Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 03.02.2001

Untertitel: Wir leben in einer Welt rasanter Veränderungen. Dieser Wandel, dessen Teil wir alle sind, hat Auswirkungen auf Europa, auf Amerika und natürlich auch auf das transatlantische Verhältnis.
Anrede: Meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/33/30333/multi.htm


Wir leben in einer Welt rasanter Veränderungen. Dieser Wandel, dessen Teil wir alle sind, hat Auswirkungen auf Europa, auf Amerika und natürlich auch auf das transatlantische Verhältnis.

Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie in besonderer Weise offen sind für neue Entwicklungen. Aber ich denke, auch auf dieser Seite des Atlantik setzen wir alles daran, die Chancen der neuen technischen und wirtschaftlichen, aber auch der kulturellen und politischen Entwicklungen umfassend zu nutzen.

Deutschland - ich denke, das gilt auch für ganz Europa - verwirklicht derzeit tiefgreifende Reformen, die uns in die Lage versetzen werden, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wirklich erfolgreich zu begegnen. Dabei erscheint es mir jedenfalls nützlich, auch Entwicklungen jenseits des Atlantik aufmerksam zu verfolgen und dort, also in den Vereinigten Staaten, gemachte Erfahrungen bei uns stärker zu berücksichtigen. Denn die transatlantische Partnerschaft ist keine erstarrte Routine. Sie ist eine lebendige Partnerschaft, die sich ständig wandeln und auf diese Weise weiterentwickeln muss. Genau das macht sie leistungsstark und zukunftsfähig.

Deutsche Außenpolitik ist Politik in Europa, für Europa und natürlich Politik von Europa aus. Mit unseren europäischen Partnern wollen wir die europäische Einigung entschlossen voranbringen. Dabei ist für uns die enge deutsch-französische Zusammenarbeit von herausragender Bedeutung.

Die Vertiefung und die Erweiterung der Europäischen Union sowie die Stärkung ihrer politischen Handlungsfähigkeit werden uns unserem großen Ziel näher bringen: Wir wollen ein leistungsfähiges Europa, das den Vereinigten Staaten ein starker Partner bei der gemeinsamen Bewältigung der globalen Herausforderungen sein kann. Wir wollen ein Europa, das seinen Reichtum in seiner Vielfalt und den schöpferischen Fähigkeiten seiner Menschen sieht, und ein Europa, das offen ist für den weltweiten Wettbewerb um die besten Lösungen für die dringenden Zukunftsfragen.

Die europäische Integration hat dem Westen unseres Kontinents bisher eine beispiellose Erfolgsgeschichte der Demokratie, des Friedens, der Freiheit und auch des Wohlstands ermöglicht. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, auch Mittel- und Osteuropa an dieser Erfolgsgeschichte teilhaben zu lassen.

Beim Treffen des Europäischen Rats in Nizza hat die Europäische Union ihr Versprechen gegenüber den Beitrittskandidaten eingelöst, sich bis zum 1. Januar 2003 aufnahmefähig für neue Mitglieder zu machen. Nun liegt es in erster Linie an den Beitrittsländern, die Reformen so voranzutreiben, dass sie aufgenommen werden können. Sie müssen also durch den Prozess der inneren Reformen selbst für ihre Beitrittsfähigkeit sorgen.

Europa muss über die Fähigkeit verfügen, auch eigenständig auf Krisen zu reagieren. Hierzu haben wir in Nizza wegweisende Beschlüsse gefasst. Wir Europäer wollen und werden bis 2003 imstande sein, humanitäre, friedensbewahrende und friedensschaffende Maßnahmen durchzuführen. Hierzu leistet Deutschland seinen Beitrag politisch und - wo nötig - eben auch militärisch.

Was wir in Nizza auf dem Gebiet der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verabredet haben, wird auch für die transatlantische Zusammenarbeit von großem Nutzen sein. Denn ein sicherheitspolitisch handlungsfähiges Europa wird, durch die Stärkung des europäischen Pfeilers, die Allianz insgesamt stärken.

