Redner(in): Angela Merkel
Datum: 09. September 2014

Untertitel: in Berlin
Anrede: Sehr geehrter Herr Schmid,liebe Frau Schäferkordt,sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Frau Grütters,liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,meine Damen und Herren Gäste dieser Geburtstagsfeier,lieber Herr Doetz,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/09/2014-09-10-merkel-privater-rundfunk.html


Vor 30 Jahren waren Sie einer der Geburtshelfer des privaten Rundfunks. Ihre Worte von damals sind legendär. Deshalb möchte ich sie auch noch einmal zitieren. Aus einem Kellerstudio in Ludwigshafen begrüßten Sie die Zuschauer am Morgen des 1. Januar 1984 mit den Worten: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Moment sind Sie Zeuge des Starts des ersten privaten Fernsehveranstalters in der Bundesrepublik Deutschland." Sehr viele Zeugen waren es damals noch nicht. Das Publikum für diese ersten Atemzüge des Privatfernsehens war überschaubar. Nur wenige Haushalte besaßen damals einen Kabelanschluss. Aber man musste halt an sich glauben. Ein Anfang war gemacht. Die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk, später Sat. 1, war geboren. Bereits einen Tag später begann auch RTL plus seinen Sendebetrieb. Dieser zeitliche Abstand ist nie wieder gutzumachen, aber immerhin ist nur ein Tag vielleicht nicht so dramatisch.

Den Weg geebnet hatte seinerzeit das Bundesverfassungsgericht, insbesondere mit dem Urteil zur Freien Rundfunk AG im Saarland. Hinzu kam die politische Entscheidung, den Ausbau von Breitbandkabel voranzutreiben. Hinter dieser Entscheidung standen Bundeskanzler Helmut Kohl Sie sendeten ja aus Ludwigshafen und der frühere Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen, Christian Schwarz-Schilling, die beide auf moderne Technologie und ihr Potenzial gesetzt haben.

Inzwischen ist der Kabelanschluss in Wohnungen etwas ganz Selbstverständliches. Die privaten Rundfunksender haben längst ihren festen Platz in unserer Medienlandschaft gefunden. Wir haben 391 private TV-Sender und 268 private Radiosender in Deutschland. Das Spektrum reicht vom europäischen Fernsehunternehmen bis zum Lokalradio. Entsprechend unterschiedlich sehen die Machart und die Inhalte der Programme aus. Sie bedienen die unterschiedlichsten Interessen.

Viele der Sender sind hier heute Abend vertreten sei es durch Geschäftsführerinnen oder Programmdirektoren, Chefredakteurinnen oder Redakteure, Moderatorinnen oder Kameraleute, durch bekannte Gesichter aus dem Fernsehen oder durch Menschen hinter den Kulissen. Diese Festveranstaltung ist für Sie alle gedacht. Denn wenn wir 30 Jahre privaten Rundfunks feiern, dann sind alle damit gemeint, die ihn zu dem gemacht haben, was er ist, und die ihn Tag für Tag mit Leben füllen. Deshalb sage ich allen, auch denjenigen, die heute nicht hier sein können, weil sie gerade Rundfunk oder Fernsehen machen, herzlichen Glückwunsch.

Meine Damen und Herren, wenn wir auf die Geschichte des privaten Rundfunks schauen, dann möchte ich zunächst an den vor wenigen Wochen verstorbenen Peter Scholl-Latour erinnern. Er war an den Anfängen des privaten Rundfunks beteiligt. Vor allem stand er als erster Präsident mehrere Jahre an der Spitze Ihres Verbands Privater Rundfunk und Telemedien. Mit Peter Scholl-Latour haben wir einen Publizisten und Fernsehjournalisten verloren, dessen Positionen ich wahrlich nicht immer teilte, der aber die große Gabe besaß, uns Fernes nahezubringen. Genau darin, meine Damen und Herren, liegt ja eigentlich auch der besondere Reiz von Fernsehen und Radio. Sie ermöglichen uns, von zu Hause aus die Welt zu entdecken.

