Redner(in): Angela Merkel
Datum: 16. April 2013

Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Schirmbeck,liebe Kollegin Ilse Aigner,meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2013/04/2013-04-16-rede-forstwirtschaft.html


Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag und den Parlamenten, Exzellenzen, Schlage nur so viel Holz ein, wie der Wald verkraften kann! So viel Holz, wie nachwachsen kann! "Kürzer und anschaulicher kann man Nachhaltigkeit kaum erklären. In dieser Forderung gipfelte das eben schon angesprochene Plädoyer des sächsischen Oberberghauptmanns Hans Carl von Carlowitz für einen, wie er es nannte," nachhaltenden " Umgang mit den Wäldern. Ich vermute, dass das dem Oberberghauptmann recht logisch erschien und er insofern vielleicht nicht dachte, dass wir uns 300 Jahre später immer noch so viel mit solchen eigentlich logischen Weisheiten und Wahrheiten herumschlagen müssen.

Es ist ein Anspruch, der kurz und bündig im Jahre 1713 formuliert, auch nach 300 Jahren aktuell geblieben ist. Nachhaltiges Handeln ist für Sie, die Förster und Waldeigentümer, ein bewährtes Prinzip, was man nicht von allen Tätigkeitsbereichen in Deutschland und in der Welt sagen kann. Sie wissen, dass Ihre Freude an der Forstwirtschaft, am Wald, am Waldbesitz nur dann wirklich anhaltend sein kann, wenn Sie sich an diese Weisheiten und Wahrheiten von Hans Carl von Carlowitz halten. Über Ihr Gebiet hinaus ist Nachhaltigkeit heute zu einem Überlebensprinzip für einen Erdball geworden, auf dem immer mehr Menschen leben, auf dem immer mehr Menschen in Wohlstand leben wollen und dazu immer mehr Rohstoffe ausbeuten, aber sich gerade deshalb an Ihr Prinzip in der Forstwirtschaft erinnern sollten.

Mit meiner Anwesenheit hier drücke ich auch meine Anerkennung für Ihre Arbeit aus und übermittle Ihnen einen herzlichen Gruß der Bundesregierung, die nicht nur durch mich, sondern eben auch durch Ilse Aigner hier vertreten ist, weil wir um Ihre verdienstvolle Arbeit wissen. Wald und Forst das ist weit mehr als nur die Ansammlung von einigen Kubikmetern Holz, sondern Wald ist gerade für uns Deutsche auch etwas, das sehr viel mit Heimat zu tun hat. Deshalb geht es bei der Forstwirtschaft, was die Emotionalität anbelangt, auch weit über das Wirtschaftliche hinaus.

Das Jubiläumsjahr 2013, 300 Jahre nach 1713, bietet uns nun in besonderer Weise einen Anlass dazu, uns den Kern, aber auch die Dimensionen des Begriffs Nachhaltigkeit vor Augen zu führen. Diesem Begriff liegt eine Werteentscheidung zugrunde: Was wir heute tun, darf unseren Kindern und Enkeln die Chance auf ein Leben in Wohlstand und einer intakten Umwelt nicht schmälern. Das, was beim Forst im Familienbesitz wie eine Trivialität anmutet, ist aber, wenn man sich einem bestimmten Besitz nicht so verpflichtet fühlt, in einer Gesellschaft immer wieder neu zu erlernen. Dieser Leitlinie zu folgen, bedeutet nicht weniger, als wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Verantwortung und den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen miteinander zu verbinden.

Die Forstwirtschaft war, ist und bleibt ein hervorragendes Beispiel, um die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit darzustellen. Von Carlowitz ging es damals um die Zukunft des sächsischen Silberbergbaus. Zum Einschmelzen der Erze brauchte man genug Brennstoffe; und das war damals Holz. Deshalb sollte in einem Zeitraum nur so viel Holz eingeschlagen werden, wie innerhalb dieses Zeitraums auch wieder nachwachsen konnte allem Gewinnstreben im Silberbergbau zum Trotz. Man kann sich ja vorstellen, welcher Versuchung man da ausgesetzt war. Später wurde Holz als Energieträger zunehmend von Kohle und Öl verdrängt.