Dies ergibt sich schon daraus, dass die allermeisten Mitglieder der Europäischen Union auch der Nato angehören, so wie auch die meisten Nato-Mitglieder ihrerseits der Europäischen Union angehören. Deshalb brauchen wir ein größtmögliches Maß an Transparenz, eine enge und frühzeitige Abstimmung zwischen Europäischer Union und NATO. Außerdem müssen diejenigen europäischen NATO-Mitglieder, die nicht der Europäischen Union angehören, ihren Beitrag zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leisten können.

Die Europäische Union wird nicht nur militärische Krisenreaktionskräfte bereitstellen, sondern dem zivilen Krisenmanagement besondere Bedeutung beimessen. Militärische Maßnahmen dürfen nach unserer Auffassung stets nur Ultima Ratio sein. Wir werden daher Richter und Polizisten, Wirtschaftsfachleute und Verwaltungsexperten darauf vorbereiten, einen nachhaltigen Beitrag zur Schaffung und Stärkung rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen in Krisengebieten zu leisten.

Auch in der transatlantischen Zusammenarbeit haben wir in der Vergangenheit Erfolge erreicht, die sich sehen lassen können. Wir sind im Rahmen der NATO durch eine in der Geschichte beispiellose enge Partnerschaft verbunden. Unsere Beziehungen sind verankert in einer stabilen Wertegemeinschaft, zahlreichen gemeinsamen Interessen und einem engen Geflecht politischer, wirtschaftlicher, aber eben auch kultureller Kontakte. Gemeinsam konnten Europäer und Amerikaner seit mehr als fünfzig Jahren Frieden und Stabilität im transatlantischen Raum sichern und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zur Überwindung der Teilung Europas beitragen. Deutschland hat seine staatliche Einheit wiedergewinnen können und bringt an der Seite seiner Partner sein Gewicht für die Ziele der Atlantischen Allianz zur Geltung.

Aber natürlich ist das transatlantische Verhältnis des Jahres 2001 nicht mehr dasselbe wie das des Jahres 1949. Vor allem stehen auf europäischer Seite nicht mehr nur Einzelstaaten, sondern darüber hinaus eine Union, die zunehmend enger zusammenwächst. Darauf muss sich unsere Zusammenarbeit einstellen. Wir müssen lernen, auch mit gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlichen Interessen verantwortungsvoll umzugehen. Dabei könnte es im bilateralen, im deutsch-amerikanischen Verhältnis nützlich und darum überlegenswert sein, das Netz der zivilgesellschaftlichen Verbindungen noch weiter zu stärken und an die neuen Gegebenheiten und Erfordernisse anzupassen.

Die schon bestehende und ganz enorme wirtschaftliche Verflechtung wird uns dabei helfen. Immerhin gehen mehr als 50 Prozent der US-amerikanischen Auslandsinvestitionen nach Europa, übrigens die Hälfte davon nach Deutschland. Das zeigt die Bedeutung dieser Zusammenarbeit. Fast 50 Prozent der EU-Auslandsinvestitionen gehen in die USA. Ich denke, das ist eine außerordentlich starke Basis, die man nutzen kann und entwickeln muss. Hierbei können wir auf die jungen Menschen und ihre kulturellen Interessen setzen, aber auch auf die selbstverständliche Internationalität, zum Beispiel der New Economy.

Die Partnerschaft zwischen Europa und Amerika - dessen bin ich sicher - wird auch in Zukunft ihren Wert gerade darin erweisen, dass wir bei unterschiedlichen Auffassungen zu Kompromissen und zu gemeinsamen Lösungen fähig sind. Es gibt solche Meinungsverschiedenheiten. Wir wissen das und können das auch ansprechen, zum Beispiel in der Handelspolitik. Ich nenne die Konflikte um die Vermarktung von Bananen - ein enorm wichtiger Bereich, wie wir alle wissen - , aber eben auch die um hormonbehandeltes Rindfleisch, um die Airbus-Förderung, um Steuervergünstigungen für amerikanische Exporte und um die Anwendung von amerikanischen Handelssanktionen auf Drittstaaten.