Wohin die Reise gehen soll da sind die Geschmäcker natürlich verschieden. Der eine interessiert sich für politische Hintergründe in Konfliktherden, der andere für das Zuhause von Hollywoodstars oder Episoden vor Gericht. Manchmal ist auch einfach Abwechslung gefragt. Die Programmvielfalt macht das möglich. Fast jeder in unserem Land schaut mindestens einmal in der Woche Fernsehen, die breite Mehrheit tut dies täglich. Fernsehen ist bei uns die Freizeitbeschäftigung Nummer eins. Und auch anderswo ist und bleibt es nach wie vor populär. Das gilt auch für das Radio. Seine Faszination ist ungebrochen. Es wird unglaublich viel genutzt. Durchschnittlich hören in Deutschland täglich mehr als 54 Millionen Menschen ab 14 Jahren Radio.

Dass Fernsehen und Radio so beliebt sind, daran hat der private Rundfunk einen entscheidenden Anteil. Sein hoher Marktanteil spricht dafür. Deshalb kann man sagen: Der private Rundfunk hat unsere Medienlandschaft bereichert und tut dies weiterhin. Es klang ja in dem Film vorhin schon an: Das duale System hat sich bewährt. Wir haben in Deutschland eine der vielfältigsten Rundfunklandschaften der Welt; das betrifft Fernsehen und Radio gleichermaßen. Ich glaube, darauf können wir alle gemeinsam stolz sein.

Natürlich wird es für die weitere Entwicklung entscheidend sein, wie die Sender die Chancen des digitalen Wandels ausschöpfen werden. Fernsehen wie Radio sind schon jetzt weit mehr als Rundfunksender. Sie sind digitale Medienunternehmen mit Angeboten für verschiedenste Verbreitungswege und für unterschiedlichste Geräte. Es ist ja interessant, wie der Wettkampf zwischen dem Bildschirm des Computers und dem Bildschirm des Fernsehers ausgehen wird. Der Flachbildschirm oder das Radio sind das eine, dazu kommen Tablets, Mobiltelefone und vieles mehr. Modernes Fernsehen und Radioprogramme sind überall abrufbar, vernetzt, digital und zunehmend auch interaktiv.

In Berlin findet derzeit die Internationale Funkausstellung statt. Sie zeigt, was alles inzwischen möglich ist und welche neuen Trends es gibt. Die Faszination für Anwendungen digitaler Technologien ist ungebrochen. Längst durchdringen sie alle Lebensbereiche. Digitale Technologien verändern, wie wir kommunizieren und Freundschaften pflegen, wie wir einkaufen und Rat einholen, wie wir arbeiten und produzieren. Sie verändern, wie wir verwalten und Teilhabe ermöglichen. Kaum etwas bleibt ausgespart; und das betrifft natürlich auch den privaten Rundfunk.

Wir haben im letzten Monat eine ressortübergreifende Digitale Agenda 2014 - 2017 beschlossen. Dabei geht es zunächst einmal um den Ausbau der digitalen Infrastruktur, denn jeder muss ja erst einmal Zugriff haben. Damit ist der Inhalt noch nicht gewährleistet, aber ohne Zugriff mit hinreichend Megabits pro Sekunde ist auch schlecht irgendetwas zu empfangen. Das interessiert Sie als Inhaltsgeber nicht so sehr, aber Sie brauchen das als Voraussetzung. Uns geht es natürlich auch um die Unterstützung junger kreativer Unternehmen in Deutschland in einem starken globalen Wettbewerb sowie darum, dass wir als Gesellschaft insgesamt innovativ sind, denn die Menschen müssen ja auch bei den Entwicklungen mitkommen und neue Möglichkeiten nutzen können. Natürlich wird mit der Massennutzung bestimmter Möglichkeiten auch wieder der Anreiz geschaffen, neue Programminhalte anzubieten. Es geht außerdem um das große Thema Sicherheit und Datenschutz, das wohl uns alle bewegt. Das Thema Breitbandausbau ist eigentlich schon so lange existent, wie es den privaten Rundfunk gibt. Es geht um etwas Ähnliches wie vor 30 Jahren, denn wenn man neue Übertragungsmöglichkeiten schaffen will, dann braucht man entsprechende Zugänge. Es geht um andere Kabel als damals, aber durchaus wiederum um etwas Vergleichbares.