Heute aber stellen uns Klimawandel und begrenzte fossile Ressourcen vor neue Herausforderungen. Um auch zukünftigen Generationen Handlungsspielräume zu erhalten, ist ein Umsteuern in der Energiepolitik unabdingbar. Hierbei sind die Schlagworte "erneuerbare Energien" und "Energieeffizienz" zu nennen. Wir erleben nun, dass Holz geradezu eine Renaissance erlebt. Rund 35 Prozent der gesamten erneuerbaren Endenergieerzeugung in Deutschland basieren heute auf dem Rohstoff Holz. Man merkt manchmal auch an der Preisentwicklung, dass da etwas im Gange ist. Holz dient im Wesentlichen zur Wärmenutzung. Hier ersetzt es in hohem Maße die klimaschädliche Verbrennung fossiler Rohstoffe.

Ob als Energieträger oder als Rohstofflieferant für Hausbau, Möbel und Papier angesichts der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten wächst die Nachfrage nach Holz. Das macht den Wald zu einem bedeutsamen Wirtschaftsfaktor, der eben auch Arbeitsplätze sichert und erheblich zur Wertschöpfung in den ländlichen Räumen beiträgt. Gerade das Chancengleichgewicht zwischen ländlichen und städtischen Räumen ist für uns ein großes Thema und das wird es für uns auch in den nächsten Jahren sein, wenn wir über den demografischen Wandel sprechen. Das heißt, in der heutigen Zeit nehmen die Herausforderungen für eine multifunktionale Forstwirtschaft zu, die ökonomische, ökologische und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt.

Als Ökosystem produziert der Wald Sauerstoff, speichert Feuchtigkeit, bewahrt Böden vor Erosion und schützt Siedlungen vor Lawinen. Der Wald als Kohlenstoffspeicher ist ein hervorragender Klimaschützer. Er ist wichtiger Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten, ist also auch bedeutsam für die Biodiversität, die auch bei uns sehr zu beachten ist. Das heißt, intakte und artenreiche Waldökosysteme sind eine Versicherung für die Zukunft.

Deshalb will ich an dieser Stelle gleich einfließen lassen, da ich manchmal auch kritische Töne höre wie etwa: Schön, dass Sie all diese Sonntagsreden halten; noch schöner wäre es, wenn Sie unsere Wünsche auch wirklich berücksichtigen würden. Ich habe gerade mit Bundesministerin Aigner zum Beispiel über das Thema Kompensationsverordnung gesprochen. Ich habe neulich den Präsidenten der Waldbesitzer sagen hören, dass, gerade was die Durchleitungsrechte für neue Energietrassen anbelangt, durchaus noch Unzufriedenheit besteht. Ich habe heute Morgen auch noch einmal mit dem Kanzleramtsminister darüber gesprochen. Wir sind uns der Problematik bewusst. Die Ressortabstimmungen dazu sind schwierig, denn an manchen Stellen betreten wir auch Neuland. Aber gerade Ilse Aigner ist sehr darauf bedacht, dass unseren Worten auch Taten folgen. Wir nehmen das ernst. Ich verstehe auch, dass Sie das einfordern. Gerade die Kompensationsverordnung könnte bald fertig werden. Da ist also Licht am Ende des Tunnels.