Vielleicht finden die USA ja neuen Mut, alte und frühere Bedenken zu überwinden und erste Schritte zu einer transatlantischen Handelszone zu übernehmen, mit Europa und im gemeinsamen Nutzen.

Im Bereich der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestanden auf amerikanischer Seite ursprünglich Besorgnisse hinsichtlich der Auswirkungen auf die NATO. Seit dem Gipfel von Washington, seit April 1999 also, ist die europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität Teil eines strategischen Konzeptes der NATO. Davon gehen wir aus. Ich bin sicher, dass das auch in den Vereinigten Staaten so gesehen wird. Unsere Freunde jenseits des Atlantik, aber auch in anderen Teilen der Welt werden erkennen: Ein gemeinsam handelndes Europa wird ein verlässlicher und wahrscheinlich noch wertvollerer Partner sein als jeder europäische Nationalstaat für sich.

Den NATO-Partnern ist es in gemeinsamem Einsatz gelungen, Mord, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen auf dem Balkan Einhalt zu gebieten und die Weichen für einen Übergang zu Frieden und Stabilität für Jugoslawien und seine Nachbarstaaten zu stellen. Nur durch gemeinsames Handeln können wir in dieser schwierigen Region etwas bewegen. Daher müssen wir die langfristige Aufgabe der Stabilisierung und Demokratisierung auch gemeinsam zu Ende führen; denn die Präsenz der NATO und der Einschluss unserer transatlantischen Partner in der Region werden auf absehbare Zeit unverzichtbar bleiben.

In der Nahostregion werden die Bemühungen um den Abbau der Spannungen und eine für alle Seiten akzeptable Friedenslösung umso erfolgreicher sein, je enger sich die USA und Europa miteinander abstimmen. Deutschland wird sich dafür einsetzen, dass entsprechende Kontakte mit den Verantwortlichen der neuen amerikanischen Administration möglichst bald aufgenommen werden können.

Auch die weitere Modernisierung der NATO, vor allem die Umsetzung der Initiative zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit erfordert eine enge transatlantische Kooperation. Die Bundesregierung hat besondere Anstrengungen zur Realisierung dieses wichtigen Projekts unternommen. Dazu gehört insbesondere die von Verteidigungsminister Rudolf Scharping zielstrebig betriebene Reform der Bundeswehr, die tiefgreifendste und sicher auch schwierigste in ihrer Geschichte. Sie richtet die Streitkräfte auf die Herausforderungen der Zukunft aus. Damit wird Deutschland einen qualitativ deutlich verbesserten Beitrag zu den neuen Aufgaben des Bündnisses leisten können.

Die Allianz wird sich auch mit der Frage der zukünftigen Aufnahme weiterer neuer Mitglieder zu befassen haben. Wir haben beim NATO-Gipfel in Washington bekräftigt, dass das Bündnis offen für die Aufnahme neuer Mitglieder bleibt. Auch in dieser Frage ist eine enge transatlantische Abstimmung unverzichtbar. Ein entscheidendes Kriterium für die Aufnahme neuer Mitglieder bleibt dabei für uns, dass die Beitrittskandidaten jeweils in der Lage sind, die Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten von Mitgliedern der Allianz wahrzunehmen, und dass ihre Aufnahme die Sicherheit und Stabilität in Europa insgesamt verbessern hilft.

Auch für den Umgang mit Russland brauchen wir eine transatlantische Abstimmung. Deutschland setzt sich seit langem für eine enge internationale Einbindung Russlands in die demokratischen Strukturen und in die sicherheitspolitische wie auch wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa ein. Bei den Bemühungen um die Gewährleistung dauerhafter Stabilität und Sicherheit in Europa spielt Russland eine herausgehobene Rolle. Bei meinem kürzlichen privaten Besuch in Moskau habe ich feststellen können, dass Präsident Putin grundsätzlich aufgeschlossen ist für eine Intensivierung der Beziehungen seines Landes zur Europäischen Union und auch zum Atlantischen Bündnis. Ein Dialog mit der russischen Führung hierüber liegt in unserem gemeinsamen Interesse.

