Redner(in): Monika Grütters
Datum: 14. Januar 2015

Untertitel: In der ehemaligen Stasi-Zentrale informiert eine neue Dauerausstellung über die "Staatssicherheit in der SED-Diktatur". Sie helfe zu verstehen, was eine Diktatur ausmacht - und das sei gerade für die jüngeren Generationen wichtig, erklärte Kulturstaatsministerin Grütters.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/01/2015-01-22-gruetters-stasi-museum.html


In der ehemaligen Stasi-Zentrale informiert eine neue Dauerausstellung über die "Staatssicherheit in der SED-Diktatur". Sie helfe zu verstehen, was eine Diktatur ausmacht - und das sei gerade für die jüngeren Generationen wichtig, erklärte Kulturstaatsministerin Grütters.

Anrede,

Was mag in den Köpfen und Herzen all dieser Menschen vorgegangen sein, die vor 25 Jahren - wir haben die bewegenden Bilder im Einspieler eben gesehen -den Maschinenraum staatlicher Macht gestürmt haben: den Ort, von dem im Auftrag der SED Überwachung und Unterdrückung durch das Ministerium für Staatssicherheit ausgingen? Es muss, so stelle ich es mir vor, ein trauriger Triumph gewesen sein, hinter der hässlichen Fratze der Diktatur, deren Willkür und Einschüchterungen man so lange Tag für Tag hilflos ausgesetzt war, die banale Verwaltungsbürokratie des Bösen zu entdecken, die aus allen Poren dieses Gebäudekomplexes atmet: ein trauriger Triumph, weil der Machtapparat der SED so lange reibungslos funktioniert hat; aber doch in erster Linie ein Triumph, weil die Sehnsucht nach Freiheit letztlich stärker war als ihre Unterdrücker.

Gerade diejenigen unter uns, die als Bürgerrechtler in der DDR gegen den Unrechtsstaat der SED gekämpft haben und den Zermürbungsstrategien des MfS deshalb permanent und ungeschützt ausgesetzt waren, gerade sie haben dem heutigen Tag wohl mit gemischten Gefühlen entgegen gesehen.

Es gab Zweifel, ob es gelingt, die Authentizität des symbolträchtigen Gedenkortes "Haus 1" im Rahmen der notwendigen Sanierung zu erhalten. Es gab Misstrauen angesichts der Frage, ob man den Erhalt dieses Ortes, der für die dunklen Seiten staatlicher Übermacht steht, in staatliche Hände legen sollte. Es gab Skepsis gegenüber dem Gedenkstättenkonzept des Bundes, wonach die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ( BStU ) gemeinsam mit dem Bürgerverein "Antistalinistische Aktion" ( ASTAK ) eine Dauerausstellung erarbeiten sollte. Es gab immer wieder erbitterte Streitigkeiten, wie viel Raum und Geltung der objektivierende Blick der Wissenschaftler neben den subjektiven Erzählungen der Betroffenen beanspruchen darf.

Ich kann die unterschiedlichen Standpunkte gut verstehen. Es ist Teil demokratischer Aufarbeitung leidvoller Diktaturerfahrungen, solche Konflikte - und damit auch unterschiedliche Perspektiven auf die Geschichte - zuzulassen und sichtbar zu machen, so schmerzhaft das auch ist. Umso mehr freut es mich, dass wir die neue Dauerausstellung "Staatssicherheit in der SED-Diktatur" im sanierten Haus 1 der ehemaligen Stasizentrale wie geplant zum morgigen 25. Jahrestag des Sturms auf die Normannenstraße eröffnen können.

Gerade vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Blickwinkel ist es bewegend zu sehen, was BStU und ASTAK nach vielen emotional geführten Diskussionen miteinander erreicht haben. Durch die Sanierung bleibt dieses für die Erinnerung an das SED-Unrecht so wichtige Gebäude der ehemaligen Stasi-Zentrale auch künftigen Generationen als authentischer Gedenkort erhalten - nun auch mit einer Dauerausstellung, in der sich die Erfahrungen der Betroffenen ebenso widerspiegeln wie die Analysen der Historiker.