Meine Damen und Herren, es ist gewiss nicht immer leicht, die verschiedenen Funktionen des Waldes miteinander in Einklang zu bringen. Deshalb ist die Waldstrategie der Bundesregierung mit dem Zielpunkt 2020 sehr wichtig, weil sie Wege aufzeigt, wie die Balance im Hinblick auf Nutzung, Naturschutz und Erholung gewahrt werden kann. Bei allen unterschiedlichen Ansichten zur Waldnutzung und Biodiversität uns alle eint das gemeinsame Ziel, die nachhaltige Leistungsfähigkeit unserer Wälder zu erhalten. Deshalb glaube ich auch, dass das klare Bekenntnis zum Eigentum an dieser Stelle sehr, sehr wichtig ist. Wir haben ja oft die Diskussion, inwieweit Verantwortlichkeit entstehen kann, wenn Eigentum in Gefahr ist. Ich glaube, Verantwortlichkeit und Eigentum passen, wenn es den Geboten der Nachhaltigkeit entspricht, sehr gut zusammen.

Nun wissen wir: Das Gebot der Nachhaltigkeit endet gewiss nicht an unseren Landesgrenzen. Wir tragen als Bundesrepublik Deutschland auch internationale Mitverantwortung. Die direkte Nachfrage nach Tropenholz, nach Soja, nach Palmöl und anderen Agrarprodukten hat gravierende Folgen für eines der wichtigsten Ökosysteme unseres Erdballs: für die tropischen Regenwälder. Indirekte Landnutzungsänderung als Folge von Produktionsanreizen auf globalen Märkten kann zur weiteren Zerstörung und Degradierung von Wäldern führen. Verbunden mit Problemen von Armut und schwacher Regierungsführung führt das oft zu großflächigen Abholzungen von Naturwäldern. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn man sich mit diesen Themen näher befasst und dazu manchmal auch in Richtung Südamerika oder Südostasien reist, dann blutet einem das Herz. Wir müssen alles tun, um hier Einhalt zu gebieten. Denn hier werden Bereiche vernichtet, die durch nichts wiederbringbar sind. Deshalb ist das unser aller gemeinsame Aufgabe.

Nachhaltige Waldbewirtschaftung ist also ein Topthema im internationalen Kontext. Da geht es um Zertifizierungssysteme für Holz und Agrarprodukte oder Maßnahmen gegen illegalen Holzeinschlag. Es war gut, dass wir gerade vor wenigen Tagen im Bundeskabinett eine Novelle des Gesetzes gegen den Handel mit illegal eingeschlagenem Holz verabschiedet haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Das Prinzip der Nachhaltigkeit zieht sich durch sämtliche Lebensbereiche. Es betrifft jedes politische Ressort. Deshalb wissen wir, dass das, was wir in der Finanz- und Wirtschaftspolitik zu erreichen versuchen, gerade auch bei Ihnen auf sehr offene Ohren stößt. Denn man kann nicht die Prinzipien der Nachhaltigkeit in der Bewirtschaftung einhalten und gleichzeitig unentwegt auf Kosten der Zukunft leben. Wir haben das leider über Jahrzehnte in Deutschland getan. Ich sage hier auch ganz freimütig: Ich bin immer wieder überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit auch nach der großen Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 international an vielen Stellen gesagt wird "Hauptsache wir wachsen; egal um welchen Preis" und dass das Schuldenmachen um des Wachstums willen sozusagen fast zur Pflicht erhoben wird. Dazu kann ich, gerade auch hier in diesem Kreise, nur sagen: Das Ganze ist falsch und langfristig nicht tragfähig.

Das war auch der Grund dafür, dass wir in Europa immer wieder auf den Fiskalpakt und auf den Abbau von Haushaltsdefiziten gedrängt haben. Ich will Ihnen auch mitteilen, dass wir im Rahmen der Eurozone eine Halbierung der Defizite in den letzten Jahren erreicht haben. Es ist also nicht so, dass nichts erreicht worden sei. Wir wissen, dass dazu in vielen Ländern Opfer gebracht wurden und werden. Ich glaube aber, langfristig wird sich eine nachhaltige Wachstumsstrategie nicht auf immer mehr Schulden aufbauen lassen insbesondere, weil wir in vielen europäischen Ländern auch ein anderes Nachhaltigkeitsproblem haben, nämlich das des demografischen Wandels. Deshalb wird das Umsteuern, wenn man länger wartet, nur noch viel schwieriger, als es heute schon ist. Wir sehen ja an der heutigen Situation, dass wir eigentlich schon viel zu lange gewartet haben. Deshalb müssen wir diesen Prozess jetzt auch bewältigen.

