Redner(in): Monika Grütters
Datum: 10. September 2014

Untertitel: Die Vielfalt in der Medien- und Kulturlandschaft zu sichern und dabei der Perspektive der Kunst zur Geltung zu verhelfen, das bleibe über das Haushaltsjahr 2015 hinaus eine große Herausforderung. Das erklärte Kulturstaatsministerin Grütters in der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/09/2014-09-10-gruetters-bundestag.html


Die Vielfalt in der Medien- und Kulturlandschaft zu sichern und dabei der Perspektive der Kunst zur Geltung zu verhelfen, das bleibe über das Haushaltsjahr 2015 hinaus eine große Herausforderung. Das erklärte Kulturstaatsministerin Grütters in der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag.

Grütters: Der Bund tut alles, was im Rahmen des Grundgesetzes möglich ist, um die kulturelle Vielfalt zu fördern.

Foto: Bundesregierung / Kugler

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Nach der bewegenden Gedenkstunde heute Vormittag zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 75Jahren fällt es in einer Debatte über den Kulturhaushalt, der auch die Mittel für die Erinnerungskultur und die authentischen Orte des Gedenkens einschließt, in der Tat nicht leicht, einfach zur Tagesordnung überzugehen.

Ich bitte den Fraktionsvorsitzenden der Linken, Herrn Gysi, ganz kurz zuzuhören. - Herr Petzold, Sie haben kritisiert, es seien Mittel für das Gedenken gestrichen worden. Das ist nicht richtig. Das Gegenteil ist der Fall: Mehrere neue Gedenkstätten wie zum Beispiel der Jugendwerkhof Torgau wurden in die Gedenkstättenkonzeption aufgenommen. Außerdem haben wir die Mittel für dieses Gedenkjahr erheblich erhöht, unter anderem, weil wir die Ausstellung zur friedlichen Revolution vor 25Jahren am Standort Normannenstraße neu errichten möchten.

Mit Blick auf unsere Gedenkstunde und die aktuelle politische Situation bin ich dankbar für den geradezu symbolträchtigen Zufall, dass sich ausgerechnet heute, am 10. September 2014, die Überführung des wohl berühmtesten Picasso-Bildes nach Spanien zum 33. Mal jährt. Es ist ein Gemälde, das, so denke ich, wie kaum ein anderes geradezu symbolhaft wie eine zeitlose Antikriegsikone wirkt.

Es ist das Bild "Guernica". Dieses Bild sollte nach Picassos Willen erst dann in sein Heimatland Spanien rücküberführt werden ‑ es war bis dahin im MoMA in New York ‑ , wenn sein Heimatland wieder eine Demokratie ist. Es ist 1937 unter dem Eindruck der deutsch-italienischen Luftangriffe während des spanischen Bürgerkriegs entstanden. Guernica, die gleichnamige baskische Stadt, wurde dabei dem Erdboden gleichgemacht; mehr als 1500 unschuldige Menschen wurden ermordet. Auf rund 27 Quadratmetern Leinwand sind heute tote, verstümmelte, in Panik flüchtende Menschen und Tiere zu sehen, abgetrennte Gliedmaßen, aufgerissene Münder - das blanke Entsetzen eines Krieges eben."Guernica" offenbart schonungslos die Gräuel jedes Krieges und zwingt uns, zu sehen, was im bloßen Abwägen des Für und Wider eben nicht immer sichtbar wird. Darin liegt das Subversive, das Verstörende, aber eben auch die Kraft der Kunst, auch dieses Werkes.

Kein Flash-Plugin vorhanden. Um diese Webseite darstellen zu können, wird der Adobe Flash Player ab Version 9 benötigt.

