Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 17.01.2001

Untertitel: In einem Statement vor dem Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages erklärte Staatsminister Nida-Rümelin zu Fragen einer zukünftigen Medienordnung:
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/47/34447/multi.htm


Ich habe die Forderungen des Gutachtens "Offene Medienordnung" des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf unsere duale Rundfunkordnung überprüft. Nach meiner Einschätzung ist dieses Gutachten sehr kritisch zu werten. Der frühere EU-Kulturkommissar Oreja hat einen Bericht einmal mit den Feststellungen eingeleitet, den audiovisuellen Medien komme ein enormer Stellenwert bei der Herausbildung und Übermittlung von sozialen Werten zu, sie seien das mit Abstand wichtigste Medium für Unterhaltung und Kultur und für die überwiegende Mehrheit der Europäer die wichtigste Informationsquelle. Diese Bewertung, die sich mit der vom Beirat offenbar als überholt angesehenen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts deckt, möchte ich zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen machen. Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Ich halte nichts davon, auf den privaten Rundfunk Wirtschaftsrecht anzuwenden und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk lediglich auf eine Nischenexistenz zu reduzieren.

Fangen wir mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk an: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen überzeugend dargelegt, warum für den Rundfunk spezifische Regelungen notwendig sind, wenn man Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt garantieren will, und welche besondere Aufgabe dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der dualen Rundfunkordnung zukommt. Ein funktionierender öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist Voraussetzung für die duale Rundfunkordnung. Denn als Ausgleich steht er für ein gewisses Niveau der politischen Information, der kulturellen Bildung, der Unterhaltung auch gegen den Trend auf dem Markt privater Anbieter.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann seine gesellschaftlichen Aufgaben jedoch nicht erfüllen, wenn er - so wie es der Beirat vorschlägt - marginalisiert wird. Ich weiß nicht, wie der Beirat dazu kommt, die öffentlich-rechtliche Aufgabe nur als "Pflege und Förderung der einheitsstiftenden Kultur und des kulturellen Zusammenhalts" zu definieren. Klar ist aber: Reduziert man ihn - im Gegensatz zu der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts - auf eine solche Nischenfunktion, läutet man ganz bewusst den Abschied von der dualen Rundfunkordnung ein. Meinungsbildend sind etwa nicht nur Informations- und Bildungsprogramme sowie Produkte der Hochkultur, sondern auch sogar in besonderem Maß Unterhaltungsprogramme, die von einem Großteil der Zuschauer gesehen werden.

Das Bundesverfassungsgericht spricht nicht umsonst den öffentlich-rechtlichen Anstalten die Aufgabe zu, ein Vollprogramm anzubieten; Das Gericht hat genug Weitsicht zu wissen, dass nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgestrahlte Programme kein brauchbarer Gegenpol zu dem allein von kommerziellen Kriterien geprägten Angebot der Privatsender mehr sein können. Es ist nahezu zwangsläufig, dass ein auf einen solchen Kernbereich reduzierter und praktisch der Bestands- und Entwicklungsgarantie beraubter öffentlich-rechtlicher Rundfunk schnell seine Gebührenlegitimation einbüßen würde. Ob bei diesem vorprogrammierten Exitus des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in einer dann rein privaten Rundfunklandschaft allein durch die Kräfte des Marktes - ggf. unterstützt durch kartellrechtliche Maßnahmen - zu sichern sind, erscheint zweifelhaft. So zweifelhaft, dass man schon recht blauäugig sein muss, um daran zu glauben.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist unverzichtbar, um der Banalisierung, Entpolitisierung und Veralberung in der Medienlandschaft entgegenzuwirken. Aber auch die privaten Programmanbieter wünschen einen Ordnungsrahmen, der über das bloße Kontrollrecht hinaus geht. So widerspricht Jürgen Doetz, der Vorsitzende des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation ( VPRT ) , dem Gutachten in mehreren entscheidenden Punkten. Er hält angesichts des besonderen Charakters der Medien das Kartellrecht allein nicht für ausreichend; er widerspricht der Auffassung des Beirats, in der Zukunft gäbe es keine Knappheit bei den Übertragungskapazitäten mehr und wünscht sich auch weiterhin einen Ordnungsrahmen, der die Existenz des Rundfunks sichert.