In unsere transatlantische Zusammenarbeit müssen wir auch die Möglichkeiten der OSZE besser einbringen, der einzigen europäischen Regionalorganisation, der sowohl Russland als auch die USA und Kanada angehören. Gerade durch die Förderung von Demokratie, Rechtssicherheit und Menschenrechten kann die OSZE eine wesentliche Rolle dabei spielen, eine stabile Friedensordnung für ganz Europa aufzubauen. Und wir müssen gemeinsam die Vereinten Nationen als die zentrale Organisation zur Wahrung des Weltfriedens stärken. Die dringend notwendigen Reformen, insbesondere im Bereich der Friedensmissionen, des Sicherheitsrates und der Finanzen, werden langfristig nur gelingen, wenn Europa und Amerika auch hier an einem Strang ziehen.

Generalsekretär Kofi Annan hat dem Millenniums-Gipfel im vergangenen September einen - wie ich finde -bemerkenswerten Bericht über die Rolle der Vereinten Nationen im gerade begonnenen 21. Jahrhundert vorgelegt. Wir werden sein engagiertes Wirken an der Spitze der Vereinten Nationen auch in Zukunft nach Kräften unterstützen.

Vor allem auch bei der Rüstungskontrolle und Abrüstung dürfen wir als transatlantische Gemeinschaft in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Wir müssen uns mit Nachdruck gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einsetzen. Dabei verfolgen wir weiterhin das langfristige Ziel, eine Welt zu schaffen, die frei ist von Massenvernichtungswaffen.

Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, den rüstungskontrollpolitischen Acquis zu erhalten und ihn - wo und wann immer möglich - auch fortzuentwickeln. Auch daher liegt uns Europäern sehr daran, mit der neuen amerikanischen Regierung einen intensiven Meinungsaustausch im Rahmen der NATO über das in Aussicht genommene System zur nationalen Raketenabwehr zu führen. Dabei sollten wir nach gemeinsamen Antworten auf die bestehenden und auf die neuen Bedrohungen der Sicherheit suchen. Ich weiß sehr wohl, dass das keine leichte Aufgabe sein wird, aber ich denke, es ist eine besonders wichtige Aufgabe. Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Einsatz für weltweite Fortschritte bei der Rüstungskontrolle und Abrüstung auch auf dem Gebiet der konventionellen Waffen.

Jenseits der Sicherheitspolitik im herkömmlichen Sinne eröffnet uns die Globalisierung neue Chancen, die wir nutzen müssen. Sie bringt - darüber kann kein Zweifel bestehen - aber auch Risiken mit sich. So hat sich durch die immer engere Verflechtung der Staatengemeinschaft auch das Risikopotenzial vieler grenzüberschreitender Probleme erhöht. Die Auswirkungen von destabilisierten regionalen Finanzmärkten, von Massenarmut, von Krankheit und Umweltzerstörung, aber auch von Terrorismus und organisiertem Verbrechen machen immer weniger an den Grenzen einzelner Staaten Halt. Eine weitere Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit ist notwendig, um solche Risiken rechtzeitig einzudämmen. Hierbei tragen Europa und Amerika eine besondere Verantwortung.

Einiges ist schon in die Wege geleitet. Ich nenne beispielhaft die geplante Reform des IWF unter der Leitung von Horst Köhler, aber auch die eingeleitete Entschuldung der hoch verschuldeten Entwicklungsländer, die unter deutscher Präsidentschaft beim G 8-Gipfel in Köln beschlossen wurde. Viel bleibt noch zu tun, etwa beim Umweltschutz, bei der Bekämpfung von Krankheiten oder bei der Verbesserung von Bildungsmöglichkeiten. Wir leben in einer Welt. Wenn man mit den Vertretern der internationalen Organisationen, etwa mit dem Präsidenten der Weltbank, darüber spricht, dann wird einem das in besonderer Weise deutlich.

