Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 16.01.2001

Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/41/28941/multi.htm


wir befinden uns mitten im Übergang zur "Informations- und Wissensgesellschaft".

Was ist das für eine Gesellschaft, und was unterscheidet sie von traditionellen Strukturen?

Die Antwort auf diese Fragen hat eine dreifache Dimension:

Erstens: Anders als in früheren Jahren sind die volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden nicht mehr alleine ausschlaggebend für Wachstum und Beschäftigung. Der Produktionsfaktor Wissen ist hinzugekommen.

Zweitens: Diese neue Produktivkraft "Wissen" ist der einzige Produktionsfaktor, der sich vermehrt und vertieft, wenn er genutzt wird.

Drittens: Wissen und Information lassen sich - gerade mit den neuen Medien der Informationstechnologie - relativ leicht speichern und übertragen.

Die technischen Medien hierfür sind vielfältig. Sie reichen von einer Computerfestplatte über das Handy der UMTS Generation bis hin zu intelligenten Chipkarten.

Diese Karten können gleichsam als das "Sesam öffne Dich" der Informationsgesellschaft bezeichnet werden.

Sie senken die Kosten der Wissensbeschaffung und werden von den Nutzern in zunehmendem Maße angenommen.

Das Internet und die weltweite Vernetzung wird nach jüngsten Umfragen von 80 % der Deutschen positiv bewertet. Früher bestehende Vorbehalte gegenüber der Computertechnologie sind heute nicht mehr festzustellen - Dank eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels hin zu mehr Technikfreundlichkeit und Unternehmergeist.

Die Menschen spüren die großen Chancen, die die stürmische Entwicklung von E-Business, Internet und Multimedia für Wachstum und Beschäftigung bieten.

Heute arbeiten bereits 1,8 Millionen Menschen in der Informationswirtschaft. Und längst nicht alle offenen Stellen können besetzt werden.

Forschungsinstitute prognostizieren bis 2010 darüber hinaus ein Nettowachstum von 750.000 Arbeitsplätzen in Deutschland. Wir können damit rechnen, dass die IT-Branche mit ihrem Umsatz in fünf Jahren die 300 Mrd. Schwelle überspringt und zum größten deutschen Wirtschaftszweig überhaupt wird.

Solche Perspektiven und die Begeisterung für neue Technologien haben die Nachfrage nach Technologiewerten und die Börsenkurse in den letzten Jahren auf Rekordhöhe getrieben. In vielen Fällen waren diese kaum noch mit den Fundamentaldaten der Unternehmen zu begründen.

Die "Goldgräberstimmung" der letzten Jahre ist inzwischen einer nüchternen Betrachtung gewichen.

Aber auch wenn das Pendel bei den Technologiewerten nun zurückschlägt und Übertreibungen abgebaut werden, gibt es keinen Grund vom Ende der New Economy zu sprechen.

Denn die Aussichten für die nächsten Jahre zeigen ein vollkommen anderes Bild:

Nach aktuellen Untersuchungen wollen innerhalb der nächsten drei Jahre 90 % aller deutscher Unternehmen eCommerce-Anwendungen für Kundenkontakte und 85 % für die Beschaffung installieren. Der Aufbau der UMTS-Netze und die damit verbundene Verschmelzung des Internet mit der Mobilkommunikation läßt Investitionen von bis zu 100 Mrd. DM in Netztechnologie, aber auch in Endgeräte und Content erwarten. Bei der Anwendung von Smartcards erwarten Analysten bis zum Jahr 2004 Wachstumsraten von jährlich bis zu 25 % . Alles deutet darauf hin, dass die Wirtschaftsbereiche Internet, eCommerce und Multimedia eine große Zukunft vor sich haben.

Und ich bin davon überzeugt, dass gerade auch unser Land mit zu den Gewinnern dieser Entwicklung gehören wird.

