Redner(in): Monika Grütters
Datum: 06. Februar 2015

Untertitel: In ihrer Rede sprach Monika Grütters unter anderem über die geringe Frauenquote in der Filmbranche.
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/02/2015-02-06-gruetters-lola-at-berlinale.html


In ihrer Rede sprach Monika Grütters unter anderem über die geringe Frauenquote in der Filmbranche.

Anrede,

Der deutsche Film, das kann ich nach meinem heutigen Rundgang auf dem European Film Market wieder einmal aus voller Überzeugung sagen, - der deutsche Film ist ein Aushängeschild unserer Kulturnation. Auch wenn, oder vielleicht gerade weil uns Deutschen im Ausland ein Ruf vorauseilt, den schon Heinrich Heine einst wunderbar selbstironisch beschrieben hat: "Die Deutschen", konstatierte er,"haben die merkwürdige Angewohnheit, dass sie bei allem, was sie tun, sich auch etwas denken."

Unseren Filmen scheint es nicht zu schaden, dass hierzulande viel gedacht wird: Unter den Highlights des Filmjahres 2014 sind nicht nur sieben Besuchermillionäre, sondern auch nachdenkliche und gleichzeitig emotional berührende Meisterwerke - "Im Labyrinth des Schweigens" zum Beispiel, mit einem großartigen Gert Voss in seiner letzten Rolle. Für mich war dieser Film über die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitzprozesse einer der bewegendsten Filme des vergangenen Jahres: ein Film, der mir nicht mehr aus dem Kopf und auch nicht mehr aus dem Herzen gehen wird.

Bei aller Freude über die großartigen Filme, die ins Rennen um den Deutschen Filmpreis gehen und die uns LOLA @Berlinale in den nächsten Tagen präsentiert - einen Wehrmutstropfen gibt es: nämlich die Tatsache, dass zwar unser höchstdotierter Film- und Kulturpreis einen Frauennamen trägt, unsere hochdekorierten Filmemacher in der Regel jedoch nicht.

Wenn es zutrifft, dass die Filmkunst immer auch ein Seismograph dafür ist, wo es gärt und brodelt in unserer Gesellschaft, dann müsste uns der Ärger über die dürftige Präsenz von Frauen im Film-Olymp mittlerweile längst in einem Film begegnen - nicht als larmoyantes Melodram, nein! , und auch nicht in Form eines actionreich inszenierten Geschlechterkriegs, sondern vielleicht eher als galgenhumorige Komödie. Stoff gibt es genug in der Geschichte weiblicher Emanzipation und Gleichberechtigung.

Wussten Sie zum Beispiel, dass im Sport bis 1970 ein Frauenfußballverbot des DFB galt? Aus - ich zitiere - "grundsätzlichen Erwägungen und ästhetischen Gründen" waren Fußballspiele mit weiblicher Beteiligung unter Androhung heftiger Strafen für die Vereine untersagt. Kein Scherz!

Kein Scherz ist auch die dazu passende, 1953 veröffentlichte Studie eines niederländischen Psychologen und Anthropologen. Darin heißt es, ich zitiere: "Das Fußballspiel als Spielform ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen, wohl aber Korbball, Hockey, Tennis und so fort. Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob das Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich."

Ist das nicht filmreif? Leider sieht es in der Filmbranche nicht viel besser aus als einst auf den Fußballplätzen - und das ganz ohne Verbote und hanebüchene anthropologische Theorien: 65 Berlinale Eröffnungsfilme gab es bisher. Bei 63 haben Männer Regie geführt. Das ist eine Männerquote von 97 Prozent. Nur ein einziges Mal ging der Goldene Bär bisher an eine Frau. Das ist eine Männerquote von 98,5 Prozent. 48 Filme stehen auf der Longlist des Deutschen Filmpreises 2015 - bei 38 haben Männer Regie geführt. Das ist eine Männerquote von 80 Prozent.