Das bedeutet: Nur in enger Partnerschaft können wir gemeinsam die großen Aufgaben in der sich so rasch wandelnden Welt meistern. Wir müssen die Chancen nutzen, die sich aus der Bereitschaft zur Erneuerung auf beiden Seiten des Atlantik ergeben. Die feste Grundlage unserer gemeinsamen Werte und Prinzipien bietet dabei die Gewähr dafür, dass wir erfolgreich sein werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

DR. TELTSCHIK: Herzlichen Dank, Herr Bundeskanzler. Sie haben die ganze Bandbreite der Themen angesprochen, die Gegenstand der Zusammenarbeit in den transatlantischen Beziehungen sein werden und auch sein müssen.

Meine Damen und Herren, trotz der Grippe ist der Bundeskanzler bereit, noch einige Fragen entgegenzunehmen. Ich bitte darum, die Chance zu nutzen.

FRAGE: Ihre Formulierung vom rüstungskontrollpolitischen Acquis hat ja einiges in sich und bezieht sich offenbar auch gerade auf die Frage, wie weit aus der Sicht der Bundesrepublik die amerikanischen Pläne für ein Raketenabwehrsystem vorangebracht werden sollten oder nicht und unter welchen Bedingungen. Heißt das für Sie, der ABM-Vertrag muss so erhalten werden, wie er ist, oder heißt es: Solange ein Gerüst dieses Vertrages bestehen bleibt, würden die Bedenken der Bundesrepublik gegen ein solches Abwehrsystem geringer werden?

BK SCHRÖDER: Ich denke, dass ich deshalb vom Acquis gesprochen habe, weil sich das dann nicht auf einen einzelnen Vertrag in seiner gegenwärtigen Form bezieht, sondern Entwicklungsmöglichkeiten offen lässt.

Was NMD angeht, plädiere ich aus deutscher Sicht zunächst dafür, dass wir nicht so tun, als wenn diese Frage die einzige wäre, die im deutsch-amerikanischen Verhältnis von Interesse ist. Sie ist von großem Interesse; das ist keine Frage. Aber sie definiert nicht das deutsch-amerikanische Verhältnis. Ich würde mir wünschen, dass man auch intern in Deutschland eine Diskussion über die gesamte Bandbreite des deutsch-amerikanischen Verhältnisses führt und nicht den Fehler macht, es allein auf diese Frage zu konzentrieren.

Zweitens. Um Fragen in dieser Diskussion beantworten zu können, braucht man zunächst einmal Klarheit über das, was Inhalt der Pläne der Vereinigten Staaten ist. Ich sehe diese hinreichende Klarheit noch nicht. Diese Fragen werden im Dialog mit der neuen Administration zu klären sein. Dabei geht es um Unterfragen, zum Beispiel um die Klärung, welches Bedrohungsszenario vor oder hinter den Plänen steht. Es geht - was uns sehr interessiert - auch um die technische Realisierbarkeit. Es könnte ja sein, dass die Beantwortung dieser Frage Auswirkungen auf die Implementierung hat. Natürlich geht es um Auswirkungen auf Europa, übrigens auch in technologischer Hinsicht. Auch das sind Fragen, die man im Dialog klären muss.

Und das kann hier keine Frage sein: Wir haben uns innerhalb der Nato, innerhalb der Allianz über die Frage zu unterhalten, welche Auswirkungen eine denkbare Implementierung dieses Systems auf das Verhältnis zu Russland auf der einen Seite und zu China auf der anderen Seite hat. Nur wenn man dies in den nächsten Wochen und Monaten vertrauensvoll - ich betone: vertrauensvoll - mit den amerikanischen Partnern diskutiert, kann man eine sinnvolle Entscheidungsgrundlage schaffen. Das ist der Grund dafür, warum voreilige Festlegungen in der einen oder anderen Richtung dem Problem nicht angemessen gerecht werden.

FRAGE: Herr Bundeskanzler, Sie haben davon gesprochen, dass Europa den Vereinigten Staaten ein starker Partner bei den globalen Herausforderungen sein werde. Bezieht sich das auch auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen einschließlich ihrer militärischen Teile? Das ist ja die Frage, auch die Frage nach dem Einsatzzweck, der Einsatzbreite und dem Einsatzraum der zu schaffenden europäischen Streitkräfte.

