Redner(in): Rolf Schwanitz
Datum: 01.02.2001
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/14/30314/multi.htm
Seit Anfang der 90er Jahre hat sich die Zahl der selbständigen Existenzen im Handwerk bis heute mit rund 126.000 Betrieben ungefähr vervierfacht. 1,2 Millionen Menschen im ostdeutschen Handwerk erstellen knapp ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung in den neuen Ländern. Und auch für die beruflichen Perspektiven der jungen Generation ist das Handwerk von unschätzbarem Wert, denn fast die Hälfte der Ausbildungsplätze - im letzten Jahr waren es ca. 45 % - werden vom Handwerk angeboten.
Der Bundesregierung ist deshalb wichtig, neue Existenzen zu fördern und bestehende zu sichern. Gute Perspektiven bestehen aufgrund des starken Wachstums im ostdeutschen Verarbeitenden Gewerbe - seine Produktion stieg in den letzten Jahren jeweils um rund 10 % - , im industrienahen Zulieferhandwerk und in den produktionsnahen Handwerksbetrieben, wie z. B. im Metallbau. Andererseits sind im Bau- und Ausbaugewerbe durch hohe steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten nach der Vereinigung in den neuen Ländern erhebliche Kapazitäten gefördert worden, die sich heute nur noch teilweise und unter sehr schwierigen Bedingungen im Markt behaupten können.
Einen wichtigen Schub verleiht die Unternehmensteuerreform dem Handwerk. Gerade kleine und mittlere Betriebe werden spürbar entlastet weil der Grundfreibetrag angehoben, der Eingangssteuersatzes und die pauschale Gewerbesteueranrechnung gesenkt werden. Handwerk und Mittelstand werden in Deutschland insgesamt bis 2005 um rund 18 Mrd. DM entlastet.
Darüber hinaus wird das Handwerk unterstützt, indem berufliche Aus- und Fortbildung, Innovation und Technologietransfer direkt gefördert werden. Bei den ERP-Programmen, die Hilfen zur Verbesserung der Eigenkapitalbasis sowie zur Umsetzung des Umweltschutzes in der Wirtschaft bieten, stehen 2001 wiederum rund 6 Mrd. DM für kleine und mittlere Unternehmen in den neuen Ländern bereit. Die Eigenpogramme der Förderbanken des Bundes stellen Existenzgründern eine neue Hilfen zur Verfügung: z. B. das vor eineinhalb Jahren eingerichtete Startgeld-Programm der Deutschen Ausgleichsbank ( DtA ) . Die Verbesserung der Zahlungsmoral, ein Problem, das ganz oben auf der Agenda der Handwerksfirmen stand, ist durch die 2002 verabschiedeten Änderungen im BGB ein gutes Stück vorangekommen. Um den in Schwierigkeiten geratenen Betrieben zu helfen, hat die Deutsche Ausgleichsbank ihr Beratungsstellennetzwerk und die "Runden Tische" ausgebaut.
Doch es genügt nicht, den Blick allein nach innen zu richten. In wenigen Jahren werden unsere osteuropäischen Nachbarn zu Mitgliedern der Europäischen Union. Damit ist der Weg zu Frieden, Stabilität und Wohlstand für ganz Europa frei.
Vor allem Deutschland - daran kann kein Zweifel bestehen - wird durch die Osterweiterung wirtschaftlich insgesamt gewinnen. Viele machen sich jedoch Sorgen vor einem nicht zu bewältigendem Zustrom an Arbeitskräften und einer wachsenden Billigkonkurrenz. Diese Sorgen nimmt die Bundesregierung ernst.
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat deshalb vor Kurzem ein Konzept zur Arbeitnehmerfreizügigkeit vorschlagen, das eine Übergangsfrist von sieben Jahren für Arbeitnehmer aus Osteuropa vorsieht. Zugleich erlaubt dieses Konzept, die unterschiedlichen Interessen der Unternehmen zu berücksichtigen. Bei allgemeinem und fachlichem Arbeitskräftemangel in Deutschland können gemäß nationalem Recht kontrollierte Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies berücksichtigt die Situation vieler Betriebe, die heute bereits auf Arbeitskräftezuwanderung angewiesen sind. Parallel ist in dem Konzept vorgesehen, für die Übergangsfrist die Dienstleistungsfreiheit insbesondere im Handwerk und in der Bauwirtschaft einzuschränken, damit diese nicht durch Scheinselbstständigkeit umgangen werden kann.
Dieses flexible Konzept gewährleistet dem Handwerk, sich auf die EU-Osterweiterung in einem angemessenen Zeitraum von ca. einer Dekade ( die ersten Beitritte werden nicht vor 2003 stattfinden ) einzurichten.
Das Handwerk wird in Deutschland seinen sprichwörtlich goldenen Boden nicht verlieren. Im Gegenteil, es wird auch künftig Lebens- und Arbeitsperspektive für Millionen von Menschen sein.
In: Das Wirtschaftsmagazin für den Mittelstand, Hans Holzmann Verlag, Februar 2001