Redner(in): Bernd Neumann
Datum: 16. April 2013

Untertitel: Beim Festakt zum 20-jährigen Bestehen der "Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" betonte Staatsminister Bernd Neumann: "Auch über 20 Jahre nach der Deutschen Einheit ist die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur eine für Staat und Gesellschaft notwendige und herausragende Aufgabe."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/04/2013-04-16-neumann-sapmo.html


Beim Festakt zum 20-jährigen Bestehen der "Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" betonte Staatsminister Bernd Neumann: "Auch über 20 Jahre nach der Deutschen Einheit ist die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur eine für Staat und Gesellschaft notwendige und herausragende Aufgabe."

Anrede,

ich gratuliere dem Präsidenten des Bundesarchivs, Herrn Dr. Hollmann, und ganz besonders Ihnen, liebe Frau Prof. Dr. Menne-Haritz sowie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich zum 20. Geburtstag Ihrer historisch einmaligen Stiftung. Hier geht es nicht nur um eine normale Stiftung unter vielen, sondern um ein Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, die für die notwendige Aufarbeitung der SED-Diktatur eine herausragende Rolle spielen.

Diese Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, auch kurz SAPMO genannt, ist in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Allein der Aufbau ist einzigartig: Eine unselbstständige Stiftung mit Archiv- und Bibliotheksbeständen unter dem Dach einer Behörde, nämlich des Bundesarchivs.

Es ist nicht erstaunlich, dass der Weg bis zur Errichtung der Stiftung in einer Zeit des Umbruchs, in einer Zeit des Zusammenführens zweier unterschiedlicher Systeme schwierig war. Bereits Anfang des Jahres 1990, also noch vor der Wiedervereinigung, wurde über die verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs mit den Unterlagen aus den Archiven der Parteien und Massenorganisationen der DDR heftig debattiert.

Bestrebungen, eine gesetzliche Grundlage für die Sicherung der Unterlagen festzuschreiben, scheiterten sowohl im Ministerrat und in der Volkskammer der DDR als auch bei den Verhandlungen über das Einigungsvertragsgesetz. Als nach der Wiedervereinigung im März 1991 die Fraktionen von CDU / CSU und FDP einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesarchivgesetzes vorlegten, kam es zu hitzigen Debatten.

Nach dem Entwurf sollten die Unterlagen der Parteien und Massenorganisationen der DDR, welche inhaltlich nicht Parteiangelegenheiten, sondern die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betrafen, als Archivgut und damit Eigentum des Bundes direkt ins Bundesarchiv übergehen.

Am Rande einer Anhörung des Innenausschusses am 28. August 1991 kam dann der Vorschlag, eine unselbstständige Stiftung im Bundesarchiv zu errichten. Eine gute Lösung war geboren! Es wurde noch kurz darüber debattiert, ob eine oder mehrere unselbstständige Stiftungen gegründet werden sollten und dann ging plötzlich alles ganz schnell.

Die entsprechende Änderung des Bundesarchivgesetzes wurde verabschiedet und nicht einmal einen Monat nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 13. März 1992 wurde die Stiftung am 6. April 1992 durch Erlass des damals zuständigen Bundesministeriums des Innern gegründet. Diese Konstruktion berücksichtigte die Interessen aller Beteiligten.

Der Gesetzgeber hatte sich damals auch entschlossen, anders als bei "normalem" Archivgut die Unterlagen ohne die übliche allgemeine Schutzfrist von 30 Jahren zugänglich zu machen. Bereits zwei Wochen nach Gründung der Stiftung konnten dann die Bestände des Zentralen Parteiarchivs der SED, der Bibliothek des Instituts für Marxismus-Leninismus sowie der Bibliothek und des Archivs der Gemeinschaftsbewegung in Berlin eingesehen werden.

Vor allem in den Anfangsjahren der Stiftung lieferten die Unterlagen hilfreiche Informationen für Fragen der Wiedergutmachung oder zur Rehabilitierung der Opfer. Vielfach genutzt wurden sie zudem von den Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages, der Landtage in den neuen Ländern, der Enquete Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie von den Justizverwaltungen der Länder.

Der Benutzer heute gewinnt wertvolle Erkenntnisse zu den Hintergründen der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der DDR wie beispielweise zum Aufstand des 17. Juni 1953. Denn die zentralen Entscheidungen, zum Beispiel zur innerdeutschen Grenzpolitik oder zum Fünfjahresplan, wurden im Zentralkomitee der SED beziehungsweise im Politbüro getroffen.

Die Parteienunterlagen ergänzen damit die Bestände der Regierungsstellen der DDR. Deren zentralstaatliche Überlieferung befindet sich übrigens mit Ausnahme der Stasi-Unterlagen ebenfalls hier im Bundesarchiv in Lichterfelde, so dass die Zugangsbedingungen nahezu ideal sind.

Neben diesem Kernbestand verwahrt die SAPMO auch Dokumente weit früheren Ursprungs zur deutschen und internationalen Arbeiterbewegung ab 1803, darunter beispielsweise Schriftstücke der alten KPD, die im SED-Parteiarchiv verwahrt wurden sowie umfangreiche Bibliotheksbestände.

