite bei der Löschung vorhandener Brände zu beraten und mit ihr einen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten, damit sie dem Entstehen neuer Kohlebrände entgegenwirken kann.

Zum andern: Nachhaltige Entwicklung erfordert nachhaltig gewonnene Energie. Gerade die Entwicklungsländer können langfristig Vorteile daraus ziehen, wenn sie sich von der Kohlenstoffbasis weg und zu erneuerbarer Energie hin bewegen. Die Abhängigkeit von Ölimporten trifft die armen Länder härter als die Industrieländer, weil sie keine Anpassungsmöglichkeiten haben. Die "terms of trade" haben sich hierdurch für viele Entwicklungsländer dramatisch verschlechtert. Für China sind sie für das Jahr 1999 um mehr als 6 % gefallen. Erdöl war auf dem Weltmarkt in den letzten Jahren leicht und billig zu kaufen. Der Preisanstieg der vergangenen Monate ist Erinnerung daran, dass die Erdölvorräte in nicht zu ferner Zukunft zu Ende gehen. Wenn der Preis weiter steigt, wird man einsehen, dass das verbleibende Erdöl zu wertvoll ist, um es zu verbrennen. Unsere Aufgabe in der Entwicklungspolitik ist es, Alternativen auch für die Entwicklungsländer zu öffnen. In Deutschland haben wir uns entschieden, die erneuerbare Energie massiv zu stärken, auch wenn sie heute noch teurer als konventionelle Energie ist. China unternimmt ebenfalls erhebliche Anstrengungen zur Verbreitung erneuerbarer Energie, unterstützt nicht nur von Deutschland, sondern auch von der Weltbank und anderen Entwicklungsagenturen.

Im Rahmen seiner entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit China unterstützt das BMZ derzeit mit rund 1 Milliarde DM mehr als 30 konkrete Programme und Projekte, die darauf abzielen, die Energieeffizienz zu erhöhen, die rationelle Energieverwendung zu fördern, den Transfer fortschrittlicher Technologie z. B. im Kraftwerks- und Kohlebereich zu unterstützen sowie Erneuerbare Energie zu fördern. Die Experten sagen uns, dass ein Anteil der erneuerbaren Energie von 50 % weltweit bis 2050 zu schaffen ist - vorausgesetzt, dass wir bereits heute alle technischen und politischen Möglichkeiten mobilisieren. Dass es für einen Erfolg entscheidend ist, wie ein großes und bevölkerungsreiches Land wie China diese Möglichkeiten nutzt, liegt auf der Hand. Bei der Verbreitung Erneuerbarer Energien, deren Einsatz dem Nachhaltigkeitsgedanken Rechnung trägt, gehen Deutschland und China schon seit 1994 gemeinsame Wege. Seit dieser Zeit sind allein für die Windkraftnutzung in China Zusagen in Höhe von 200 Mio. DM erfolgt, zuletzt anlässlich der diesjährigen deutsch-chinesischen Regierungsverhandlungen.

An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen und Ihnen mitteilen, dass mein Ministerium 20 Mio. DM für Investitionsmaßnahmen im Bereich der Erneuerbaren Energien, insbesondere der Solartechnologie, zur Verfügung stellen wird. Diese Zusage erfolgt zusätzlich zu den auf der Sitzung der "Gemischten Kommission" über Entwicklungszusammenarbeit im Juni d. J. bereitgestellten 165 Mio. DM für die Entwicklungszusammenarbeit unserer beiden Länder. Die effiziente Energieverwendung in der Industrie, aber auch in den Haushalten, kann die Energiebilanz erheblich verbessern. In den Gebäuden und ihrer energetischen Optimierung liegen große Chancen, nicht nur Energie, sondern auch Geld zu sparen. Hier gibt es echte Win-Win-Chancen für die Eigentümer, für die Umwelt und auch für die Handwerker; denn die Wärmedämmung der Gebäude erfordert nicht nur innovative Hersteller von Fenstern, Ziegeln, Dämmstoffen, sondern auch geschickte Handwerker, die diese Produkte einbauen. Auf allen drei Feldern - effiziente Energieproduktion, effiziente Energieverwendung, erneuerbare Energie - gibt es in Deutschland breite Erfahrung, gute Technik und kompetente Unternehmen. Ich sehe hier ein wichtiges Feld der zukünftigen Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland nicht nur auf Regierungsebene, sondern gerade auch zwischen den Unternehmen.