Es sagt viel über die Verfasstheit einer Gesellschaft aus, ob sie bereit ist, sich damit wirklich auseinanderzusetzen. Wir haben nicht zuletzt aus unserer Erfahrung mit der menschenverachtenden Diktatur des Nationalsozialismus die Lehre gezogen, dass wir die Künstler, die Kreativen, die Vor- , die Querdenker als kritisches Korrektiv unserer Gesellschaft brauchen, als Stachel im Fleisch der Demokratie- deshalb ist deren Freiheit schon sehr früh in der Verfassung, in Artikel 5, festgeschrieben. Sie sind es, die immer wieder Grenzen ausloten, provozieren, hinterfragen, aber eben auch verhindern, dass intellektuelle Trägheit, argumentative Fantasielosigkeit und auch manche politische Bequemlichkeit die Demokratie einschläfern. Vielfalt und Freiheit für Kultur und Medien zu sichern, muss deshalb oberster Grundsatz unserer Kulturpolitik sein.

Wenn wir über den Kultur- und Medienetat reden, meine Damen und Herren, dann reden wir immer auch darüber, was uns die kulturelle Vielfalt und Freiheit wert ist. Deshalb bin ich froh, dass wir den Kulturhaushalt des Bundes trotz des notwendigen und richtigerweise strikten Sparkurses auch gegenüber dem zweiten Regierungsentwurf des Haushalts 2014 noch einmal leicht erhöhen konnten. Das ist auch ein Bekenntnis der Regierung zum besonderen Stellenwert der Kunst und Kultur. Ich bin froh, dass dies hier sehr wohl fraktionsübergreifend unterstützt wird.

Eine in diesem Sinne gute und enge Zusammenarbeit wünsche ich mir aber auch mit den Ländern und Kommunen. Ich habe nach dem ersten Treffen im März mit den 16 Kulturministerkolleginnen und -kollegen der Länder sowie den Vertreterinnen und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände vereinbart, dass wir uns künftig zweimal im Jahr in dieser Zusammensetzung treffen. Das hatte es noch nie gegeben, aber es soll jetzt wegen der guten Erfahrungen verstetigt werden.

Außerdem bin ich in den letzten Monaten in 27 Städten und Kommunen gewesen und habe immer wieder zwei Erfahrungen machen müssen.

Die eine Erfahrung ist: Es gibt Länder, die aufgrund des Engagements des Bundes die Mittel für ihre Länderprogramme, beispielsweise Nordrhein-Westfalen im Bereich des Denkmalschutzes, prompt nicht nur herunterfahren, sondern ganz streichen. So war das nicht gemeint, und so darf es auch nicht sein. Wir müssen die Länder gelegentlich durchaus öffentlich stärker in die Pflicht nehmen. Auf Kulturhoheit pochen und sich bei der Finanzierung aus der Verantwortung stehlen - das geht so nicht!

Zum anderen sehen wir, dass gelegentlich Kommunen, die ja eigentlich sehr viel für die Kultur tun - natürlich kennen auch wir die finanziellen Nöte der Städte und Gemeinden - jetzt gerade hier den Rotstift ansetzen. Das kostet mittelfristig mehr, als es an Einsparungen bringt; das wissen wir. Ich bitte Sie, auch in Ihren Wahlkreisen immer mal wieder auf diesen Mechanismus hinzuweisen- das muss man nämlich vor Ort tun - und nicht nur hier zu applaudieren.

Der Bund tut alles, was im Rahmen des Grundgesetzes möglich ist, um die kulturelle Vielfalt vor Ort zu fördern. Da gibt es nicht nur herausragende Programme wie zum Beispiel den Kinoprogrammpreis, den Spielstättenprogrammpreis und das Programm zur Förderung der Digitalisierung von Kinos, damit sie als Kulturorte erhalten bleiben, sowie die Denkmalschutzprogramme - auch im Bereich Buch wollen wir künftig etwas tun- , sondern wir entlasten die Kommunen auch materiell, zum Beispiel bis 2016 von den Pflichtleistungen für Kosten der Unterkunft und Grundsicherung im Alter, und zwar in Milliardenhöhe. Das schafft Investitionsfreiräume, die gut für freiwillige Leistungen und da zuvörderst für die Kultur genutzt werden können.