Wenn es um die Innovationen des 21. Jahrhunderts geht, um die Verbindung von Medien und Kommunikationstechnologie, um M-Commerce zum Beispiel, werden die Karten neu gemischt.

Europa und Deutschland haben gute Chancen, in dieses Rennen aus der Pole Position zu starten, auch weil wir einheitliche Standards geschaffen und konsequent liberalisiert haben.

Ein wesentlicher Teil der Exporterfolge unserer Wirtschaft beruht in ihrer Fähigkeit zur intelligenten Verknüpfung " klassischer Industrieprodukte mit moderner Informationstechnologie.

Inzwischen sind New Economy und traditionelle Branchen eine enge Symbiose eingegangen.

So erschließen sich Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes und traditionelle Dienstleister neue Einkaufs- und Vertriebswege durch die Einrichtung elektronischer Marktplätze.

Die in jüngster Zeit von verschiedenen Autoherstellern oder von der Chemieindustrie gegründeten Internetplattformen sind nur einige Beispiele für diesen Trend.

Elektronische Buchhaltungs- und Ablagesysteme sparen Kosten und erlauben die Bearbeitung von Aufträgen ohne Systembrüche.

Wenn das Internet also keine Spezialdisziplin ist, sondern zum universellen Werkzeug in Büro und Fabrikhalle wird, müssen auch die Fähigkeiten zur Nutzung dieses Werkzeuges Allgemeingut werden.

Damit ist die bildungspolitische Herausforderung angesprochen, die die Informations- und Wissensgesellschaft mit sich bringt.

In der wissensbasierten Gesellschaft ist ein Leitspruch von J. F. Kennedy wichtiger denn je: "Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung."

Die Bundesregierung stellt sich dieser Herausforderung. Mit dem 10-Punkte-Programm "Internet für Alle" hat der Bundeskanzler die wichtigsten Schritte benannt, um eine Spaltung der Gesellschaft in "User" und "Loser" zu verhindern. Ich möchte Ihnen einige Punkte des Programms erläutern.

Erstens: Gemeinsam mit den Ländern wollen wir bis Ende 2001 alle "Schulen ans Netz" bringen.

Ohne Beteiligung der Wirtschaft ist dieses ehrgeizige Ziel aber nicht zu erreichen.

Ein positives Beispiel in dieser Hinsicht ist die Initiative "D 21", in der sich Unternehmen zusammengeschlossen haben.

Im Beirat der Initiative werden unter Leitung des Bundeskanzlers konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Schulen mit Computern auszustatten, neue Qualifikationen zu schaffen, insbesondere auch Frauen beim Einstieg in neue Kommunikationsberufe zu fördern.

Die Liste der Unternehmen, die sich bei D 21 engagieren, liest sich wie das "Who is who?" der deutschen Wirtschaft.

D 21 ist für mich ein Musterbeispiel für public private partnership, für gelebte Zivilgesellschaft.

Ich danke allen Unternehmen und Organisationen, die sich hier oder in anderen Initiativen, z. B. beim PC-Sponsoring, engagieren. Aber ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der Wirtschaft, klar und herzlich bitten: Tun Sie mehr!

Privates Engagement liegt auch im Interesse der Unternehmen selbst. Denn durch eine intensive Förderung der Jugend legt die Wirtschaft die Grundlagen auch für ihre eigene Zukunft.

Zweitens: Auch die Ausbildung des Nachwuchses an IT-Fachkräften ist eine Aufgabe, die Wirtschaft, Gewerkschaften und Staat gemeinsam lösen müssen.

Deshalb haben wir uns im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit auf eine mehrjährige Offensive zum Abbau des Fachkräftemangels in der Informationswirtschaft geeinigt.

Erste Erfolge dieser Initiative sind sichtbar. Lag die Zahl der Ausbildungsplätze im IT-Bereich 1998 noch bei 13.000, haben im letzten Jahr bereits 40.000 junge Menschen eine Ausbildung in der Informationswirtschaft begonnen.