Dass Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diesen Weg gemeinsam gegangen sind, lieber Herr Drieselmann, lieber Herr Jahn, das ist für die Aufarbeitung der SED-Diktatur als Teil einer lebendigen Erinnerungskultur nicht weniger wichtig als der Gedenkort selbst. Auf eindringliche Weise wird in der Ausstellung nachvollziehbar, was es heißt, in einer Diktatur zu leben. Herzlichen Dank für Ihre engagierte Arbeit!

Was wir hier in der Normannenstraße sehen, entlarvt die DDR, die im Stadtbild Berlins oft bagatellisiert in Gestalt von Trabi-Safaris, VoPo-Mützen und anderen Nostalgie-Souvenirs daher kommt, als das, was sie war: ein Unrechtsstaat. Die Dauerausstellung zeigt zum einen, wie der Staatssicherheitsdienst seine Arbeit als Erfüllungsgehilfe des SED-Regimes mit kalter Effizienz erledigte. Machterhalt war das Ziel; dazu musste jedes Infragestellen staatlicher Autorität im Keim erstickt werden, und eben das war der klare Auftrag des Staatssicherheitsdienstes, der sich dementsprechend als "Schild und Schwert der Partei" sah. Wir erfahren, wen die Stasi ins Visier nahm, wie sie sich Informationen verschaffte und wie sie mit diesen Informationen umging.

Die Dauerausstellung zeigt zum anderen aber auch, was Überwachung aus den Überwachten und den Überwachenden macht. Menschen, die man bis in die intimsten Bereiche ihres Lebens hinein bespitzelte, wurden zermürbt durch Schikanen im Alltag, durch willkürliche Inhaftierungen und nicht zuletzt auch durch Verunsicherung und Isolation. Denn die Denunzianten waren Bekannte, Nachbarn, manchmal engste Freunde, denen sie vertrauten - ein engmaschiges Netz der Beobachtung, unter dem Misstrauen, Verunsicherung und Angst gediehen. Auf diese Weise unterhöhlte der Staatssicherheitsdienst das Beziehungsgefüge einer ganzen Gesellschaft, ja selbst freundschaftliche und familiäre Beziehungen.

Davon erzählt der Dichter Reiner Kunze, dessen wacher, unbeugsamer Geist der SED ein Dorn im Auge war. Schon 1990 verarbeitete er die knapp 3.500 Seiten seiner Stasi-Akte zu einer Dokumentation mit dem Titel "Deckname Lyrik". Unter den Namen der willigen Zuträger, die penibel jeden seiner Schritte dokumentierten und beflissen jedes seiner Worte an die Staatssicherheit weiter trugen, fand er die Namen von Freunden und Bekannten. Ein Nachbar war sogar bereit, Löcher in die Wände seiner Wohnung zu bohren, um seine Augen und Ohren auch im Schlafzimmer des Ehepaares Kunze haben zu können. Am 22. Dezember 1976, kurz vor seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik, meldete ein Freund Kunzes an die Stasi: "Ich möchte … zum Ausdruck bringen, dass sich sowohl Reiner als auch Elisabeth Kunze fast am Ende ihrer physischen Kräfte befinden." Die psychische Zerrüttung, so der Freund weiter, sei auf Zermürbung zurückzuführen.

Meine Damen und Herren, die ehemalige MfS-Zentrale ist ein Ort, der uns das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen nur erahnen lässt und es uns doch auf beklemmende Weise nahe bringt. Die neue Dauerausstellung hilft uns zu verstehen, was eine Diktatur ausmacht - das ist gerade für die jüngeren Generationen wichtig, die keine eigenen Erinnerungen daran haben. Die Ausstellung trägt aber auch dazu bei, das Bewusstsein für den Wert der Freiheit lebendig zu halten. Das ist heute wichtiger denn je, gerade in diesen Tagen, in denen islamistische Terroristen Axt anlegen an die Stützpfeiler unserer Demokratie - an die Freiheit der Kunst und der Presse, an Meinungsfreiheit und Redefreiheit.

In seinem "Vers zur Jahrtausendwende" hat Reiner Kunze die Haltung formuliert, mit der er selbst dem SED-Regime standhielt und mit der auch wir allen Feinden der Freiheit begegnen sollten: "Wir haben immer eine wahl, / und sei ' s, uns denen nicht zu beugen, / die sie uns nahmen." Die Zivilcourage vieler Menschen in der DDR, die den Machthabern im Streben nach Freiheit und Demokratie die Stirn boten, kann uns dafür ein Vorbild sein.