Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 16.01.2001

Anrede: Verehrter Herr Präsident Rogowski, verehrter, lieber Herr Henkel! Wer wundert sich da über diese Form herzlicher Zuneigung, die wir einander die ganze Zeit über bewiesen haben? Da kann sich keiner ernsthaft wundern. Aber ich freue mich wirklich, hier sein zu können. Ich freue mich insbesondere, hier in diesem Hause sein zu können und mitzubekommen, wie es hier auf der einen Seite selbstbewusst und auf der anderen Seite doch ästhetisch ansprechend heute gemacht worden ist. Aber, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/61/29361/multi.htm


musste es wirklich so viel Rot sein?

Gut, ich nehme das als Beweis dessen, was der neu gewählte Präsident gesagt hat, und zwar dass er nicht alles anders, aber vieles besser machen will. Das hatte ich auch schon mal gehört, wenn Sie sich erinnern. Und so kommt es denn ja auch, wie Sie aus der Regierungstätigkeit wissen und wir aus der Tätigkeit des neu gewählten Präsidenten erfahren werden.

Ich fand das, was Sie programmatisch gesagt haben, doch durchaus bemerkenswert, weil darin einige Punkte sind - ich will nicht sehr lange darauf eingehen - , von denen ich glaube, dass wir sie zusammen angehen und verwirklichen können und müssen.

Erstens: Sie haben von Weltoffenheit geredet. Man könnte auch sagen: Von einem Mehr an Internationalität, die wir brauchen. Und in der Tat, das ist es. Die Zeiten, in denen wir uns auch ökonomisch leisten konnten, Debatten über Offenheit unserer Gesellschaft, über Zuwanderung zum Beispiel, über Menschen aus anderen Ländern, die wir brauchen, nur angstbesetzt zu führen, diese Zeiten sind endgültig vorbei oder sollten es jedenfalls sein, wenn wir uns nicht selber schaden wollen, kulturell allemal, aber eben auch wirtschaftlich.

Ich finde, wenn wir es miteinander schaffen können, der BDI mit der neuen Führung, die ja auch, was die Vizepräsidenten angeht, Kontinuität verbürgt - ob mir das immer gefällt, ist eine ganz andere Frage - , Deutschland international als ein wirklich weltoffenes Land, ein Land, das eine enorme wirtschaftliche und auch, wie sich langsam herumspricht, politische Bedeutung angesichts seiner Stärke hat, mit Selbstbewusstsein, aber auch mit Bescheidenheit, mit Rücksicht auf andere darzustellen, dann haben wir zusammen, und zwar die deutsche Wirtschaft, ihr wichtigster Verband und auch die Regierung, etwas erreicht. Ich glaube, dass wir da weitaus mehr an Übereinstimmung haben, als manche Presseerklärung verrät oder zu verraten scheint.

Die Antwort auf Globalisierung wird niemals Abschottung sein können, nicht, was die Offenheit für andere Erfahrungen, auch kulturelle, angeht, und schon gar nicht, was die Offenheit von Märkten betrifft. Ich bin ganz sicher, verehrter Herr Präsident, dass wir in all den Runden, die vor uns liegen - ob das WTO, GATT oder was auch immer ist - , ein solches Maß an Übereinstimmung haben, dass es sich wirklich lohnt, eng und, wo immer es geht, auch im gegenseitigen Vertrauen zusammenzuarbeiten.

Zweitens: Ich fand es schön, dass Sie sich vor diesem Publikum nicht gescheut haben, den Begriff der Solidarität zu gebrauchen, ein Begriff, der mir sehr nahe ist, auch wenn das gelegentlich von eigenen Freunden bestritten wird.

Solidarität ist ja nicht etwas, was man mit karitativem Verhalten verwechseln sollte, sondern, wie Sie es gesagt haben, Solidarität meint mehr, meint Teilhabe von Menschen - auch von denen, die bei Ihnen beschäftigt sind - in einem sehr umfassenden Sinn: Teilhabe am Reichtum unserer Gesellschaft, den wir mehren wollen, aber auch Teilhabe an den Entscheidungen in unserer Gesellschaft. Das ist ein Modell, von dem ich glaube, dass es Deutschland stark gemacht hat, und das man deswegen auf gar keinen Fall auf dem Altar der Globalisierungsideologien opfern sollte, sondern sorgsam, behutsam und mit viel Realitätssinn den neuen Gegebenheiten anpassen muss.