Damit bin ich auch bei dem, was die Bundesregierung im Rahmen der Demografiestrategie beschäftigt. Für uns ist das Thema Nachhaltigkeit ein Leitprinzip auch bei der Befassung mit dem Thema des demografischen Wandels. Wir sind hier auf einem Weg, der von uns heute für die nächsten Jahre nicht mehr zu beeinflussen ist. Das meine ich in dem Sinne, dass der demografische Wandel stattfindet: Wir werden weniger werden in Deutschland, wir werden vielfältiger werden, weil die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund zunehmen wird, und wir werden im Durchschnitt älter werden.

Bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen, die hier in der letzten Woche stattfanden, ist mir noch einmal bewusst geworden: Das Durchschnittsalter in Indien einem Land mit immerhin über 1,2 Milliarden Einwohnern liegt fast 20 Jahre unter dem Durchschnittsalter von uns Deutschen. Zuruf )

Ist das falsch; oder wie? Zuruf )

Nein, dem Einzelnen sieht man da sowieso nichts an. Ich könnte auch sagen, dass der indische Ministerpräsident im Alter weit vor mir liegt. Dennoch, der Durchschnittswert ist interessant und prägt eben auch da darf man sich keine Illusionen machen eine Gesellschaft.

Ich erzähle es immer wieder und will es bei Ihnen noch einmal tun: Ich hatte einmal an einer Preisverleihung für Hörfunkbeiträge im Zusammenhang mit Migration und Zuwanderung teilgenommen. In einem Beitrag hatte ein Reporter von einem äthiopischen Flüchtling berichtet, der aus einem Callcenter seine Mutter anrief. Die Mutter hatte eine Sorge, nämlich dass es dem Jungen in Deutschland zu kalt sei. Dieser aber sagte: "Ach Mutter, mach dir keine Sorgen darüber; damit komme ich klar. Aber eines kann ich dir sagen: Hier sitzen so viele alte Menschen auf den Bänken, hier würdest du gar nicht auffallen." Das hat mir einmal mehr gezeigt, wie unterschiedlich der Blick auf die gesellschaftlichen Gegebenheiten in Äthiopien und in Deutschland ausfallen kann.

Wir sollen und können den demografischen Wandel durchaus als Chance begreifen, aber wir müssen uns darauf einrichten. Insofern ist es wichtig, dass wir dies als Querschnittsaufgabe, als Gemeinschaftsaufgabe verstehen und den Erfordernissen der Nachhaltigkeit mehr entgegenkommen.

Die Forstwirtschaft steht bis heute wie kaum eine andere Branche für gelebte Nachhaltigkeit. Albert Einstein soll einmal gesagt haben: "Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht." Kommt darauf an, ob am Holzstück oder an der eigenen Hand; aber das lassen wir jetzt einmal dahingestellt. Das ist richtig; aber in einer Politik der Nachhaltigkeit geht es eigentlich um das Bohren sehr dicker Bretter. Deshalb erhoffe ich mir auch deshalb bin ich heute gerne zu Ihnen gekommen von Ihrer Tätigkeit eine Ermunterung. Ihre Branche lebt schon seit 300 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit. Sie sind unter dem Strich gut damit gefahren und damit eine Gruppe in der Bevölkerung, eine Gruppe in der Gesellschaft, die sagen kann: Lasst euch auf keine Experimente ein, sondern befolgt den Grundsatz von vor 300 Jahren.

Deshalb: Alles Gute für das nächste Jahrhundert und erst einmal heute gute Beratungen und herzlichen Glückwunsch dafür, dass Sie in Ihrer Branche so gute Vorfahren hatten. Alles Gute.