BK SCHRÖDER: Ich denke, dass man die Frage nur so beantworten kann, dass es zunächst einmal darum geht - darüber besteht Einigkeit, Herr Lamers - , dass man im Rahmen der Nato gleichsam ein europäisches Bein aufbaut, sowohl in politischer als natürlich auch in militärischer Hinsicht. Die Vorarbeiten dazu sind in Nizza abgeschlossen. Das heißt, die Strukturen stehen.

Bezogen auf den Einsatzraum wird es zu einer Einsatzteilung kommen. Es kann gar keine Frage sein, dass sich die neue Identität Europas vor allen Dingen auf Europa bezieht.

FRAGE ( es erfolgte keine Übersetzung )

BK SCHRÖDER: Ich weiß auch, dass Sie in der Türkei an dieser Frage besonders interessiert sind. Aber auch die Türkei soll nicht ausgeschlossen sein. Sie wissen oder könnten wissen, dass der hier anwesende Nato-Generalsekretär im Moment besonders intensive Gespräche mit der türkischen Regierung über exakt diese Frage führt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich ihm nicht ins Handwerk pfuschen will.

FRAGE ( es erfolgte keine Übersetzung )

BK SCHRÖDER: Zunächst einmal ist das eine dialektische Beziehung. Wenn man augenblicklich in Deutschland über Dialektik redet, kann man das noch hinreichend offen tun, ohne sich anschließend davon distanzieren zu müssen. Das eine bedingt also das andere.

Es ist so, dass wir die Absicht haben, die Nato mit der Schaffung der europäischen Verteidigungsidentität zu stärken. Natürlich gilt das auch umgekehrt. Die Frage, wie sich die Verteidigungsausgaben entwickeln müssen, um dieses Ziel zu erreichen, kann man - so glaube ich - nicht statisch beantworten. Wir sind in einem Prozess, zum Beispiel in Deutschland, die Investitionen deutlich zu stärken. Das ist nicht unbedingt nur eine Folge der verstärkten Zurverfügungstellung von Geld, sondern auch eine Folge von Strukturreformen, die wir in und mit unserer Bundeswehr machen. Insofern kann man die Frage nur so beantworten, dass eine ausreichende materielle Basis gegeben sein muss, um das Ziel der Stärkung zu erreichen. Wir werden dafür sorgen, dass diese ausreichende materielle Basis zur Verfügung steht.

FRAGE:( es erfolgte keine Übersetzung )

BK SCHRÖDER: Eigentlich hatte ich Ihnen das ja schon in unserem letzten Gespräch gesagt. Aber ich will es hier gerne öffentlich wiederholen.

Ich denke, meine Damen und Herren, die deutsch-französischen Beziehungen sind - nicht erst seit dem letzten Dienstag - in einem ausgezeichneten Zustand. Man muss sich darüber keine Sorgen machen. Es geht darum, nach der Erkenntnis zu handeln, dass die europäische Integration und ihr Fortschreiten - sowohl die Erweiterung als auch die Vertiefung - sehr stark abhängig ist von einer genauen Vorstellung zwischen Deutschland und Frankreich über diesen Prozess und von einer engen Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich über diesen Prozess. Das haben wir vereinbart und das werden wir auch sicherstellen. Neudefinition " sollte deutlich machen, dass wir nach der Phase der Versöhnung, die sehr stark Inhalt des deutsch-französischen Verhältnisses war, unser Augenmerk stärker auf die gegenwärtigen und auf die zukünftigen Aufgaben Deutschlands und Frankreichs in diesem Prozess richten müssen. Es wird ein Prozess sein, der zunächst durch Erweiterung, dann aber auch durch Vertiefung, durch ein Mehr an Integration definiert ist.