Im Rahmen dieses kleinen kulturföderalistischen Exkurses möchte ich aber auch sagen, dass vieles in der Zusammenarbeit supergut funktioniert. Ich bin ehrlich stolz, dass es in Zusammenarbeit mit allen Bundesländern, mit den Kommunen und der Kulturstiftung der Länder gelingen wird, unser Deutsches Zentrum Kulturgutverluste tatsächlich noch Ende dieses Jahres an den Start zu bringen- in Form einer Stiftung, die in Sachsen-Anhalt gegründet wird. Wir haben darüber hinaus auch international Erfolge: die Vereinbarung mit der israelischen Regierung über die Zusammenarbeit ist geschlossen. Dass das in so kurzer Zeit auf beiden Seiten möglich war, zeigt, finde ich, wie Zusammenarbeit in der Kultur funktionieren kann.

Das ist deshalb wichtig, weil es in 60Prozent aller Museen Bestände gibt, die noch nicht erforscht sind, aber nur 10Prozent dieser Museen die Mittel haben, um solch eine Arbeit zu leisten. Ich finde, es ist unser aller Aufgabe, dabei zu helfen, und das tun wir gern.

Ein weiteres Thema, das in Gesprächen mit Künstlern und Kreativen immer wieder hochkommt, ist die Sorge, dass die Vielfalt der Kultur in unserem Land Stück für Stück dem Primat des Ökonomischen geopfert werden könnte. Ich nehme diese Sorge sehr ernst und werde einiges tun, um die Freiheit der Kunst konkret zu stärken. Das gilt zum Beispiel für die staatliche Filmförderung‑ der Film hat eben einen Doppelcharakter: Wirtschaftsgut und Kulturgut‑ , das gilt aber natürlich auch für die Buchpreisbindung. Gerade Filme und Bücher sind in unserer Kulturnation wichtig, weil sie viel mehr sind als bloße Handelsobjekte.

Deshalb habe ich mich auch mit den Autoren solidarisiert, die von Amazon unter Druck gesetzt worden sind. Natürlich sind Rabattverhandlungen mit den Verlagen wirtschaftlich legitim. Ich glaube, der Sündenfall besteht in diesem Fall darin, dass man sich an den Autoren, an den Künstlern, die am Beginn der Kette stehen, rächt, wenn die Verlage auf die Rabattforderungen nicht eingehen. Das geht kulturpolitisch wirklich zu weit.

Es gibt ja nur einen kleinen Handlungsspielraum für Gegenmaßnahmen. Wir können über kartellrechtsähnliche Regeln bei Google, Amazon usw. nachdenken, aber wir können natürlich auch kulturpolitisch etwas tun, zum Beispiel mit einem Preis für kleine, inhabergeführte Buchhandlungen, um dieses Netz geistiger Tankstellen, wie Helmut Schmidt es so schön gesagt hat, ein bisschen zu stärken. Ich glaube, dass selbst kleine Summen‑ analog zum Kinoprogrammpreis ‑ große Wirkung entfalten können. Damit passen wir auch unsere Arbeit an diese neue Herausforderung an.

Am Beispiel Amazon sehen wir aber auch, worin die vielleicht größte Herausforderung für die Kultur- und Medienpolitik im digitalen Zeitalter besteht: Es geht darum, die Rahmenbedingungen für ästhetische Vielfalt und Meinungsvielfalt der digitalen Lebenswirklichkeit anzupassen. Die Demokratie lebt von unterschiedlichen Standpunkten, Perspektiven und Weltanschauungen. Diese Vielfalt in unserer Medien- und Kulturlandschaft zu sichern und dabei der Perspektive der Kunst zur Geltung zu verhelfen ‑ neben dem Blickwinkel der Ökonomie, des Rechts, der Wissenschaft, der Religion ‑ , das bleibt, glaube ich, über das Haushaltsjahr 2015 hinaus eine große Herausforderung. Dabei hoffe ich natürlich weiterhin auf Ihre Unterstützung, ganz im Sinne Pablo Picassos, der ‑ das möchte ich zum Abschluss sagen ‑ , lange bevor er "Guernica" gemalt hat, es einmal so formuliert hat ‑ ich zitiere: Wir alle wissen, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist - manchmal ‑ eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können.

Ich danke Ihnen.