Und die Wirtschaft hat zugesagt, in den IT-Berufen 60.000 zusätzliche Ausbildungsplätze bis zum Jahr 2003 zur Verfügung zu stellen.

Darüber hinaus sind in den letzten Jahren verschiedene Ausbildungsordnungen für neue IT-Berufe geschaffen worden - der IT-Systemelektroniker und der IT-Systemkaufmann gehören dazu.

Drittens: Steuerliche Unklarheiten bei der Nutzung des Internet am Arbeitsplatz und zu Hause sind inzwischen beseitigt worden. Arbeitnehmer, die ihren privaten PC überwiegend beruflich nutzen, können selbstverständlich auch dann Werbungskosten steuerlich geltend machen, wenn der PC einen Internetanschluss hat.

Auf Anregung des Bundeskanzlers hin wird die Abschreibungsdauer für PC und Work-Stations auf 3 Jahre verkürzt.

Und auch die private Nutzung des Internet am Arbeitsplatz bleibt steuerfrei.

Viertens: Mit der Öffnung des Marktes für Telekommunikationsdienste und der effizienten Beaufsichtigung des Marktgeschehens durch die Regulierungsbehörde ist eine entscheidende Grundlage für eine kostengünstige Nutzung von Internet und E-Commerce geschaffen.

Dies wirkt sich positiv auf die Verbreitung des Internets in Deutschland aus. Die Zahl der Internetnutzer, die Ende 1999 noch bei 25 % der Bevölkerung lag, stieg binnen Jahresfrist auf 40 % .

Fünftens: Mit der Greencard-Initiative hat die Bundesregierung ein Instrument eingeführt, das hilft, Engpässe am Arbeitsmarkt für IT-Spitzenkräfte zu überbrücken.

Seit Inkrafttreten der Regelung im letzten Jahr haben bereits über 4400 Bewerber eine Greencard erhalten.

Besonders erfreulich dabei ist, dass 80 % der neuen Arbeitsverhältnisse auf kleine und mittlere Unternehmen entfallen.

Sechstens: Der Staat muss beim Einsatz von Informationstechnik eine Vorreiterrrolle einnehmen.

Dies ist nötig, da der Staat nicht nur als Regulierer Rahmenbedingungen setzt, sondern gegenüber Bürgern und Unternehmen auch als Dienstleister und Kunde auftritt.

Wir wollen all unsere Dienstleistungen auch im Netz anbieten, damit Unternehmen auch hier ihre Arbeitsabläufe vollständig auf elektronische Kommunikation umstellen und damit Zeit und Kosten sparen können. Die Bundesverwaltung hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2005 alle internetfähigen Dienstleistungen online anzubieten.

Dabei brauchen wir eine intensive Zusammenarbeit mit Ländern und Gemeinden, denn dort liegen zumeist die Schnittstellen zu den Kunden, den Bürgerinnen und Bürgern. Das Ziel dieser Zusammenarbeit ist der One-Stop-Shop für Dienstleistungen der Verwaltung.

Im Rahmen des Städtewettbewerbes MEDIA @Komm fördern wir modellhafte Konzepte. In Bremen können Sie heute Ihre Heiratsurkunde über das Internet ordern und gleich online mit der Geldkarte bezahlen. Zum JA-Wort selbst müssen / dürfen Sie allerdings noch persönlich das Standesamt aufsuchen.

In Esslingen können Sie Parkausweise und andere Dienstleistungen beantragen. Und Nürnberg erprobt virtuelle Stadtratsarbeit.

Das alles folgt dem Motto "Die Daten müssen laufen, nicht die Bürger."

Es geht dabei aber nicht nur um mehr Effizienz und mehr Transparenz. E-Government hat einen Link zu "E-Democracy".

