Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 19.01.2001

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/82/29282/multi.htm


Nach der Reform - Zukunftsstrategie für Gesamteuropa "

zunächst einmal möchte ich den gar nicht üblichen, sondern herzlich gemeinten Dank an die Bertelsmann Stiftung sagen für die Organisation dieses Treffens, dafür also, Gesprächspartner - und so hochrangige - aus ganz Europa, aber nicht nur aus Europa, hier in Berlin zusammenzubringen. Ich denke, das ist ein ermutigender Auftakt für das, was Sie, Herr Professor Weidenfeld,"die Neulegitimation Europas" genannt haben, und dessen, was wir in und für Europa tun. Man muss wissen, ohne einen breiten Dialog in den Gesellschaften kann das, was wir miteinander vorhaben, nicht gelingen.

Dass dieser Diskussionsauftakt kurz nach der Konferenz der Staats- und Regierungschefs in Nizza stattfindet und diese Konferenz selbst schon wieder ein Stück Zeitgeschichte ist, zeigt einerseits, dass wir nach dem Erfolg der Konferenz in Nizza mit der Schaffung der institutionellen Voraussetzung für den Erweiterungsprozess unsere Hände nicht in den Schoß legen können, sondern das Nachdenken über Europa und das Handeln für Europa weitergehen müssen. Wir richten also den Blick nach vorn. Wir müssen die erweiterte Union fortentwickeln, damit sie ihren Aufgaben für das ganze Europa - ich betone: das ganze Europa - gerecht werden kann. Die rasante Geschwindigkeit bei der Ausgestaltung Europas, und das ist das Thema von Konferenzen wie dieser und darüber hinaus, ist den Bürgerinnen und Bürgern gar nicht leicht zu vermitteln. Übrigens, dieses Tempo geben die handelnden Politikerinnen und Politiker nicht mutwillig vor, es ist auch uns vorgegeben. Es entwickelt sich aus der Dynamik der internationalen Politik, der internationalen Wirtschaft. Gerade deshalb begrüße ich es außerordentlich, dass wir heute den Einstieg in eine breite öffentliche Debatte über die künftige Ausgestaltung Europas, die Aufgaben, die Grenzen und die Mittel der europäischen Union, aber eben auch ihre Verfasstheit und ihr Verhältnis zu den Nachbarregionen sowie über politische Strukturen des Kontinents insgesamt, beginnen wollen und damit den Auftakt bilden für eine breite Debatte der Selbstverständigung der Europäer über das, was sie gemeinsam wollen.

Mit dieser Diskussion stellen wir uns der Verantwortung, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Ideen und Konzepte für die Zukunft unseres Kontinents zu entwickeln. Diese Gemeinsamkeit verschafft, dessen bin ich sicher, Europa seine besondere Legitimation. Wir brauchen also den intensiven Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern, anders ausgedrückt, die Beteiligung aller Gruppen der Zivilgesellschaft, die öffentliche Diskussion mit Fachleuten aus Wissenschaft und Politik. Um die Menschen für dieses Europa zu gewinnen, brauchen wir eine starke und handlungsfähige, eine verständlich organisierte und demokratisch legitimierte Europäische Union. Dies ist Sinn und Ziel des von mir angeregten und beim Europäischen Rat in Nizza beschlossenen Prozesses, der im Jahre 2004 in eine erneute Regierungskonferenz münden wird.

Dass wir Übereinstimmung für die Organisation dieses Nach-Nizza-Prozesses, der die Debatte in die Gesellschaft und damit zu den Bürgerinnen und Bürgern trägt, erzielen konnten, ist aus deutscher Sicht eines der wichtigsten Ergebnisse des Gipfels von Nizza, der gelegentlich, wie ich finde zu Unrecht, als - ich zitiere jetzt Beobachter - zu mager dargestellt wird. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es nach dem Beschluss über die Agenda 2000 - also die Finanzarchitektur Europas - bis zum Jahre 2006 Aufgabe von Nizza war, die left overs von Amsterdam zu lösen, darüber hinaus verstärkte Zusammenarbeit zu organisieren, und man sich klarmacht, dass das leicht hingeworfene Wort von den left overs gar nicht heißt, dass diese in Amsterdam übriggeblieben sind, weil es Kleinigkeiten gewesen wären, sondern sie damals nicht zu lösen waren und wenn man sich weiter klarmacht, was wir bei der verstärkten Zusammenarbeit zu Wege gebracht haben, dann finde ich, ist es richtig, wenn die französische Regierung deutlich macht, dass Nizza ein Erfolg war und ihre Präsidentschaft auch.