In der Entwicklungszusammenarbeit haben wir bereits einen Schwerpunkt gesetzt und unterstützen unsere chinesischen Partner bei der Verbesserung der Energieeffizienz, vor allem in Kraftwerken, als auch bei der Verbreitung erneuerbarer Energie. Nachhaltige Stadtentwicklung ist ohne die Unternehmen der Wirtschaft nicht denkbar. Was in den letzten Jahren an Innovationen und Effizienzverbesserungen erfolgreich war, kam zum größten Teil von Unternehmen, die dort ihre Geschäftschancen gesehen haben. Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen: Es gibt inzwischen eine Reihe von Unternehmen, die die Energieeinsparung zu einem Produkt gemacht haben, das sie verkaufen ( "energy contracting" ) . Sie verdienen ihr Geld damit, dass sie bei ihren Kunden die Energiekosten reduzieren. Nicht nur Unternehmen, sondern auch Stadtverwaltungen nutzen diese Dienste, um ihre Budgets zu entlasten. Hier zeigt sich, wieviel Kreativität die Unternehmen für eine nachhaltige Entwicklung mobilisieren können.

Eine weitere Stärke der Unternehmen ist der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, die für die städtische Infrastruktur genutzt werden können. In fast allen Ländern suchen die Städte heute Möglichkeiten, Unternehmen bei den infrastrukturellen Leistungen zu beteiligen, sowohl bei der Investition und Finanzierung wie auch bei dem Betrieb. In Deutschland haben wir die Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft zu einem strategischen Baustein der Entwicklungspolitik gemacht. Dies wird sicher auch die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit prägen, weit über den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit hinaus. Deswegen ist es gut, dass so viele Vertreter von Unternehmen an dieser Konferenz beteiligt sind. Es ist zu hoffen, dass dabei fruchtbare Unternehmenskooperationen entstehen. Unsere bisherige Erfahrung zeigt, dass umweltgerechte und nachhaltige Stadtentwicklung sehr komplex ist. Gemeinsam mit unseren chinesischen Partner möchten wir daher geeignete Konzepte und Strategien entwickeln.

Dies möchte ich aber nicht nur auf theoretische Überlegungen anlässlich dieser Konferenz beschränkt wissen. Ich war deshalb sehr angetan, dass die Planungsgruppe "Albert Speer und Partner" im Rahmen der bereits seit gestern Nachmittag tagenden Arbeitsgruppe "Stadtentwicklung und Umweltschutz" die Möglichkeit hat, ein Modell zur nachhaltigen Stadtplanung im Stadtteil Pudong in Shanghai vorzustellen. Neben der Lieferung eines quasi fertigen Produkts liegt mir jedoch sehr daran, dass durch eine praktische Zusammenarbeit zwischen deutschen Fachleuten und den für Stadtentwicklungsplanung und kommunales Umweltmanagement zuständigen Institutionen am konkreten Beispiel einer städtischen Kommune Erfahrungen gesammelt werden können, wie durch einen ökologisch und ökonomisch ausgewogenen Urbanisierungsprozess die wachsende städtische Bevölkerung begünstigt werden kann. Zur Finanzierung eines solchen Pilotprogramms werden wir noch vor Ende des Jahres 10 Mio. DM im Rahmen der Technischen Zusammenarbeit bereitstellen. Diese Mittel ergänzen ebenfalls die im Juni d. J. anlässlich der "Gemischten Kommission" zugesagten Mittel der Entwicklungs-zusammenarbeit in Höhe von 165 Mio. DM.

