Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 23.01.2001

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/83/29583/multi.htm


Anrede.

ich freue mich sehr, Sie hier in Berlin begrüßen zu dürfen; in einer Stadt, die für die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas steht. Berlin zeigt wie kaum eine Stadt die Brüche der Geschichte, doch es ist zugleich Symbol des Aufbruchs und daher gerade für Ihre Konferenz genau der richtige Veranstaltungsort.

Die Welt befindet sich mitten im Übergang zur Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Was ist das für eine Gesellschaft, und was unterscheidet sie von traditionellen Strukturen?

Die Antwort auf diese Fragen hat eine dreifache Dimension:

Erstens: Anders als in früheren Jahren sind die volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden nicht mehr alleine ausschlaggebend für Wachstum und Beschäftigung. Der Produktionsfaktor Wissen ist hinzugekommen.

Zweitens: Diese neue Produktivkraft "Wissen" ist der einzige Produktionsfaktor, der sich vermehrt und vertieft, wenn er genutzt wird. Jede Investition in Bildung und Forschung ist deshalb eine Investition in die Zukunft.

Drittens: Wissen und Informationen lassen sich leicht speichern und weltweit schnell und unabhängig von nationalen Grenzen übertragen.

Angesichts der immer schneller wachsenden Kapazitäten zur Verarbeitung von Informationen und ihrer zunehmenden weltweiten Vernetzung, ist es nicht übertrieben, von einer digitalen Revolution zu sprechen.

Die Zahl der Internetbenutzer ist weltweit explosionsartig gestiegen. Nach Schätzungen amerikanischer Consulting-Firmen wird sich der weltweite elektronische Handel in den nächsten 5 Jahren verzehnfachen und ein Volumen von rd. 1.000 Milliarden US $ erreichen. Die Boston Consulting Group prognostiziert sogar ein Volumen von 4.000 Milliarden US $ . Die OECD rechnet damit, dass rd. Ÿ des weltweiten elektronischen Handelsvolumens auf Business-to-Business Transaktionen entfallen werden.

Und längst sind nicht mehr nur große Unternehmen global tätig: Auch mittelständische Betriebe kaufen und verkaufen ihre Produkte und Dienstleistungen inzwischen weltweit. Sie produzieren weltweit und lagern Teilbereiche Ihrer Aktivitäten international aus. Sie schaffen neue Arbeitsplätze, auch fernab vom nationalen Firmensitz und unabhängig von Zeitzonen.

Die Welt als "global village", als einziger riesiger Marktplatz mit globaler Arbeitsteilung - das ist keine Vision mehr, sondern in Teilen bereits Realität. Dabei vollzieht sich die digitale Entwicklung nicht einheitlich, sondern in einzelnen Ländern und Regionen höchst unterschiedlich. So befinden sich heute etwa 90 % aller Netzanschlüsse in den OECD-Ländern, in denen jedoch nur rund 19 % der Weltbevölkerung leben.

Dass dieses Ungleichgewicht dem Ziel einer wirklich globalen Wissens- und Informationsgesellschaft nicht entspricht, liegt auf der Hand. Die G8 Staats- und Regierungschefs haben deshalb im Rahmen des Weltwirtschaftsgipfels in Okinawa eine Charta beschlossen, die eine digitale Spaltung zwischen den Industriestaaten des Nordens und den Ländern des Südens verhindern soll. Zentrales Ziel der Charta ist, dass jeder in die Lage versetzt werden soll, an den Vorteilen der Informationstechnologie teilzuhaben. Sowohl der öffentliche als auch der private Sektor sollen zur Überbrückung der digitalen Kluft beitragen.

Für die Entwicklung der Rahmenbedingungen zur Anwendung der Informations- und Kommunikationstechnologie wird von den G 8 Hilfe zugesagt. Zur Umsetzung der Charta wurde eine Arbeitsgruppe aus Regierungsvertretern der G 8 und der Entwicklungsländer sowie Vertretern von Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen eingerichtet. Diese sogenannte dot-force wird bis zum nächsten G 8 - Gipfeltreffen im Juli konkrete Vorschläge vorlegen. Auch die Vereinten Nationen werden eine Task Force einrichten, um Aktivitäten zu koordinieren und diesen Bereich insgesamt zu fördern.

Es ist ein besonderes Anliegen von Bundeskanzler Gerhard Schröder, den Entwicklungsländern die Teilhabe an der globalen Informationsgesellschaft zu erleichtern. Deutschland wird deshalb sowohl im Rahmen der G 8 als auch in den Gremien der Vereinten Nationen aktiv an der Verwirklichung dieses Ziels mitwirken.