Wir werden bei diesem Nach-Nizza-Prozess auf der Grundrechtecharta der Europäischen Union aufbauen können, die - und auch dieses Ergebnis ist gelegentlich nicht hinreichend berücksichtigt worden - in Nizza als gemeinsames Dokument vom Europäischen Parlament, von Rat und Kommission, feierlich proklamiert worden ist. Diese Charta ist die Verpflichtung zur Bürgernähe, zu mehr Legitimität, aber auch zu mehr Transparenz. Das ist der Grund, warum meine Regierung dafür eintritt, diese Charta in die Europäischen Verträge als ein wichtiges Element für eine Art Grundgesetz der Europäischen Union zu übernehmen.

Was wir darüber hinaus zur Komplettierung dieses europäischen Grundgesetzes brauchen, ist eine Vereinfachung und Neuordnung der Verträge, eine Klärung der Gewaltenteilung zwischen den Brüsseler Institutionen sowie eine klarere Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Brüssel, den Mitgliedstaaten und, in eigener Verantwortung der Mitgliedstaaten, dann auch den Regionen - oder in Deutschland: den Ländern. Die Bürger beklagen sich zu Recht darüber, dass die Entscheidungswege in Europa oft nicht nachvollziehbar und vielfach zu undurchsichtig sind. Die Menschen haben aber ein Recht darauf zu wissen, wer für welche Fragen, wer für welche Entscheidungen zuständig ist. Das ist eine Frage der Transparenz, aber auch eine Frage der Legitimität.

Wenn wir die Akzeptanz der Union bei unseren Bürgerinnen und Bürgern erhöhen wollen - und ich finde das müssen wir - dann kommen wir nicht umhin, diese Fragen zu beantworten. Das ist Inhalt und Ziel des angeregten Prozesses. Wir müssen sie aber nicht nur als Fachleute, als politische Profis behandeln und beantworten, sondern wir müssen diese Diskussion so führen, dass die Menschen an der öffentlichen Debatte wirklich beteiligt sind, dass sie wissen und erfahren, sie selbst sind es, die Bürgerinnen und Bürger Europas, die Menschen, die im Zentrum auch der europäischen Politik stehen, jedenfalls stehen müssen. Insofern kann das heutige Forum einen wichtigen Beitrag zu einer neuen breiten Verständigung über die Zukunft Europas leisten. Eines ist allerdings wichtig: Der Diskussionsprozess, der in die Regierungskonferenz 2004 münden wird, ist keine - ich betone keine - Vorbedingung für die Erweiterung der Union.

Im Gegenteil, wir wollen diesen Weg hin zu 2004 gemeinsam mit den künftigen Mitgliedern der Union zurücklegen. Denn wir brauchen die Unterstützung der Menschen für das große Europa, eben auch aus den Gesellschaften der Beitrittskandidaten heraus. Deswegen haben wir in Nizza darauf gedrungen, dass wir die Beitrittsländer voll und ganz in den vor uns liegenden Prozess einbeziehen. Ich habe darauf hingewiesen: In Nizza haben wir unser zentrales strategisches Ziel erreicht. Die Europäische Union hat nicht nur ihren Willen, sondern auch ihre Fähigkeit dokumentiert, neue Mitgliedstaaten aufzunehmen.

Ab 2003 ist die Union erweiterungsfähig. Mit diesem Erweiterungsprozess kann Europa ein gemeinsamer Ort von Frieden, Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität werden. Nizza - und das macht seine wesentliche Bedeutung aus bei aller Kritik, die möglich und an Einzelfragen auch erfolgt ist - ebnet den Weg für die endgültige Überwindung der Teilung Europas und für die Herstellung der politischen, der wirtschaftlichen und kulturellen Einheit unseres Kontinents.