Und das alles, obwohl der Frauenanteil unter den an deutschen Filmhochschulen ausgebildeten Regisseuren in den letzten zehn Jahren durchschnittlich bei 42 Prozent lag! Das kann wirklich nicht wahr sein, und deshalb unterstütze ich das Anliegen von Pro Quote Regie!

Bisher wissen wir wenig darüber, warum die Zahlen so sind wie sie sind: Eine Studie der Filmförderungsanstalt und eine weitere Studie meines Hauses zur Situation von Frauen im Kulturbereich sollen darüber mehr Klarheit bringen.

Das Mindeste, was wir unabhängig von den Ergebnissen tun können, betrifft die Zusammensetzung der Filmförderungsgremien: Für die Gremien meines Hauses gilt, dass wir sie möglichst zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzen. Es ist ein Gebot nicht nur der Fairness, sondern auch der wirtschaftlichen Vernunft, die Perspektiven von Frauen bei Förderentscheidungen angemessen zu berücksichtigen - schließlich ist auch die Hälfte derjenigen weiblich, die später die Kinokassen klingeln lassen sollen! Aus diesem Grund werde ich auch bei der laufenden Überarbeitung des Filmförderungsgesetzes auf die Berücksichtigung der Interessen von Frauen achten.

Es wird aber auch Zeit, dass Frauen selbst beherzter nach den Sternen greifen! Das tun zu viele ganz offensichtlich nicht. Wie sonst ist es zu erklären, dass selbst in der Champions League der Kochkunst fast ausschließlich Männer das Sagen haben? Gerade mal sechs von 282 Sternerestaurants haben weibliche Küchenchefs. Das ist eine Männerquote von sage und schreibe 98 Prozent! Damit toppt die Esskultur die Filmkultur - und das ausgerechnet in der Küche, in einem Metier, wo Männer doch ansonsten angeblich eher durch Zurückhaltung auffallen!

So wenig, wie die männliche Dominanz in der Sterneküche etwas damit zu tun hat, dass Männer besser kochen können, so wenig hat die männliche Dominanz in der Filmwirtschaft etwas damit zu tun, dass Männer bessere Filme machen. Die Vielfalt unserer Kultur allerdings hat eine ganze Menge damit zu tun, ob weibliche und männliche Perspektiven gleichermaßen vertreten sind. Deshalb wünsche ich dem deutschen Film mehr Frauen, die nach den Sternen greifen!

Ein wunderbares Vorbild ist die großartige Nora Ephron, die als Journalistin, Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Regisseurin erfolgreich war und uns Filmklassiker wie "Harry & Sally" geschenkt hat. In einem ihrer wunderbar selbstironischen Essays hat diese erfolgreiche Frau über Filmflops im Allgemeinen und ihre floppenden Drehbücher im Besonderen geschrieben und in diesem Zusammenhang auch über den entscheidenden Vorteil des selbst Regieführens, ich zitiere: "Das Beste daran, bei Filmen selbst Regie zu führen ( … ) , ist, dass nie Zweifel aufkommen, wer der Schuldige ist: Sie sind es nämlich immer selbst."

Chuzpe statt Quote, so könnte man Nora Ephrons frauenpolitisches Vermächtnis für die Filmbranche beschreiben. Genau diese Chuzpe wünsche ich den vielen talentierten Frauen in der deutschen Filmbranche!

Heute Abend dürfen wir uns trotzdem uneingeschränkt mit der männlichen Mehrheit und der weiblichen Minderheit freuen, die es mit ihren überragenden Filmen auf die Longlist des Deutschen Filmpreises geschafft haben - eine Vorauswahl, die den Akademiemitgliedern die Entscheidung sicher nicht einfach machen wird. Ich bin jedenfalls schon sehr auf den Deutschen Filmpreis 2015 gespannt.

Viel Erfolg, LOLA @Berlinale!