Einen großen Schritt im Hinblick auf Benutzerfreundlichkeit stellt die seit 2005 in Betrieb genommene Rechercheplattform ARGUS dar, mit der im Internet bequem von zu Hause aus in den Beständen der SAPMO recherchiert werden kann. In Sachen Digitalisierung ist die SAPMO geradezu ein Vorreiter. Die ersten Digitalisate konnten bereits 2007 ins Internet gestellt werden. Auf diesem Wege gelang es bis Ende 2011, Digitalisate zu 25 Beständen zu erstellen.

Seit Neuestem sind auch die Tonband-Mitschnitte der Reden und Diskussionen von 117 Tagungen der SED zum Anhören im Internet bereitgestellt. Darunter befindet sich beispielsweise die Rücktrittsrede von Walter Ulbricht vom 3. Mai 1971. Mit ihrer Rechercheplattform, den Online-Findbüchern und den Digitalisaten ist die Stiftung zudem zu einem wichtigen Partner für nationale und internationale Kooperationen geworden. So hatte ARGUS Vorbildfunktion für das im letzten Jahr freigeschaltete europäische Archivportal.

Die archivierten Unterlagen zeigen besonders eindringlich, dass sich das Unrecht in der Diktatur bei weitem nicht nur auf das Wirken der Stasi beschränkte. Wir müssen uns bewusst sein, dass sich die Stasi wie es damals hieß als "Schild und Schwert der SED" verstand.

So wichtig die Stasi-Unterlagen für die Aufarbeitung gerade auch persönlicher Verstrickungen und des durch Verfolgung und Bespitzelung verursachten Leids sind, so müssen wir sie doch im größeren Kontext sehen. Und das heißt: Die zentralen Entscheidungen beispielsweise zur menschenverachtenden innerdeutschen Grenzpolitik wurden im Zentralkomitee der SED beziehungsweise im Politbüro getroffen.

So spektakulär und menschenverachtend die Stasi Millionen Menschen der DDR bespitzelte und in ihren Fängen hatte, so dürfen wir dennoch nicht das wahre Monster der SED-Diktatur, die Partei, aus den Augen verlieren!

Momentan sind die Anforderungen an die BStU gerade auch was das Auskunftsbegehren der Bürger angeht so immens, so dass diese Aufgabe noch für längere Zeit in einer eigenverantwortlichen Behörde, also der BStU, geleistet werden sollte. Aber langfristig werden wir eine Lösung finden, die die Stasiunterlagen in den Kontext der gesamten archivalischen Überlieferung der SED-Diktatur integriert.

Auch, wenn dann später einmal die Gesamtverantwortung an das Bundesarchiv übergeht, kann die besondere Zugänglichkeit der Stasiunterlagen trotzdem garantiert werden und damit ihre besondere Bedeutung für die Aufarbeitung.

Vor drei Wochen habe ich in einer Plenardebatte den Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur vorgestellt, den mein Haus am 9. Januar dem Kabinett vorgelegt hatte. In diesem Bericht wird ausführlich auf die Bedeutung der SAPMO für die Aufarbeitung eingegangen.

Auch über 20 Jahre nach der Deutschen Einheit ist die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der SBZ und in der DDR eine für Staat und Gesellschaft notwendige und herausragende Aufgabe. Einen Schlussstrich unter das begangene Unrecht kann und darf es absehbar nicht geben!

Die 40-jährige DDR-Diktatur darf nicht verdrängt, nicht vergessen und schon gar nicht verharmlost und verniedlicht werden!

Dies sind wir nicht nur den Opfern schuldig, sondern den Werten unserer Demokratie, aber auch den Menschen, die die Friedliche Revolution 1989 erst möglich machten. Die Regierungsparteien hatten sich daher für die 17. Wahlperiode vorgenommen, die Aufarbeitung weiter zu verstärken, um einer Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur entgegenzuwirken. Der Bericht zur Aufarbeitung belegt, dass die Bundesregierung diesem Auftrag des Koalitionsvertrags umfänglich nachgekommen ist.

Insgesamt gibt der Bund für die geschichtliche Aufarbeitung der SED-Diktatur jährlich über 100 Millionen Euro aus. Trotz aller Aktivitäten des Bundes aber auch der Länder haben wir beunruhigende Befunde in verschiedenen Studien zum historischen Wissen von Jugendlichen. Das muss alle Verantwortlichen in Deutschland wachrütteln, die Anstrengungen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur insbesondere in den Schulen noch weiter zu verstärken.

Auch in dieser Hinsicht kann eine Einrichtung wie die SAPMO wertvolle Dienste leisten, denn sie verfügt über den einmaligen Schatz der Originalzeugnisse. Die Vielfalt ihrer Bestände und das fortschrittlich aufgebaute Informations- und Rechercheangebot im Internet garantieren, dass die SAPMO auch zukünftig eine rege genutzte Anlaufstelle für Wissenschaftler, Forscher und interessierte Bürger bleiben wird. Für die Aufarbeitung des SED-Unrechts leistet die Stiftung auch nach 20 Jahren einen überaus bedeutenden Beitrag.