Was nützt aber der modernste Zugang, wenn der Inhalt nicht geschützt ist? Herr Doetz, deshalb es ist hier schon erwähnt worden, nutzt die Deutsche Content Allianz dafür den Spruch: "Digital ist mehr als Technik." Ich unterstreiche das unbedingt. Die Deutsche Content Allianz ist ein wichtiges Bündnis, das verschiedene Inhalteanbieter zusammen ins Leben gerufen haben. Gemeinsames Ziel ist es, die Interessen der Kreativ- und Kulturwirtschaft im digitalen Zeitalter wirkungsvoll zu vertreten. Ich will ausdrücklich sagen: Wenn Kreativität und kulturelle Betätigung keinen Wert mehr haben, weil sozusagen der freie Zugang zu allem angeblich der Maßstab sein muss, dann geht Kreativität verloren. Deshalb müssen wir zusammenhalten. Dabei zeigt es sich, dass es auch deshalb gut ist, ein duales System in Deutschland zu haben, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk und der private Rundfunk hierbei zusammenarbeiten.

Ich glaube, gerade auf diesem Gebiet ist es aller Mühen wert, die Kräfte zu bündeln und sich für kluge Antworten einzusetzen. Wir brauchen eben beides: Wir brauchen Verbreitungswege, aber wir brauchen auch den Schutz der Inhalte; und wir brauchen gute Inhalte. Deshalb werden wir auch in der Politik dafür geradestehen, dass wir ein vernünftiges Urheberrecht brauchen. Aber ich habe das in den letzten vier Jahren verfolgt ich sage auch ganz offen: Die unterschiedlichen Interessen auch im parlamentarischen Bereich Sie haben über die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gesprochen sind heute nur noch sehr schwer zu bündeln. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Hauptziele nicht aus den Augen verlieren. Ein vernünftiges Urheberrecht gehört dazu.

Bei der Angleichung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz geistigen Eigentums ist natürlich den verschiedenen Interessen Rechnung zu tragen. Es muss aber eben möglich sein, aus kreativer Arbeit Einkünfte zu erzielen. Niemand soll Autoren, Filmemacher oder Musiker eigennützig um die Früchte ihrer Arbeit bringen. Jeder, der sich einmal auf deren Gebieten versucht hat, weiß ja, wie viel Arbeit dahinter steckt.

Die Digitalisierung der Medien bringt neue Geschäftsmodelle mit sich. Darin liegt eine große Chance des technologischen Fortschritts. Dabei stellen sich auch immer wieder neue Fragen gerade in Bezug auf den Umgang mit Inhalten. Natürlich müssen wir diese Fragen auch beantworten. Dabei gilt immer noch das, was seinerzeit bei der Einführung des privaten Rundfunks leitend war, nämlich die Pluralität der Medien und Meinungen zu wahren. Unser Land lebt von dieser Vielfalt. Sie spiegelt sich im breiten Buchmarkt, im Reichtum an Musik, in der lebendigen Filmwirtschaft und der unabhängigen Presselandschaft wider.

Diese Vielfalt müssen wir erhalten genau wie ihre Qualität. Hierbei kommen auch wettbewerbsrechtliche Fragen ins Spiel, wie es auch in der Realwirtschaft immer wieder der Fall ist. Da sind die Rundfunksender gefragt. Angesichts der Informationsflut, die die digitalen Technologien ermöglichen, brauchen wir auch hochwertigen Journalismus in möglichst allen Medien. Im Extremfall könnte man sozusagen für jeden Bürger, der sich im Mediennutzungsverhalten und mit seinen Interessen von anderen unterscheidet, eine Möglichkeit des digitalen Empfangs vorhalten. Ob das dann allerdings in solch einer Qualität möglich wäre, dass die Bürger auch noch einen Mehrwert davon haben, wage ich zu bezweifeln. Insofern wird es an Ihnen liegen, immer wieder Gruppen herauszufinden, die sich für gleiche Inhalte interessieren, die dann auch qualitativ hochwertig sind.