Dabei wird es - dessen bin ich sicher - manch produktiven Streit zwischen uns geben, den wir auch nicht scheuen sollten. Das ist so in einer pluralen Gesellschaft und es ist auch nötig in einer solchen pluralen Gesellschaft. Aber wir sollten ihn einigungsbereit und mit Sensibilität für das internationale Umfeld führen.

Weil es zu meinen Gewohnheiten gehört, wichtige internationale Investoren einzuladen und auf Gegeneinladungen zu bestehen - das betrifft England, demnächst Amerika, das betraf die Schweiz und wird auch andere betreffen, Frankreich sowieso - , hatte ich zufällig Gelegenheit mitzubekommen, wie die augenblickliche Debatte aufgefasst wird: Von denen, die hier Betriebe haben, sehr realistisch. Von denen, die Finanzinvestitionen planen oder planen könnten, nicht ganz so realistisch. Deswegen lautet meine Bitte: Bei dem, was wir miteinander auszutragen haben - ich scheue das nicht und Sie tun es erst recht nicht - , sollten wir das internationale Umfeld sorgsam und sehr sensibel beachten; denn die anderen Staaten verstehen nicht, wenn wir mit zu wenig Stolz über unser Land reden.

Drittens: Ich fand das, was Sie, Herr Rogowski, über die Funktion des Staates gesagt haben, gut. Ich war, wie Sie mitbekommen haben, gerade in einem unserer riesigen Nachbarländer. Die Schwierigkeiten, die man dort hat - weit entfernt von dem, was wir hier haben - , bestehen in zu wenig Staat, nicht in zu viel. Es mag sein, dass wir an der einen oder anderen Stelle - darüber gilt es dann zu reden - zu viel haben, aber zu wenig reicht uns auch nicht, wie das Beispiel lehrt.

Das lehren übrigens auch aktuelle Beispiele. Wenn Kontrollen nicht funktionieren - ob das beim Futtermittel für Tiere oder bei anderem ist - , reicht das auch nicht für vernünftige Politik.

Also sollten wir uns über die alte, schöne Formel - der Sie ja nicht widersprochen haben, Herr Präsident - , so viel Markt wie möglich und so viel Staat wie nötig, einigen. Wir sollten definieren - im Konsens, wo möglich, und im Streit, wo nötig - , was das denn im Einzelnen bedeutet. Wir haben ein paar Punkte, wo das notwendig sein wird.

Das, was Sie zu den zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft gesagt haben, und vor allen Dingen, unter welches Dach Sie es gestellt haben, hat mich gefreut. In der Tat, Nachhaltigkeit darf nicht nur ein Begriff bleiben, den man der Umweltdiskussion entlehnt, sondern Nachhaltigkeit muss eine Leitlinie für Politik auch in anderen Bereichen werden, zum Beispiel in der Finanzpolitik. Ich glaube, dass das, was der Bundesfinanzminister macht, bei allen Streitigkeiten im Detail prinzipiell national wie international Anerkennung findet. Es folgt dem Prinzip der Nachhaltigkeit.

Wir versuchen es jetzt in der Agrarpolitik. Es ist eine wirklich wichtige und, wenn wir es schaffen, sogar eine fundamentale Veränderung, die wir nötig haben, auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Es gibt noch ein paar andere Bereiche. Wir werden darüber zu reden haben. Also gibt es auch dort - jedenfalls, was die Orientierung angeht - eine Menge an Gesprächs- und Zusammenarbeitsmöglichkeiten.

Ich will hier nicht missverstanden werden. Es bleibt eine Menge zu streiten. Das ist so in einer pluralen Gesellschaft, die übrigens auch von unterschiedlichen Interessen in Bewegung gehalten wird. Ich freue mich auf diese Zusammenarbeit und - verzeihen Sie mir diese etwas nähernde, nicht unironisch gemeinte Bemerkung - auf den scheidenden Präsidenten.

