Redner(in): Monika Grütters
Datum: 09. Dezember 2014

Untertitel: "Wo Menschen unterschiedlichster Herkunft 'Heimat' suchen, können Museen für das Miteinander und das Zusammenwachsen eine herausragende Rolle spielen", sagte Monika Grütters bei der Ausstellungseröffnung in Bonn.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2014/12/2014-12-09-gruetters-haus-der-geschichte.html


Wo Menschen unterschiedlichster Herkunft ' Heimat ' suchen, können Museen für das Miteinander und das Zusammenwachsen eine herausragende Rolle spielen ", sagte Monika Grütters bei der Ausstellungseröffnung in Bonn.

Anrede,

Kürzlich bin ich auf eine zunächst harmlos anmutende, kleine Statistik gestoßen, die auf den zweiten Blick eine ganze Menge aussagt über das Verhältnis des Einwanderungslands Deutschland zu multikultureller Vielfalt. Gefragt wurde nach Themen, über die keine Witze gemacht werden sollten, und Sie ahnen vielleicht schon, was ganz oben steht unter den humoristischen "No-gos" : Über die Hälfte der Befragten finden, dass es über Religionen und über Ausländer nichts zu Lachen geben sollte.

Es erfordert keine vertieften Kenntnisse der Psychoanalyse, um aus dem kategorischen Ausschluss von Humor auf einen nicht ganz unverkrampften Umgang mit eben diesen Themen zu schließen. Nicht umsonst gilt die Formulierung "Da versteh ich keinen Spaß" als Synonym für eine niedrige Toleranzschwelle. So gesehen ist es wohl eindeutig als gesellschaftlicher Fortschritt zu werten, dass in den letzten Jahren vermehrt Kabarettisten mit dem berühmten "Migrationshintergrund" die Kleinkunst- und Fernsehbühnen erobert haben und dabei auch die vor eben diesem Hintergrund gängigen Klischees zum Gegenstand von Witz und Ironie machen. Migration und Kultur "- das ist einer von vielen interessanten Schwerpunkten, denen sich auch die Ausstellung" Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland " widmet. Der kulturelle Aspekt interessiert mich als Kulturstaatsministerin nicht nur von Amts wegen besonders, sondern auch deshalb, weil sich am Umgang mit kultureller Vielfalt entscheidet, ob das Einwanderungsland Deutschland für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nur eine Bleibe oder auch eine Heimat ist.

Über viele Jahre hat allein schon die Frage, ob Deutschland Einwanderungsland ist oder nicht, für kontroverse Debatten gesorgt - der Begriff der "Leitkultur" markierte die Frontlinie zwischen unterschiedlichen Perspektiven auf die zunehmende Vielfalt in unserer Gesellschaft. Die Schärfe, mit der diese Debatten geführt wurden, sagt viel über die Angst vor dem Fremden und über die Suche nach Identität durch Abgrenzung gegen Andere; gleichzeitig vernebelt der Rauch verbaler Schlachten bis heute den Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland. Allein schon deshalb ist eine Ausstellung, die sich der Zuwanderung in Deutschland widmet, einen Besuch wert, und ich freue mich, dass das Haus der Geschichte dieses wichtige und vielschichtige Thema so differenziert und spannend aufbereitet hat.

Es ist nicht nur die Fülle an Informationen, die mich bei meinem Rundgang eben beeindruckt hat - es ist vor allem die Symbolkraft einzelner Exponate, die unter die Haut geht: das Kostüm des ersten schwarzen Karnevalsprinzen zum Beispiel, aber traurigerweise auch eine Gasflasche des gescheiterten Attentats auf dem Kölner Hauptbahnhof. All diese Exponate erzählen ihre eigene Geschichte, und so wird im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich, was sich hinter sozialwissenschaftlichen Wortungetümen wie "ethnische Heterogenität" verbirgt.

Dabei spart die Ausstellung die Konflikte nicht aus, die entstehen, wenn unterschiedliche Lebenswelten und Weltanschauungen aufeinander treffen. Sie unterstreicht damit, dass Multikulti-Romantik politisch ebenso wenig zielführend ist wie Stereotype und Vorurteile. Vor allem aber sehen wir in der Gegenüberstellung der Perspektiven von Einwandern und Einheimischen, dass uns trotz unterschiedlicher Herkunft oft viel mehr verbindet als uns trennt. Nach dem Rundgang darf man gewiss auch - so ging es mir jedenfalls - ein klein wenig stolz sein auf dieses "bunte" Deutschland des Jahres 2014, das der Vielfalt eine Heimat gibt.