Die Pressefreiheit ist die Grundlage all dessen, was wir in Sachen Rundfunk tun. In Artikel 5 des Grundgesetzes ist sie garantiert. Wir wissen, dass es in vielen Ländern der Welt ganz anders aussieht. Auch das sollte an einem solchen Tag, an dem wir auf eine 30-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken können, in Erinnerung gerufen werden. In vielen Ländern herrscht Zensur, wird die Arbeit von Journalisten behindert oder das Internet blockiert. Es werden wirtschaftliche Gestaltungsspielräume eingeengt, unabhängige Berichterstattung wird sehr erschwert. Ich möchte all denen danken, die trotz widriger Umstände immer wieder sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch im privaten Rundfunk aus anderen Regionen der Welt berichten und ihre Eindrücke vermitteln.

Freiheit ist auch immer mit Verantwortung verbunden. Längst ist neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch der private Rundfunk eine wichtige Säule der demokratischen Meinungsbildung geworden. Deshalb stehen Sie als private Rundfunkanbieter auch in der Pflicht, zumal wir wissen, dass sich gerade auch junge Menschen zu privaten Sendern hingezogen fühlen. Deshalb möchte ich mich auch dafür bedanken, dass hier bei vielen doch ein hoher Anspruch herrscht. Es ist ja zart darauf hingewiesen worden, dass man nicht immer Geld damit verdient. Aber vielleicht hat man dann auch intelligente Zuhörer und Zuseher, mit denen man dann später auch viel Geld verdient.

Natürlich müssen auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Deshalb ist die Finanzierung über Werbung das, was für Sie wichtig ist. Sie sind auf diese Einnahmen angewiesen, damit auch ein annähernd fairer Wettbewerb zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Ihnen bestehen bleibt. Insgesamt liegt der Grundumsatz des privaten Rundfunks auch das muss man bei einer solchen Geburtstagsfeier sagen bei rund zehn Milliarden Euro. Er hat rund 25.000 Beschäftigte und zeitigt erhebliche Effekte für vor- und nachgelagerte Bereiche. Deshalb ist der private Rundfunk auch wirtschaftlich ein spannender und interessanter Faktor.

Man kann nicht mehr von Kinderschuhen sprechen; private Rundfunk- und Telemedienanbieter sind ihnen längst entwachsen. Sie haben sich gut entwickelt, differenziert und etabliert. Sie haben sich eigene Strukturen und ihre eigene Interessenvertretung geschaffen. Der Verband Privater Rundfunk und Telemedien erweist sich als gute Organisationskraft. Uns ist hier klargemacht worden, was man von uns politischerseits erwartet. Sie haben als Verband VPRT, nachdem die Vorgängerverbände 1990 fusionierten, mittlerweile 140 Mitgliedsunternehmen. Angesichts der rasanten technischen Entwicklung sind Sie für uns ein unabdingbarer Ansprechpartner das will ich ausdrücklich sagen. Denn in der Politik haben wir ja nicht jeden Tag Zeit, die neueste technische Entwicklung zu verfolgen. Deshalb sind wir auch auf Ihre wahrhaftige Information angewiesen und müssen abwägen, wie wir damit umgehen.

Deshalb sage ich danke danke auch für eine spannende Entwicklung. Ich weiß es noch: Als die Deutsche Einheit kam und ich Anfang der 90er Jahre an den ersten Diskussionen teilnahm ich glaube, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, schien mir das vielfältige Medienangebot noch sehr unüberschaubar zu sein. Aber inzwischen komme ich mit der Vielfalt gut klar wie Millionen andere Deutsche, die jeden Tag ihre Wahl treffen.

Ich wünsche alles Gute. Seien Sie ein fairer Wettbewerber. Bleiben Sie innovativ. Bleiben Sie guten Mutes. Eine gute Geburtstagsfeier. Herzlichen Dank.