Dass in einem schrankenlos deregulierten Markt auch die privaten Rundfunkanbieter zu Opfern werden können, haben wir jüngst bei dem Versuch eines Kabelnetzbetreibers erlebt, den Zuschauern einige digitale Programmangebote nur gegen zusätzliches Entgelt zur Verfügung zu stellen. Dieser Vorgang hat Doetz zu der Mutmaßung veranlasst, Rundfunk sei für die Netzbetreiber unwirtschaftlicher Ballast. Wenn selbst der VPRT der vom Beirat - einem Fetisch gleich - auf den Schild gehobenen Wettbewerbstheorie nicht folgen kann und befürchtet, der Rundfunk könne in Zukunft gegenüber Internet und Telefonieanwendung das Nachsehen haben, sollte dies jedem an Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt Interessierten zu denken geben.

Mir genügt es allerdings auch nicht allein, dem Rundfunk Übertragungskapazitäten zu sichern: Ich sehe nicht, wie wir nur mit dem kartellrechtlichen Maßnahmenkatalog der schon jetzt ganz erheblichen Konzentration auf dem Markt der elektronischen Medien entgegenwirken können. Dass man dem Missbrauch von Konzentrationsmacht - insbesondere, wenn es sich um sog. vertikale Konzentration handelt - bisweilen schon jetzt etwas hilflos gegenübersteht, hat sich im Umgang mit der digitalen Decoderbox eines großen deutschen Medienkonzerns gezeigt.

Für die These, der Markt werde alles richten, bleibt das Gutachten eine plausible Begründung schuldig. Der zum Vergleich herangezogene Pressemarkt kann da auch nicht weiterhelfen: Wenn der Beirat in diesem Zusammenhang feststellt, die Freiheit der Presse von "staatlicher Bevormundung" sei schon im 19. Jahrhundert erkämpft worden und die Presse - so die Worte des Beirats - heute fast gar nicht mehr reguliert, so wird daraus zum einen deutlich, was er von unserer Rundfunkordnung hält, zum anderen aber will er uns hinsichtlich der Regulierung des Pressemarktes Sand in die Augen streuen. Denn der Beirat erwähnt zwar, dass es auch auf dem Pressemarkt erhebliche Konzentrationserscheinungen gibt, er nennt als Stichwort die "Ein-Zeitungskreise", verschweigt uns aber, dass es auch im Pressebereich spezifische Regulierungsnormen gibt und der Gesetzgeber auf die erwähnten Konzentrationserscheinungen mit einer verschärfenden Sonderregelung der Pressefusionskontrolle im Wettbewerbsrecht reagiert hat.

Der Beirat verschweigt uns das, weil daraus deutlich würde, dass das Kartellrecht allein noch nicht einmal zur Regulierung des Pressemarktes ausreicht. Davon abgesehen, ist der Rundfunkmarkt durch seine andere Struktur und seine erheblich höhere Anbieterkonzentration ohnehin nicht mit dem Pressemarkt vergleichbar. Ferner verschweigt uns der Beirat, wie er mit der Handhabe des Kartellrechts multimediale Meinungsmacht, also diagonale oder konglomerate Konzentration, verhindern will. Der Umstand, dass alle vergleichbaren Rechtsordnungen in Europa und auch in den USA die medienspezifische Regulierung von "cross-ownership" und Medienverflechtungen vorsehen, sollte uns argwöhnisch machen, warum der Beirat diese Problematik ausklammert.

Abschließend noch etwas Positives zu dem Gutachten: Es kann für uns Anlass sein, über den Erhalt und das Erhaltenswerte unserer dualen Rundfunkordnung nachzudenken. Man kann es auch als Appell sehen, die bestehenden Regulierungen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen und ggf. den Regulierungsumfang zu reduzieren. Das wollen wir tun. Ich bin gerne bereit, darüber zu reden, wie man die bisweilen etwas umständlichen Regelungen und Zuständigkeiten im Medienbereich straffen und vereinfachen kann. Ich denke dabei auch an die punktuelle Rückführung klassischer hoheitlicher Steuerung und den Ausbau von Selbstregulierungsmechanismen.

Medienpolitische Weichenstellungen sind nur unter gegenseitiger Respektierung der Kompetenzen von Bund und Ländern möglich. Ich werde deshalb das Gespräch mit den Ländern suchen, damit Bund und Länder gemeinsam und konstruktiv an der Weiterentwicklung unserer Medienordnung arbeiten. Dabei wird das Gutachten "Offene Medienordnung" allerdings nicht die Orientierung sein.