Durch den freien Online-Zugriff zu Verwaltungsinformationen, durch die Nutzung des Internet als Diskussionsforum für Gesetzentwürfe können Bürger in höherem Maße an politischen Entscheidungen teilhaben.

Möglicherweise wird bereits in nicht allzu ferner Zukunft auch die Stimmabgabe bei Wahlen elektronisch möglich sein.

Virtuellen Wahlkampf habe ich - als erster auf Bundesebene - schon geführt und gewonnen. Nun gibt es schon konkrete Planungen unterschiedlicher Institutionen für Wahlen über das Internet.

Dies alles kann aber nur dann Wirklichkeit werden, wenn jeder darauf vertrauen kann, dass seine Daten sicher und unverfälscht beim Adressaten ankommen. Die Bedürfnisse von Wirtschaft und Staat sind hier identisch.

Dies gilt für die virtuelle Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft ebenso wie für die Online-Wahlen, für die Steuererklärung wie für die Wertpapierorder. Die Industrie arbeitet intensiv daran, dafür technische Lösungen zur Verfügung zu stellen bzw. bereits bestehende Möglichkeiten zu optimieren.

Erfahrungen aus der Wirtschaft wie aus den Pilotprojekten in den Städten haben gezeigt: Chipkarten werden dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Siebtens: Wir modernisieren die rechtlichen Rahmenbedingungen für deren Anwendung. Der Gesetzentwurf zur elektronischen Signatur wird zur Zeit im Deutschen Bundestag beraten. In Kürze werden wir die Umsetzung der EU-Richtlinien zum elektronischen Geschäftsverkehr einleiten.

Die Maßnahmen zur Stärkung des Aufbruchs in die Informations- und Wissensgesellschaft fügen sich ein in das Konzept der Bundesregierung zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung.

Wir haben vieles in Bewegung gesetzt, was den Wachstumsprozess in Deutschland forciert:

Wir haben die Sanierung des Haushalts in Angriff genommen mit dem Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushalt bis 2006. Mit unserem Konsolidierungskurs gewinnen wir Handlungsspielräume zurück und geben diese weiter.

Mit unserer Steuerreform sorgen wir für eine massive Entlastung von Arbeitnehmern und Unternehmen.

Beides - Haushaltskonsolidierung und Steuersenkung - gehört zusammen und beides werden wir fortsetzen.

Mit unserem Zukunftsinvestitionsprogramm erhöhen wir die Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung. Wir investieren das Geld, dass wir an Zinsen sparen, weil wir die Einnahmen aus der UMTS-Auktion zum Schuldenabbau nutzen. Wir fahren hier eine Reformdividende ein, die wir in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands investieren. Wir haben die überfällige Reform der Altersvorsorge angepackt und vor allem durch die geplante ergänzende Kapitaldeckung wieder auf eine stabile Grundlage gestellt. Und mit der geplanten Abschaffung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung treiben wir die Entbürokratisierung voran. Die Erfolge dieses Konzepts zeigen sich in Zahlen und Fakten:

Im Jahr 2000 hatten wir sowohl das höchste Wirtschaftswachstum als auch den höchsten Beschäftigungsanstieg seit der Wiedervereinigung.

Und dieser positive Trend setzt sich fort. Mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 2 Ÿ % in diesem Jahr erwarten wir eine weitere Fortsetzung des Aufschwungs.

Innerhalb Jahresfrist sind 570.000 neue Arbeitsplätze entstanden. Und bis zum Ende dieses Jahres wird die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Mio. sinken.

Dies alles zeigt: Wir haben allen Grund, mit Optimismus in die Zukunft zu blicken.

Der Aufbruch in die Informations- und Wissensgesellschaft erfolgt von einer robusten konjunkturellen Basis aus.

Insofern hat nicht nur Ihr Wirtschaftszweig, sondern unser Land insgesamt für die Zukunft gute Karten. Lassen Sie uns gemeinsam die Chancen nutzen.