Es ist schon ein sehr ambivalentes Verhältnis, wenn ich es hier einmal aus der Schule plaudern darf: Dass er die frühere Regierung immer als mittelmäßig betrachtet hat, das hat mich gefreut. Aber es musste ja nicht sein, dass er es auch auf mich überträgt. Doch so ist er eben immer gewesen und so wird er auch bleiben.

Ich habe mir überlegt, ob ich irgendeinen öffentlichen Anlass - aber wir sind hier ja unter uns - nutzen sollte, um zu sagen: Das Maß an Eitelkeit ist doch gelegentlich höher als an politischen Bewertungsmöglichkeiten. - Aber das sage ich niemals öffentlich; das verspreche ich Ihnen, meine Damen und Herren.

Im Übrigen will ich Ihnen jetzt einmal ein Geheimnis verraten. So sehr wir gestritten haben, Hans-Olaf Henkel und ich, und uns sicherlich auch weiter streiten werden, wie er ja schon wieder angedroht hat, so sehr hat mich diese Form des Streites auch persönlich herausgefordert. Ich glaube, was in unserer Gesellschaft wichtig ist und wir vielleicht doch miteinander exerziert haben, ist Folgendes: Gegensätze und Gegnerschaft dürfen in einer zivilen Gesellschaft niemals in Feindschaft umschlagen. In einer Gesellschaft der Offenheit und Freiheit, wie wir sie wollen, wird es immer politische Gegner geben, ja geben müssen, aber es darf keine innerstaatlichen Feinderklärungen geben.

So sehr mich - ich denke, auch umgekehrt - die eine oder andere Bemerkung geärgert hat, so sehr will ich hier deutlich machen: Die Grenze zur Feinderklärung ist niemals überschritten worden. Dafür, lieber Herr scheidender Präsident, bin ich Ihnen durchaus dankbar und sage das mit großem Respekt.

Was soll man einem Menschen, der alles hat und der auch schon vieles gewesen ist, wünschen? Eigentlich, wenn Sie es mir gestatten, nur so viel: Dass er sich in der Zeit, die noch lang sein wird, in der er außerhalb dieses Amtes ist, das ja auch an den Kräften zehrt, möglichst wenig publizistisch betätigt - denn die Folgen hätte ich auszuhalten - , dass er viel Wissenschaft macht, im stillen Kämmerlein, dass er viel Sport treibt und die Zigarren und den Rotwein nicht vergisst. Aber jedenfalls: Gut soll es ihm gehen in den vielen, vielen Jahren, die außerhalb dieses Amtes - ich denke, das wünschen wir ihm alle - vor ihm liegen.

Nun zu dem neuen Präsidenten. Ich sage es noch einmal: Nicht alles anders, aber vieles besser. Das ist von unglaublicher Hoffnung für mich. Ich wünsche mir eine Offenheit in dem Gespräch und die Fähigkeit, auch die andere Seite zu verstehen. Ihr sehr persönlicher Lebensweg, die Arbeit, die Sie in sehr wichtigen, sehr unterschiedlichen Funktionen gemacht haben, beweisen - so glaube ich - , dass es eine gute Wahl gewesen ist, die Sie, meine Damen und Herren, getroffen haben.

Was die Bundesregierung angeht, kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind zu produktiver, auch streitbarer - das ist so und das wird auch so bleiben - Zusammenarbeit bereit. Ich bin ganz sicher, dass wir bei aller Unterschiedlichkeit der Ausgangspositionen und vielleicht auf den Wegen dahin ein Ziel miteinander verfolgen werden. Wir wollen nämlich, dass es unserem Land, Deutschland, und den Menschen gut geht. So einfach sollte man das Ziel definieren: Dass es ihnen gut geht in einer Umwelt, die nicht einfacher geworden ist und in der wir, Wirtschaft und Politik, über die heute hier zu reden ist, uns im wahrsten Sinne des Wortes behaupten müssen und - ich bin ganz sicher und optimistisch - auch behaupten werden.

Alles ist vorbereitet für einen schönen Abend und exakt den wünsche ich Ihnen, den wünsche ich uns allen.