Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 26.01.2001
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/71/29671/multi.htm
In der Ethik geht es, wenn man sie richtig versteht, nicht nur um Verbote, sondern auch um verantwortungsvolle Abwägung. Im Zentrum der moralischen Pflichten steht die Rücksichtnahme auf die Interessen der Menschen. Aber es gibt auch eine Verantwortung für die Bedürfnisse von Tieren.
Die Veränderungen in Wissenschaft und Technik stellen die Menschheit vor neue Entscheidungssituationen, die die schlichte Verlängerung des Gewohnten in Konflikt mit dem moralisch Gebotenen bringen. Zum Gewohnten zählt der Wunsch der Verbraucher nach günstigen Nahrungsmitteln. Dies ist verständlich. Die Landwirtschaft hat sich daher einem in früheren Zeiten ungekannten Rationalisierungszwang unterworfen, die industrialisierte Landwirtschaft ist weit vorangeschritten.
Nur wenige wählen beim Einkauf der Lebensmittel auch danach aus, ob sie ökologisch verträglich und mit Rücksicht auf die Interessen von Tieren produziert wurden oder nicht. Hier scheint jedoch der Schlüssel für die Verbindung ökonomischer Vernunft mit Forderungen der Ethik zu liegen: Wenn immer mehr Konsumenten die Entscheidung an der Ladentheke davon abhängig machen, ob das jeweilige Produkt umweltschonend und möglichst artgerecht hergestellt wurde, so wird eine naturnähere Landwirtschaft sich auf dem Markt besser behaupten können. Die Risiken auch für die menschliche Gesundheit werden sinken.
Kein Bürger darf die Verantwortung für Mensch und Tier allein dem Staat überlassen, dessen Aufgabe es ist, über Gesetzgebung und die Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften größtmöglichen Schutz zu gewährleisten. Daneben sind aber immer auch die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst mitverantwortlich, nicht nur für ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihrer Familien, sondern auch für die Lebenssituation von Hunderttausenden Nutztieren und für die mit der Landwirtschaft einhergehenden Umweltbelastungen. Nicht nur der Staat, nicht nur die Landwirtschaft, nicht nur die Bäuerinnen und Bauern, sondern auch jede einzelne Verbraucherin und jeder einzelne Verbraucher müssen den ethischen Erfordernissen eigenverantwortlich gerecht werden.
Quelle: "DIE WOCHE" 05/01, vom 26. Januar 2001