Aber: Es gilt - bei aller multikulturellen Vielfalt - nicht ganz zu Unrecht als typisch deutsche Angewohnheit, Wasser in den Wein zu gießen - wenn auch nicht in den Chianti oder Bordeaux, sondern nur im übertragenen Sinne zur Verwässerung allzu großer Euphorie. Insofern darf auch hier und heute der Hinweis nicht fehlen, dass der Begriff des Einwanderungslandes nicht nur einen Ist-Zustand beschreibt, sondern auch ein nicht leicht zu haltendes und vielfach nicht eingelöstes Versprechen formuliert: das Versprechen nämlich, Zuwanderern Perspektiven zu bieten. Dazu gehören zunächst einmal Bildungs- und Arbeitsmarktchancen, aber auch Angebote kultureller Teilhabe.

Das von meinem Haus maßgeblich geförderte und 2012 erschienene Interkulturbarometer belegt, dass Menschen mit Migrationshintergrund ihre Lebenssituation in Deutschland vor allem dann als positiv empfinden, wenn sie in das kulturelle Geschehen vor Ort eingebunden sind.

Insofern kommt der kulturellen Integration eine enorme Bedeutung bei der gesellschaftlichen Integration zu. Umgekehrt brauchen wir ein gemeinsames kulturelles Reservoir gleichsam als Kitt, der unsere Gesellschaft zusammen hält. Ohne ein Minimum an kulturellen Referenzen und humanistischen Werten, die allgemein als bekannt vorauszusetzen sind und auch anerkannt werden, kann ich mir nicht vorstellen, wie sich in unserem Land dauerhaft gemeinschaftsstiftende Kräfte halten oder entfalten können. Worauf sollten sich diese denn beziehen, wenn nicht auf kulturelle Eigenheiten und Traditionen, auf die sich letztlich ja auch die Wertvorstellungen unseres Grundgesetzes gründen?

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass kulturelle Bildung kein "nice to have", sondern ein "must have" ist. Deren Vermittlung ist selbstverständlich nicht nur ein Problem, das im Zusammenhang mit Migration entsteht. Auch in sogenannten bildungsfernen Familien deutschen Ursprungs lassen sich Phänomene der Kulturferne beobachten, die ich als bedrückend empfinde. Insofern wäre es kurzsichtig, die kulturelle Integration, die ja mehr als nur einige wenige Schnittmengen mit der kulturellen Bildung aufweist, an Fragen allein der ethnischen Herkunft festzumachen.

Es geht bei der kulturellen Integration vor allem um Teilhabechancen und zwar für alle Menschen, die dauerhaft in diesem Land leben. Teilhabe am Kulturleben ist eine grundlegende Voraussetzung, unser gesellschaftliches Zusammenleben mit zu gestalten. Kulturelle Bildung wird damit im wahrsten Sinne des Wortes zu einer staats-tragenden Aufgabe. Sie ist keine Gewähr für den Zusammenhalt unserer freiheitlichen Gesellschaft, und schon gar nicht ist sie so eine Art "Reparaturkolonne der Gesellschaft".

Was sie jedoch vermag, ist individuelle Erfahrungen zu bescheren, die das Bewusstsein schärfen für den Wert der Freiheit und für das, was uns als pluralistische Gesellschaft ausmacht. Darin besteht die große Leistung, aber immer wieder auch die große Herausforderung der Kulturellen Bildung: Sie muss Menschen in ihrer Lebenswelt erreichen, um erfolgreich zu sein - mag diese auch noch so weit weg sein von öffentlich geförderten kulturellen Angeboten. Das ist anspruchsvoll - aber es ist das Mindeste, was wir von der berühmten "Kulturnation" Deutschland erwarten können und sollen.

Gerade Museen können dazu einen Beitrag leisten. In meinen Augen ist es gerade in der heutigen Zeit die Stärke der Museen, dass sie prinzipiell offen sind für Menschen unterschiedlichster Herkunft. Das ist etwas, was Museen allen anderen Institutionen und Instrumenten der Bildungsvermittlung voraus haben: Ein Buch über die deutsche Geschichte setzt, allein schon bedingt durch das Gebundensein an Sprache, ein bestimmtes Bildungsniveau, eine bestimmte Sozialisation seiner Leserschaft voraus. Ein Museum dagegen kann durch unterschiedliche Arten und Ebenen der Vermittlung deutscher Geschichte prinzipiell offen sein für Jedermann. In einem guten Museum ist niemand ausgeschlossen. Der persönliche Hintergrund beeinflusst zwar die individuelle Wahrnehmung, versperrt aber nicht den Zugang.