Es ist einzuräumen: Wir hätten in Nizza noch mehr für die Handlungsfähigkeit, auch für die Effizienz der Union erreichen können. Wir hatten auch mehr erhofft. Aber auf der anderen Seite waren wir nicht bereit, die Erweiterung der Union zu gefährden. Das, was an Effizienzzuwachs - wir könnten es auch Rationalität in den Entscheidungsgängen nennen - nicht erreicht werden konnte, haben wir sehr bewusst in Kauf genommen, um den Erweiterungsprozess nicht zu gefährden oder ihn unzumutbar hinauszuschieben. Das hätte nämlich eine Enttäuschung bei den Beitrittskandidaten produziert, eine Enttäuschung, die wir um des Zieles eines gemeinsamen Europas willen auf gar keinen Fall haben in Kauf nehmen wollen. Wir hätten nämlich, hätten wir anders gehandelt, mehr verloren als gewonnen. Ich bin davon wirklich überzeugt.

Wir haben uns bereits vor Nizza und dann in Nizza als Anwalt der Beitrittskandidaten verstanden und uns dafür eingesetzt, dass sie in den europäischen Institutionen einen angemessenen Platz einnehmen können. Dies war und ist nicht nur ein Gebot der Fairness, sondern auch der politischen Klugheit. Echte Partnerschaft kann nicht entstehen, wenn Partner nicht gleichberechtigt sind. Der Erweiterungsprozess tritt nunmehr in eine entscheidende Phase. Jetzt - und das ist gleichsam das Pendant zu der Aufnahmefähigkeit des integrierten Europa - liegt es in der Hand der Beitrittskandidaten selbst, durch zügige, konsequente Fortsetzung der Reformen die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass sie Mitglieder der Europäischen Union werden können. Es ist Sache der Beitrittskandidaten selbst, sich beitrittsfähig zu machen.

Die bisherigen Mitglieder der Europäischen Union können, wollen und sollen in diesem Prozess hilfreich sein. Sie können ihn unterstützen und sie werden es auch tun, weil sie ja dem gemeinsamen Ziel verpflichtet sind. Sie können den Willen zur Reform bei den Beitrittskandidaten selbst zwar unterstützen, sie können ihn aber nicht ersetzen. Und das ist der Grund, warum wir sicher sind, dass diejenigen, die möglichst rasch Mitglieder werden wollen, diesen Reformprozess auch mit aller Macht fortsetzen und zu Ende bringen werden. An den Kriterien für den Beitritt, die 1993 vom Europäischen Rat in Kopenhagen festgelegt worden sind, wird nicht gerüttelt. Die Beitrittsländer müssen institutionelle Stabilität aufweisen, sie müssen die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze sowie der Menschen- und Minderheitenrechte gewährleisten. Sie müssen über eine funktionsfähige Marktwirtschaft verfügen und fähig sein, dem Wettbewerbsdruck innerhalb der Union auch selbst Stand zu halten.

Nachdem die politischen Fragen, was den Beitritt angeht, weitgehend gelöst sind, der politische Wille unzweifelhaft feststeht, wird die Frage, ob man beitreten kann, mehr und mehr zu einer Frage der Ökonomie. Schließlich müssen sie willens und in der Lage sein, die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen und Ziele anzunehmen und sie auch umzusetzen. Dabei gilt übrigens in beiden Richtungen, dass Übergangsfristen möglich sind und sicher ausgehandelt werden. So gibt es selbstverständlich einzelne Bereiche, in denen Anpassungsprozesse auf beiden Seiten länger dauern und eine sofortige Übernahme aller Verpflichtungen den einen oder anderen überfordern würde.