Die Gefahr, dass ein Teil der Welt den Anschluss an das Informationszeitalter verlieren könnte, ist ohne Zweifel gegeben.

Ebenso richtig ist allerdings auch, dass gerade die neuen Informations- und Kommunikations-technologien den Entwicklungsländern völlig neue Möglichkeiten zur Überwindung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Probleme eröffnen.

Insbesondere das Internet bietet die Chance auf eine globale Vernetzung. Märkte, die für Entwicklungsländer früher nur schwer oder gar nicht erreichbar waren, liegen nun in Reichweite.

Wo immer Produkte oder Dienstleistungen via Internet angeboten oder nachgefragt werden, können Unternehmen aus Entwicklungsländern als gleichberechtigte Marktteilnehmer auftreten.

Neue Chancen durch neue Technologien ergeben sich auch im gesellschaftlichen Bereich und in der Bildung. Informationen, die früher nur für wenige zugänglich waren, können schnell und kostengünstig allen Bevölkerungsschichten zur Verfügung gestellt werden. Revolutionäre technische Neuerungen waren - betrachtet man die Geschichte und denkt zum Beispiel an die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg - zunächst immer wenigen vorbehalten, bevor sie die große Allgemeinheit erreichten.

Dauerte es beim Buchdruck allerdings noch Jahrhunderte, bis alle Menschen von Gutenbergs Erfindung profitieren konnten, so ist der Zeitraum von der technischen Erfindung zum alltäglichen Produkt in der jüngeren Vergangenheit immer kürzer geworden.

Beim Telefon vergingen 55 Jahre bis 50 Mio. Menschen weltweit diese neue Technik nutzten. Das Radio brauchte dafür immerhin noch 33 Jahre, das Fernsehen nur 13 Jahre. Und das Internet erreichte die selbe Zahl in gerade mal 3 Jahren.

Durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien werden Märkte, Wettbewerbsvorteile und Erfolge der Zukunft neu verteilt. Sie bieten die Chance, bisherige Versäumnisse und Rückstände aufzuholen oder gar zu überspringen, Arbeitsplätze und das Wohl zukünftiger Generationen zu sichern.

Hier sind wir gemeinsam gefordert:

Es ist Aufgabe von Politik und Wirtschaft, die Chancen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien aufzuzeigen und Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen.

Lassen Sie mich dies am Beispiel Deutschlands erläutern: Wir fordern Eigeninitiative und wir fördern sie. Gemessen am Umsatz in der IT-Branche lag Deutschland noch vor einigen Jahren im weltweiten Vergleich im Mittelfeld.

Das hat sich geändert, Deutschland holt auf.

Die Wachstumsraten im Informations- und Kommunikationssektor liegen in Deutschland deutlich über dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt:

Und der positive Trend setzt sich fort: In fünf Jahren soll die Schwelle von 300 Mrd. DM übersprungen werden. Damit wird die Informationswirtschaft zum größten Wirtschaftszweig in Deutschland avancieren.

Schon heute werden dort 1,8 Millionen Menschen beschäftigt, bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird ein zusätzlicher Nettoarbeitsplatzeffekt von bis zu 750.000 zusätzlichen Stellen erwartet.

Forciert wird diese Entwicklung durch das Aktionsprogramm "Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts", das die Bundesregierung im Sommer 1999 verabschiedet hat.

Gleichzeitig haben Unternehmen die Initiative "D 21" ins Leben gerufen.

Im Beirat dieser Initiative werden unter Leitung des Bundeskanzlers konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Schulen und öffentliche Bibliotheken mit internetfähigen Computern auszustatten, um neue Qualifikationen und Berufsbilder zu schaffen und insbesondere auch Frauen beim Einstieg in neue Kommunikationsberufe zu fördern.

D 21 ist für mich ein Musterbeispiel für public private partnership, für gelebte Zivilgesellschaft.

Meine Vision für eine digital inclusion ist, weltweit eine ähnliche Initiative wie D 21 ins Leben zu rufen. Eine Initiative W 21, World 21. Die politischen Antworten auf die Herausforderung der "digitalen Revolution" heißen Bildung und Ausbildung, Forschung und Entwicklung.

Ich bin überzeugt, dies sind die Schlüsselbereiche, in die wir - Politik und Wirtschaft - weltweit gemeinsam investieren müssen, um in Zukunft gemeinsam erfolgreich zu sein.

Hier sind auch neue Partnerschaften zwischen Wirtschaft, Politik und Entwicklungsländern möglich und notwendig.

In den 80er Jahren hielt der Gedanke der "Einen Welt" Einzug in die politischen Debatten.

Mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben wir heute bessere Möglichkeiten denn je, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.