Auf diese Weise können Museen Diaspora-Erfahrungen aufheben. Damit meine ich die Erfahrung, unter anders denkenden und anders sozialisierten Menschen zu leben, die kennzeichnend ist für moderne, ethnisch heterogene, pluralistische Gesellschaften, gerade in unseren multikulturellen Städten und Ballungsräumen - die Erfahrung, in einer Minderheit zu sein, dauerhaft oder immer mal wieder. Museen zeigen uns, dass die Unterschiede viel kleiner sind als die Gemeinsamkeiten. Eben dadurch stiften Museen Identität.

Wo Menschen unterschiedlichster Herkunft "Heimat" suchen, können Museen für das Miteinander und das Zusammenwachsen eine herausragende Rolle spielen. Wo, wenn nicht hier, nimmt die große Lessingsche Idee vom Bildungsbürger als Weltbürger Gestalt an? In Museen können wir "Weltbürger" werden, denn sie gehören allen.

Ich bin überzeugt: Gerade in den gesellschaftlichen Veränderungen liegt eine Fülle von Chancen für die Museen, sich gleichermaßen als gemeinsame Ankerpunkte in der Vielfalt und als Leuchttürme in der Unübersichtlichkeit zu profilieren, wenn es ihnen gelingt, unterschiedliche Menschen individuell anzusprechen - "Digital Natives" wie "Silver Ager", Hartz IV-Empfänger wie Akademiker, Muslime wie Christen, Zugewanderte wie Alteingesessene.

Mein Haus hat in den vergangenen Jahren seine Maßnahmen zur kulturellen Bildung stark auf Zielgruppen ausgerichtet, die die Angebote öffentlicher Kultureinrichtungen bisher nicht oder kaum wahrnehmen. Ein entsprechender Passus in unseren Zuwendungsbescheiden beispielsweise sorgt dafür, dass die Ergebnisse entsprechender Bemühungen auszuweisen sind und in die Erfolgskontrolle mit einfließen. Auch bei unserem "BKM-Preis Kulturelle Bildung", mit dem ich als Kulturstaatsministerin einmal im Jahr besonders originelle Ansätze der kulturellen Bildungsvermittlung auszeichnen darf, liegt ein Schwerpunkt auf Integrationsaspekten, und es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie viel sich auf diese Weise im Kleinen, in den Kultureinrichtungen vor Ort, bewegen lässt.

Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich mit einer Anregung schließen. Wie wäre es, wenn jedes Jahr - zum Beispiel am 21. Mai, dem Welttag der kulturellen Vielfalt - , in allen Museen, Theatern und Konzerthäusern die Türe und Tore weit aufgemacht würden, um ganz besonders diejenigen zu begrüßen, die wissen sollen, dass ihre Geschichte, ihre Hoffnungen, ihre Träume, ihr Blick auf die Welt nun ebenfalls zu dem gehören werden, was wir unter Kultur in Deutschland und kultureller Vielfalt verstehen?

Nicht als vom Staat verordnete Aktion, nicht als abzuarbeitender "Arbeitsschwerpunkt" - nein, eine derartige Initiative kann ihre positiven Kräfte nur dann entfalten, wenn sie von denjenigen initiiert und getragen wird, die es ernst meinen mit dem Vorsatz, ihre Häuser für alle zu öffnen, die sie bislang noch nicht als ihre Gäste begrüßen konnten. Das wäre "Willkommens-Kultur", die diesen Namen im wortwörtlichen Sinne verdient - eine Geste mit viel mehr als nur symbolischer Kraft; eine Geste, in der wir unserer Dankbarkeit für eine nicht einfache, aber im Großen und Ganzen doch glückliche Entwicklung zu einem Einwanderungsland ebenso Ausdruck verleihen wie unserer Überzeugung, dass gemeinsame kulturelle Bezugspunkte für das Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland unverzichtbar sind; eine Geste, die uns als Kulturnation gut zu Gesicht stünde - und wer, wenn nicht Deutschlands unzählige Kultureinrichtungen, wäre zu solch einer Geste in der Lage?

Damit könnten Kultureinrichtungen gemeinsam auch auf den Beitrag aufmerksam machen, den sie zur gesellschaftlichen Integration leisten. In diesem Sinne jedenfalls wünsche ich dieser Ausstellung, und dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland viel Erfolg!