3. Chancen der Kooperation China - Deutschland

Für eine umweltverträgliche und nachhaltige Entwicklung ist es von zentraler Bedeutung, wie es uns in unseren Ländern gelingt, den Gedanken der Nachhaltigkeit in der konkreten Stadtentwicklung umzusetzen. China befindet sich mitten in einem kraftvollen Prozess der Urbanisierung; deswegen ist die Tragweite der jetzt zu treffenden Entscheidungen besonders groß. Deutschland ist in hohem Maße urban; hier geht es vorwiegend um den Umstieg hin zu ressourcensparenden städtischen Strukturen, unter Bewahrung der prägenden Kraft der gewachsenen Städte und Gemeinden. Die Chancen der Kooperation sind groß, nicht nur zwischen Regierungen oder Unternehmen, sondern auch zwischen den Städten und Gemeinden selbst. Städtepartnerschaften haben sich gebildet, die mit Leben erfüllt werden. Ich konnte mich davon beim Gipfel der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen im Juli in Berlin selbst überzeugen. Wir erleben in dieser Zeit nicht nur die Globalisierung, sondern ebenso die Stärkung der lokalen Verantwortung. Zu dieser Verantwortung gehören auch demokratisch legitimierte Gestaltungsmöglichkeiten und insbesondere eine eigene finanzielle Basis der Gemeinden. Der Austausch von Erfahrungen über gute Beispiele - über die Grenzen von Kulturen und Ländern hinweg - hat sich als sehr fruchtbar erwiesen.

Das Internet bietet heute Möglichkeiten der Kommunikation von Schreibtisch zu Schreibtisch, so zum Beispiel über die Bürgermeister-Seite des "Global Development Gateway" der Weltbank. Wie die Städte diese Möglichkeiten nutzen, entscheidet mit über ihre zukünftige Entwicklung. Wir müssen deshalb Sorge tragen, dass keine Stadt und keine Region von diesen Informationen abgeschnitten wird, dass die "digitale Kluft" überwunden wird. Die internationale Gemeinschaft blickt nach vorn auf die wichtigen Konferenzen, die den Weg der nachhaltigen Entwicklung überprüfen und konkretisieren sollen. In 2002 werden die Regierungen überprüfen, wie der Stand der Umsetzung der "Agenda 21" ist und welche Entscheidungen für die weitere Umsetzung zu treffen sind ( "Rio" ) . Im kommenden Jahr wird eine ähnliche Prüfung für den in Istanbul beschlossenen Aktionsplan vorgenommen ( "Istanbul" ) . Die deutsche Regierung lädt zu einer Internationalen Wasserkonferenz im Dezember 2001 nach Bonn ein, um den Mitgliedern und Organisationen der Vereinten Nationen Gelegenheit zu geben, die Beratungen von "Rio" im Wasserbereich vorzubereiten. Eine sorgfältige Bilanz der bisherigen Anstrengungen soll dazu führen, die Defizite zu kennzeichnen und den zukünftigen Bedarf an Aktionen auf allen Ebenen festzustellen.

Ich lade schon jetzt die chinesische Regierung ein, an dieser Konferenz teilzunehmen und einen substantiellen Beitrag zu leisten. Wenn die Regierungen in 2002 berichten, was in ihren jeweiligen Ländern erreicht wurde, wird die Öffentlichkeit kritisch zuhören, weil sie tatsächliche Erfolge erwartet, nicht nur weitere Konferenzen. Wenn unsere Länder ihre Möglichkeiten nutzen, eine nachhaltige Entwicklung bei sich zuhause zu fördern, und in der Zusammenarbeit neue Möglichkeiten eröffnen, dann werden sie auch bei dieser kritischen Öffentlichkeit Anerkennung finden.