In diesem Prozess wird es wichtig sein, zu einer sehr engen Abstimmung der beiden Politiken zu kommen. Das ist auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs so abgesprochen. Das wird auch auf der Ebene der Außenminister so erfolgen, so dass man davon ausgehen kann, dass es immer wieder mal die eine oder andere Frage gibt, die zwischen Deutschland und Frankreich kontrovers diskutiert wird - das kann auch gar nicht anders sein - , dass aber die feste, einzigartige Basis dieser Beziehung nicht in Zweifel gezogen werden kann.

FRAGE:( es erfolgte keine Übersetzung )

BK SCHRÖDER: Ich denke, dass man vielleicht in den Vereinigten Staaten, aber auch anderswo sehen muss, warum wir unter gegenwärtigen Umständen was machen. Warum machen wir eine Konsolidierung des Haushalts, die alle Haushaltsbereiche umfasst, also auch den der Verteidigung? Das machen wir aus Gründen, um - von uns aus gesehen - einen Beitrag zur ökonomischen Stabilität in Europa und über Europa hinaus zu leisten. Nur wenn die stärkste Volkswirtschaft in Europa auf der einen Seite einen Konsolidierungskurs bei den öffentlichen Haushalten fährt, um auf der anderen Seiten Möglichkeiten und Ressourcen freizubekommen, um einen ökonomischen Wachstumskurs einzuleiten - und das geschieht seit zwei Jahren, verbunden mit einer Reform der sozialen Sicherungssysteme, aber auch anderer Politikbereiche - , dann haben wir, glaube ich, hinreichend Sicherheit und Stabilität.

Meine Bitte, verehrter Herr Botschafter, ist also, dass man den Sicherheitsbegriff nicht so eng fasst. Das, was wir gegenwärtig als stärkste Volkswirtschaft in Europa leisten, um die Wachstumskräfte zu stärken, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem sie anderswo in der Welt eher nicht so stark sind, darf man unter dem Aspekt von ökonomischer Sicherheit und damit von Sicherheit nicht klein schreiben.

Darüber hinaus werden wir dafür sorgen, dass die aufzustellenden Krisenreaktionskräfte so ausgerüstet sind, dass sie ihre Aufgabe auch erfüllen können. Deutschland wird seinen Beitrag dazu in vollem Umfang leisten. Es gibt auch keinen Anlass zu Befürchtungen, dass das nicht so sein könnte.

FRAGE:( es erfolgte keine Übersetzung )

BK SCHRÖDER: Ich weiß nicht, ob Sie mit der Beschreibung oder der Analyse in diesem Sektor Recht haben. Ich weiß von erheblichen Möglichkeiten, die die europäische Rüstungsindustrie in diesen Fragen hat. Sie sollten das "Galileo-Programm", das wir auf den Weg gebracht haben, auch nicht unterschätzen. Es hat sowohl eine zivile als auch eine militärische Komponente. Ich glaube, mit dem, was wir technologisch anzubieten haben, ist eine so skeptische Einschätzung wie die, die Sie eben gegeben haben, nicht gerechtfertigt. Wir sind da besser, als der eine oder andere meint. Die Umsetzung des "Galileo-Programms" wird das, was Sie befürchten, verhindern.

FRAGE: Herr Bundeskanzler, 1994 hat die Bundesrepublik Deutschland eine aktive und prägende Rolle bei der Konzeption der ersten Runde der NATO-Erweiterung gespielt. Mich würde interessieren, ob die Bundesregierung auch jetzt bei einer zweiten Runde, die beim Gipfel 2002 ansteht, eine ähnlich aktive und prägende Rolle einnehmen möchte. Mich würde auch interessieren, wie Sie insbesondere dazu stehen, Bulgarien, Rumänien und den baltischen Staaten eine klare Perspektive zu geben.

BK SCHRÖDER: Also, wir prägen. Den Rest werden wir mit unseren Partnern besprechen.

DR. TELTSCHIK: Danke, meine Damen und Herren. Ich bitte um Verständnis, wenn wir jetzt zum Abschluss dieser ersten Gesprächsrunde kommen. Ich darf dem Herrn Bundeskanzler noch einmal sehr herzlich danken, dass er trotz seiner Grippe zu uns gekommen ist und auch Fragen entgegengenommen hat.