Ich habe vor wenigen Wochen deutlich gemacht, dass wir Deutsche - aber keineswegs nur wir - Probleme bekämen, die auch die Legitimationsfrage berührten, wenn für alle Beitrittsländer umgehend etwa die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit geschaffen würden. Daneben kann ich mir vorstellen, dass viele Beitrittskandidaten riesige Probleme hätten, wenn sie etwa alle Umweltvorschriften oder auch alle Vorschriften, die die Liberalisierung der Märkte regeln, sofort zu übernehmen hätten. Deshalb werden für diesen Bereich, ebenso wie seinerzeit bei der Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal, Übergangsfristen unumgänglich sein. Es liegt auch im Interesse der Beitrittsländer selbst, damit es bei ihnen nicht zu einer abrupten und massiven Wanderungsbewegung der besten Leute kommt.

Unsere Vorstellung läuft auf ein flexibles Modell hinaus, das, ausgehend von einer siebenjährigen Übergangsfrist, unterschiedliche Lösungen für einzelne Beitrittsländer zulässt. Sollten die Voraussetzungen gegeben sein, könnten für einzelne Länder auf Antrag die Beschränkungen bereits vorher aufgehoben werden. Ich glaube, dass ein solches flexibles Modell den Interessen aller gerecht wird. Damit können wir für Europa und für die Erweiterung nicht nur werben, wir können sie bei den Bürgerinnen und Bürgern auch legitimieren. Denn das müssen wir alle zusammen und jeder in seinem Land. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger von den Chancen, die eine Erweiterung bietet, und von ihrer historischen Notwendigkeit überzeugen.

Europa, gerade auch ein erweitertes Europa, lebt vor allem von der Begeisterung seiner Bürgerinnen und Bürger. Genau die müssen wir fördern und entwickeln. Ich sage das vor dem Hintergrund gelegentlich durchaus skeptischer Einschätzungen in den einzelnen Gesellschaften, die ja mit den Mitteln moderner Sozialwissenschaft gemessen worden sind. Die Erweiterungsverhandlungen werden uns allen schwierige Kompromisse abverlangen. Es ist leicht, die Erweiterung generell zu befürworten, aber schwieriger, sie zu gestalten. Schwieriger ist es, die damit verbundenen konkreten Aufgaben zu lösen und die erreichten Kompromisse auch offensiv zu vertreten. Dies ist die gemeinsame Aufgabe der Politik in der Europäischen Union wie in den Beitrittsländern.

Alle Europäer, vor allem wir Deutsche, wollen die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten und Südosten. Die jüngsten Fortschrittsberichte der Kommission zu den einzelnen Beitrittsländern haben gezeigt, dass diese Länder mit ihren Reformen gut vorangekommen sind. Wir hoffen darauf, dass die ersten Beitrittskandidaten schon bald fähig sein werden, der EU beizutreten. Eine rasche Erweiterung liegt im politischen, aber auch im wirtschaftlichen Interesse ganz Europas, und ich füge hinzu, natürlich auch Deutschlands. Wir wollen die Erweiterung auch deswegen, weil wir zu unserer historischen Verantwortung stehen. Ich habe versucht, das mit meinem Besuch in Warschau unmittelbar vor der Regierungskonferenz von Nizza zum Ausdruck zu bringen.

Das von Willy Brandt und Walter Scheel begonnene Werk der Aussöhnung und der guten Nachbarschaft wird mit dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder in die Europäische Union vollendet. Es wäre meiner Ansicht nach nun ganz falsch, schon jetzt eine Diskussion darüber zu beginnen, welches Land zu welchem Termin beitreten kann. Was wir statt dessen brauchen, ist die konsequente Umsetzung des von der Kommission vorgeschlagenen Fahrplans über die Behandlung der Sachfragen in den weiteren Verhandlungen. Dabei wollen und müssen wir das hohe Tempo, das wir inzwischen erreicht haben, auch beibehalten.

Ich warne allerdings vor der Illusion, dass mit dem Beitritt zur Europäischen Union sozusagen ein paradiesisches Zeitalter in Europa beginne. Wir wissen nicht zuletzt aus den Erfahrungen mit der deutschen Einheit, dass auch nach dem Beitritt noch ein langer beschwerlicher Weg gemeinsam vor uns liegt, bis all die Ziele und die Hoffnungen, die wir mit der Erweiterung verbinden, realisiert werden.

