Redner(in): Monika Grütters
Datum: 05. Februar 2015
Untertitel: In ihrer Rede sagte Monika Grütters "Dass die Ehre des Eröffnungsfilms in 65 Berlinale-Jahren erst zum zweiten Mal einer Regisseurin zuteil wird - das erinnert uns daran, dass wir immer noch um eine angemessene Beteiligung von Frauen im Film, ja - aber auch in unserer Gesellschaft insgesamt werben müssen."
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/02/2015-02-05-gruetters-eroeffnungsrede-berlinale.html
In ihrer Rede sagte Monika Grütters "Dass die Ehre des Eröffnungsfilms in 65 Berlinale-Jahren erst zum zweiten Mal einer Regisseurin zuteil wird - das erinnert uns daran, dass wir immer noch um eine angemessene Beteiligung von Frauen im Film, ja - aber auch in unserer Gesellschaft insgesamt werben müssen."
Anrede,
Vor einem Jahr habe ich bei der Eröffnung der Berlinale an die Erfahrungen aus unserer jüngeren deutschen Geschichte erinnert: daran, wie mühsam wir uns nach Diktatur und Weltkrieg in einem auch geistig und kulturell verwüsteten Land die Freiheit der Kunst wieder erarbeiten mussten; daran aber auch, wie wertvoll dieses hohe Verfassungsgut, dieser Grundkonsens unseres heutigen demokratischen Gemeinwesens ist!
Vor einem Jahr konnten wir alle uns nicht vorstellen, wie brutal die Gefährdung dieser Kunstfreiheit sein kann - selbst hier bei uns in Europa. Die Anschläge von Paris erinnern uns daran, dass die Freiheit nicht selbstverständlich ist, sondern auch heute leidenschaftliche Verteidiger braucht, selbst dort, wo wir uns ihrer sicher glaubten.
Umso mehr freue ich mich, Sie heute hier begrüßen zu dürfen, liebe Künstlerinnen und Künstler! Was für eine Freude, Ihnen eine Bühne - und 63 Kinoleinwände - bieten zu dürfen! Was für eine Freude, dem Echo eines millionenfachen "Je suis Charlie!" ein Fest / ein Festival künstlerischer Freiheit folgen lassen zu können!
In diese Freude mischt sich aber auch die Frage:
Wie weit kann, darf, muss Kunst gehen - insbesondere die Satire?
Wo ziehen wir vielleicht Grenzen künstlerischer Freiheit?
Und wie politisch dürfen oder müssen Festivals wie die Berlinale in diesen Zeiten sein?
Politisch jedenfalls - das war die Berlinale von Anfang an. Auch dieses Jahr, zu ihrem 65. Geburtstag, setzt sie starke Akzente: Dass wir den Film "Taxi" des iranischen Regisseurs Jafar Panahi als Auftaktfilm des Wettbewerbs zu sehen bekommen, ist nicht selbstverständlich. Ich finde es gut, dass Du, lieber Dieter Kosslick, sagst, Du wirst Jafar Panahi so lange zur Berlinale einladen, bis er kommen darf. Diese Hartnäckigkeit ist wichtig. Denn nicht nur in hermetischen Systemen, sondern ganz generell gilt: Es ist die Kunst, die dort Brücken baut, wo Diplomatie und Politik an ihre Grenzen stoßen. So, lieber Dieter, hast Du die Berlinale nicht nur künstlerisch geprägt, sondern sie immer im Zeitgeschehen positioniert. Dafür danke ich Dir und Deinem Team!
Politisch setzen wir Akzente gegen die Macht der Verbote, kulturell erwartet uns ein vielseitiges, ein unterhaltsames Programm - in diesem Jahr mit einer bemerkenswert hohen deutschen Beteiligung. Der Anteil von Frauen - vor allem hinter der Kamera - dürfte gerne höher sein.
Dass die Ehre des Eröffnungsfilms in 65 Berlinale-Jahren erst zum zweiten Mal einer Regisseurin zuteil wird - das erinnert uns daran, dass wir immer noch um eine angemessene Beteiligung von Frauen im Film, ja - aber auch in unserer Gesellschaft insgesamt werben müssen. Umso schöner, dass es beim Thema des Films auch noch um eine starke Protagonistin geht. In Isabel Coixets Eröffnungsfilm "Nobody wants the Night" folgt eine Frau ihrem Mann auf dem mörderisch harten Weg zum Nordpol. Der kleine Unterschied: SIE riskiert alles für die Liebe - ER riskiert alles für den Ruhm.
Freuen wir uns also auf die Welturaufführung dieses Films, freuen wir uns über eine mutige Frau, die unbeirrbar ihren Weg geht! Freuen wir uns auf eine Berlinale, die uns sicherlich auch dieses Jahr wieder mit - im doppelten Sinne des Wortes - unerhörten Geschichten und neuen Perspektiven überrascht! Diese Geschichten und die Künstler - sie sind es, die das Denken, das Wahrnehmen, das Empfinden, das Bewusstsein verändern können. In diesem Sinne trägt die Kunst immer den Keim des im besten Sinne Revolutionären in sich - erst recht die Filmkunst, die so sinnlich und emotional ist wie keine andere Kunstform.
Was für ein Glück, in einer Gesellschaft zu leben, in der aus diesen Keimen etwas wachsen darf! Keiner hat das so schön, so treffend formuliert wie Friedrich Schiller: "Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit." Das zu verteidigen in aller Freiheit - das ist unser aller Anstrengung wert!