Unsere Ambitionen reichen weiter, sie reichen über die Grenzen der Europäischen Union hinaus. Wir wollen und dürfen auch die Länder nicht vergessen, die nicht zum Kreis der Beitrittskandidaten zählen. Sie dürfen nicht die Leidtragenden, die Opfer gleichsam einer starken Europäischen Union werden. Deshalb müssen wir darauf achten, dass an den Außengrenzen der Gemeinschaft kein neuer eiserner Vorhang entsteht. Wir wollen keine neue Abgrenzung, die ohnehin nur die Stabilität und den Erfolg der europäischen Integration gefährden würde. Wir wollen vielmehr über das Denken in Grenzen hinwegkommen. Wir alle, ob Mitglieder der Europäischen Union oder ihre Nachbarn, sind aufeinander und auf gegenseitige Zusammenarbeit angewiesen. Enges Miteinander und gute Nachbarschaft sind die Grundlage der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und ihren Anrainern.

Daher ist auch so wichtig, dass wir zum Beispiel den Staaten auf dem Balkan helfen, ihren Weg der demokratischen Reform fortzusetzen und zu regionaler Kooperation zu finden. Mit dem Balkan-Stabilitätspakt haben wir eine Art Patenschaft für die Demokratisierung der Region übernommen, und die Entwicklung gerade der letzten Monate und vor allen Dingen in Jugoslawien ist durchaus ermutigend. Ich bin davon überzeugt, dass auch Jugoslawien die Reformen vorantreiben und wie schon Kroatien den Weg zurück in die europäische Staatenfamilie entschlossen fortsetzen wird.

Auch Russland und die Ukraine sind bei aller Unterschiedlichkeit strategische Partner der Europäischen Union. Wir haben in den vergangenen Jahren mit den Partnerschafts- und Kooperationsabkommen gute und hilfreiche gemeinsame Strukturen geschaffen. Wir brauchen im Moment keine zusätzlichen Instrumente. Wir müssen vielmehr die vorhandenen Strukturen nutzen, das heißt, wir müssen sie ausfüllen. Der russische Präsident hat mir gerade erst wieder das große Interesse seines Landes an einem engen und kooperativen Beziehungsgeflecht mit der Europäischen Union nachdrücklich vermittelt. Mit dem schwedischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des Europäischen Rates stimme ich völlig überein, dass diesem Ziel, diese Strategie Russland gegenüber auszubauen und zu realisieren, besondere Bedeutung zukommt, und wir es bei allem Engagement für die Erweiterung nicht aus den Augen verlieren dürfen.

Am Ende des vor uns liegenden Jahrzehntes werden wir in einem anderen Europa leben. Es wird, so hoffe ich jedenfalls, ein größeres und zugleich ein stärker integriertes Europa sein, ein bürgernahes Europa, das über größere demokratische Legitimation und über klarere Entscheidungsstrukturen verfügt. Ein Europa also, dass sich auf die Aufgaben konzentriert, die ihm zugewiesen sind, und das ein starker Akteur auf der internationalen politischen und auch wirtschaftlichen Bühne ist. Es gibt, so denke ich, keinen Weg zurück zur nationalen Abschottung. Angesichts fortschreitender Globalisierung müssen wir Europäer zusammenstehen, braucht es nicht weniger, sondern mehr Europa. Wir müssen also mit einer Stimme sprechen und gemeinsam handeln. Nur so wird Europa die Aufgaben der Zukunft meistern können, und zwar weit besser als das jeder Nationalstaat für sich allein je tun könnte. Heute und in den kommenden Jahren ist es unsere Aufgabe, darüber nachzudenken, in welchen Strukturen, in welcher Verfasstheit die Europäische Union diese Aufgaben am besten bewältigen kann.

Aber bei allen notwendigen Fachdebatten darüber dürfen wir das zentrale Ziel nicht vergessen. Wir müssen Europa wieder zu einem Thema des öffentlichen Engagements machen. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger noch mehr für Europa gewinnen. Europa muss also nicht nur eine Angelegenheit des Verstandes sein, das gewiss auch, sondern auch wieder eine des Herzens werden, und daran sollten wir gemeinsam arbeiten.